Viktor Paskows Autopsie ist ein verwirrender Berlin-Roman

Viktor Paskow: Autopsie
Viktor Paskow: Autopsie

Jazz und Literatur vermischen sich in Viktor Paskows Roman „Autopsie“ genauso wie die Leben von Charlie und Ina. Beide kommen wie der Autor aus Bulgarien, beide finden sich auf unterschiedliche Weise in Berlin ein. Und beide werden wahnsinnig, wenn der geliebte Mensch nicht da ist.

Aus dieser recht einfachen Konstellation formt Paskow einen Roman, dem sich der Leser nicht entziehen kann. Die Liebe spielt der dabei in all ihre psychologischen und erotischen Dimensionen durch. Manche Stelle grenzt an Pornografie, doch sind selbst diese Passagen nie blanker Voyeurismus. Sie sind zur Verdeutlichung der Liebe von Ina und Charlie unabdingbar, zeigen sie doch, wie anhängig beide voneinander sind. Wo Charlie meint, Ina in neue Formen von Sex – etwa im Swingerclub – einzuführen, kehrt sie sein Dominanz-Bestreben um.

Der Roman spielt vor der Kulisse Berlins. Paskow hat die Stadt mit offenen, neugierigen Augen wahrgenommen. Das touristische Programm ist nicht wichtig. Dafür hat er die alten Hinterhöfe am Prenzlauer Berg oder in Mitte, die Kneipen, Clubs und die Theater in den Blick genommen. So entsteht ein packender Berlin-Roman, denn die Stadt ist mehr als nur Kulisse. Vor allem im Bezug zu Sofia steht Berlin für eine Entwicklung, die sich auf das Leben von Charles und Ina direkt auswirkt.

Der Plot und die Erzählweise sind so überzeugend, dass der Leser keine Chance hat, sich dem Sog zu entziehen. Bis hin zum dramatischen Ende wollen selbst die unangenehmen Textstellen gelesen werden. Die Sprache entfaltet selbst in der Übersetzung eine große Musikalität. Da Charles Musiker ist – im Hauptberuf Orchestermusiker und nebenbei Jazzer – muss das auch so sein. Das Buch klingt, schwingt, schmerzt. Es verursacht ein Gefühlschaos und lässt den Leser  deshalb das Leben spüren. Ein gutes Buch, ein großer Roman.

Optimismus prägt Nenas Balladen

Nenas Balladen
Nenas Balladen

Die Neue Deutsche Welle hat die meisten ihrer Vertreter gefressen. Kaum einer hat es geschafft, sich dauerhaft im Musikgeschäft zu etablieren. An vielen der Stars der frühen 80er-Jahre kleben die eigenen Hits wie Kaugummi. Fast 30 Jahre später tingeln sie noch immer damit durch obskure Ü-Partys. Nena ist eine Ausnahme.

Zwar wollen Konzertbesucher auch heute noch „99 Luftballons“ hören. Aber Platten wie „Willst Du mit mir gehen“ von 2005 hielten sich immerhin 26 Wochen in den deutschen Charts und erreichten sogar Platz 2. Nena ist also mehr als der Abklatsch der Vergangenheit. Auf dem neuen Sampler „Balladen“ kommt dies schön heraus. Das Album versammelt gefühlige Lieder aus 30 Jahren Nena. In „Wunder gescheh’n“ übrwiegt die Hoffnung auf eine gute Zukunft. In „Wir sind wahr“ bekommt die romantische Liebe eine Chance. Und in „Jetzt bist Du weg“ deren Ende. Nenas Stimme passt dazu, weil sie nicht glockenrein ist, sondern inzwischen Lebenserfahrung glaubhaft transportiert.

Überhaupt ist die CD voller Lebensklugheit. Die Naivität der „99 Luftballons“ haben kaum noch Platz mehr. Nur der Oprtimismus ihres größten Erfolges findet sich auch in den Balladen. Da macht eine Frau Musik, die viel erlebt hat. Und die sich darüber freut, dass trotz sie Höhen und Tiefen als Musikerin, Mutter und Star die alte westfälische Provinz nicht nur hinter sich gelassen hat, sondern sie auch teilweise verändern konnte. Auch davon erzählen die Stücke, die alle zusammen eine gute CD bilden.

Zappas Werk ganz groß

Dieses Buch grenzt an Wahnsinn. Frank Wonneberg hat nichts Geringeres gemacht, als sämtliche Platten von Frank Zappa in allen ihren Ausgaben zu sammeln, zu katalogisieren und zu beschreiben. Für alle, die mit Zappa nicht sonderlich viel anfangen können, mag das nach Archivstaub klingen. Doch Wonneberg schreibt anhand der einzelnen Platten eine Biografie, eine Geschichte der Rockmusik und eine Geschichte der Musiktechnologie von der E-Gitarre über das Synclavier bis hin zur digitalen Studiotechnik.

„Grand Zappa – Internationale Frank Zappa Discology“ ist also vielmehr als eine absurde Aneinanderreihung der unterschiedlichen Label und der gleichen Schallplatte oder CD. Obwohl auch dies schon ein spannendes Thema ist. Wonneberg erschließt damit nämlich nicht nur die offiziellen Platten Zappas, sondern auch die Bootlegs, also inoffizielle Kopien und vor allem Konzertmitschnitte, die niemals autorisiert wurden. Diese Bootlegs aber spielten in den späten 1960er- und in den 1970er-Jahren eine große Rolle bei Fans. Bestimmte Bootlegs sind noch heute bei Sammlern sehr viel wert. Und das nicht nur bei Zappa, sondern vor allem auch bei Jimi Hendrix, den Doors, Bob Dylan und Velvet Underground.

Zum Fan-Sein hat diese Sammelwut immer dazugehört. In Zeiten digitaler Download-Plattformen ist diese Liebe zu den Details der Tonträger kaum noch nachzuvollziehen. Umso schöner ist es, dass sich der Sammler und Fan Wonneberg so akribisch bei Frank Zappa auf die Suche gemacht hat. Damit legt er auch ein kleines Stück Kulturgeschichte frei. Am oben abgebildeten Album „We’re only in it for the money“ lässt sich die Arbeit Wonnebergs gut darstellen. Ursprünglich war die Platte als direkte Reaktion auf „Sgt. Pepper’s“ von den Beatles konzipiert. Das lässt sich sehr gut am Cover oben rechts erkennen. Doch gab es wohl Probleme mit den Rechten an der Collage. Deshalb ist die erste Ausgabe in den USA mit einem Wendecover erschienen (das zweite von oben rechts). Die folgenden beiden Cover sind für CDs in den Jahren 2005 und 2008 entstanden, also lange nach Frank Zappas Tod.

Wonneberg erzählt die Geschichte des Covers ebenso knapp wie entscheidende Details zur Musik und zur Aufnahmetechnik. Insofern liefert er zu jeder Platte Zappas eine fundierte Kurzkritik, die angesichts der technischen Details auch eine Technikgeschichte der Rockmusik ergeben. Denn Frank Zappa war neuen technischen Möglichkeiten immer aufgeschlossen. Eigentlich hätte er am liebsten alles selbst gemacht, um seinen Perfektionismus ausleben zu können. Musiker mit eigenen Ideen und eigenen Interpretationen seiner Musik waren für ihn oft störend. Deshalb mischte Zappa die Mastertapes auch möglichst selbst. Und später bearbeitete er sie erneut, wenn es um neue Auflagen oder ab den 1980er-Jahren um die Veröffentlichung von CDs ging.

Angesichts der komplexen Musik, die ja nie einfache Rockmusik war, sondern sich immer an den Formen und Ausdrucksmöglichkeiten der Neuen Musik von Edgar Varese, Arnold Schönberg und anderen orientierte, ist dieser Drang zur Durchsetzung des eigenen Klangs sogar verständlich. Auch wenn er es vielen Musikern unmöglich machte, länger mit Zappa zusammenzuarbeiten. Wonneberg hat zu jeder der 45 offiziellen Zappa-Alben kuriose Informationen gesammelt. Beim Beispiel oben etwa die Hinweise, weshalb die Zensur an einigen Texten Anstoß nahm. In der Fülle der Texte entsteht so eine kleine Sittengeschichte vor allem der USA. Denn Zappa, der sich ja als Bürgerschreck inszenierte, setzte seine Texte immer wieder bewusst ein, um die Zensur auf den Plan zu rufen. Schließlich gibt es für Platten und Bücher kaum eine bessere Öffentlichkeitsarbeit als den Hinweis auf die Zensur. Im prüden Amerika war das für den Provokateur auch nicht schwer.

Die Texte Wonnebergs zeichnet bei einer großen Liebe zum Detail und zum Respekt des Fans vor dem verehrten Künstler dennoch eine gewisse Distanz aus. Der Autor liegt seinem Objekt der Begierde und Beschreibung nicht aus Demut zu Füßen. Im Gegenteil: Wonneberg hat eine ähnliche Ironie wie der Meister. Und so finden sich in den Texten auch etliche kleine Spitzen, die das Buch insgesamt lesenswert machen. Die Gestaltung des prachtvollen Bandes im Format von 36,5 mal 30 Zentimeter ist großartig. Die Fülle der grafischen Objekte wird klar und erkenntnisgewinnend präsentiert. Auch das hat Frank Wonneberg selbst übernommen, mit einem feinen Gespür für Typografie und Layout. Für Zappa-Fans ist das Buch sicherlich ein Muss. Aber angesichts der Freude am Detail ist der Band auch eine Freude für jeden Bücher- und Musikfreund.

Frank Wonneberg: „Grand Zappa“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin, 69,95 Euro MOZ-Rezension…

17 Hippies werden ruhiger

17 Hippies: Pantom Songs
17 Hippies: Pantom Songs

Ganz ruhig geht es auf dem neuen Album der 17 Hippies zu. „Phantom Songs“ steht im Zeichen der Ballade. Faszinierend ist, was die vielköpfige Berliner Band daraus macht. Sie erhält ihren unverwechselbaren Sound, der sich aus Elementen klassischer Rockmusik genauso zusammensetzt wie aus denen von jüdischer, französischer und osteuropäischer Musik. Vor allem wenn die Bläser wie bei „Biese Bouwe“ den Ton angeben, wird der Sound kräftiger. Dann wird aus einem albanischen Volkslied eine hessische Ballade über Böse Buben auf einem wunderbaren Sound-Teppich aus Reggae und treibendem Balkan-Beat. Spannend ich auch “Across Waters”. Es klingt zunächst wie “Mr. E” von Barclay James Harvest. Die Harmonien ähneln sich sehr. Und so locken die Hippies den Hörer in Erinnerungen aus den 80er Jahren, um dann aber ein trauriges Lied über Kriegserlebnisse zu singen. Das ist musikalisch und textlich sehr gut gemacht und sorgt für Gänsehaut. Auch dieses zehnte Album ist mit seinen 13 Songs vollständig gelungen. Am 14. und 15. Mai stellt es die Band im Berliner Kesselhaus live vor. MOZ-Rezension…

Hubert von Goiserns Erkundung der Donau

Hubert von Goisern, der vor 20 Jahren damit begonnen hat, die traditionelle Musik der Alpen als Quelle für inspirierende Rockmusik zu nutzen, hat 2008 eine Konzertreise auf der Donau von Regensburg bis ins Schwarze Meer unternommen. Unterwegs legte er mit seinem Bühnenschiff an, um mit einheimischen Musikern Konzerte zu geben. 2009 fuhr er dann Donau, Main-Donau-Kanal, Main, Rhein, Necker und Maas entlang, um den westlichen Teil Europas von der Wasserstraße musikalisch zu erkunden.

„Stromlinien“ ist ein Logbuch, das aus dem Reise begleitenden Blog entstanden ist. Ergänzt hat Goisern das Buch um längere Texte über die Vorbereitung der kostspieligen Reisen, deren erste im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Linz zustande kam. Goisern nimmt den Leser mit auf seine Reise, die er als eines der letzten Abenteuer in Europa beschreibt. Die Vielfalt der Erfahrungen, die Überraschungen, Enttäuschungen und Jubelmomente wirken alle authentisch. Da wo Europa am wildesten und unberechenbarsten von ihm – und dem Leser – erwartet wird, funktioniert es am unkompliziertesten; etwa in Serbien und Bulgarien. Und da, wo Europa schon seit Jahrzehnten auch ein politischer Raum ist, ist die Skepsis am größten, etwa in Deutschland und Holland.

Hubert von Goisern öffnet aber vor allem den Blick auf die Schönheit der Donau und der Flusslandschaften. Ausgewählte Fotos runden das schöne Buch ab. Es lädt dazu ein, sich selbst auf den Weg zu machen, um Europa zu erkunden, zu Land, zu Wasser und in der Luft.

MOZ-Rezension…

Funny van Dannens beste Lieder, ganz sicher

Funny van Dannen: Meine vielleicht besten Lieder
Funny van Dannen: Meine vielleicht besten Lieder

Schon der Titel des neuen Albums bringt die Haltung Funny van Dannens auf den Punkt: „Meine vielleicht besten Lieder“. Dem Liedermacher, Kabarettisten und Schrammelkünstler fehlt Überzeugung, alles besser zu wissen. Ironische Distanz ist das Stilmittel, das seine Songs ausmacht.

Diese Ironie ist so stark, dass er bis zu drei Stunden lang von der Bühne nur mit seiner Gitarre und seiner eher mäßigen Stimme ein großes Publikum begeistert. Die neue Doppel-CD fängt diese Stimmung und Funny van Dannens Stimme gut abgemischt ein. Sie wurde auf Konzerten in Neukölln mitgeschnitten und enthält nicht nur vielleicht die besten, witzigsten und bösesten Stücke von ihm. Sehr fein!

Funny van Dannen „Meine vielleicht besten Lieder“ (Warner)

Entdeckung aus Weißrussland

Lyapis Trubetskoy: Agitpop
Lyapis Trubetskoy: Agitpop

Das Label Eastblok Music stellt erstmals eine weißrussische Band auf CD vor. Der Sound von Lyapis Trubetskoy, die eine Fusion aus Ska, Pop, Punk und Folklore spielen, überzeugt. Videos, wie das zu „Kapital“, die auf Youtube zu sehen sind, zeugen von großer künstlerischer Kraft.

Die politische Botschaft führt in Russland und Weißrussland regelmäßig dazu, nicht im Radio gespielt zu werden. Lyapis Trubetskoy ist eine echte Entdeckung.

Lyapis Trubetskoy „Agitpop“ (Eastblok)

In memoriam Django Reinhardt

Django Reinhardt ist nur 43 Jahre alt geworden. Doch das genügte, um seinen Ruhm und sein Gitarrenspiel unsterblich zu machen. Susie Reinhardt, eine entfernte Verwandte der Jazz-Legende, hat für das Label Trikont eine Hommage zusammengestellt.

Ob Dotschy Reinhardt oder Coco Schumann, ob das Titi Winterstein Quintett oder Tiki Daddy, alle interpretieren Stücke von Django Reinhardt und machen die musikalische Vielfalt seiner Songs erlebbar.

Django’s Spirit – A Tribute to Django Reinhardt (Trikont)

Punkverliebter Balkan-Rock von La BrassBanda aus Übersee

La BrassBanda: Übersee
La BrassBanda: Übersee

Das zweite Album ist immer das schwerste. LaBrassBanda hat diese Prüfung mit dem Album „Übersee“ bestanden. Die fünf Musiker haben im Süden der Republik Kultstatus. Ihre Mischung aus Ska, Funk, Mariachi und Reggae ist Energie pur.

Und das mit einer Instrumentierung, die es sonst nur im Balkan-Rock gibt: Die Trompete ersetzt die Gitarre, die Tuba dröhnt wie der Bass, die Posaune treibt zum Tanz – unterstützt von Schlagzeug und echtem Bass. „Übersee“ ist noch kraftvoller als das Debüt. Die Texte strotzen von herber Poesie. In Fülle und Dynamik entsteht ein Sound, der sich nur so umschreiben lässt: Blasmusik ist der neue Punk.

LaBrassBanda „Übersee“ (Trikont)

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