Nach Ende des 2. Weltkriegs hat Walter Mehring seine „Verlorene Bibliothek – Autobiografie einer Kultur“ geschrieben. In ihr findet sich eine schöne Passage zum Sinn des Lebens und der Kunst:
„Wenn überhaupt in unser aller Dasein etwas einen Sinn hat, so ist es der: verliebt zu sein, – und wenn überhaupt noch ein Ziel erlebenswert ist, so das eine: sich in die Schönheit zu verlieben (die jeweilig jedes Liebhabers Geschmackssache bleibt), – und wenn überhaupt ein Liebesgebot allgültig ist, so dieses: Seid fruchtbar, das heißt: schöpferisch, – und mehret Euch, das heißt: Euch selbst; aber nicht die Mehrheit politischer Viehherden oder den Reinertrag industrieller Unternehmen.
Und wenn sich all des Tagewerkes Schweiß und Plackerei noch lohnt, so nur, am Feierabend ins Bett zu gehen – mit der innig Geliebten – oder wenigstens mit dem Traum an sie, um die ungewisse Begierde mit dem genauen Ausdruck zu gatten; um sich zu ergießen und zu genießen; um einander zu berühren und gerührt zu sein; um den Orgasmus, den Moment göttlicher Wonne zu verewigen. Warum eine Klanghochzeit – eine Reimpaarung, eine Farbverbindung – künstlerisch geglückt ist, läßt sich allgemein nicht erklären, weil man seine Liebe echt bloß der einzig Geliebten erklären kann: Liebeserklärungen an Staatsväter, Vaterländer, an die Plebs sind pervers, exhibitionistisch, unzüchtig.
Doch die Schönheit selber – einer Dichtung, wie einer Frau – ist polygam. und das jeweilige Schönheitsideal – als Mode und modus vivendi – antwortet dem Verlangen des einzelnen wie den Ansprüchen der Zeit.“
(Walter Mehring, Die verlorene Bibliothek. Claassen Verlag, Düsseldorf: 1978, S. 119 f.)
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