Wir leben in einer Welt, in der fast alle wesentlichen Fragen von der Wissenschaft beantwortet werden können. Und dennoch gibt es noch immer Geheimnisse. Das Voynich-Manuskript ist ein solches. Ein Text mit vielen Bildern, der aus Versen in einer bislang noch nicht entzifferten Schrift besteht. Diese Buchstaben machen die Forschung nach wie vor ratlos. Und wenn die Wissenschaft nicht weiterkommt, dann hat die Kunst ihre große Chance. Astrid Dehe und Achim Engstler haben sie genutzt und einen überzeugenden historischen Roman aus diesem Stoff geschrieben.
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Das Opfer ist das erstaunliche Debüt von George Tabori
George Tabori war gerade 30 Jahre alt, als er seinen Debüt-Roman veröffentlichte. Geboren in Budapest als Jude, für den Ungarisch und Deutsch die Sprachen seiner Kindheit waren, dann als Jugendlicher in Berlin, um unter anderem im Adlon eine Ausbildung im Hotelfach zu machen, dann 1935 nach England zu seinem Bruder emigriert, war für ihn Sprache das Mittel, um zu Leben. In London konnte er als Journalist arbeiten und zwischen 1941 und 1943 dann als Auslandskorrespondent in Sophia und Istanbul. Hier sammelte er auch die Erfahrungen, die er in „Das Opfer“ verarbeitete.
Tabori nimmt die Perspektive eines Majors der Wehrmacht ein, der für den Geheimdienst arbeitet. Auf dem Balkan im Haus des Schwiegervaters ist er, als ein Engländer, der in ziviler Kleidung mit dem Fallschirm abgesprungen ist, von seinen Soldaten aufgegriffen wird. Diese beiden Männer sind der Kern, des kammerspielartigen Romanaufbaus. Ein Geheimdienstoffizier und die Frau des Majors sind die weiteren Figuren, die in den wenigen Stunden vom Nachmittag des Aufgriffs bis zum nächsten Morgen handeln. Alles andere sind Erinnerungen des Majors und des Geheimdienstmannes, der den Engländer schon lange beobachtet hat. Er vor allem erzählt dessen Geschichte.
Und die spielt an den Orten, die auch George Tabori erlebt und gekannt hat. Vor allem in Ungarn und in Istanbul. In Ungarn hat der Engländer seine große Liebe kennengelernt. Mit einem Schiff, das mit jüdischen Flüchtlingen völlig überfüllt ist, versucht sie über das Schwarze Meer zu ihm nach Istanbul zu fliehen. Aber hier darf das Schiff nicht anlegen. Die Menschen müssen an Bord bleiben, werden abgewiesen und schließlich sinkt das Schiff kurz nach der Ausfahrt aus dem Bosporus. George Tabori hat ein solches Schiff in Istanbul tatsächlich gesehen, er war sogar an Bord, sah die miserablen Zustände an Bord. Und hat in seinem Roman diese Eindrücke erdrückend beschrieben.
Auf nur 260 Seiten schildert er erstaunlich zurückhaltend all die Zwänge und Hoffnungen, in denen sich der Major, der Engländer, deren Frauen und die vielen Opfer des Krieges befinden. Dabei vermeidet er es, zu urteilen. Das überlässt er dem Leser. Und macht ihn damit zum Komplizen. Dass das weder der amerikanischen noch der englischen Kritik 1944 sonderlich gefiel, ist nachzuvollziehen. Doch das macht den Text nur noch besser. Denn Tabori hat keinen Bekenntnisroman wie etwas Anna Seghers mit ihrem „Siebten Kreuz“ geschrieben, sondern ein packendes Psychogramm, das noch dazu mit einem überraschenden Ende eine große Hoffnung zu Ausdruck bringt.
Der Steidl Verlag hat den Roman als ersten Band der Gesammelten Werke Taboris veröffentlicht.
Wie Stars gemacht werden
Jedes x-beliebige Schaufenster eines Fotografen präsentiert heute Menschen, die sich wie Stars ablichten lassen. Die Posen und Inszenierungen, auf die sowohl die Porträtierten als auch die Fotografen zurückgreifen, sind in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entstanden. Einer, dessen Bildsprache noch heute wirkt, war der Amerikaner Edward Steichen. Der Steidl-Verlag hat einen schönen Bildband aufgelegt, der das „Celebrity Design“ durch Steichen dokumentiert.
Steichen arbeitete seit 1923 als Cheffotograf des New Yorker Verlages Condé Nast, der neben „Vanity Fair“ auch die „Vogue“ verlegte. Diese Illustrierten waren in Aufmachung und Themenauswahl neu. Sie stellten Fotos in den Mittelpunkt der Publikationen. Und sie kümmerten sich um Themen, die bis dahin in Zeitschriften keine große Rolle gespielt haben. Da war die Mode, die vor allem in der „Vogue“ damals wie heute das wichtigste Thema ist. Außerdem widmeten sich beide einer neuen Gattung Prominenter, die vor allem durch den aufkommenden Film immer wichtiger wurde: die Stars und Sternchen.
Edward Steichen machte sich in dieser Zeit vor allem einen Namen mit seinen Porträts. Er experimentierte ausgiebig mit den Möglichkeiten den künstlichen und des natürlichen Lichtes. Er konzentrierte sich auf die richtige Perspektive und die Inszenierung des richtigen Augenblicks für das Drücken des Auslösers. Wichtig war ihm dabei stets, dass er den zentralen Wesenszug des Porträtierten einfing. Bei Stars entsteht so ein Image, ein Bild von seinem Wesen. Dieses Image bestimmt seine Wirkung auf das Publikum.
In seinem Studio in New York, das als eines der ersten mit Batterien von Scheinwerfern ausgestattet war, wollte Steichen dieses Image gestalten. Wie ihm dies gelang, ist in der Werkauswahl des Buches der Fotografischen Sammlung des Museums Folkwang zu sehen. Schwerpunkt des Bandes sind Porträts und Modefotografien der 1920er- und 1930er-Jahre. Winston Churchill hat Steichen für „Vanity Fair“ genauso in Pose gebracht wie Henri Matisse, Eugene O’Neill und Franklin D. Roosevelt.
Das Bild von Frank Lloyd Wright (oben rechts) gehört in diese Reihe. Es setzt den damals wohl bedeutendsten amerikanischen Architekten als leicht verschlossenen Einzelgänger in Szene. Steichen rückt ihn perspektivisch nach oben. Den Hintergrund leuchtet er aus, als ginge gerade die Sonne auf. Insgesamt erweckt er den Eindruck, als befinde sich Wright ganz weit oben. So erzeugt Steichen im Studio ein Image, das zum Planer von Wolkenkratzern hervorragend passt. Das Bild ist also alles andere als ein Schnappschuss. Es ist eine Interpretation des Wesens von Frank Lloyd Wright.
Das Porträt des Schauspielers Chester Morris (unten links) zeigt auch mehr als nur das Gesicht eines Mannes. Steichen inszeniert hier eine männliche Unwiderstehlichkeit, die Morris auf der Leinwand darstellte. Auch hier ist der Umgang mit dem Licht das noch heute Faszinierende. Es setzt die tadellose Kleidung und den bestechenden Blick des Mannes ins Zentrum. Bei Bildern wie diesen wird ersichtlich, wie stilprägend der 1879 in Luxemburg geborene und 1973 in den USA gestorbene Steichen bis heute ist.
Das liegt nicht nur an seiner Arbeit als Fotograf, sondern auch an seinem Einfluss als Art Director und Kurator für Fotografie am Museum of Modern Art in New York. In dieser Funktion gestaltete er viel beachtete Ausstellungen. Wer den Bildband durchblättert, wird immer wieder auf Bilder stoßen, die in ihrer Typologie an ganz aktuelle Fotos erinnern. Zwar dominiert heute das Bewegtbild im Fernsehen und im Internet die Imagebildung von Stars und solchen, die glauben, in Castingshows einer werden zu können. Doch auch hierbei wirken die Muster der Typisierung und Inszenierung, wie sie neben Steichen auch seine Kollegen Man Ray, Charles Sheeler und Anton Bruehl von „Vogue“ entwickelten.
Petra Steinhardt hat in ihrer Einleitung das Wirken Steichens klar herausgearbeitet. Es hilft, diesen bedeutenden Fotografen in seiner Zeit besser zu verstehen. Wobei die Bilder auch ohne viele Worte noch heute wirken. Das wollte Steichen. Und das gelingt ihm auch noch 80 bis 90 Jahre nach Entstehung der Bilder. Das zeigt ebenso das Porträt von Dana Steichen (oben links), Edward Steichens Frau, der das Museum Folkwang die Sammlung verdankt.
Edward Steichen: „Celebrity Design“, Edition Museum Folkwang, Steidl Verlag, Göttingen, 118 Seiten, 38 Euro
Texte von Erich Loest aus dem Exil uns zurück
Reden, Aufsätze und Interviews sind in Erich Loests Buch „Einmal Exil und zurück“ versammelt. In ihnen rechnet der Heimkehrer nach Leipzig mit der Ostalgie ab.
Loest, der als politischer Häftling in Bautzen einsaß und von der Bundesrepublik freigekauft wurde, stellt die Freiheit in seiner Werteskala nach ganz oben. Um so
verbitterter äußert er sich über ehemalige SED-Bonzen, willfährige Schriftsteller und jammernde Sachsen oder Brandenburger. Dabei lässt Loest reale Probleme nicht außer Acht.
Er kritisiert die Leipziger Kommunalpolitik genauso wie bundespolitische Verfehlungen.
Seine Texte sind frisch, seine Metaphern treffend und seine Haltung.
Erich Loest: EINMAL EXIL UND ZURÜCK. STEIDL, 30 EURO
Judith Joy Ross fotografiert die Gesichter der US-Kriege
Der Krieg und die Menschen in den USA ist das Motto der Arbeit von Judith Joy Ross. Living with war enthält ausschließlich ganzseitige Porträts in Schwarz-Weiß, in denen sich das ganze Drama des Krieges zeigt.
Begonnen hat Judith Joy Ross mss mit Fotos am Denkmal für die Vietnam-Gefallenen. Kurz nach der Einweihung hat sie Besucher gefragt, ob sie sich von ihr mit ihrer altertümlichen Großbildkamera ablichten lassen. Was sie dann auf den Film gebannt hatte, waren keine einfachen Porträts. Angesichts des Denkmals, in dem sämtliche Namen der fast 60.000 gefallenen US-Soldaten eingraviert sind, hat sie Trauer und Entsetzen über die Unfassbarkeit des kriegerischen Todes eingefangen.
1990 konzentrierte sich Ross auf Reservisten der US-Army, die sich gerade freiwillig gemeldet hatten. Aus dem Buch blicken uns Menschen an, die ihre Uniformen bekommen haben. Menschen, die verkleidet wirken. Die Mischung aus Erschrecken und Stolz, aus
Unsicherheit und Entschlossenheit offenbart die seltsame Macht, die von Uniformen ausgeht. Und das genau in dem Moment, in dem die USA im ersten Golfkrieg standen
und Saddam Hussein aus Kuwait verjagten. Während die Reservisten zu Hause in die ungewohnte Militärkleidung schlüpften, wurden die gleichen Kleidungsstücke von
aktiven Soldaten mitten in einem Krieg getragen.
In den Jahren 2006 und 2007 schließlich fängt Ross Gesichter von Menschen ein, die in den USA gegen George W. Bushs Irak-Krieg demonstrieren. Junge Männer und Frauen, gesetzte Priester und ehemalige Soldaten zeigen die Zweifel und die Enttäuschung, sich gegen die eigene Regierung, gegen die kämpfenden Soldaten im Irak stellen zu müssen. Einigen Demonstranten ist der innere Kampf anzusehen. Sie selbst haben wohl George W. Bush gewählt. Jetzt fühlen sie sich belogen. Und deshalb gehen sie auf die Straße, obwohl das wirken könnte, als fallen sie der eigenen Armee in den Rücken.
Ohne auch nur einen Toten zu zeigen, gelingt es Ross nur durch ihre eindringlichen Porträts, die menschliche Tragweite des Krieges zu zeigen. In den Gesichtern spiegelt sich das alles. Diese Fotos lösen nur durch Betrachten beim Betrachter intensive Gefühle aus.
Und Faszination darüber, welche Kraft in vermeintlich einfachen Fotos stecken kann.