Jonathan Jeremiah entertaint am Rande des Größenwahns

Jonathan Jeremiah
Jonathan Jeremiah

Jonathan Jeremiah will ein großer Entertainer werden. Diesen Anspruch formuliert mit seiner sanfte, männlichen Stimme. Die Musik auf seinem Debütalbum „A Solitary Man“ ist ausgefeilt und spielt mit allen Möglichkeiten der Instrumentierung. Da ertönen sanfte Bläsersätze, der simulieren Streichersätze besonders intensive Gefühle. Und immer singt Jeremiah seine Texte über Liebe und Leid.

Mit „Happiniess“ ist er derzeit auf allen Radiowellen zu hören. Zum Glück sind nicht alle Stücke dieses soliden, aber etwas zu schlagerhaften Albums so lieblich. Es gibt auch Momente, da gehen gute Musik und großes Entertainment eine gelungene Liason ein. Bei denen lohnt es sich hinzuhören. Zwar ist auf diesem Album alles Retro. Aber das ist Adele auch. Wer solides Handwerk mag und Innvovation gefährlich findet, sollte Jonathan Jeremiah weiter beobachten. Wer es aber nicht tut, versäumt auch nichts. Die Musikpresse feiert ihn als den neuen Star am Himmel der (britischen) Popmusik. Doch dafür ist die Musik zu vorhersehbar.

Da sind keine Kanten, die einen überraschen. Alles ist perfekt. Alles ist groß. Alles tut wichtig. So wie der Album-Titel. Wer denkat dabei nicht an Johnny Cash, den alten Johnny Cash? Einen Künstler, der auf ein bewegtes Leben und viele großartige Platten zurückblicken konnte. Jonathan Jeremiah stellt sich in eine Reihe mit Cash, Scott Walker, Cat Stevens, Serge Gainsbourg oder Carole King. Für ein Debüt grenzt das an Größenwahn. Aber das ist bei anderen Hype-Bands oftmals auch nicht anders.

Jonathan Jeremiah: Am Solitary Man

Johnny Cashs neues Album ist das definitiv letzte

Johnny Cash: Ain't no Grave
Johnny Cash: Ain't no Grave

Zehn schlichte Lieder sind das letzte Vermächtnis von Johnny Cash. „Aint no Grave“ lässt ihn sechs Jahre nach seinem Tod wieder erklingen. Und das in einer Intensität, die Gänsehaut erzeugt.

Oft haben postume Veröffentlichungen von Liedern oder Büchern etwas von Leichenfledderei. Da wird noch schnell zu Geld gemacht, was bald niemanden mehr interessieren könnte. Das trifft bei diesem Album nicht zu. Im Gegenteil: Die letzte CD der in sechs Teilen erschienenen Reihe American Recordings ist ein Dokument der Trauer, der Erkenntnis und des tiefen Glaubens eines Mannes, der den Tod vor Augen hatte.

1994 lebte Johnny Cash zurückgezogen mit seiner Frau June Carter Cash auf seiner Farm. Knapp 40 Jahre nach dem Start seiner fulminanten Karriere schien diese auch wegen der Spätfolgen seiner überwundenen Amphetamin-Sucht und anderer Krankheiten beendet. Aber der Produzent Nick Rubin konnte Cash davon überzeugen, noch einmal anzugreifen und die Musik zu interpretieren, die neben der Countrymusik entstanden ist und die Massen begeisterte.

Ob Depeche Mode oder Soundgarden, ob Sting oder Nine Inch Nails, Johnny Cash eignete sich die Musik der nachgeborenen Generationen für die nun sechs CDs der American Recordings an. Und legte dabei das Wesentliche in Text und Musik frei.

„Aint no Grave“ ist von der Stimme eines schwer kranken Mannes geprägt. Oft kann Cash nur noch wenige Zeilen am Stück singen. Der Hörer kann die Brüche der zusammengefügten Aufnahmen teilweise verfolgen. Doch es wird nie peinlich, die Stimme versagt nicht. Selbst wenn Cash die Kraft verlässt, wenn die Stimme sich zu verlieren beginnt, gelingt es ihm, hoffnungsvoll zu trauern. Seine Ausdruckskraft bleibt ihm treu. Und so wird die Aneignung von Sheryl Crows „Redemption Song“, Kris Kristoffersons „For the good Times“ und vor allem des Gospels „Ain ‚ t no Grave“ zur Messe seines Glaubens an ein Leben nach dem Tod.

Johnny Cash hat diese nach Aussagen seines Sohnes nun wirklich allerletzten Lieder aufgenommen, nachdem seine Frau starb. Der Tod ist das zentrale Thema. Die Instrumentierung bleibt akustisch und im Hintergrund. Auch sie ist ein Tribut an einen ganz Großen. Sie kommt ihm nicht in die Quere, sondern unterstützt seine Nachdenklichkeit. Und das Andenken an Johnny Cash.

Johnny Cash, „American Recordings VI: Aint no Grave“ erschienen bei Mercury (Universal)

MOZ-Rezension…

Johnny Cash in Schwarz-Weiß

Johnny Cash (1932 bis 2003) war einer der ganz Großen. Nach Durststrecken schaffte er ein Comeback, das junge Hörer genauso faszinierte wie alte Country-Fans. Der Comic-Zeichner
Reinhard Kleist setzt Cash mit einer Biografie ein Denkmal.

Auf 200 Seiten macht sich der Zeichner auf die Erkundung eines Mythos. Eigentlich müsste so ein Versuch scheitern. Denn der Platz reicht nicht, um ein langes Leben von allen Seiten zu beleuchten. Aber genau das macht Kleist auch nicht. Er konzentriert sich auf die Aspekte im Leben Johnny Cashs, die ihn charakterisieren. Dabei bleibt Kleist nicht auf der Oberfläche anekdotischer Belanglosigkeiten. Er nähert sich dem CountryStar, der von vielen klassischen Country-Fans wegen seiner Lebenseinstellung nicht geachtet wurde, über ein Schlüsselerlebnis.

1968, auf der Höhe seines Erfolgs, spielte Johnny Cash zwei Konzerte in einem Knast.  Johnny Cash Live At Folsom Prison wurde ein Verkaufsschlager. Der Country-Sänger im schwarzen Anzug verkaufte mehr Alben als die Beatlesin den USA. Das besondere an Folsom Prison war ein Song. Den hatte ein Häftling geschrieben. Cash bekam ihn kurz vor seinem Gig. Und interpretierte ihn mit so viel Verständnis für die dunkle Seite des Lebens, die alle
Inhaftierten kannten und alle Hörer in sich ahnten, dass er Gänsehaut erzeugte.

Folsom  Prison wird von Kleist zu einem zentralen Ereignis im Leben Johnny Cashs gemacht. Von hier aus zeichnet er Rückblenden in die Kindheit, seine Zeit als Soldat in Deutschland und den Start der Musiker-Karriere. Von hier aus blickt er aber auch in die Zukunft. Bis hin zum alten Johnny Cash, der mit seinen American Recordings mit Jack Rubin als Produzenten ein bislang einmaliges Alterswerk aufnimmt.

Reinhard Kleist liefert mit seiner Interpretation des Lebens von Johnny Cash einen wichtigen Baustein. Der Comic ist schwarz-weiß gezeichnet. Etwas anderes würde
für den Mann im schwarzen Anzug auch nicht passen. Damit schafft Kleist eine Ästhetik, die Cash angemessen ist – und besser als jede TV-Doku ist.
REINHART KLEIST: CASH – I SEE A DARKNESS. COMIC-BIOGRAFIE. CARLSEN COMIC. 14 EURO.

Achim Reichel als vom Kitsch befreiter Folk-Archäologe

Ende der 80er, Anfang der 90er-Jahren wagten es die ersten Bands, traditionelle deutsche Lieder neu erklingen zu lassen. Das war vor allem in Bayern der Fall, wo sich auf den Kleinkunstbühnen die Biermösl Blosn, Georg Ringsgwandl und andere dagegen sträubten,
dass der Akustikmüll der Volksmusik-Stars tatsächlich als Volksmusik verkauft wird, obwohl er damit nichts zu tun hat.

Achim Reichel (62), in den 60ern mit seinen Rattels der erste deutsche Rockstar von internationalem Rang, hat jetzt eine CD mit Volxliedern gemacht. Die subversive Kraft dieser Lieder wird hörbar. Das, was deutsche Irland-Urlauber so lieben, wenn im Pub zu Traditionals gesungen und getanzt wird, kann man sich beim Hören der Reichel-CD auch in Deutschland vorstellen. Er befreit selbst Lieder wie „Röslein auf der Heiden“ von jedem Kitsch. Er arbeitet mit Rhythmus und Melodie, um einen richtig guten Folk-Song daraus zu
machen. Das klingt dann fast wie Johnny Cash (1931 bis 2003) auf seinen letzten Alben – nur eben auf deutsch. Damit leistet er musikalische Archäologen-Arbeit, die für den Hörer ein Gewinn ist. Sein Booklet mit allen Noten lädt zum Nachahmen beim Kneipenbesuch
ein.

Großer Abgesang von und auf Johnny Cash

Rick Rubin (43) war es, der in den 90ern an den alten Johnny Cash (1932 bis 2003) glaubte. Der Produzent setzte den alternden und kranken Country-Star neu in Szene. Das Gebrochene seiner Stimme stand im Mittelpunkt der Aufnahmen. Die ganze verflixte Lebenserfahrung eben.

Höhepunkt der Aufnahmen sind die jetzt posthum veröffentlichten zwölf Songs auf „American V – A Hundred Highways“. Cash hatte die zwar eingesungen – aber ohne Band. Die organisierte Rubin jetzt. Das hat etwas von Leichenfledderei, doch das Ergebnis gibt ihm Recht. Diese Songs sind das Vermächtnis eines ganz Großen, der weiß, dass der Tod unmittelbar bevorsteht. Er singt vom Tod seiner Frau, vom Ende der Karriere, von der Kraft des Glaubens – und dem Trost, den dieser schenken kann.

Die meisten Stücke sind von Johnny Cash. Aber es gibt auch Cover-Versionen. Bruce Springsteens „Further On“ gehört dazu. Wieder ist es Cash gelungen, einen fremden Song so zu interpretieren, als sei er für ihn geschrieben. Wie auf den vier American-Alben  zuvor nimmt seine Persönlichkeit so sehr Besitz vom Original, dass dieses wie müder Abklatsch klingt.