Da, wo einst der Fluß Poltawa floss, steht seit mehr als 100 Jahren die Oper von Lemberg. Ein monumentaler Bau, der sich an der wichtigsten Oper des damaligen Habsburger Reiches orientierte: der Wiener Hofoper. Pracht strahlt das Haus aus und Macht und dass Kunst in allen Zeiten ein beliebtes Mittel der Herrschenden war und ist, um den Untertanen zu demonstrieren, wie großartig man selbst ist. Da darf es dann auch ein wilder Mix von Stilen und Epochen sein. Frei nach dem Motto: Das schönste aus allen Zeiten ist gut genug für uns.
Um 1900 ist die Oper eröffnet worden. „Orfeo ed Euridice“ war damals bestimmt auch schon auf dem Spielplan. Die schöne Barock-Oper über den griechischen Sänger, der seine Liebe verliert und aus dem Hades zurückholen darf, war schon immer erhaben und fröhlich. Und irgendwie auch so ein Stück, in dem sich Stile und Stoffe mischen, um ein ebensolches erhabenes, erbauendes Wohlgefühl zu erzeugen. Insofern passt sie hervorragend in dieses Haus, das noch dazu einen Innenraum hat, der in Form einer Lyra, einer griechischen Leier, geformt ist, wie sie Orpheus zu Begleitung seines Gesanges benutzt.
An diesem Abend ist die Aufführung in Lemberg auch erhaben. Allerdings muss der Dirigent seinen Solotrompeter dazu erst erziehen. Anfangs quietscht sie etwas, aber mit der dem Fortgang des ersten Aktes spielt sich die Trompete warm und ertönt dann den Rest des Abends immer weich und hell, wenn sich das erhabene Gefühl beim Zuschauer einstellen soll. Die Inszenierung erinnert auch an die Bauzeit des Opernhauses. Damals waren Halbkreise des Ensembles üblich, früher lebte die Oper von der Deklamation und selten nur überzeugte sie durch Schauspiel. All das beherzigen auch die Darsteller in Lemberg. Vielleicht hat dieselbe Inszenierung ja auch schon Joseph Roth als Student gesehen. Und sich gewundert, dass Orpheus fast immer mit Leier herumläuft und diese selbst dann nicht senkt, wenn er schmachten, leiden oder erregt sein sollte. Damals war die Assoziation auch noch näher, dass die Unterwelt unter der Oper einen Fluss beherbergt, auf dem einst Schiffe zu den Häfen der Ostsee unterwegs waren. Dazu passen die etwas abgerissen wirkenden Kostüme in der Unterwelt, an denen welke Blätter hängen.
Trotz der Mängel bei Spiel. Kostümen und Inszenierung ist der Abend ein kurzweiliger. Das Orchester und der Chor harmonieren wunderbar. Die weiblichen Solostimmen tragen in der klaren Akustik des großen Saals mit seinen drei Rängen. Musikalisch ist das ein Genuss. Und da die Aufführungen in Lemberg stets um 18.00 Uhr beginnen, ist so eine schöne Barock-Oper mit ihrer knapp zweistündigen Spielzeit ein idealer Start in einen Abend mit neu gewonnen Freunden.