Wie ich 1990 Weltmeister wurde – obwohl ich eigentlich nicht wollte

Die Weltmeister von 1990
Die Weltmeister von 1990
Die A 7 war leer. Vollkommen leer. So leer wie sonst nie, in den drei Semestern, in denen ich regelmäßig von Hammelburg nach Göttingen fuhr. Kurz vor dem Anpfiff hatte ich mich auf den Weg gemacht. Statt Autostress wie sonst hatte ich eine ruhige Fahrt erwartet. Und genau so kam es.

Deutschland stand in Rom im Finale. Ganz Fußball-Deutschland fieberte mit. Und ganz Deutschland meinte mehr als ein halbes Jahr nach dem Fall der Mauer und einige Monate vor Helmut Kohls willkürlich terminierter Vereinigung von DDR und Bundesrepublik tatsächlich GANZ DEUTSCHLAND! Okay, es gab da noch viele Linke und skeptische Intellektuelle, die diskutierten, ob die Vereinigung der beiden Deutschlands der richtige Weg sei. Oder die davor warnten, dass dieses zukünftige vereinte Deutschland in alte, grausige Muster verfallen könnte. Dieser Skepsis konnte ich auch viel abgewinnen. So viel, dass ich mir sogar Gregor Gysi im Wahlkampf in Göttingen anschaute. Den Mann, der die Auflösung der SED verhinderte – und stattdessen eine reformierte Partei durchsetzte. Nicht aus moralischen Gründen, die er schon 1990 ständig im Mund führte, sondern aus rein finanziellen. Mit dem Argument, dass das mehr als zweifelhafte Vermögen der Diktatur-Partei nur bei einer Umbenennung, nicht aber bei einer Auflösung erhalten werden könne.

Nun ja, in diesem Land, das formal noch zwei Länder war, in dem aber der DFB die Vereinigung schon vollzogen hatte, fuhr ich auf der Autobahn. An diesem 8. Juli 1990, als Argentinien der Gegner war. Wirklich mitfiebern konnte ich nicht. Auch wenn ich das Spiel im Radio verfolgte. Die Live-Reportage war großartig, die Stimme des Reporters sonor und nur selten am kippen. Sie war ein wenig so wie das Spiel, das offenbar weder spielerisch noch kreativ eine Offenbarung war. Ich war zufrieden, es nicht im Fernseher verfolgen zu müssen und schwebte über die leere A 7.

Kurz vor Göttingen fiel das Tor. Kurz vor Göttingen wurde ich Weltmeister. Im alten hellgrünen Audi 100 mit dem weißen Kotflügel. Und irgendwie freute auch ich mich über dieses Tor. Vor allem aber über meine Cleverness, die mir zu dieser ruhigen Fahrt verholfen hatte. Gut gestimmt, ja formidable fröhlich fuhr ich in die Stadt. Und da stand ich dann. Mitten im Autokorso. Inmitten von Deutschlandfahnen schwenkenden jungen Frauen und Männern, die auch alle Weltmeister geworden waren. Inmitten von Türken und Griechen und Italienern, wie wir damals all die „Gastarbeiter“ nach ihrer Herkunft noch nannten. Und die auch alle Weltmeister geworden waren.

Und ich? Ich habe für die paar Kilometer in Göttingen fast genauso lange gebraucht wie auf den gut 200 Kilometern auf der A 7! Und ich habe noch viel länger gebraucht, bis ich verstanden habe, dass Deutschlandfahnen nicht schlimm sein müssen. Nämlich bis 2002. bei einer anderen WM. Aber das ist eine andere Geschichte, bei der weder wir noch Weltmeister wurden.

Wenn Respekt kein Wert der Schulleitung ist

Abizeugnis mit Rose beim Abiball im Maritim
Abizeugnis mit Rose beim Abiball im Maritim

Noch ist der offizielle Teil nicht vorbei. Aber die Direktorin macht sich schon auf den Heimweg. Im noblen Berliner Hotel „Maritim pro Arte“ feiert das Humboldt-Gymnasium Eichwalde die Ausgabe der Abiturzeugnisse. Ein großer, festlicher Rahmen, wie ihn sich die Schulleitung im Vorfeld mehrfach wünschte. Zu melancholischer Klaviermusik vom Band, die eher an eine Trauerfeier als an ein freudiges Fest erinnert, wurden Zeugnisse überreicht. Und Rosen, deren Dekoration teurer war als die Blumen selbst. Schüler der 11. Klassen trugen Gedichte u.a. von Schiller vor, weil sie dafür noch eine Note kurz vor Notenschluss bekommen. Und andere Schüler singen oder musizieren auf der Bühne, in der die Abiturienten aufgereiht sitzen. Die Eltern, Großeltern und Freunde, die sie begleiten, sitzen weiter hinten um große Tische gruppiert und hoffen, etwas erkennen zu können.

Die Direktorin hat eine Rede gehalten, in der sie sich bei den Schülern bedankt und bei den Eltern und natürlich bei den Lehrern. Sie referiert, dass 25 Prozent der Abiturienten einen Einser-Schnitt haben und einige einen Dreier. Sie zitiert wahllos die Humboldts, nach denen die Schule benannt wurde. Da kommen auch schon mal zwei Zitate ohne eigene Text-Verbindung hintereinander. Vor allem aber wird die Reife der Schüler betont. Und die Werte, die vermittelt wurden. Allerdings immer nur als abstraktes Wort. „Werte“ wird nicht inhaltlich aufgeladen. Außer dem Verweis auf Fleiß und Lernen fällt ihr nichts ein. Respekt zum Beispiel taucht nicht auf. Oder Verständnis, Verstehen oder Begreifen. Auch diese Begriffe spielen bei der Reife, wie sie die Schulleiterin versteht keine Rolle.

Dass das seine Berechtigung hat, wird klar, als die Abiturienten noch mit ihrem Teil des Programms beschäftigt sind. Als nach der aufgesetzten Feierlichkeit und einem guten Buffet die Kreativität und der Witz des Abijahrgangs 2014 aufblitzen. Als Schüler mit Humor geehrt und sich von Lehrern mit Charme verabschiedet wird. Denn da macht sich die Rektorin schon auf den Heimweg. Sie schleicht sich aus dem Saal. Wahrscheinlich glaubt sie, genug Fleiß in diesen Abend investiert zu haben. Da erübrigt sich für sie dann wohl der Respekt vor den Abiturienten, von denen sie sich in ihrer tragenden Rede mit den Worten verabschiedete: „Viel Erfolg uns ein bisschen Glück.“

Das Ende eines Schulexperiments – Unser erstes Abitur

Das erste Schulexperiment ist abgeschlossen. Der Älteste hat heute seine Abiturnote bekommen. Nach zwölf Jahren Schule hat er die Hochschulreife. Das ist auf jeden Fall ein Grund zur Freude und zum Feiern.

Auch wenn sich nach wie vor die Frage stellt, warum junge Menschen schon mit 17 Abitur machen müssen? Auch wenn wir uns fragen, was die Verkürzung von 13 auf zwölf Jahre Schule gebracht hat? Schlauer ist er nicht. Er weiß bestimmt auch nicht mehr, als wenn er noch ein Jahr länger auf die Schule gegangen wäre. Und ob er reif genug für die Hochschulreife ist, wenn er sich selbst noch nicht einmal an der Uni einschreiben dürfte, ist ebenfalls mehr als fraglich.

Was also hat diese Schulreform tatsächlich gebracht? Der Sohn ist ein Jahr früher fertig. Er wird die Zeit, bis er 18 ist, sicherlich mit einer sinnvollen Beschäftigung überbrücken. Aber ist das der Sinn des Abiturs? Dass man noch ein wenig wartet, bis man selbst entscheiden kann und nicht in Begleitung der Eltern zur Immatrikulation und in die Sprechstunden der Professoren geht? Der Sohn hat mehr Stunden am Tag Unterricht gehabt, als wir damals. Das hat den Druck erhöht und Freiraum zur eigenen Entfaltung geraubt. Außerdem musste er deutlich mehr Stoff lernen. Auswendig lernen. Denn wie soll man auch sonst in weniger Zeit mehr Stoff unterbringen? Das geht nur durch das Abfragen von auswendig Gelerntem. Nicht mit Verstehen, Verständnis oder gar vertieftem Diskutieren. Mit echter Bildung hat das nichts zu tun. Wenn überhaupt, dann nur mit Wissens-Maximierungs-Lernen.

Das heißt nicht, dass der Abiturient jetzt nicht doch stolz sein kann. Er hat es geschafft, sich geschickt durch ein Schulsystem, ein zu Tode reformiertes Schulsystem zu lavieren und genau dafür seine Reife attestiert zu bekommen. Es gab Lehrer, die ihm geholfen haben, Lehrer, die ihn motiviert haben, Lehrer, die ihn ernst genommen haben. Aber es gab auch Lehrer, die Kinder und Jugendliche nicht mögen, Lehrer, die selbst nicht verstanden haben, was Bildung ist (und das an einem Humboldt-Gymnasium) und Lehrer, die vor allem über „Elite“ schwafelten, statt selbst ein guter, aufgeschlossener und den Schülern zugewandter Pädagoge zu sein. All das hat er überstanden. Und darauf kann er stolz sein.

Aber profitiert hat er davon nicht wirklich. Profitiert hat von all den Schulreformen nur einer – der Staat. Das Land Brandenburg hat durch den Wegfall der 13. Klasse im wahrsten Sinne des Wortes gespart. Lehrer hat es eingespart und so Geld gespart. Obwohl SPD und Linke seit Jahren vom Vorrang von Bild sprechen, sieht die Politik tatsächlich anders aus. Wenn Lehrer krank sind, gibt es keine ausreichende Reserve, um Unterrichtsausfall zu verhindern. Stattdessen „Stillarbeit“, die nicht als Ausfall in die Statistik einfließt. Jetzt, wo der Sohn das Abitur hat, werden in der ganzen Republik mit Anzeigen Lehrer geworben. Aber davon hat er nichts. Und ob seine Geschwister etwas davon haben, ist fraglich. Denn alle Bundesländer kämpfen um junge Lehrer. Ob Brandenburg mit seinem bildungspolitischen Sonderweg da mithalten kann? Hier ist das Kurssystem de facto abgeschafft worden. Echte Leistungskurse gibt es nicht mehr. Die Wahlfreiheit bei der Fächerwahl de facto auch. Auch diese Reform hat er überstanden. Zum Glück.

Das liegt vor allem an ihm selbst. Auch wenn das Schulsystem es immer wieder versucht hat, seine Neugier auf Neues konnte es ihm nicht austreiben. Seine Lust am Diskutieren – auch zum Erkenntisgewinn – ebenfalls nicht. Genau das feiern wir heute. Dass mit dem Abitur eine Schulzeit der verpassten -Bildungs-Möglichkeiten beendet wurde. Und dass er das alles unbeschadet und selbstbewußt überstanden hat.

Wählen macht glücklich

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Manche sind aufgeregt. Andere ganz souverän. Und die nächsten sind unsicher, wollen gern erklärt bekommen, wie das mit den drei Stimmen bei den Kommunalwahlen funktioniert. Die Wähler im Wahllokal II in Eichwalde sind ganz unterschiedlich. Sie kommen mit Kindern oder alleine. Sie begleiten ihre Eltern oder als Ehepaar sich selbst. Sie tragen kurze Hosen mit weißen Socken und Sandalen oder hohe Absätze zum engen Rock. Sie bilden tatsächlich die Vielfalt der Menschen des Ortes ab. Aber bei aller Verschiedenheit eint sie doch etwas: eine gewisse Ernsthaftigkeit.

Der Ratssaal der Gemeinde ist an diesem Sonntag zum Wahllokal umgestellt worden. Europawahlen, Kreistagswahlen und Gemeinderatswahlen finden statt. Das Wetter ist schön, im Laufe der Stunden wird es in ihm auch immer wärmer. Und die Wähler lassen sich Zeit. Sie lesen sich die Namen auf den Listen durch. Sie wollen von der Möglichkeit, unterschiedliche Kandidaten wählen zu können, Gebrauch machen. Wenn sie die Wahlkabine verlassen, sind die meisten noch immer etwas angespannt. Wenn sie die Stimmzettel, dann noch ein weiteres Mal gefaltet haben, damit sie durch den Schlitz der Wahlurne passen, entspannen sie sich etwas. Und wenn die Stimmzettel dann alle drei in die richtige Urne gesteckt wurden, dann macht sich ein Lächeln in ihren Gesichtern breit. Alle, wirklich alle Wähler dieses Wahllokals II lächeln nach der Stimmabgabe. Alle spüren offenbar vor der Stimmabgabe eine gewisse Ernsthaftigkeit, die sich mit der Stimmabgabe in Zufriedenheit auflöst. Oder sogar in so etwas wie Glück. Zumindest für einen Moment.

Warum wählst Du?

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„Was machst Du da?“
„Kreuze. Heue darf ich sieben machen.“
„Warum machst Du Kreuze?“
„Weil ich wähle.“
„Warum wählst Du?“
„Weil wir mitbestimmen dürfen.“
„Aber Du bestimmst doch immer alles.“
„Es geht nicht um zuhause. Es geht um die Gemeinde und um Europa.“
„Was ist Europa?“
„Das sind ganz viele Länder. Und die gehören alle zusammen. Und die Erwachsenen in den Ländern dürfen alle wählen, um zu bestimmen, was in Europa passieren soll.“
„Hm. Dann will ich auch bestimmen.“
(Dialog von Vater und dreijährigem Sohn im Wahllokal)

Die Rückkehr des Zuges in Eisenhüttenstadt

Bahnhof Eisenhüttenstadt
Bahnhof Eisenhüttenstadt

„Das gibt es doch gar nicht!“ „Scheiß Bahn!“ „Das ist doch unglaublich, der kann doch jetzt vor unserer Nase wegfahren!?“ Bahnhof Eisenhüttenstadt. Auf dem Bahnsteig versammeln sich immer mehr Reisende, die in genau diesen Zug nach Cottbus einsteigen wollen. Doch der fährt direkt vor unserer Nase weg. Als letzte erreicht die Schaffnerin des Zuges den Bahnsteig. Sie hatte uns alle vor dem Bahnhofsgebäude in Empfang genommen, als uns der Bus des Schienenersatzverkehrs zwischen Frankfurt (Oder) und Eisenhüttenstadt ausspuckte. „Gehen Sie gleich durch den Durchgang zum Zug. Er wartet schon!“ Das hatte sie gesagt. Doch das Warten stellte der Lokführer ein, als die ersten von uns den Bahnsteig erreichten. Er fuhr einfach los.

„Das gibt es doch gar nicht,“ meint die Schaffnerin. „Jetzt fährt mein Lokführer ohne uns los.“ Da lacht sie noch. Schüttelt den Kopf und ist auch schwer verwundert über das, was die Bahn so alles macht. Die Stehengelassenen schimpfen natürlich. Sie haben mit der Frau in der Bahnuniform eine Schuldige entdeckt. Sie stürmen auf sie ein. Machen ihr Vorwürfe, obwohl sie ja auch eine Zurückgelassene ist. Aber der härtesten Pöbler interessiert das nicht. Abe rdie Schaffnerin bleibt ruhig. Sie nimmt ihr Handy und ruft den Lokführer an. Sie spricht mit ihm – und dann? Dann sagt sie das Unfassbare: „Der Zug kommt in wenigen Minuten zurück. Der Lokführer muss nur noch anhalten und dann die fünf Waggons nach vorne laufen. Dann kommt er wieder und nimmt uns mit.“

Gibt es das wirklich? Fährt ein Zug zurück, um Fahrgäste doch noch mitzunehmen? Kaum zu glauben. Aber es stimmt. Fünf Minuten später rollt der Zug wieder in den Bahnhof ein, nimmt die wartende Menge auf. Die stürmt die Türen, will sich schnell setzen. Als trauten sie dem Frieden nicht. Als könnte der Zug erneut direkt vor ihrer Nase kehrt machen. Die Schaffnerin steigt als letzte ein. Ein Danke hat sie nicht gehört. Ein Lob für das Rückbeordern eines Zuges? Kein Wort. Weder von den Lauten noch von den Leisen. Sie alle sitzen im Zug. Viele ärgern sich noch immer. Sie haben ja Zeit verloren. Zeit verloren! Anstatt sich darüber zu freuen, dass für sie etwas in Bewegung gesetzt wurde, was es sonst ncht gibt.

Auf dem Neiße-Radweg von Forst nach Klein Bademeusel

Auf dem Radweg von Forst nach Klein Bademeusel

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Auf dem Radweg von Forst nach Klein Bademeusel

Forst ist eine Stadt voller Narben. Der amputierte Teil östlich der Oder, von dem es nichts mehr gibt. Die Baulücken, die sich zwischen Jugendstilhäusern und -villen auftun. Die leeren Fenster in ehemaligen Texilfabriken. Gleise, die in der Straße liegen und keine Anbindung mehr haben. Das sieht schlimm aus. Aber die

Einige Kilometer weiter südlich, in Klein Bademeusel, führt die kleine Dorfstraße auch ins Nichts. Da, wo einst die Brücke über die Neiße war, ist ein Stelle zum Ausruhen unter einem schönen Baum. Der Blick ins wenige Meter entfernte Polen ist idyllisch. Und irgendwie ist die Zeit hier stehengeblieben. Ein Ort zum Entspannen, zum Durchatmen. Kein Ort für Remmidemmi. Eine Station zum Passieren. Aber Verweilen? Wenn dann nur kurz, um die Natur aufzusaugen, den Wind zu spüren, die Farben der Felder und des Himmels zu sehen. Und über die Neiße nachzudenken, deren Verlauf zur Grenze wurde.

Es gibt ein falsches Dekolleté im richtigen Wirtshaus

Im Mahrs Brau in Bamberg
Im Mahrs Brau in Bamberg

Es sind Orte wie die Brauereiwirtschaften in Bamberg, die ein Gefühl von Dauer und Bewährtem ausstrahlen. Als ich vor fast 25 Jahren das erste Mal ins Mahrs-Bräu in der Wunderburg ging, roch es schon nach guter Küche und Bier. Im Durchgang standen Männer – und wenige Frauen – um ihr Feierabendbier im Stehen zu trinken. Die Wirtsstube mit ihren Stühlen, Bänken und Vertäfelungen in dunkel gebeiztem Holz kontrastrieren mit dem hellen, massiven Tischplatten. Und in der Gaststube war alles heller.

Das ist heute noch ganz genauso. Nur der Rauch fehlt. Denn die Raucher sitzen heute wie überall draußen vor der Wirtschaft im Freien. Das Schäuferla aber ist noch genauso schmackhaft, die Kruste knackt noch immer und löst sich dann auf der Zunge auf. Die Biere werden nach wie vor halbliterweise ausgeschenkt. Und es sind nach wie vor ein Helles, ein U (Ungespundenes) oder ein Hefeweizen. Moderne Biermixgetränke stehen zum Glück nicht auf der Karte. Dafür aber derzeit ein Bock, weil Bockbierzeit ist.

Wenn man nach Jahren erstmals wieder die Wirtsstube betritt, fühlt sich das an wie ein kleines Stück Heimat aus der Vergangenheit. Das tut gut. Das riecht gut. Das schmeckt gut. Nur einmal zucke ich zusammen, fühle mich aus der Zeit gerissen. Beim Anblick des Busens der Bedienung. Es ist nicht das Dralle. Das Dekolleté ist auch nicht zu tief. Aber auf dem Brustansatz links steht etwas: Alicia oder Ann-Katrin oder so. Und rechts hat sich die Tattoonadel auch eingefräst. Mit irgendeinem modischen Namen von Mann oder Bub.

Der Giftzahn der Zeit nagt also auch hier, in einer der schönen, traditionellen Brauereiwirtschaften. Aber nicht am Wesentlichen, sondern da, wo sich das Altern auf Dauer ganz sicher nicht aufhalten lässt. Wenn in einigen Jahren der Busen gepusht werden muss und sich dennoch Fältchen in die deplatzierte Schreibschrift einkerben, dann bleibt nur noch eins: ein hochgeschlossene Bedienung. Wobei das auch heute schon besser wäre, als die eigentlich passende Tracht.

Eine wundervolle Zauberflöte in Zeuthen


Ich dachte an Größenwahn, als ich von der Idee hörte, dass die Musikschule Primus aus Zeuthen die Zauberflöte mit Kindern auf die Bühne bringen will. Oper ist Gesang. Oper ist Orchestermusik. Oper ist Theaterspiel. Und vor allem ist Oper das alles zusammen und auf einander abgestimmt. Alles für sich mag ja gehen, aber zusammen so gut abgestimmt, dass es für die Kinder auf der Bühne nicht peinlich wird? Mit Laien? Mit Kindern von der Grundschule bis zum Gymnasium? Das fand ich doch etwas arg ambitioniert.

Bis gestern Abend. Da war die erste Aufführung der Zauberflöte in der Turnhalle der Grundschule am Wald. Links von der Bühne war das kleine Orchester platziert. Von hier dirigierte der musikalische Leiter Markus Wolff das gesamte Geschehen. Konzentriert und etwas angespannt, aber vor allem fast immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Kein Wunder. Denn er erlebte, dass sein gewagter Plan aufging. Er hörte Kinder, die Opernpartien sangen, eine zehnjährige Königin der Nacht, die den gesamten Saal in ihren Bann sang, er erlebte, wie das Instrumentenspiel und der Gesang auf der Bühne eins wurden. Wunderbar. Zauberhaft.

Natürlich war nicht jeder Ton perfekt. Aber das Niveau war insgesamt erstaunlich hoch. Und wenn der Mann an den Reglern der Headset-Mikrophone genauer und schneller gewesen wäre, wäre der Klang noch besser gewesen. Werner Eggrath, der die Regie führte und das Libretto so geschickt gekürzt und an die Möglichkeiten der Musikschüler und der Chöre der Schmöckwitzer und der Zeuthener Grundschule angepasst, dass auch Kenner der Zauberflöte alles wichtige wiederfanden. Und sich am Gesang und Spiel der Schülerinnen und Schüler erfreuen konnten. Zum Glück hatten die Macher den Mut, das Projekt zu wagen. Der Applaus und die Begeisterung des Publikums haben sie belohnt.

 

 

 

Zeit für das alte Olympia-T-Shirt

Olympia-T-Shirt für Peking 2008
Olympia-T-Shirt für Peking 2008

Ich habe es noch. Das T-Shirt das ein Kollege vor sechs Jahren anlässlich der Olympischen Spiele in Peking entworfen hat. Heute ist es wieder aktuell. In Sotchi lässt sich Wladimir Putin feiern, weil er die Olympischen Spiele ans Schwarze Meer geholt hat.  Statt „Made in China“ müsste heute „Made in Russia“ auf ihm stehen. Und die Disziplin Homophobie müsste eigentlich auch noch hinzugefügt werden. Aber sonst?

Sonst ist diesmal der Größenwahn noch irrsinniger. Im Winter 2014 spielt der Sport eine noch größere Nebenrolle und die politischen Aussagen des Internationalen Olympischen Komitees sind noch peinlicher. Insofern stimmt das olympische Motto „Höher, schneller, weiter“. Die Kosten sind noch höher. Die Umweltzerstörung für dieses aberwitzige Großereignis ging noch schneller von statten. Und die Sportfunktionäre gehen in ihrer Verlogenheit noch weiter.

Ärgerlich ist das alles für die Sportler, die viele Jahre dafür trainiert haben. Sie sind der Spielball der geldgierigen Funktionäre, denen nichts heilig ist: keine Menschenrechte, keine Freiheit und keine Schöpfung. Selbstverständliche demokratische Menschenrechte werden ihnen genommen. Wer bei Putins und Thomas Bachs Spielen mitspielen will, muss sich Meinungs- und Versammlungsfreiheit abgewöhnen. Ansonsten droht Ausschluss. Das ist immer noch besser als der Einschluss in den GULAG, der russischen Demokraten droht. Aber es ist unerträglich, dass das geduldet wird, um es Russlands Diktator zu ermöglichen, sich in der Weltöffentlichkeit zu sonnen. Eigentlich müsste man den Spielen die Aufmerksamkeit entziehen. Aber damit wären auch die Sportler bestraft.

Aber solche T-Shirts sind immerhin eine Möglichkeit, die Abscheu gegenüber IOK, NOK und anderen korrupten Sportfunktionären zum Ausdruck zu bringen. Ich werde gleich mal bei dem Kollegen aus Cottbus nachfragen ob er eine überarbeitete Neuauflage plant.