Fundstück im Antiquariat (4): Ein Theaterzettel von 1931

Theaterzettel der Aufführung der "Großherzogin von Gerolstein" vom 21. Dezember 1931
Theaterzettel der Aufführung der „Großherzogin von Gerolstein“ vom 21. Dezember 1931

Das DinA 5-Blatt ist eher unscheinbar. Allenfalls das vergilbte Papier weckt automatisch Interesse. Der Theaterzettel vom 21. Dezember 1931 wurde bei einer Aufführung der Jacques-Offenbach-Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ in der Berliner Volksbühne verteilt. Also Unterhaltung, die ganz nett sein kann. Aber dennoch bleiben die Augen genau an ihm haften. All die anderen werden zügig durchgesehen und weggelegt. Aber an genau diesem einen stoppt das routinierte Blättern.

Der zweite Blick offenbart es dann: Da steht Walter Mehring als Übersetzer. In der Gesamtausgabe wird das nicht erwähnt. Und auch sonst ist der Ausflug in die Operette nicht so geläufig. Die nächste Überraschung schlummert im Inneren. Denn das Blatt wirkt gar nicht so, als sei es gefaltet. Ist es aber! Und auf Seite drei steht dann sogar ein kleiner Text Mehrings, den ich auch nicht kenne!

Ein echter Fund also. Ein große Freude – und wieder einmal auch verwirrend. Denn just an einem 21. Dezember gilt es jedes Jahr einen wichtigen Geburtstag in der Familie zu feiern. Von einem Familienmitglied, das auch noch in Berlin auf die Welt kam.

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Künstlerische Wagnisse in den späten Zwanzigern

Frank Castorf hat sich nach eigenem Bekunden lange nicht an Mehrings „Der Kaufmann von Berlin“ gewagt. Jetzt hat er das Stück, mit dem Erwin Piscator 1929 den größten Theaterskandal in der Weimarer Republik auf die Bühne brachte, inszeniert. Das Stück erzählt in der beginnenden Weltwirtschaftskrise von der großen Inflation des Jahres 1923. Es beleuchtet die politischen Wirrnisse nach dem Ende des Kaiserreiches. Und es zeigt, wie die Gier nach immer mehr Geld letztlich jeden Menschen korrumpiert. Ein Stoff also, der angesichts von Eurokrise und latent überwundener Weltwirtschaftskrise viele aktuelle Parallelen aufweist.

Zentral ist bei Walter Mehring, dem 1896 als Sohn eines Schriftstellers und einer Opernsängerin geborenen Juden, die Figur des Ostjuden Kaftan. Er kommt mit 100 Dollar ins von der Inflation geplagte Berlin. Da gelingt es ihm, in kürzester Zeit ein Vermögen anzuhäufen. Das tut er ursprünglich, weil er seiner kranken Tochter das Sanatorium in der Schweiz finanzieren will. Aber er verfällt einem Rausch der Gier. Dabei wird er von einem skrupellosen Rechtsanwalt beraten, der Geld für seine Verschwörung gegen die Republik benötigt. Das alles ist sehr dicht geschrieben. Bei Mehring lebt der Text vor allem von der enormen sprachlichen Vielfalt. Das gilt auch für die formalen Aspekte. Mehring hat Traumsequenzen neben Chansons und klassische Guckkastenbühne gestellt. Auf diese Weise verdichtete er die Vielfalt Berlins, der Menschen und gleichzeitigen Ereignisse in der Moderne. Leider reduziert Frank Castorf die Differenzierungen. Mit einem Dauergebrüll der Schauspieler werden die vielen Nuancen Mehrings von einem permanenten Lärmteppich erstickt. Aber Castorf nutzt auch die künstlerischen Aspekte, die ihm entgegenkommen. Natürlich setzt er Videoszenen ein. Erstaunlicher aber ist es, dass Filmelemente schon vor mehr als 80 Jahren im Text vorgesehen waren. Bei der Uraufführung realisierten Erwin Piscator und der ungarische Fotograf László Moholy-Nagy diese Ideen. Moholy-Nagy war als Dozent am Bauhaus davon fasziniert, Licht nicht nur abzubilden, sondern als Element der Kunst selbstständig zu nutzen. Das lässt sich derzeit in einer Ausstellung im Berliner Gropiusbau sehr gut nachvollziehen. Dabei fällt auf, wie Moholy-Nagy sich auf die Strukturierung des Lichts konzentrierte, um mit dessen Schein Bedeutungen zu erzeugen.

Leider zeigt die Ausstellung nichts von Moholy-Nagys Arbeiten für das Bühnenbild des „Kaufmanns von Berlin“. Dennoch lohnt sich der Besuch beider Ereignisse, um eine Vorstellung der Umwälzung der Künste in den späten 20er-Jahren zu bekommen. Wer sich dann noch die 2009 erschienene Ausgabe von Mehrings Stücks im Niemeyer-Verlag gönnt, der stößt auf einen Text, aus dem nicht nur ein vierstündiges Theaterspektakel mit Sophie Rois und Dieter Mann gemacht werden kann. Eigentlich steckt darin ein Mehrteiler fürs Fernsehen, bei dem all die optischen Versuche Moholy-Nagys sehr gut aufgehoben wären.

MOZ-Text…