Von Brasilien bis Tibet, von Frankfurt am Main bis in die Antarktis entführt das Easy-Listening-Duo Jazzamor die Hörer auf seinem dritten Album. Travel heißt das Stück dann auch völlig zurecht. Die 16 Tracks von Bettina Mischke und Roland Grosch schaffen es, sowohl die einwandfreie Hintergrundmusik zum Abhängen an heißen Tagen zu liefern, als auch musikalisch zu überraschen.
Easy-Listening klingt für viele nach Fahrstuhl-Musik und lästigem Hintergrundrauschen beim Einkaufen. Doch jazzamor bieten mehr. Zum einen sind da die wirklichguten Texte. Wann ist es Liebe bringt die Sehnsucht nach Nähe und die Angst vor der Zurückweisung auf den Punkt. Hier kommt die Melancholie, die das gesamte Album trägt, besonders gut zum Tragen. Travel in Order not toarrive schildert ebenfalls diesen Zwischenraum, der von der Angst des Daseins und der Melancholiedes Nicht-Daseins gefüllt ist, wie er das Reisen oft begleitet.
Musikalisch bietet jazzamor einen Mix aus den Rhythmen der Welt. Moll-Töne dominieren, und so treibt der Hörer über die Tracks. Gepackt von der Stimme Bettina Mischkes, die ein trauriger, aber treuer Begleiter auf dieser Reise ist.
Achtung bei Hui Buh-CDs. Es gibt nämlich zwei. Da ist zum einen der Soundtrack. Zum anderen gibt es diesen feinen Sampler: Music inspired by Hui Buh. Auf ihm sind auch Songs aus dem Film – vor allem aber ist dieses Album ein richtig feiner Mix für den Sommer.
Culcha Candelas Titelsong des schrägen Films Follow me ist natürlich genauso drauf, wie Gentlemans n we go, das für den Film entstand. Diese Lieder geben den Stil des ganzen Albums vor. Hui Buh mag offensichtlich Musik, die sich an Ragga, Reggae und Dancehall orientiert. Sam Ragga Band feat. Jan Delay stimmen denn auch Die Welt steht still an. Und Seeed mit dem Ding findet sich ebenso darauf wie die Ohrbooten, Shaggy, Patrice und Mustafa Sandal feat Gentleman.
Das alles hat mit dem Film nicht viel zu tun. Es handelt sich eher um einen Marketing-Gag, wenn Musik auf einer CD zusammengestellt wird, die sich ein Gespenst, das aussieht wie Michael Bully Herbig vielleicht ganz gern anhören würde. Aber die Macher haben zumindest guten Geschmack bewiesen. Ganz nebenbei werden dadurch sämtliche Sommerhit-Sampler überflüssig. Alles Gute, ist hier drauf. Plus akustischen Pannen
vom Filmset!
Hustle & Flow schafft es, die Geschichte eines Rappers zu erzählen, ohne kitschig zu werden und ohne die Gewalt im Ghetto zu verherrlichen. DJay ist ein kleiner Zuhälter und Dealer. Im Fernsehen sieht er einen zu Ruhm gekommenen HipHopper, der einst an der
Nachbarschule als DJ auflegte.
Das bringt ihn ins Grübeln. Das Treffen mit dem ehemaligen Klassenkameraden, der ein Mini-Tonstudio hat, wird der Auslöser, endlich selbst Texte zu schreiben und einen Song aufzunehmen. Dieser Song bekam 2006 soger einen Oscar als bester Titelsong. Und das Publikum des einflussreichen Independent-Festivals Sundance 2005 wählte Hustle & Flow
zu Recht zum besten Film. Das von John Singleton (Vier Brüder) produzierte und von Newcomer Craig Brewer humorvoll inszenierte Drama zwischen Krimi und Musikfilm
überzeugt mit guten Darstellern, authentischer Atmosphäre und einer feinen Story.
„Ouzo Orakel“ heißt die Vollendung der Trilogie um den Norddeutschen Kolk. Das dicke Buch spielt in Griechenland zwischen selbst gewählter Einsiedelei und rauschhaftem
Urlaub. 20cent sprach mit Frank Schulz (49), dem Autor des extrem komischen Romans.
Wie viel Ouzo wurde beim Schreiben des Buches geschluckt?
Null Komma Null.
Haben Sie selbst in Griechenland gelebt?
Nein. Ich würde das gerne tun. Aber das muss bezahlt werden.
Vielleicht finanziert es ja der Roman?
Das wäre schön. Aber dann müsste er noch sehr oft gekauft werden.
Aber Sie haben vor Ort recherchiert?
Ja. Ich fahre seit 1987 in diesen Ort zum Urlaub. Und ich war letztes Jahr fünf Wochen extra für dieses Buch dort.
Dann gibt es Figuren wie den unvermeidlichen Sven?
Den gibt es nicht. Zumindest nicht als eine Person. Er setzt sich eher aus mehreren zusammen. Ich war vornehmlich wegen der Landschaftsbeschreibungen vor Ort.
Es hat relativ lange gedauert, bis die Trilogie abgeschlossen wurde.
An diesem letzten Band habe ich fünf Jahre gearbeitet. 800 Seiten müssen erst einmal geschrieben werden.
Gibt es für Sie literarische Vorbilder?
Es gibt natürlich bevorzugte Autoren.
Zum Beispiel Eckhard Henscheid?
Aber ganz sicher. Vor allem sein Roman „Geht in Ordnung. Sowieso. Genau.“ Ausgesprochene Vorbilder aber habe ich nicht.
In ihren Büchern schildern Sie Menschen, die sich in Nichtstun und Nutzlosigkeit ergehen. Das machen Sie aber mit einer stilistisch extrem ausgefeilten Sprache. Aus dieser Spannung entsteht der Witz. Ist die Arbeit daran für Sie auch lustig?
Zu 95 Prozent ist das harte Knochenarbeit. Habe ich einen witzigen Einfall, lache ich auch schon mal, wenn ich ihn notiere. Aber bis der eingebaut ist, ist der Witz für mich schon alt. Deshalb hält sich Amüsement an der eigentlichen Schreibarbeit sehr in Grenzen.
Haben Sie jemanden in Ihrem Umfeld, der überprüft, ob Ihre Einfälle lustig sind?
Eine Gag-Kontrolle? Nein. Das muss ich auf meine eigene Kappe nehmen.
Ist mit dem Ouzo-Orakel mit den Figuren Schluss? Oder leben sie noch einmal auf. Sie kommen ja auch noch ins Rentenalter.
Die Trilogie ist komplett. Momentan habe ich auch keine Lust mehr, mich mit Bodo Morten zu beschäftigen. Aber vielleicht taucht die eine oder andere Figur ja noch einmal in einer Erzählung auf.
FRANK SCHULZ. DAS OUZO-ORAKEL. EICHBORN. 24,90 EURO.
Rick Rubin (43) war es, der in den 90ern an den alten Johnny Cash (1932 bis 2003) glaubte. Der Produzent setzte den alternden und kranken Country-Star neu in Szene. Das Gebrochene seiner Stimme stand im Mittelpunkt der Aufnahmen. Die ganze verflixte Lebenserfahrung eben.
Höhepunkt der Aufnahmen sind die jetzt posthum veröffentlichten zwölf Songs auf „American V – A Hundred Highways“. Cash hatte die zwar eingesungen – aber ohne Band. Die organisierte Rubin jetzt. Das hat etwas von Leichenfledderei, doch das Ergebnis gibt ihm Recht. Diese Songs sind das Vermächtnis eines ganz Großen, der weiß, dass der Tod unmittelbar bevorsteht. Er singt vom Tod seiner Frau, vom Ende der Karriere, von der Kraft des Glaubens – und dem Trost, den dieser schenken kann.
Die meisten Stücke sind von Johnny Cash. Aber es gibt auch Cover-Versionen. Bruce Springsteens „Further On“ gehört dazu. Wieder ist es Cash gelungen, einen fremden Song so zu interpretieren, als sei er für ihn geschrieben. Wie auf den vier American-Alben zuvor nimmt seine Persönlichkeit so sehr Besitz vom Original, dass dieses wie müder Abklatsch klingt.
Ragga, Reggae und Ska aus Deutschland sind inzwischen nicht nur richtig gut, die Musik der heimischen Seeed, Culture Candela oder Sam Ragga Band sind auch richtig erfolgreich. Situations nennt sich das dritte Album der Sam Ragga Band. Der Titel der CD fasst die elf Tracks gut zusammen. Und die Rolle der karibischen Musik in Deutschland.
Sie ist aus den großen Multikulti-Events wie der Fußball-WM nicht wegzudenken. Diese Musik ist die richtige für solche Situations. Sam Ragga Band ist inzwischen etwas weicher geworden. Wo Seeed den Weg Richtung Dancehall weitergeht, besinnen sich die sechs Männer und Frauen aus Hamburg und London auf die Wurzeln des Reggae. Das ist positiver und doch auch gesellschaftskritisch. Die wunderbare Stimme von Seanie T. ist klar, warm und doch bestimmt. Ganz so wie die gesamte Band.
Situations ist das erste Album, das auf dem eigenen Label erscheint. Auch hier unterscheidet sich Sam Ragga Band von Seeed. Musikalisch hat sich der Mut zur Unabhängigkeit von den Majors gelohnt. Hoffentlich lohnt er sich auch finanziell. Auch, um den deutschen Multikulti-Ragga-Bands neue Perspektiven aufzuzeigen.
Brustkrebs bei einer jungen Frau. Das ist ein Stoff, den man eigentlich nicht abends auf DVD sehen will. Aber wenn er so humorvoll, so intensiv umgesetzt wird, wie in „Eine andere Liga“, dann lohnt sich das Anschauen nicht nur, es ist ein richtiges Erlebnis.
Hayat ist 20 Jahre alt. Sie liebt Fußball, ist in ihrer Mannschaft eine wichtige Stütze. Doch dann kommt die alles zerstörende Diagnose: Brustkrebs. Karoline Herfurth spielt Hayat. Der Film beginnt damit, wie sie nach ihrer Brustamputation wieder beim Training erscheint. Doch da ist sie nicht mehr willkommen. Ihr Platz ist besetzt und Angst haben die anderen Fußballerinnen auch. Wie sollen sie mit Hayat umgehen?
Die lernt zufällig den Trainer des FC Schanze kennen. Benannt nach dem Multikultiviertel Hamburgs kicken vor allem Mädchen verschiedenster Herkunft in der Mannschaft. Richtig ernst nehmen sie den Sport aber nicht. Erst als sie merken, wie wichtig Hayat der Sport ist, legen sie sich auch ins Zeug. Der Trainer (Ken Duken) und die kranke Spielerin verlieben sich natürlich ineinander.
Wie Karoline Herfurth die Angst vor dieser Liebe spielt, ist großartig. Und wie Ken Duken sich ihr annähert und die Zurückweisungen aus Angst versteht, ist wunderbar. Regisseur Buket Alakus gelingt es, in 99 Minuten die drei Geschichten von Hayats Krankheit, Fußball-Leidenschaft und Liebe zu einem sehenswerten Film zu bündeln. Ein ernster Film, voll heiterer Bilder.
Eine andere Liga ist bei Neue Visionen erschienen. Die DVD kostet ab 19,90 Euro und ist im Handel erhältlich.
Irgendwann hat man ihn kennengelernt, den Fritz Eckenga. Und dann hat er ständig was zu erzählen gehabt. Mal als Gedicht, dann als Kolumne zum deutschen Alltag und ganz besonders zum Fußball. Er hat diesen Ton des Ruhrgebiets, der rauh und dennoch zutiefst menschenfreundlich ist. Auch wenn man das erst einmal begreifen muss.
Zum Glück hat der Fritz jetzt auch wieder mal seine Texte gesammelt. „Du bist Deutschland? Ich bin einkaufen“ sind die Gedichte und Geschichten betitelt. Und wie er da wieder schwadroniert und das Hohe mit dem Banalen kombiniert, ist er wohl in Bestform, der Fritz Eckenga. Nur wer offensiv lacht, sollte das Buch in der Öffentlichkeit lesen!
Fritz Eckenga: DU BIST DEUTSCHLAND? ICH BIN EINKAUFEN. TIAMAT. 14 EURO
Robert Gernhardt hat für den Witz gelebt. Für den geistreichen, für den gereimten, für den gezeichneten, aber auch für den deftigen und derben. Er schrieb an den Drehbüchern der Otto-Filme mit. Er war der wichtigste deutsche Lyriker der Gegenwart, und er war ein geistreicher Mensch, der auf sein Gegenüber ohne Dünkel zuging. Am Freitag ist Robert Gernhardt mit 68 Jahren gestorben.
Wollte immer schnell abtreten. Bin wohl bestimmt zum Weilen. Wie soll denn den, der so langsam vergeht, jemals das Ende ereilen?
„Lagebeurteilung“ nannte Gernhardt dieses Gedicht 1996. Da musste er am Herzen operiert
werden. Nach überstandenen Herzinfarkt und Bypass-OP war er zu Recht sehr optimistisch. Wie er die Krankheit als Chance begriff und in Herz in Not in witzige und
nachdenkliche Gedichte packte, war meisterhaft. Seine letzte Krankheit überlebte er leider nicht mehr.
1937 wurde Gernhardt im damals noch multikulturellen Reval, der Hauptstadt Estlands geboren. Nach dem Krieg kam er nach Frankfurt und begann schon bald das Reimen. Gemeinsam mit Bernd Eilert, F.K. Waechter, Eckhard Henscheid, F.W. Bernstein und anderen begründete er die Neue Frankfurter Schule in Anspielung an die philosophische Frankfurter Schule um Adorno, Marcuse und Habermas, die als Vordenker der 68er-Bewegung galten.
Doch Gernhardt und Co. hatten die Philosophie zwar begriffen, doch das Lachen darüber lag ihnen mehr. Sie gründeten die Satire-Zeitschrift Pardon und in den 70er-Jahren dann Titanic. Aus diesen Zeiten ist der Klassiker:
Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.
Bis die Kritik Gernhardt und Co.Ernst nahm, hat es lange gedauert. Die Leichtigkeit der Reime war ihnen nicht geheuer. Und die Stoffe, über die Gernhardt lachen konnte und wollte: nämlich alles. Ob Religion oder George W. Bush, ob Mülltrennung oder Krankheit.
Und das in formal vollendeten Sonetten oder in lockeren Versfolgen. Gernhardt ging das scheinbar leicht von der Hand.
In einem Essay über Literatur schrieb er: Keine Sau will mehr rühmen, jedes noch so dumme Schwein möchte berühmt werden. Das war schon in den 80er-Jahren. Also lange vor Big Brother und anderer voyeuristischer TV-Obszönitäten. Um ihm gerecht zu werden,
bleiben uns Lesern nur zwei Dinge: Weiter Robert Gernhardt lesen und weder Sau noch dummes Schwein zu sein, um ihn zu rühmen!
15 Jahre war Matthias Matussek als Spiegel-Korrespondent im Ausland. Dann kehrte er zurück und hat „Wir Deutschen“ geschrieben. Ach wäre er doch nur weggeblieben, dann gäbe es dieses abstruse Traktat nicht.
Inzwischen ist Matussek Kulturchef beim Spiegel. Er hat eine lupenreine Karriere als Konvertit hinter sich. In den 70er Jahren war er Mitglied abstruser K-Gruppen (also westdeutscher kommunistischer Sektierer). Und jetzt ist er glühender Nationalist.
Matussek feiert Selbstverständlichkeiten als Argument für einen neuen deutschen
Nationalismus. Er freut, sich, dass die Landschaft so schön ist, dass das Brot gut
schmeckt, die Infrastruktur gut ist und das Land sicher ist. Und Rockmusik mit intelligenten deutschen Texten hat er auch gehört. Das ist doch allerhand.
Man muss schon sein gesamtes bisheriges Leben blind durch Deutschland gegangen
sein, um all diese Schönheiten erstaunlich zu finden. Wer daraus einen neuen deutschen Nationalismus ableitet, der sollte dringend mal kalt duschen. Denn die Infrastruktur ist auch ohne Nationalismus so fein aufgebaut worden. Matusseks Buch ist besonders ärgerlich, weil es so viel Unsinn so verdammt gut erzählt. Denn der Kerl kann schreiben. Ob das all die Nationalisten zu würdigen wissen, denen Matussek mit seinem Text dient, ist aber fraglich.
Matthias Matussek : Wir Deutschen. S. Fischer; Gebunden. 352 Seiten.18,90 Euro.