Als Veit Heinichen seinen Proteo Laurenti das erste Mal auf Ermittlungstour durch Triest schickte, war die Mischung aus Krimi und dem literarischen Entdecken einer historisch höchst spannenden Region eine starke Mischung. Nicht umsonst wurden die Krimis auch fürs Fernsehen mit Henry Hübchen als Commissario adaptiert. Doch der jüngste Krimi aus der Feder Heinichens lebt fast nur noch von der Beschreibung der Region, des Karsts, der Stadt Triests und den Hinweisen auf gute Winzer und Lokale. Der Fall selbst entwickelt keine unbedingte Spannung, die das Weglegen des Buches zu einer Qual machen würde.
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Veit Heinichen nimmt sich Südtirols Privilegien und Nationalismus vor
Er kann es noch. Veit Heinichen legt mit seinem achten Fall von Proteo Laurenti wieder einen richtig guten Krimi aus Triest vor. Nach dem etwas lustlosen letzten Fall ist „Im eigenen Schatten“ wieder ein Buch, in dem Politik, Kriminalität und das besondere Zeitgeschehen an der Grenze Italiens zu Slowenien und Kroatien eine wunderbare Melange eingehen. Da fühlt sich auch Proteo Laurenti wieder so wohl, dass die kroatische Staatsanwältin ihn auch wieder attraktiv findet.
Blindlings führt Claudio Magris in die Abgründe des 20. Jahrhunderts
Dieser Monolog über mehr als 400 Seiten ist Buchstabe für Buchstabe Atem raubend. Die Erinnerung von Salvatore Cippico, dem Sohn eigenes italienischen Australienauswanderers und einer tansanischen Mutter, der die großen Kämpfe zwischen Faschismus und Kommunismus als treuer und moskauhöriger Genosse des 20. Jahrhunderts kämpfte, ist ein Selbstfindungs- und Erkenntnisprozess, der die großen politischen Ideen mit dem Leid des einzelnen Menschen konfrontiert und dieses auf jene zurückführt. „Blindlings“ von Claudio Magris macht sprach- und atemlos.
Zentraler Ort des Leids und des Verrats, den Cippico erlebt ist das jugoslawische KZ Titos auf der Todesinsel Goli Otok. Hier wird der Italiener gefoltert und misshandelt, weil sich Titos Kommunisten von Stalins Kommunisten lossagen. Cippico war mit tausenden italienischen Arbeitern aus Monfalcone bei Triest nach dem zweiten Weltkrieg nach Fiume/Rijeka gegangen, um in den Werften den Aufbau eines kommunistischen Staates zu unterstützen. Und das, obwohl Tito Zehntausende Italiener aus Istrien und Dalmatien vertrieben hatte. All diese historischen Umstände stimmen genauso wie der spanische Bürgerkrieg, die Deportation von Partisanen in deutsche KZ während der Besatzung. Was Magris daraus anhand seiner Figur formt ist eine historische Wahrheit, die bestürzt. Auch und vor allem, weil sie mit Aspekten und Leid konfrontiert, die in Deutschland, aber auch im Heimatland des Autors, in Italien, ausgeblendet werden, vergessen sind.
Der Monolog von Salvatore Cippico bewegt sich an der Grenzlinie von Wahnsinn und klarer Erinnerung. Angelesene Geschichten aus der Zeit der Besiedlung Tasmaniens verschwimmen mit eigenen Erinnerungen. Konstanten sind die Kerker und Gefängnisse und Arbeitslager und KZ. Aber auch der Glaube, egal ob im 19. Jahrhundert an Gott oder im 20. an die Partei. Und natürlich ist dieser Glaube blindlings, nicht nachdenkend, sondern antreibend – und immer gehorsam. So wird aus dem Gedankenstrom von Erinnerung, Erlebtem und Erdachtem ein literarisches Mahnmal gegen genau dieses Glauben an alles erklärende Ideologien.
Claudio Magris kommt aus, lehrt und schreibt in Triest. das Schicksal der Vertriebenen aus Istrien uns Dalmatien ist ihm sehr vertraut. Seine Frau Marissa Madieri ist als Kind Opfer dieser Umsiedlung Titos geworden. Dass Kommunisten, die sich als Vertreter einer Internationalen verstanden, diesen unmenschlichen Wahnsinn nicht nur mitmachten, sondern initiierten, arbeitet er mit den Mitteln der Literatur eindringlich heraus, ohne die Motive des einzelnen, einfachen Genossen zu diskreditieren. Ein unfassbarer Roman, der sich der Form des Schelmenromans bedient, sie aber in ihr Gegenteil verkehrt. Denn der Schelm lädt den Leser hier nie zum Lachen ein, sondern immer nur zum Verzweifeln und zum Frieren ob der Brutalität zu der Menschenfähig sind.
Boris Pahor schreibt über die Unterdrückung der Slowenen in Italien
Boris Pahor ist einer von den Schriftstellern, von denen ich bis vor kurzem nichts wusste. Ein Mann aus der Mitte Europas, der ein wichtiges literarisches Werk geschrieben hat. Aber ein Slowene und damit ein Angehöriger eines Volkes, das in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen wird. Noch immer orientieren wir uns ja viel stärker in Richtung Westen als nach Osten.
Karl-Markus Gauß ist da anders. Der Österreicher hat schon immer einen offenen Blick in die slawische Welt, nach Zentraleuropa, wo einst die Österreichische Doppelmonarchie vom Vorarlberg bis in die heutige Ukraine herrschte. Das heute italienische Triest war 1913 auch Teil dieses Vielvölkerstaates. Damals wurde Boris Pahor dort geboren. Damals gab es auch ein slowenisches Kulturhaus in der Stadt. Denn die slowenische Minderheit wurde von den Österreichern zumindest respektiert.
Nach dem 1. Weltkrieg hat sich das geändert. Unter italienischer Herrschaft hatten es die Minderheiten sehr viel schwerer. Und spätestens als Mussolini mit seinen Faschisten die Macht in Italien übernahm, war es erklärtes Ziel des Staates, die Minderheiten zu italienisieren. Und damit auch die Familie Pahor. In seinem Buch „Piazza Oberdan“ beschreibt er das alles sehr intensiv. Denn in der Nähe des Platzes ist er aufgewachsen. An diesem Platz stand der „Narodny Dom“, das Kulturhaus der Slowenien in Triest, in dem der kleine Boris seine ersten Kulturveranstaltungen erlebte. Und an diesem Platz war später die Zentralen der Gestapo, in deren Keller Boris Pahor inhaftiert war.
Pahor wählt für dieses Buch, das er erst in sehr hohem Alter schrieb, eine Mischung aus Essai, Autobiografie, Erzählungen und historischen Beschreibungen. Das erzeugt eine ungeheure Dichte, die manche Zeilen beklemmend macht. Etwa wenn von dem slowenischen Mädchen berichtet wird, das von seinem italienischen Lehrer an seinen Zöpfen aufgehängt wurde, weil es seine Muttersprache benutzte. Oder wenn er von seinem Gewissensbissen berichtet, weil er sich nicht für den bewaffneten Widerstand gegen Faschisten und deutsche Nazis berufen fühlte. Und sprachlos macht auch, wenn Pahor erzählt, dass die Opfer der Minderheiten in Italien bis heute nicht gewürdigt oder ihrer Opfer gedacht wird.
Ich bin froh, dass ich „Ruhm am Nachmittag“ von Karl-Markus Gauß gelesen habe. Nicht nur weil es ein gutes Buch ist, sondern weil ich dort auf seine Empfehlung von Boris Pahor gestoßen bin. „Piazza Oberdan“ wird nicht das einzige Buch von ihm bleiben.
Mit Espresso schmeckt der neue Veit Heinichen noch besser
Proteo Laurenti ist inzwischen eine bekannte Krimi-Figur. Dank der Verkörperung durch Henry Hübchen in der ARD ist der Commisario aus Triest einen großen Publikum bekannt. Doch anders als im Fernsehen ist in den Büchern von Veit Heinichen die Stadt Triest der eigentliche Star. Und nicht der Polizist.