Künstlerische Wagnisse in den späten Zwanzigern

Frank Castorf hat sich nach eigenem Bekunden lange nicht an Mehrings „Der Kaufmann von Berlin“ gewagt. Jetzt hat er das Stück, mit dem Erwin Piscator 1929 den größten Theaterskandal in der Weimarer Republik auf die Bühne brachte, inszeniert. Das Stück erzählt in der beginnenden Weltwirtschaftskrise von der großen Inflation des Jahres 1923. Es beleuchtet die politischen Wirrnisse nach dem Ende des Kaiserreiches. Und es zeigt, wie die Gier nach immer mehr Geld letztlich jeden Menschen korrumpiert. Ein Stoff also, der angesichts von Eurokrise und latent überwundener Weltwirtschaftskrise viele aktuelle Parallelen aufweist.

Zentral ist bei Walter Mehring, dem 1896 als Sohn eines Schriftstellers und einer Opernsängerin geborenen Juden, die Figur des Ostjuden Kaftan. Er kommt mit 100 Dollar ins von der Inflation geplagte Berlin. Da gelingt es ihm, in kürzester Zeit ein Vermögen anzuhäufen. Das tut er ursprünglich, weil er seiner kranken Tochter das Sanatorium in der Schweiz finanzieren will. Aber er verfällt einem Rausch der Gier. Dabei wird er von einem skrupellosen Rechtsanwalt beraten, der Geld für seine Verschwörung gegen die Republik benötigt. Das alles ist sehr dicht geschrieben. Bei Mehring lebt der Text vor allem von der enormen sprachlichen Vielfalt. Das gilt auch für die formalen Aspekte. Mehring hat Traumsequenzen neben Chansons und klassische Guckkastenbühne gestellt. Auf diese Weise verdichtete er die Vielfalt Berlins, der Menschen und gleichzeitigen Ereignisse in der Moderne. Leider reduziert Frank Castorf die Differenzierungen. Mit einem Dauergebrüll der Schauspieler werden die vielen Nuancen Mehrings von einem permanenten Lärmteppich erstickt. Aber Castorf nutzt auch die künstlerischen Aspekte, die ihm entgegenkommen. Natürlich setzt er Videoszenen ein. Erstaunlicher aber ist es, dass Filmelemente schon vor mehr als 80 Jahren im Text vorgesehen waren. Bei der Uraufführung realisierten Erwin Piscator und der ungarische Fotograf László Moholy-Nagy diese Ideen. Moholy-Nagy war als Dozent am Bauhaus davon fasziniert, Licht nicht nur abzubilden, sondern als Element der Kunst selbstständig zu nutzen. Das lässt sich derzeit in einer Ausstellung im Berliner Gropiusbau sehr gut nachvollziehen. Dabei fällt auf, wie Moholy-Nagy sich auf die Strukturierung des Lichts konzentrierte, um mit dessen Schein Bedeutungen zu erzeugen.

Leider zeigt die Ausstellung nichts von Moholy-Nagys Arbeiten für das Bühnenbild des „Kaufmanns von Berlin“. Dennoch lohnt sich der Besuch beider Ereignisse, um eine Vorstellung der Umwälzung der Künste in den späten 20er-Jahren zu bekommen. Wer sich dann noch die 2009 erschienene Ausgabe von Mehrings Stücks im Niemeyer-Verlag gönnt, der stößt auf einen Text, aus dem nicht nur ein vierstündiges Theaterspektakel mit Sophie Rois und Dieter Mann gemacht werden kann. Eigentlich steckt darin ein Mehrteiler fürs Fernsehen, bei dem all die optischen Versuche Moholy-Nagys sehr gut aufgehoben wären.

MOZ-Text…

Junkers-Bildarchiv zeigt den Aufbruch in die Moderne

Lehrlinge vor dem Junkers-Werk in Dessau. Foto: Steidl-Verlag
Lehrlinge vor dem Junkers-Werk in Dessau. Foto: Steidl-Verlag

Wer denkt bei der Moderne schon an Gasheizung und Warmwasserboiler? Meist wird die Moderne eher mit Beschleunigung im Verkehr – auf Schienen, Straßen und in der Luft – gleichgesetzt. Die Revolution der Annehmlichkeiten in den eigenen vier Wänden wird gern vergessen.

Junkers steht für beide Phänomene. Heute noch gibt es Heizsysteme gleichen Namens. DieWarmwassertherme, die mit Gas betrieben wird, war eine Erfindung von Hugo Junkers (1859–1935). Vor allem aber verbindet man seinen Namen mit Flugzeugen. Das bekannteste ist sicherlich die JU 52, der robuste Omnibus der Lüfte, ohne den sowohl die Lufthansa als auch Hitlers Luftwaffe nicht so effektiv gewesen wären.

Entwurf für ein Werbe-Plakat. Foto: Steidl-Verlag
Entwurf für ein Werbe-Plakat. Foto: Steidl-Verlag

„Junkers Dessau“ heißt ein Fotoband, der die Menschen und die Produkte aus Junkers Firmenimperium in Erinnerung ruft. Und damit ein Stück deutscher Industriegeschichte buchstäblich ins Bild rückt. Hans Georg Hiller von Gaer¬tringen konnte dafür den Teil des einst riesigen Firmenbildarchivs auswerten, der in der Familie Junkers überdauerte und inzwischen dem deutschen Museum in München überlassen wurde.

Dass nur diese vergleichsweise wenigen Aufnahmen erhalten geblieben sind, dafür waren die Nationalsozialisten maßgeblich verantwortlich. Diese hatten Hugo Junkers, einen frei denkenden Weltbürger und für sie politisch unzuverlässig, 1933 enteignet, um sich die Innovationen, Patente und Anlagen seiner Flugzeugproduktion zu sichern. Zwar trugen Flugzeuge wie der Sturzkampfbomber JU 87 dann noch immer den Namen Junkers, doch verantwortlich für den Bau waren andere. Diese Enteignung und später die Demontage der Junkerswerke nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten dafür, dass das Bildarchiv verschwand oder zerstört wurde.

Flugzeuge prägten die Firmengeschichte. Foto: Steidl-Verlag
Flugzeuge prägten die Firmengeschichte. Foto: Steidl-Verlag

Wie groß dieser Verlust für die deutsche Industriegeschichte ist, lässt der Bildband erahnen. In ihm sind die unterschiedlichen Teile des Konzerns in Kapitel gefasst. Eines zeigt Luftbilder, die Junkers mit einer eignen Firma vermarktete. Diese Aufnahmen veränderten in den 20er-Jahren den Blick der Architekten, Städteplaner und Politiker auf die Welt und die Städte. Erstmals konnten sich Menschen einen gesamten Eindruck von einer ganzen Stadt oder von Verkehrswegen in der Landschaft machen. Die Kartografie verbesserte sich.

Auch die gesellschaftlichen Entwicklungen der 20er-Jahre finden in dem Band Beachtung. Ein Beispiel liefert die Werbefotografie für die Warmwassertechnik. Entblößte Frauenrücken werden beim Einstieg in die Badewanne ins rechte Licht gerückt. Man wirbt mit täglichem Badespaß – und mit wohliger Wärme. Einer Wärme, die nicht durch das stinkende Verbrennen von Kohle erzeugt wird, sondern durch fast geruchloses Gas, das direkt von der Leitung in den Brenner fließt.

Luftbilder waren Teil des Geschäfts bei Junkers. Foto: Steidl-Verlag
Luftbilder waren Teil des Geschäfts bei Junkers. Foto: Steidl-Verlag

Gerade die Werbefotografie zeigt zudem Einflüsse des Bauhauses. Junkers scheute sich nicht, mit den Künstlern der auch in Dessau ansässigen Hochschule zusammenzuarbeiten.

Nicht zuletzt dokumentiert der klug kommentierte Bildband ein bedeutendes Kapitel deutscher Luftfahrtgeschichte. Sowohl die Rückschläge durch Abstürze als auch die optimistische Aneignung der ganzen Welt durch die schnellen Flugverbindungen.

„Junkers Dessau“ hebt einen Schatz Bilder, die es wert sind, betrachtet zu werden. Deren Auswahl und die Begleittexte sind fundiert, präzise und eine Bereicherung.

Hans G. von Gaertringen (Hrsg.): „Junkers Dessau – Fotografie und Werbegrafik 1892–1933“, Steidl 2009, 143 S., 45 Euro

MOZ-Rezension…

Amsterdam lockt aufs Eis

Amsterdam riecht nicht wie andere Städte. Wer zu Fuß die Altstadt erkundet, wird von Abgasen recht wenig belästigt. Dafür ziehen hin und wieder die süßlichen Schwaden von Marihuana über die Gehsteige. Und der Duft von Gewürzen, der an die koloniale Vergangenheit der Niederlande erinnert.

Dieser Winter ist auch in Amsterdam knackig kalt. Die Grachten sind gefroren. Vor dem Rijksmuseum tummeln sich die Schlittschuhfahrer. Dort lockt der Geruch von Glühwein und „warmer Chocoladenmelk“. Eine friedliche Atmosphäre liegt über der Stadt. Die Kälte dämpft den Lärm auf den wenigen größeren Straßen der Altstadt. Aber immer wieder ist das Lachen von Kindern zu hören, die sich die Grachten auf Kufen aneignen. Und von Erwachsenen, die gerade am Wochenende der außergewöhnlichen Freizeitbeschäftigung nachgehen. Fast wirkt diese Schlittschuhleidenschaft wie die auf den Bildern von Hendrick Avercamp (1585–1634) oder Pieter Brueghel (1564–1637). Sie hielten schon im 16. und 17. Jahrhundert auf ihren Landschaftsbildern die Holländer fest, wie sie über gefrorene Flüsse schlittern.

Hendrick Avercamp widmet das Rijksmuseum momentan eine Sonderausstellung. Er gilt als der bedeutendste Maler von Winterlandschaften im „Goldenen Zeitalter“, Hollands wirtschaftlicher und kultureller Blütezeit im 17. Jahrhundert. Schöner kann der Besuch dieser Ausstellung gar nicht sein, als in diesen Tagen. Wer die Holländer auf dem Weg zur Schau auf den Schlittschuhen sieht und sie mit den ebenso heiteren Gesichtern auf den Avercampschen Bildern vergleicht, entdeckt die gleiche Freude, den Spaß am Schneeballwerfen, die Paare, die im Gleichschritt zu einer liebevollen Einheit geworden sind und sogar die Hunde, die sich auf dem ungewohnten Untergrund schwer tun.

Wer sich in der Ausstellung etwas Zeit nimmt und den Details der Bilder widmet, der belohnt sich bei seinem anschließenden Rundgang durch Amsterdam mit einem geschärften Blick für die vielen Besonderheiten am Rande. Etwa für die Verzierungen und Simse an den alten Häusern. Oder für die Geländer aus Schmiedeeisen, die nicht nur Kellerfenster und den Tritt auf vereisten Treppen sichern, sondern auch viele Hausboote, die in den gefrorenen Grachten liegen, schmücken.

Unweigerlich irritiert bei einem solchen Spaziergang durch Amsterdam immer wieder der Haschischduft die ihn ungewohnte Nase. Der legale Verkauf von Cannabisprodukten aller Art sorgt dafür, dass vor und in den unzähligen Coffeeshops gekifft wird. Es sind hauptsächlich Touristen, die sich dort eindecken. Und natürlich auch sofort rauchen.

Das Rijksmuseum widmet sich in seiner Ausstellung „The Masterpieces“ auch der Zeit, in der Amsterdam einmal so etwas wie eine Hauptstadt der Welt war. Im „Goldenen Zeitalter“ war die Stadt das Zentrum des europäischen Gewürzhandels. Nach der Übernahme der portugiesischen Kolonien in Indonesien kontrollierte die Niederländische Ostindische Kompanie den Handel mit Muskat und mit Nelken.

Amsterdam Brouwersgracht im Winter
Amsterdam Brouwersgracht im Winter

Das Schiffsmodell der „Prinz Willem“ aus dem Jahr 1651 ist mit seiner Länge von mehr als einem Meter nicht nur imposant. Es dokumentiert auch die Flotte, mit der dieser Reichtum in die Stadt kam. Er ließ dann die Kunst aufblühen, die mit Rembrandt oder Vanmeer ebenfalls in der Ausstellung präsent ist. Die stolze Architektur der hohen und schmalen Häuser an den Grachten aus dieser Zeit dominiert noch heute das Stadtbild.

Das Rijksmuseum zeigt in der kompakten Ausstellung das Zusammenwirken von wirtschaftlicher und militärischer Expansion und der Förderung der Künste ebenso wie das erstarkende Selbstbewusstsein der Handelsnation, an das noch heute vieles erinnert: die Giebel der Häuser, die dezente, aber edle Ausstattung der Kirchen oder so imposante Gebäude wie der Hauptbahnhof und das Rijksmuseum selbst.

Amsterdam befrorenes Fahrrad
Amsterdam befrorenes Fahrrad

Exotische Lokale sind in Amsterdam nicht erst in den vergangenen 30 Jahren entstanden. Indonesische Küche gibt es dort schon so lang, dass sie selbst an jeder „Frituur“, den holländischen Imbissbuden, zu bekommen ist. Zwar mussten die Niederlande sich Ende der 40er-Jahre des vorigen Jahrhunderts nach einem brutalen Krieg aus Indonesien zurückziehen. Aber das koloniale Erbe ist nicht zuletzt im bunten Gemisch der Menschen weiterhin sichtbar.

Auch das Rijksmuseum ist Ausdruck der kolonialen Größe. Nicht umsonst nennt es sich nach einem Reich, das längst vergangen ist. Nicht nur wegen der Rembrandtschen Nachtwache lohnt sich also der Besuch. Wobei auch sie vom Stolz der reichen Bürger zeugt, die ihr Geld mit dem Handel verdienten.

Die Ausstellung versäumt es übrigens nicht, den ersten Börsencrash der Welt darzustellen. 1637 platzte die Spekulationsblase auf Tulpenzwiebeln. Der Duft und die Schönheit der Blumen hatten den Preis für eine Zwiebel höher getrieben als den für ein Haus an der Amsterdamer Keizersgracht. Das konnte nicht gut gehen. Aber auch davon hat sich die Stadt zügig erholt.

Judith Joy Ross fotografiert die Gesichter der US-Kriege

Judith Joy Ross: Living with war
Judith Joy Ross: Living with war

Der Krieg und die Menschen in den USA ist das Motto der Arbeit von Judith Joy Ross. Living with war enthält ausschließlich ganzseitige Porträts in Schwarz-Weiß, in denen sich das ganze Drama des Krieges zeigt.

Begonnen hat Judith Joy Ross mss mit Fotos am Denkmal für die Vietnam-Gefallenen. Kurz nach der Einweihung hat sie Besucher gefragt, ob sie sich von ihr mit ihrer altertümlichen Großbildkamera ablichten lassen. Was sie dann auf den Film gebannt hatte, waren keine einfachen Porträts. Angesichts des Denkmals, in dem sämtliche Namen der fast 60.000 gefallenen US-Soldaten eingraviert sind, hat sie Trauer und Entsetzen über die Unfassbarkeit des kriegerischen Todes eingefangen.

1990 konzentrierte sich Ross auf Reservisten der US-Army, die sich gerade freiwillig gemeldet hatten. Aus dem Buch blicken uns Menschen an, die ihre Uniformen bekommen haben. Menschen, die verkleidet wirken. Die Mischung aus Erschrecken und Stolz, aus
Unsicherheit und Entschlossenheit offenbart die seltsame Macht, die von Uniformen ausgeht. Und das genau in dem Moment, in dem die USA im ersten Golfkrieg standen
und Saddam Hussein aus Kuwait verjagten. Während die Reservisten zu Hause in die ungewohnte Militärkleidung schlüpften, wurden die gleichen Kleidungsstücke von
aktiven Soldaten mitten in einem Krieg getragen.

In den Jahren 2006 und 2007 schließlich fängt Ross Gesichter von Menschen ein, die in den USA gegen George W. Bushs Irak-Krieg demonstrieren. Junge Männer und Frauen, gesetzte Priester und ehemalige Soldaten zeigen die Zweifel und die Enttäuschung, sich gegen die eigene Regierung, gegen die kämpfenden Soldaten im Irak stellen zu müssen. Einigen Demonstranten ist der innere Kampf anzusehen. Sie selbst haben wohl George W. Bush gewählt. Jetzt fühlen sie sich belogen. Und deshalb gehen sie auf die Straße, obwohl das wirken könnte, als fallen sie der eigenen Armee in den Rücken.

Ohne auch nur einen Toten zu zeigen, gelingt es Ross nur durch ihre eindringlichen  Porträts, die menschliche Tragweite des Krieges zu zeigen. In den Gesichtern spiegelt sich das alles. Diese Fotos lösen nur durch Betrachten beim Betrachter intensive Gefühle aus.
Und Faszination darüber, welche Kraft in vermeintlich einfachen Fotos stecken kann.

Satire von Marinus und Heartfield mit Fotomontagen

In den 20er und 30er Jahren hat sich das Bild als Propagandamittel endgültig durchgesetzt. Die Arbeiten John Heartfields sind Klassiker der Fotomontage. Das Kölner
Museum Ludwig hat ihnen die von Marinus gegenüber gestellt. Der wurde 1884 in Kopenhagen geboren. Vor dem ersten Weltkrieg setzte er sich nach Paris ab, wo er anfing, sich intensiv mit der Fotografie und mit den Möglichkeiten der Montage auseinandersetzte.

In der französischen Zeitschrift Marianne findet er das Umfeld, seine satirische Kunst ausleben zu können. Vor allem in den Jahren 1932 bis 1940 sind die Arbeiten Marinus‘ nicht aus der politischen Öffentlichkeit Frankreichs wegzudenken. Dabei hat er, anders als sein deutscher Kollege Heartfield, einen radikalen Blick auf jede Form von Unfreiheit. Stalin und der sowjetische Kommunismus sind für ihn genauso Feinde der Freiheit wie der Faschismus. Das Buch von Byskov und von Dewitz würdigt Marinus. Und es ist auch ein Überblick über die politische Fotomontage.

Gunner Byskov/Bodo von Dewitz: Marinus – Heartfield. Politische Fotomontagen der 1930er Jahre. Steidl. 39 Euro

Michael Ruetz hat die Fotos von den 68ern

Michael Ruetz: DIE UNBEQUEME ZEIT – DAS JAHRZEHNT UM 1968
Michael Ruetz: DIE UNBEQUEME ZEIT – DAS JAHRZEHNT UM 1968

Jeder, der sich für Zeitgeschichte interessiert, hat seine Fotos schon gesehen: Michael Ruetz (68). Der Steidl Verlag hat passend zum 40. Jahrestag der 68er Bewegung die großartigen Fotos von Ruetz in einem Bildband zusammengefasst.

Ob Rudi Dutschke oder Gudrun Ensslin, ob die Anti-Springer-Demos oder der Prager  Frühling, Michael Ruetz hat die politische Dimension von 1968 in Fotos gebannt, in denen die Dramatik noch heute wirkt. Zwar sind Fotos an sich ruhig und zweidimensional, doch Ruetz‘ Bilder fangen die Atmosphäre von 1968 und den folgenden Jahren ganz genau ein.
Viel besser, als manche TV-Doku. Denn beim Betrachten bleibt Zeit zum Nachdenken.

Michael Ruetz: DIE UNBEQUEME ZEIT – DAS JAHRZEHNT UM 1968. STEIDL VERLAG. 40 EURO.

 

Steidl würdigt Castros Leibfotograf Alberto Korda

Alberto Korda: A Revolutionary Lens
Alberto Korda: A Revolutionary Lens

Dieser Bildband ist monumental! Schon sein Format ist außergewöhnlich – genauso groß
wie eine 20cent-Ausgabe! Knapp 430 Seiten,
auf denen hunderte Fotos in Hochglanz
abgedruckt sind, verstärken den monumentalen
Eindruck noch; auch wegen des Gewichts!
Alberto Korda war der Leib- und Hausfotograf   der kubanischen Revolution. Sein Porträt von Che Guevera ist eines der bekanntesten Fotos überhaupt. Seine Bilder von Fidel als Maximo Lider, als Denker, als Redner, als Angler und als Mensch bestimmen die Sicht auf den
kubanischen Diktator auch heute noch.

Der Bildband mit dem Werk Kordas zeigt aber auch, wie der Meister der Schwarz-Weiß-Fotografie Mode inszeniert, wie er Paraden in Szene setzt und wie er vor allem Soldatinnen als Botschafterinnen des gesellschaftlichen Fortschritts lachend ins Bild einfängt, ist großartig – und beängstigend. Ein gutes, ein wichtiges Buch, das viel über Kuba und viel
über die Möglichkeiten der Fotografie aufzeigt.

Alberto Korda: A Revolutionary Lens. Steidl Verlag Göttingen. Gebunden. 440 Seiten. 60 Euro

Umberto Eco beschreibt die Häßlichkeit

Umberto Eco: Die Geschichte der Häßlichkeit
Umberto Eco: Die Geschichte der Häßlichkeit

Die Schönheit ist das Ideal aller Kunst. Alles Hässliche hat gegen den Wunsch nach dem vollendeten Körper, der Brust, die der Schwerkraft widerstrebt, dem klaren
Blick oder dem ebenen Gesicht, keine Chance. Allerdings gibt es ohne das Hässliche auch das Schöne nicht.

Umberto Eco (76) hat unendlich viele Bilder auf der Suche nach dem Hässlichen betrachtet. Er
durchstöberte Fotos, schaute Filme und kramte in seinem literarischen Gedächtnis, um herauszufinden,
was hässlich ist. Überraschendes Ergebnis: Es gibt mehr Hässlichkeit als Schönheit. Während sich ganz klar beschreiben lässt, was schön ist, gelingt dies
beim Gegenteil nicht so einfach.

Seinem neuen Buch Die Geschichte der Häßlichkeit ging vor drei Jahren eines über die Schönheit voraus. Doch das neue hat Eco sichtlich mehr Spaß gemacht. Hier kann er sich austoben und das Abseitige beschreiben. All seine hässlichen Figuren, die Im Namen der Rose oder in Baudolino seine Romane bevölkerten, bekommen hier Gesichter. Und zwar von den ganz großen Malern gemalt. So wird Ecos Suche für die Leser seiner Bücher auch zu einer Fundgrube seiner Stoffe.

Umberto Eco wäre nicht so erfolgreich als Wissenschaftler und vor allem als Autor, wenn er nicht so gut seine enorme Bildung mit dem Alltag seiner Leser in Beziehung setzen könnte. Er wühlt nicht nur in der Antike, in mittelalterlicher Kunst und dem Barock. Eco zieht zum Beispiel bei der Frage nach der Darstellung des Todes auch Material aus Filmen, Karikaturen und der modernen Kunst heran. So macht er seine Überlegungen auch für Normalbürger zugänglich.

Und er testet seine Thesen ganz nebenbei auf ihre Richtigkeit. Richtig faszinierend ist das Kapitel über „Das Häßliche, das Komische und das Obszöne“. Da lebt der Karneval auf, da zeigt Eco, wie die Karikatur – und damit der Comic – in die Welt kam. Und welchen Spaß
wir alle daran haben. Wie öde wäre es, würden wir uns nur mit Schönem beschäftigen. Mit E.T., Marylin Manson (38) und Punk beendet Eco dann die Reise durch die Geschichte des
Hässlichen.