Die verbindende Kraft der Haferlschuhe

Haferlschuhe
Haferlschuhe

Mitten in Berlin. Ein Mann irgendwo ziwschen 50 und 60 trifft einen anderen. Rein dienstlich. Es geht um alte Fundstücke. Sie fachsimpeln, schauen sich in die Augen. Dann senkt er seinen Blick, blickt am zehn Jahre jüngeren herunter. Seine Miene hellt sich auf. Das Geschäftmäßige in seinem Blick weicht einem freundschaftlichen, fast verschwörerischen Lächeln.

„Sie tragen Haferlschuhe?“

Froh ist der Ton. Der jüngere blickt ebenfalls auf die Schuhe. Erkennt ebenfalls Haferlschuhe.

„Ja.  Es gibt keine besseren Schuhe.“

„Mein erstes Paar habe ich vor 30 Jahren gekauft. In einem Geschäft, das Konkursmasse verkaufte. 90 Mark haben sie damals gekostet. Das war viel Geld für einen Studenten.“

„Hier in Berlin?“

„Ja. Ich weiß, für einen Hamburger in Berlin war das etwas seltsam. Aber seit damals trage ich eigentlich nur noch Haferlschuhe. Es gibt tatsächlich nichts besseres. Mein erstes Paar habe ich übrigens noch immer. Auch wenn sie schon mehrfach beim Schuster waren.“

Wie Verschwörer, die sich in einer feindlichen Umwelt zufällig erkannt haben, stehen sie da. Tauschen sich über Leder aus einem Stück, handgenähte Sohlen, geklebtes oder genähtes Innenfutter aus. Sie kennen die Unterschiede zwischen guter Schusterarbeit und geklebter Pseudonaht. Und sie vergewissern sich gegenseitig, dass die Liebe zum Haferlschuh gute Gründe hat. Gründe, die all jene nicht nachvollziehen können, die diesen Allzweckschuh nur als bajuwarisches, volkstümelndes Trachtenwerk abtun. Die sich ihn nie anziehen würden, weil sie ihn unförmig finden. Aber das ficht sie beide nicht an, diese  Männer, die sich zufällig in Berlin trafen, und Dank ihrer Schuhe wissen, dass sie nun etwas verbindet: die Liebe zum Haferlschuh, diesem unglaublich bequemen, trittfesten und dem Fuß anpassenden Schuhwerk.

Haferlschuhe
Haferlschuhe

Hans Söllner geht’s so so so ziemlich gut

Hans Söllner: So so so
Hans Söllner: So so so

So so so, der Söllner hat ein neues Album aufgenommen. Weiter geht er auf seinem musikalischen Weg. Wie schon bei seinem letzten rückt der bayerische Raggae noch ein Stück weiter in den Hintergrund. Singersongwriter war der Hans Söllner schon immer. Aber eben mit dieser Musik, die zum Tanzen einlud. Jetzt steht der Text noch stärker im Vordergrund.

Die Süddeutsche Zeitung hat ihn mal auf eine Stufe mit Bob Dylan gestellt. Und genau daran muss man beim Hören ganz oft denken. Nicht nur die Texte erzählen Geschichten wie die Dylans. Auch die Musik ähnelt oft dem schrammligen Dylan-Sound –  von Söllners Stimme ganz zu schweigen.

„Sososo“ verzichtet nicht auf den rebellischen Söllner. Aber die Liebe, der Gedanke an die Ex, die Sehnsucht nach den Kindern und der Wunsch nach tiefer Freundschaft bestimmt vor allem die erste Hälfte des Albums. Söllner findet dafür wahrhaftige, schöne und schauerliche Sätze.

Bunte Herbstblätter mit Schnee

Der plötzliche Wintereinbruch am letzten Oktober-Wochenende bietet ein seltenes Schauspiel: Buntes Herbstlaub mit weißem Schnee. Gleich am Samstag hat es viele Wanderer und Läufer in den frischen Schnee gezogen. Zwar waren die Wege am Petersberg und am Riesenkopf bei Flintsbach und Brannenburg nur schwer begehbar. Aber dieser erste Schnee hat nach dem langen, warmen Herbst einen ganz eigenen Geruch – und ein ganz besonderes Licht.

Josef Bierbichlers Heimatroman ist voller Wut

Josef Bierbichler: Mittelreich
Josef Bierbichler: Mittelreich

Der Josef Bierbichler hat auf der Bühne eine unglaubliche Präsenz und Wucht. Auch vor der Kamera merkt man ihm immer an, dass in ihm eine Kraft sitzt, die rigoros, massiv, uns wütend ist. In einem Alter, in dem andere an die Rente denken, ja die meisten schon Rentner sind, hat der 1948 geborene Oberbayer seinen ersten Roman vorgelegt. Und auch der ist von dieser wütenden Wucht geprägt.

Bierbichler erzählt die Geschichte des Seewirts am Starnberger See über drei Generationen. Er dokumentiert die Veränderung, die der aufkommende Tourismus und die Motorisierung der Landwirtschaft bedeuteten. Er führt ein in eine bäuerliche Gesellschaft, die mit Politik nicht viel zu tun haben will, aber genau deshalb für den Nationalsozialismus so anfällig ist. Er beschaut eine Welt, in der die katholische Kirche die stabilisierende Kraft ist – und für Semi, den Sohn des Seewirts, die zerstörende, weil der in einer Klosterschule sexuell missbraucht wird. Und er zeigt sozialen Druck, der bis zu Mord und Selbstmord führen kann.

Der Roman ist also voller schwerer Themen. Aber Bierbichler scheitert daran nicht. Im Gegenteil: Wie der große Autor vom Starnberger See, wie Oskar Maria Graf, zeichnet Bierbichler ein Sittenbild, das vor Farbe und Kontrasten nur so strotzt. Allerdings sind diese Farben nur selten warm und bunt. Meist sind sie braun, ocker oder grau in allen Schattierungen. Denn das Leben in dieser Gesellschaft ist hart, obwohl der Seewirt zu den Besitzenden, ja zu den Mittelreichen gehört.

All das lebt vom Sprachvermögen Bierbichlers. Und vom Stoff, der im Kern ja ein Heimat-Stoff ist. Bierbichler leidet an der Heimat, die es nicht zuließ, dass der Seewirt zum Sänger ausgebildet werden konnte. Familie, Erbe und Besitz sind wichtiger als das Ausleben der eigenen – noch dazu künstlerischen – Talente. Aber Bierbichler liebt diese Heimat auch. Sonst könnte er sich nicht so an ihr reiben. Das aber tut er, der nicht nur zufällig genauso alt ist wie Semi. Aber anders als der ist Bierbichler nicht im Suff und in der Depression versunken. Dazu hatte und hat er zu viel Kraft. In diesem Roman kommt man der nicht aus. Sie fängt einen ein – und wie!

Josef Bierbichler: Mittelreich. Suhrkamp Verlag. 392 Seiten kosten 22,90 Euro.

Ringsgwandls Geschichten sind nichts für leise Leser

Georg Ringsgwandl: Das Leben und Schlimmeres
Georg Ringsgwandl: Das Leben und Schlimmeres

Jetzt sind es bald schon 25 Jahre, dass Georg Ringsgwandl den Salzburger Stier verliehen bekam. Solange gehört er zumindest in Bayern zu den Stimmen, die mit ihrem schrägen Blick die Wirklichkeit graderücken. Bei ihm gilt zudem das Wort von der „Stimme“ nicht im übertragenen Sinn. Aber als Autor ist er bislang nicht in Erscheinung getreten.

Leider. Denn sein erstes Buch „Das Leben und Schlimmeres – Hilfreiche Geschichten“ verursacht eine Art Phantomschmerz, weil man diese wunderbaren Texte erst jetzt lesen darf. Warum hat uns der Ringsgwandl so lange warten lassen? Weil die CDs nicht die Verkaufszahlen erreichen, die sie verdient hätten? Oder weil ihm das Leben – früher auch als Arzt – als Familienvater und Rampensau keine Zeit ließ?  Zumindest auf die Frage nach den CD-Verkäufen gibt es in dem Buch eine Antwort.

Ganz nah an den Menschen sind seine Beobachtungen. Ganz lakonisch ist sein Ton. Und ganz großartig ist der Witz, der in diesem Spannungsfeld entsteht. „Das Leben und Schlimmeres“ ist eines dieser Bücher, die in der Bahn die Mitreisenden belästigen können, weil man lauthals lachen muss. Ringsgwandl ist ein Meister in der Offenlegung des Absurden im Alltag. Etwa wenn er den ehemaligen Schulfreund beschreibt, der fest davon überzeigt ist, dass seine Songs besser in großen Stadien funktionieren würden als die der großen Bands. Aber da er sich lieber in Gram vergräbt, bleibt er unentdeckt und leidet als kleines Licht an seinem Größenwahn.

Wunderbar sind auch die Beobachtungen über Liebe im Niedrigenergiehaus, „das Knie“ als biomechanischem Drama in drei Akten oder den „Tiroler Rundfunk“. Jeder Text für sich ist ein feines Meisterstück. Da in dem rororo-Band 32 Texte sind, wächst dieser zu einem großen Buch.

Ringsgwandl: Das Leben und Schlimmeres – Hilfreiche Geschichten. rororo, 9,99 Euro.

 

Heimat (6): Danke Biermösl Blosn!

35 Jahre haben die Biermösl Blosn gelebt, dass Tradition und aufgeklärtes Denken eins sein können. 35 Jahre haben sie all das Lebens- und Liebenswerte an Bayern verkörpert. Und immer haben Hans, Michael und Christoph Well gezeigt, dass die größten Feinde der Heimat diejenigen sind, die sich Loden- Janker anziehen, ein CSU-Parteibuch haben und so tun, als sei ihre persönliche Geld- und Ansehensvermehrung gelebte Tradition. Seit ich politisch denken kann, gab es die Biermösl Blosn.

Die drei Brüder waren immer der Beweis, dass Bayern mehr ist als die CSU. An ihnen konnte man sehen, dass es ein anderes Bayern gibt. Eines, das modern und bodenständig zugleich ist, eines, das Freiheit lebt und Vielfalt schätzt, eines, dem Beton und Asphalt keine adäquaten Mittel zur Landschaftsgestaltung sind. Und eines, das veränderbar ist, weil in ihm Menschen leben, denen der Sachzwang nicht die einzig denkbare Variante des politischen Lebens ist. Die also das Wort von der „alternativlosen Politik“ schon ad absurdum führten, als es noch nicht so in Mode war wie derzeit. Die Brüder sind dabei immer auf dem Boden geblieben.

Sie haben sich nicht als Helden der Gegenöffentlichkeit stilisiert. Im Gegenteil. Ihr Ziel war es immer, möglichst viele Menschen mit ihrer Mischung aus gelebter Tradition und Anarchie zu erreichen. Nach einem Abend zur Erinnerung an den 100. Geburtstag von Oskar Maria Graf konnte ich mit ihnen ein Bierchen in der Wirtschaft hinter den Kammerspielen trinken. So offen, lustig und herzlich waren sie, dass sofort die Idee entstand, sie nach Hammelburg zu holen. Das taten sie dann auch – auf Initiative des Fußballvereins von Untererthal. Und auch danach waren die Bierchen beim Siggi in der Wirtschaft sehr belebend für alljene, die sich mit der CSU-Dominanz nicht abfinden wollten.

Jetzt ist diese Dominanz gebrochen. Die CSU hat keine absloute Mehrheit mehr, den Alleinvertretungsanspruch nimmt ihr nicht einmal die eigene Basis ab. Insofern ist der Mutmacher Biermösl Blosn nicht mehr nötig. Vielleicht ist es sogar so, dass die Auflösung nach 35 Jahren das angemessene Zeichen für die Entwicklung ist. Dennoch werde ich immer wieder mit großer Nostalgie die Lieder hören. Und mich daran freuen, dass da jemand so aktiv das Wort Heimat so positiv besetzt hat.

Mehr Heimat:
(1) Mein Sprungturm
(2) Stänglich vom Schwab
(3) Leberkäsweck
(4) Bilder aus Hammelburg
(5) Schlesisch Blau in Kreuzberg
(6) Danke Biermösl Blosn!
(7) Weinlaub und Weintrauben
(8) Laufwege in Buchenwäldern
(9) Fränkische Wirtschaft
(10) Bamberger Bratwörscht am Maibachufer
(11) Weißer Glühwein
(12) Berlin
(13) Geburtstage bei Freunden aus dem Heimatort
(14) Gemüse aus dem eigenen Garten
(15) Glockenläuten in der Kleinstadt
(16) Italienische Klänge
(17) Erstaunliches Wiedersehen nach 20 Jahren
(18) Federweißen aus Hammelburg
(19) Wo die Polizei einem vertraut
(20) Erinnerungen in Aschaffenburg
(21) Nürnberg gegen Union Berlin
(22) Der DDR-Polizeiruf 110 „Draußen am See“

Hans Söllner feiert im Regen

Hans Söllner: Im Regen
Hans Söllner: Im Regen

Nur vier Monate nach seinem Gig im heimischen Bad Reichenhall wartet Hans Söllner  schon mit dem Live-Album auf. Im Regen heißt das gute Stück mit zwei CDs. Doch beim Hören breitet sich eher wohlige Wärme als kalte Nässe aus. Die karibischen Rhythmen von Hans Söllner + Bayaman’Sissdem sind viel zu schön, als dass sich irgendwelche unangenehmen Eindrücke einstellen könnten. Der Raggae schwingt stets mit. Aber ohne die dicken Bässe, die sonst oft selbst den schönsten Sound mit Aggressivität
aufladen.

Das ist um so wichtiger, als die Texte durchaus aggressiv sind. Sie erzählen von der Freiheit, vom inneren Kampf, trotz äußeren Drucks ganz sich selbst zu bleiben. Söllner ist so einer, der seinen eigenen Weg geht – und nicht einen Deut davon abweicht. Und für genau diese Konsequenz lieben ihn seine Fans. Inzwischen achten ihn selbst die bayerischen Trachtler, weil er mit seinem Dickkopf eine bayerische Tugend ganz unkonventionell weiterentwickelt hat.

Auf dem Album ist ein wunderbarer Querschnitt von aktuellen und älteren Songs. Sie sind hervorragend abgemischt und machen Lust darauf, ihn live zu erleben. In Cottbus geht das am Dienstag im Glad-House.