Alles, was sich mit Habsburg verbindet, ist Erinnerung. Die vor knapp 100 Jahren untergegangene Doppelmonarchie hat statt eines riesigen Vielvölkerstaates nur einen Rumpf namens Österreich und eine Reihe anderer Staaten hinterlassen. Und Erinnerungen in Büchern, in Steinen und Gebäuden, in Gerichten und Kaffeehauskultur. Habsburg lebt also weiter. Richard Wagner, der Banat-Deutsche Schriftsteller, der in Berlin lebt, hat eine „Bibliothek einer verlorenen Welt“ erfunden – und Habsburg damit ein literarisches Denkmal aus Essais, Gedankensplittern und realen Büchern aus der untergegangen Welt erdacht.
Ein bisschen erinnert das Buch an Walter Mehrings Autobiografie „Die verlorene Bibliothek„, in der anhand der beschlagnahmten Bibliothek des Vaters eine Kulturgeschichte seiner Zeit erinnerte. Ganz ähnlich geht Wagner vor. Anhand von realen Büchern und einem enormen historischen Wissen begeht er die literarischen Räume der Vergangenheit. Dabei stellt er uns natürlich Franz Kafka und Joseph Roth vor. Aber auch Leo Perutz, Karl Emil Franzos und vor allem auch Bücher und Autoren, die in den anderen Sprachen des Vielvölkerstaates schrieben. So entsteht – in Kombination mit Rezepten typischer Gerichte, die es in abgewandelter Form in allen Kaffeehäusern des ehemaligen Reiches noch heute gibt – ein sinnliches und literarisches Gesamtbild dieses Habsburgs.
Richard Wagner gelingt es, viele Traditionsstränge bis in die Gegenwart zu ziehen. Seine oft kurzen Texte sind Gedankenblitze, die das Gesamtbild erhellen und beleuchten. Von besonderem Interesse sind die Verweise, die auf die Nationen verweisen, die neben den Deutschen in der Doppelmonarchie lebten. Nur bei den Ukrainern verlässt Wagner der kritische Geist. Ihnen spricht er eine nationale Eigenständigkeit ab. Er betont den Beginn der russischen Geschichte mit dem Kiewer Rus – und damit das Recht Moskaus noch heute über die Ukraine herrschen zu wollen. Das aber ist erstaunlich unhistorisch in diesem so historischen Buch. Mit einer ähnlichen Begründung müsste Kaliningrad schleunigst wieder deutsche werden. Immerhin ist Königsberg der Ausgangspunkt des preußischen Königtums. Oder große Teile Russlands müssten Litauen zugeschlagen werden, denn die Herrschaft der Litauer reichte einst bis weit über Weißrussland und die Ukraine hinaus. Richard Wagner konterkariert mit dem Teil über die Ukraine den Ansatz seines ganzen Buches. Da ist doppelt ärgerlich. Zum einen, weil es schlicht falsch ist. Zum anderen, weil der Rest des Buches wunderbar ist.
Der Krieg in der Ukraine hat das Land zwischen Polen und Russland buchstäblich ins europäische Bewusstsein geschossen. Je länger die russische Aggression währt, umso mehr beschäftigen sich Öffentlichkeit und Medien, aber auch die Wissenschaft mit der Geschichte des Landes. Und umso klarer schält sich heraus, dass die Ukraine eine eigenständige Kultur, eine eigene Sprache, ein eigenes Nationalbewusstsein hat, das sich klar gegen Russland abgrenzt. Ein wunderbares Beispiel für die ukrainische Literatur ist der kürzlich erschienene Roman „Im Schatten der Mohnblüte“ von Jurij Wynnytschuk.
Niemand schreibt so gut über das Schwimmen wie John von Düffel. In seinen Romanen hat er die Bewegung im Wasser, das Gleiten in der Schwerelosigkeit, die Anstrengung der Armzüge, das Ausatmen unter Wasser, die meditative Kraft der sich auflösenden Gedanken beim Bahnenziehen beschrieben, dass die Lust auf einen Sprung ins Becken von Seite zu Seite wuchs. In seinen „Wassererzählungen“ gelingt ihm das auch wieder. Doch würde es den elf Texten nicht gerecht, reduzierte man sie darauf.
Am Anfang ist nur ein Gerücht. Und doch kann dieses Gerücht das ganze Leben des Lehrers, aus dessen Perspektive Norbert Gstreins „Eine Ahnung vom Anfang“ geschrieben ist, in Frage stellen. Tatsächlich wird auf dem Bahnhof der österreichischen Provinzstadt eine Bombe gefunden. Aber wer sie deponiert hat, ist keinesfalls bekannt. Nur Erinnerungen an einen ehemaligen Schüler, der anders war als die anderen Schüler. Genau deshalb trauen ihm viele im Ort die Tat – die letztlich nicht ausgeführt wird – zu.
Die Idee klingt absurd. Da lässt sich ein Paar scheiden, weil der Mann sich auf die Suche nach einer neuen Frau machen soll. Die soll dann mit der Ex unter einem Dach leben, weil sich das Scheidungspaar noch immer liebt. Die neue Frau soll das aber erst erfahren, wenn sie wirklich mit der Ex im gleichen Haus lebt. Einzige Voraussetzung: Die Neue muss eine Mitgift bekommen, die zur Tilgung der Schulden genügt.
Warschau ist eine Reise wert. Davon ist Steffen Möller, der viele Jahre in der polnischen Hauptstadt gelebt hat, überzeugt. Aber da Warschau bei den Touristen immer den Kürzeren im Vergleich mit Krakau zieht, erklärt uns Deutschlands bekanntester Polen-Versteher und -Kenner den Reiz der Stadt. Mehr als 280 kurzweilige Seiten locken uns nach Warschau.
Bruno Schulz, der große polnisch-jüdische Schriftsteller schreibt einen Brief an Thomas Mann. 1938, schon nach dem Einmarsch Deutschlands ins Sudetenland, sitzt Schulz an seinem Schreibtisch im heimisch Drohobycz und berichtet in einem Brief an den Autoren-Kollegen von dessen Doppelgänger. Das ist der Rahmen für eine kleine Novelle von Maxim Biller, in der auf nicht einmal 70 Seiten ein visionärer Alptraum entsteht, dem man sich als Leser nicht entziehen kann.
Ach immer diese Ostalgie! Warum hört das nicht auf? Sie war doch eine Diktatur! Und ausgerechnet zum Jubiläum ihres Untergangs wird sie von Thomas Brussig wieder zum Leben erweckt! Muss das sein?
Italienische Reisen haben es den Deutschen angetan. Ob die berühmte von Goethe oder die unzähligen in Auto, Zug oder Flugzeug. Es zieht sie über die Alpen ans Mittelmeer. Felix Hartlaub lernte Italien 1931 kennen. Bei einer Wanderung entlag der illyrischen Küste bis Viareggio und dann durch die Toskana bis Florenz und weiter nach Pisa. Erstaunlich an den Einträgen des jungen Mannes sind vor allem seine Beobachtungen der Farben und Formen.
Das Buch ist zwar schon knapp fünf Jahre alt. Aber „Stalin und der Genozid“ von Norman M. Naimark ist gerade jetzt eine wichtige Abhandlung über die Verbrechen der KPdSU in den 1920er bis 190er Jahren. Denn das Regime Wladimir Putins bezieht sich ganz offen auf Stalin. Bei offiziellen Anlässen sind Stalin-Banner zu sehen, die Denkmäler aus der sowjetischen Zeit werden weiter geehrt und all jene, die wie Memorial die Vergangenheit aufarbeiten wollen, leben gefährlich.