Neugierig war ich auf das Buch, aber auch voller Ehrfurcht. Mehr als 600 Seiten Erinnerungen, Briefe und editorische Hinweise zu einer Frau, die vor 200 Jahren lebte, schüchtern im Alltag doch etwas ein. Wobei sich das nicht auf das Geschlecht, sondern auf die Zeit und ihre Zeitgenossen bezieht, die einem ja doch nicht alle geläufig sind. Aber schon nach den ersten Seiten der Erinnerungen von Henriette Herz sind die Hemmungen weg. Die jüdische Berlinerin, die in ihrem Salon alle wichtigen Geistesgrößen zu Gast hatte, schreibt selbstbewusst, aber zurückhaltend und zieht den Leser ganz schnell in ihr Leben. Dieses faszinierend zu nennen würde nicht genügen, um das auch aus heutiger Sicht noch Besondere zu beschreiben.
Rainer Schmitz hat das Buch editiert und eine Fülle von Material zusammengebracht, das so noch nicht zu lesen war. Denn Henriette Herz hat ihre Briefwechsel, die sie unter anderem mit Alexander und Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schleiermacher, Jean Paul, Karl Philipp Moritz, Friedrich Schlegel und vielen anderen unterhielt, vernichtet. Sie wollte nicht, dass solch intime Dokumente veröffentlicht werden. Ein Gedanke, der angesichts der unzähligen Briefveröffentlichungen der damaligen Zeit fast schon schüchtern und naiv wirkt. Aber deshalb sind die meisten Briefe, die Rainer Schmitz in dem Band veröffentlichen konnte, nicht als Original erhalten, sondern allenfalls als Kopie.
Für den heutigen Leser ist das allerdings nicht wirklich wichtig. Denn es kommt ja auf den Inhalt an – und der ist in jeder Hinsicht lesenswert, in vielfacher sogar aufregend. Henriette Herz, die Frau des Arztes und Philosophen Marcus Herz etablierte ihren Salon zunächst als eine Art Ergänzung zum stark wissenschaftlich geprägten ihres Mannes. Bei Henriette ging es auch um Philosophie, vor allem aber um Literatur und Kunst. Sie selbst sprach mehrere Sprachen, konnte ausländische Gäste deshalb betreuen, ja sie übersetzte sogar Bücher aus dem Englischen. Vor allem aber steht sie – wie auch ihre Freundin Rahel Varnhagen von Ense – für ein aufgeklärtes Judentum, das als Vermittler zwischen Adel und Bürgertum in Preußen agiert. Das Menschen unterschiedlicher Profession und Herkunft zusammenbrachte und damit das begründete, was wir heute noch als bürgerliche Öffentlichkeit nennen. Das geschah in Berlin, in ihrem Salon, wo sich die Gesellschaft traf und austauschte. In ihren Erinnerungen erzählt sie davon zurückhaltend und regelrecht modern. So wie es ihre Ansichten ja auch waren.
Da Henriette Herz auch als eine der schönsten Frauen der damaligen Zeit galt, ist es kein Wunder, dass sich der eine oder andere Mann in sie verliebte. So wie der junge Ludwig Börne, der bei Herzens auf sein Studium vorbereitet werden sollte, dann aber das Haus verlassen musste, als die fast doppelt so alte Henriette auf das Liebeswerben nicht einging. Schon allein wegen dessen Briefe ist das Buch lesenswert. Beeindruckend, wie stilistisch sicher der spätere radikale Demokrat und Begründer des deutschen Feuilletons schon als Teenager war. Und von dieser Art Entdeckungen gibt es in dem band sehr viele.
Das einzig schlechte an dem Buch ist, dass der Herausgeber weder auf dem Einband noch auf dem Cover vermerkt ist. Angesichts der immensen Arbeit wäre das schon nötig.
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