Die Bücher von Richard Swartz bewegen sich immer zwischen Journalismus und Literatur. Das Verbindende ist stets die Leidenschaft für die Reportage. Der schwedische Journalist, der seit Jahrzehnten aus Südosteuropa berichtet hat sich für sein neues Buch die Familiengeschichte seiner kroatischen Frau vorgenommen. Und die ist in dieser Region der Multinationalität höchst komplex. Sie reicht vom Partisanen über die Halbitalienerin bis hin zu einer Kroatin, die sich auch in Zeiten der Jugoslawienkriege weigert, Nationalistin zu sein. Ein Buch also, das dem Leser Kroatien sehr nahe bringt.
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Veit Heinichen nimmt sich Südtirols Privilegien und Nationalismus vor
Er kann es noch. Veit Heinichen legt mit seinem achten Fall von Proteo Laurenti wieder einen richtig guten Krimi aus Triest vor. Nach dem etwas lustlosen letzten Fall ist „Im eigenen Schatten“ wieder ein Buch, in dem Politik, Kriminalität und das besondere Zeitgeschehen an der Grenze Italiens zu Slowenien und Kroatien eine wunderbare Melange eingehen. Da fühlt sich auch Proteo Laurenti wieder so wohl, dass die kroatische Staatsanwältin ihn auch wieder attraktiv findet.
Plastikflaschen der Touristen sind das Einkommen der Armen
Alles in Plastik. Milch in Plastikflaschen, Wasser in Plastikflaschen, Bier in Plastikflaschen. Wie in vielen anderen Regionen Europas, der Welt wird in Istrien fast nur noch in Plastik abgefüllt. Natürlich mit Pfand. In Vorbereitung auf den EU-Beitritt wurde die entsprechende Richtlinie der Kommission umgesetzt. Und dennoch geben die meisten Touristen ihre Flaschen nicht ab. Sie sammeln sich in großen Müllcontainern vor dem Zugang zum Strand, sie werden in Mülleimer geschmissen oder sie bleiben einfach liegen.
Aber nicht lange. Dann kommen Pfandflaschensammler und packen sie in große Säcke. Oder es fahren Pärchen mit ihren Autos an die großen Container vor den Stränden und durchsuchen sie nach den Flaschen. Ganze Autoladungen bringen sie dann in den nächsten Merkator oder einen anderen Supermarkt. Andere arme Menschen, meist ältere, schleppen ihre großen Müllsäcke in die Läden. Die wenigen Kuna, die sie dafür bekommen, bessern die Renten auf.
Auch in Berlin oder im RegionalExpress nach Frankfurt (Oder) gibt es sie, diese armen Menschen, die den Wohlstandsmüll der anderen durchsuchen, um einige Cent oder Euro damit einzunehmen. Das Pfand ist für sie, die ausgegrenzt sind, weil sie sich vieles nicht leisten können, weil ihnen das Nötigste zum Leben fehlt, eine Einnahmequelle. Sie nehmen den Müll der Touristen, der Pendler, denen der Transport der pfandpflichtigen Flasche zu mühsam ist, um etwas besser zu leben. Ja, sie entwürdigen sich, indem sie im Müll kramen, um etwas würdevoller zu leben.
Und wir? Wir schauen betreten weg, wenn uns in Istrien, im Zug oder am Bahnhof jemand begegnet, der Flaschen aus Mülleimern oder -containern sucht, um sich die paar Cent zu ersammeln, die sein Leben erträglicher machen. Wir wollen diese Armut nicht sehen. Und doch ist sie da. Im Urlaub, daheim und überall.
Blindlings führt Claudio Magris in die Abgründe des 20. Jahrhunderts
Dieser Monolog über mehr als 400 Seiten ist Buchstabe für Buchstabe Atem raubend. Die Erinnerung von Salvatore Cippico, dem Sohn eigenes italienischen Australienauswanderers und einer tansanischen Mutter, der die großen Kämpfe zwischen Faschismus und Kommunismus als treuer und moskauhöriger Genosse des 20. Jahrhunderts kämpfte, ist ein Selbstfindungs- und Erkenntnisprozess, der die großen politischen Ideen mit dem Leid des einzelnen Menschen konfrontiert und dieses auf jene zurückführt. „Blindlings“ von Claudio Magris macht sprach- und atemlos.
Zentraler Ort des Leids und des Verrats, den Cippico erlebt ist das jugoslawische KZ Titos auf der Todesinsel Goli Otok. Hier wird der Italiener gefoltert und misshandelt, weil sich Titos Kommunisten von Stalins Kommunisten lossagen. Cippico war mit tausenden italienischen Arbeitern aus Monfalcone bei Triest nach dem zweiten Weltkrieg nach Fiume/Rijeka gegangen, um in den Werften den Aufbau eines kommunistischen Staates zu unterstützen. Und das, obwohl Tito Zehntausende Italiener aus Istrien und Dalmatien vertrieben hatte. All diese historischen Umstände stimmen genauso wie der spanische Bürgerkrieg, die Deportation von Partisanen in deutsche KZ während der Besatzung. Was Magris daraus anhand seiner Figur formt ist eine historische Wahrheit, die bestürzt. Auch und vor allem, weil sie mit Aspekten und Leid konfrontiert, die in Deutschland, aber auch im Heimatland des Autors, in Italien, ausgeblendet werden, vergessen sind.
Der Monolog von Salvatore Cippico bewegt sich an der Grenzlinie von Wahnsinn und klarer Erinnerung. Angelesene Geschichten aus der Zeit der Besiedlung Tasmaniens verschwimmen mit eigenen Erinnerungen. Konstanten sind die Kerker und Gefängnisse und Arbeitslager und KZ. Aber auch der Glaube, egal ob im 19. Jahrhundert an Gott oder im 20. an die Partei. Und natürlich ist dieser Glaube blindlings, nicht nachdenkend, sondern antreibend – und immer gehorsam. So wird aus dem Gedankenstrom von Erinnerung, Erlebtem und Erdachtem ein literarisches Mahnmal gegen genau dieses Glauben an alles erklärende Ideologien.
Claudio Magris kommt aus, lehrt und schreibt in Triest. das Schicksal der Vertriebenen aus Istrien uns Dalmatien ist ihm sehr vertraut. Seine Frau Marissa Madieri ist als Kind Opfer dieser Umsiedlung Titos geworden. Dass Kommunisten, die sich als Vertreter einer Internationalen verstanden, diesen unmenschlichen Wahnsinn nicht nur mitmachten, sondern initiierten, arbeitet er mit den Mitteln der Literatur eindringlich heraus, ohne die Motive des einzelnen, einfachen Genossen zu diskreditieren. Ein unfassbarer Roman, der sich der Form des Schelmenromans bedient, sie aber in ihr Gegenteil verkehrt. Denn der Schelm lädt den Leser hier nie zum Lachen ein, sondern immer nur zum Verzweifeln und zum Frieren ob der Brutalität zu der Menschenfähig sind.
Kroštule knacken wunderbar aromatisch zu Wein oder Tee
Zur Begrüßung gab es schon selbstausgebauten Malavasier, einen ebenfalls selbst gekelterten Roten und als besonderes Schmankerl einen Salbeischnaps – natürlich vom Hausherrn eigenhändig angesetzt – und nun, am darauffolgenden Wochenende, reichen uns die Vermieter des Ferienhauses eine Papiertüte mit goldgelben Streifen. Sie duften nach einer Mischung von Krapfen und Pfannkuchen.
Im Mund sind sie zunächst hart, lösen sich dann aber schnell auf und verbreiten dabei einen süßen Geschmack, der durch das Öl, in dem sie ausgebacken wurden, noch verstärkt wird. Kroštule heißen diese leckeren Gebäckstreifen. Wo der Puderzucker noch sichtbar ist, wo er sich noch nicht auf den knackigen Streifen aufgelöst haben, da sind sie noch etwas kribbelnder im Mund.
Sie schmecken raffiniert und sind doch eher leicht zu machen (500 g Mehl, 100 g Zucker, 2 Eier, 50 ml Öl, 1 Glas Weißwein, 1 l Öl zum ausbacken, 50 g Puderzucker zu einem Teig rühren, dann ausrollen und in ein bis zwei Zentimeter breite und drei bis vier Zentimeter lange Streifen schneiden, um sie dann kurz in Öl auszubacken und sofort mit Puderzucker bestreuen). Ein bisschen erinnern die Kroštule an österreichische Süßspeisen. Auch sie schmecken zu Wein genauso gut wie zu Tee oder Kaffee.
Boris Pahor schreibt über die Unterdrückung der Slowenen in Italien
Boris Pahor ist einer von den Schriftstellern, von denen ich bis vor kurzem nichts wusste. Ein Mann aus der Mitte Europas, der ein wichtiges literarisches Werk geschrieben hat. Aber ein Slowene und damit ein Angehöriger eines Volkes, das in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen wird. Noch immer orientieren wir uns ja viel stärker in Richtung Westen als nach Osten.
Karl-Markus Gauß ist da anders. Der Österreicher hat schon immer einen offenen Blick in die slawische Welt, nach Zentraleuropa, wo einst die Österreichische Doppelmonarchie vom Vorarlberg bis in die heutige Ukraine herrschte. Das heute italienische Triest war 1913 auch Teil dieses Vielvölkerstaates. Damals wurde Boris Pahor dort geboren. Damals gab es auch ein slowenisches Kulturhaus in der Stadt. Denn die slowenische Minderheit wurde von den Österreichern zumindest respektiert.
Nach dem 1. Weltkrieg hat sich das geändert. Unter italienischer Herrschaft hatten es die Minderheiten sehr viel schwerer. Und spätestens als Mussolini mit seinen Faschisten die Macht in Italien übernahm, war es erklärtes Ziel des Staates, die Minderheiten zu italienisieren. Und damit auch die Familie Pahor. In seinem Buch „Piazza Oberdan“ beschreibt er das alles sehr intensiv. Denn in der Nähe des Platzes ist er aufgewachsen. An diesem Platz stand der „Narodny Dom“, das Kulturhaus der Slowenien in Triest, in dem der kleine Boris seine ersten Kulturveranstaltungen erlebte. Und an diesem Platz war später die Zentralen der Gestapo, in deren Keller Boris Pahor inhaftiert war.
Pahor wählt für dieses Buch, das er erst in sehr hohem Alter schrieb, eine Mischung aus Essai, Autobiografie, Erzählungen und historischen Beschreibungen. Das erzeugt eine ungeheure Dichte, die manche Zeilen beklemmend macht. Etwa wenn von dem slowenischen Mädchen berichtet wird, das von seinem italienischen Lehrer an seinen Zöpfen aufgehängt wurde, weil es seine Muttersprache benutzte. Oder wenn er von seinem Gewissensbissen berichtet, weil er sich nicht für den bewaffneten Widerstand gegen Faschisten und deutsche Nazis berufen fühlte. Und sprachlos macht auch, wenn Pahor erzählt, dass die Opfer der Minderheiten in Italien bis heute nicht gewürdigt oder ihrer Opfer gedacht wird.
Ich bin froh, dass ich „Ruhm am Nachmittag“ von Karl-Markus Gauß gelesen habe. Nicht nur weil es ein gutes Buch ist, sondern weil ich dort auf seine Empfehlung von Boris Pahor gestoßen bin. „Piazza Oberdan“ wird nicht das einzige Buch von ihm bleiben.
Impressionen aus Puntera in Istrien
Wie so viele Dörfer und Städtchen in Istrien liegt Puntera oben auf dem Berg. die höchsten Stellen sind hier meist Teil eines Ortes. Oft ist die Kirche ganz oben. In Puntera gibt es nur eine Kapelle, dafür aber ein imposantes Denkmal mit den Namen der Opfer des zweiten Weltkrieges. Die meisten der gut vier Dutzend Namen werden wohl im Partisanenkrieg gestorben sein, als Kämpfer, als Opfer von Vergeltungsmaßnahmen oder schon vorher unter dem faschistischen Regime Italiens, zudem der Ort nach dem ersten Weltkrieg gehörte.
Heute leben fast nur noch ältere Menschen in dem Ort, der Teil der Stadt Barban ist. Viele Häuser sind verfallen, andere geschmackvoll und dezent saniert. Ferienhäuser sind aus den altem Bauernhäusern geworden, mit Pool und ganz viel Ruhe. Ein Ort zum Erholen, zum Entspannen und Ruhe finden.
Auf einen Espresso mit James Joyce in Pula
Den Triumpfbogen aus dem zweiten Jahrhundert im Rücken sitzt James Joyce da und blickt auf den Platz. An seinem Tisch ist noch Platz. Man kann sich zu ihm setzen und einen Espresso oder ein Glas Bier trinken. Im „Caffe Uliks“ ist der irische Autor zum Greifen nah.
Denn Joyce hat tatsächlich einige Monate in Pula gelebt, als es noch zu Österreich gehörte und die Marine der Doppelmonarchie dort einen wichtigen Kriegshafen hatte. Joyce war als Englischlehrer bei Berlitz angestellt. Aber wirklich gefallen hat es ihm hier nicht. Triest war ihm lieber, umtriebiger und noch internationaler. Insofern ist es schon richtig, dass er nicht allzu fröhlich auf das Treiben in Pula blickt.
Dennoch ehrt die Stadt den wohl bekanntesten Lehrer den die je beherbergte. Und so kann man sich auf einen Espresso neben ihn setzen, ein stilles Zwiegespräch mit ihm führen, seine Bücher in seiner Anwesenheit lesen oder sich einen Roman wie Enrique Vila-Matas‘ „Dublinesk“ vertiefen. All das hat einen ganz besonderen Reiz, löst einen Gedankenstrom aus, der immer wieder zu Joyce zurückkehrt. Neben dem ich in Pula sitze. Und mich wundere, dass eine Bronzefigur so viel Kraft hat. Ein wohliges Gefühl, das durch den guten, starken Espresso noch zusätzlich angeregt wird.
Schwimmen im Salzwasser der Adria
Zugegeben, mit einer Schwimmbrille im Gesicht zu baden, sieht schon ziemlich bescheuert aus. Aber zum Schwimmen im Meer ist sie unverzichtbar. Nicht nur aus rein praktischen Gründen, sondern auch aus ästhetischen. Denn mit geöffneten Augen kann man das Wasser der Adria in all seinen Schattierungen sehen. Da, wo der Arm eintaucht, ist es ganz türkis. Wenn der Arm dann unter dem Körper durchzieht, wird es dunkelblau. und dazwischen nimmt es alle Farbschattierungen an.
Das Beobachten des Wassers und seiner Farb- und Lichteffekte nimmt mich beim Schwimmen in der istrischen Adria komplett gefangen. Statt der Monotonie des schwarzen Balkens am Beckenboden oder des grünlich-trüben Wassers des Zeuthener Sees ist hier das Wasser in ständiger Veränderung. Nahe am Ufer, wo es nur zwei bis drei Meter tief ist, bieten die schroffen Felsen und Steine eine weitere Abwechslung. Wo im Becken schon nach einigen Bahnen eine Art meditative Gleichförmigkeit um sich greift, ist hier stete Abwechslung – einfach zu viel Schönes, um sich nur der Gleichförmigkeit des Bewegungsablaufes hinzugeben.
Doch Konzentration ist dennoch nötig. Denn Verschlucken darf man sich nicht. Das Salzwasser, das im stets geöffneten Mund nach einigen Minuten nicht mehr störend auffällt, ist in der Speiseröhre die Hölle. Abruptes Abbrechen aller Bewegungsabläufe ist die sofortige Folge. Und Husten, fast bis zum Erbrechen. Deshalb ist das Einfühlen in den Wellengang so wichtig. Aber das Salz hat auch sein Gutes. Es trägt mich. Beinschlag ist kaum nötig, um ein einer optimalen Wasserlage zu kraulen. Und das mache ich dann auch. Zug um Zug. Immer und immer wieder. Gefangen von den Farben. Und begeistert von der Ruhe, mit der sich die Adria durchziehen lässt.
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Marisa Madieri blickt in Wassergrün auf ihre Kindheit in Istrien zurück
Flucht und Vertreibung wird hierzulande gern als etwas wahrgenommen, dass nur Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg geschah. Schon die direkte Folge, dass auch Polen vertrieben und umgesiedelt wurden, ist vielen schon unbekannt. Dass die Vertreibung auch in anderen Landstrichen Menschen entwurzelte, macht Marisa Madieri in ihrem Buch „Wassergrün“ eindringlich deutlich. Sie wurde mit ihrer Familie als Kind aus Istrien vertrieben – wie 300.000 andere Italiener.
Marisa Madieri verschlug es nach Triest, ins Auffanglager „Silos“, so benannt nach dem ursprünglichen Verwendungszweck in der Zeit, als Triest zu Österreich gehörte. Doch bevor sie zu ihrer Familie ins Silos kam, konnte sie in Venedig bei Verwandten in einer Klosterschule ihre Mittlere Reife machen. Jahrzehnte später – konkret 1981 bis 1984 – erinnert sie sich an diese Zeit. Und beginnt die Verluste und Verletzungen zu verarbeiten.
Das macht sie auf eine erstaunlich knappe Art. Fast wie in einem Prosagedicht verdichtet sie Erinnerung und Gegenwart als Mutter zweier Söhne und Frau von Claudio Magris, dem Triester Literaturwissenschaftler und weltweit bekanntem Autor. Marisa Madieri reflektiert, wem sie es in der schweren Nachkriegszeit zu verdanken hat, dass ihre Schwester und sie studierten. Nämlich der Mutter, die angesichts ihres eigenen Lebens darauf bestand, dass ihre Mädchen auf eigenen Füßen stehen können.
Sie erzählt auch davon, wie sie erstmals wieder in die ehemalige Heimat kommt. Sie berichtet, wie trotz der vielen Verwundungen bei vertriebenen Italienern und bei zurückgebliebenen Slowenen und Kroaten trotz der vorausgegangenen Unterdrückung durch das faschistische Italien, Verständnis wachsen. Ganz ohne Zorn schreibt sie. Ganz ohne Neid. Aber mit einem klaren Bekenntnis zur Versöhnung. Auch wenn das nicht immer selbstverständlich ist. Etwa, wenn sie den Sandstrand Venedigs als schmierig und dreckig wahrnimmt. Denn ihr Meer ist klar und grün und der Strand aus Kieseln, so dass kein Sand den Genuss stört.