Die Bibel verändert das Leben von A. J. Jacobs

A. J. Jacobs (40) nimmt wieder mal geschriebene Wörter ernst. Nach seinem Experiment mit dem Auswendiglernen der Encyclopaedia Britannica, um klug zu werden, widmet er sich in seinem neuen Buch der Bibel.

Die Idee ist wieder simpel – und dennoch grandios. A. J. Jacobs will wissen, woher die Faszination der Bibel kommt. Er, der eher atheistische Sohn aus jüdisch-bürgerlichem Haus in New York, will verstehen, warum noch heute Millionen von Menschen an Gott glauben und weshalb sie sich an die Regeln der Bibel halten. Seine erste Entdeckung ist überraschend für ihn. Die meisten, der im Alten Testament aufgestellten Regeln interessieren heute kaum noch einen Menschen. Aber dennoch versucht Jacobs, auch nach diesen Regeln zu leben. Er schneidet sich nicht mehr die Haare, er versucht, nicht mehr lüstern auf Frauen zu schauen. Und das als Redakteur von Esquire.

Angesichts der vor sexuellen Anspielungen strotzenden Werbung, ist es höchst amüsant zu lesen, wie er versucht, damit klarzukommen. Es ist also klar, dass viel komisches Potenzial in Jacobs Selbstversuch liegt. Aber zum Glück zieht er die Bibel nicht ins Lächerliche. Im Gegenteil. Je länger er sich mit ihr beschäftigt, umso größer wird sein Verständnis für die Religion. Er lässt viel Wissen über das Judentum und andere Religionen einfließen. Außerdem macht Jacobs auch deutlich, dass viele der Gebote für ein Wüstenvolk vor 2500 Jahre erlassen wurden.

Und dennoch zieht er sein Projekt ein Jahr lang durch. Er konfrontiert seine Familie, seine Kollegen und immer wieder sich selbst mit dem wortwörtlichen Sinn der Bibel. Das irritiert alle. Auch die Leser. Und es weckt Neugier auf dieses Buch der Bücher, das unser aller Leben auch heute noch immer wieder bestimmt. Egal, ob wir glauben oder nicht. So wird die Selbsterfahrung des Autors zu einer Art Pilgerweg für ihn selbst und den Leser. Ein Weg, der jedem Gott näherbringt. Was man daraus macht, ist dann wieder privat.

Jochen Arbeit lädt zum Träumen ein

Jochen Arbeit: Arbeit
Jochen Arbeit: Arbeit

Kammermusik für Rock-Instrumente könnte als  Untertitel unter Jochen Arbeits Soloalbum stehen. Der Gitarrist der Einstürzenden Neubauten (seit 1997) und früher bei „Die Haut“ hat auf seinem Album Musikstücke versammelt, die eigentlich für Film, Theater oder Werbung geschrieben wurden.

Eigentlich waren die Stücke dazu gedacht, zusammen mit ganz bestimmten Bildern gehört zu werden. Jetzt, wo die Töne nackte Musik sind, entfalten die Tracks eine eigene  Faszination. Die Bandbreite reicht von Sounds, die an Philip Glas erinnern bis hin zu elektronischen Fantasien. Wer die Augen schließt und nur einen Funken Fantasie hat, dem werden sich sehr schnell eigene Bilder vor dem inneren Auge formen.

Gerade die minimalistischen Stücke wie „Burlesque“ entfalten durch die steten  Wiederholungen der Melodienbögen diese Kraft, die Fantasie anzuregen. Ganz in der Tradition der „Einstürzenden Neubauten“ nutzt Jochen Arbeit nicht nur Instrumente.
Er erzeugt auch Klänge, die den normalen Musikbegriff erweitern. Etwa wenn im „Piece für Adidas“ aus einem Hauch langsam ein Klangbild entsteht, das die Waage zwischen  Anspannung und Ruhe hält.

Diese Rezension ist am 4. November 2008 in 20cent erschienen.

Figli Di Madre Ignota feiern im Fez Club

Diese Musik klingt wie eine Sammlung lustigster Urlaubserlebnisse. Gleich der erste Song „Spaghetti Balkan“ dreht so richtig auf. Bläsersätze wie im Balkan werden von der Mailänder „Band Figli Di Madre Ignota“ mit einem skurrilen Text kombiniert, in dem sich alles um die Bestellung eines Touristen im Ausland dreht – und das in mehreren Sprachen, oder besser Sprachfetzen.

„Fez Club“ nennt sich das Album dieser Combo. Ihr Name heißt auf Deutsch: Söhne einer unbekannten Mutter. Das ist natürlich Programm. Zumindest musikalisch weigern sich die Figli, an nur einer Mutter zu orientieren. Sie spielen mit Balkan-Beats, adaptieren Surf-Sound, rauben Klezmer-Einflüsse und mixen das alles mit Polkas und Swing-Elementen. Wer sich das nicht wirklich vorstellen kann, muss aber zumindest neugierig geworden sein. Denn die Musik ist kraftvoll, schwungvoll oder einfach nur atemberaubend.

„Fez Club“ ist das dritte Album der „Figli Di Madre Ignota“. Dass sie in Deutschland vom Label Eastblock Music vertrieben werden, ist folgerichtig. Denn sie schwimmen auf der Welle der Balkan-Beats. Aber sie würzen ihre Musik zu einem ganz eigenen Sound. Wunderbar!

Malediva gibt sich ganz ungeschminkt

Jetzt sind sie Ungeschminkt. Das Duo Malediva hat seit 1997 von Programm zu Progamm die Welt der künstlichen Figuren Tetta und Lo immer weiter in den Hintergrund gerückt. Auf der neuen Doppel-CD ist das aktuelle Programm bei einem Auftritt in Köln aufgezeichnet worden. Wieder überzeugen vor allem die wunderbaren Lieder und Chansons.

Malediva sind Tetta Müller (Gesang, Dialoge), Lo Malinke (Gesang, Dialoge, Liedtexte) und Florian Ludewig (Musik und Arrangements). Dieser dritte im Bunde des ursprünglichen Duos liefert den musikalischen Anteil. Auf Ungeschminkt geht es um das Heiraten und Zusammenleben zweier Schwuler. Auch sie kennen die Diskussionen über die Eltern des
anderen. Auch sie streiten sich über die Schrullen des Partners.

Die leichte Melancholie, die in allen Songs mitschwingt, sind eine wunderbare Mischung aus Resignation und Lust am Leben. Singen können Tetta und Lo sowieso. Musikalisch präsentieren sich die Gewinner des Deutschen Kleinkunstpreises 2006 nicht ganz so poppig. Dafür aber klar in Text und Ton. Malediva ist ein schönes Beispiel dafür, dass auf
Kleinkunstbühnen die beste Musik zu hören ist.

Andrea Camilleri schickt Commissario Montalbano in den schwarzen Sommer

Andrea Camilleri: Die schwarze Seele des Sommers
Andrea Camilleri: Die schwarze Seele des Sommers

Andrea Camilleri schickt Commissario Montalbano in einen neuen Mord, der lange zurückliegt, und in einen Kampf mit sich. Die junge Frau, deren Leiche er in einer geheimen Wohnung unter der Ferienwohnung seiner Freunde findet, hat eine Zwillingsschwester. Die ist hübsch, strahlt mit jeder Geste, mit jedem Wort Erotik aus. Und sie ist an Montalbano mit seinen 55 Jahren interessiert.

Camilleri konstruiert einen netten Fall, der ein bisschen Mafia, etwas unorthodoxe Ermittlungsmethoden und viel schrulligen Montalbano enthält. Der Commissario ist stark genug, die Schwächen der Krimi-Handlung auszugleichen. Aber dennoch wirkt der neue Camilleri, als könnte Montalbano bald in Rente gehen.

Andrea Camilleri: Die schwarze Seele des Sommers. Lübbe 19,95 EURO

Dario Fo spricht von der Welt, wie er sie sieht

Dario Fo: Die Welt, wie ich sie sehe
Dario Fo: Die Welt, wie ich sie sehe

Er ist eine der schillernsten Figuren Italiens. Seine Art, Theater zu machen, hat die Tradition der derben Comedia dell’Arte mit modernen Themen verbunden. Dario Fo – und seine Frau Franca Rame – ist immer direkt, immer politisch und immer unterhaltsam.

Jetzt hat er in vielen Gesprächen mit Giuseppina Manin seine Autobiografie gestaltet.  Natürlich im Dialog wie auf der Bühne. Das ist seine Form. Da zeigt Dario Fo seine Schlagfertigkeit. In dem Buch lernt man viel über Theater, über Italien und über einen überzeugten Linken. Dario Fo hat Kapitalismuskritik schon immer mit Witz verbunden. In „Die Welt, wie ich sie sehe“ kommt noch ein Schuss Altersweisheit dazu. Und das ganz unaufdringlich.

Dario Fo: Die Welt wie ich sie sehe. Rotbuch. 19,90 EURO

Willmann und Hauswald beobachten Ultras, Kutten und Hooligans

Harald Hauswald und Frank Willmann: Ultras Kutten Hooligans - Fußballfans in Ost-Berlin
Harald Hauswald und Frank Willmann: Ultras Kutten Hooligans – Fußballfans in Ost-Berlin

Die Fußballfans im Osten Deutschlands gelten als gewaltbereit. Harald Hauswald und  Frank Willmann haben ein verstörendes Buch über Fans in Ost-Berlin vorgelegt. Es ist eine Mischung aus Fotos und kurzen Texten. Und es ist ein Buch über Fans im Allgemeinen, ganz ohne Ostalgie.

Harald Hauswald hat 20 Jahre lang Fans von Union Berlin und vom BFC Dynamo mit der Kamera begleitet. Er hat die Triumphe aber auch die bitteren Momente eingefangen. Aber immer nur mit dem Objektiv auf die Fans, nie auf die Spieler. Zu sehen sind Auswärtsfahrten und die Aktionen in der heimischen Kurve. Zu sehen ist aber auch immer wieder der Moment, in dem Gewalt wirkt. Entweder als Aktion der Fans oder durch die begleitende Polizei.

Frank Willmann liefert die Texte dazu. Er schreibt seit etlichen Jahren über Fußball in Ostberlin. In dem großformatigen Buch folgen sehr subjektive Spielberichte auf die Fotostrecken. Die subjektive Sicht auf den Fußball, das Gefühl, in der Menge der Gleichgesinnten aufgehen zu können, der Druck, der sich in Aggression auslebt und
die Rolle des Alkohols werden geschildert. So entsteht ein schillerndes Gefühl von dem, was für Ultras wichtig ist, was sie ausmacht.

Das ist nicht immer schön zu lesen. Vor allem der Text „Spiele der Gewalt“ von Jochen Elis
Schramm hat es in sich. Er schilderteine Reise von Fans des BFC Dynamo zum Auswärtsspiel nach Erfurt. Schramm ist ein Hooligan. Für ihn ist es ein Vergnügen zu
schlagen. Es geht ihm um den Kampf, darum, anderen Fans den Schal zu entreißen, sich mit ihnen zu prügeln. Da wird im Zug gesoffen und zugeschlagen, da wird auf dem Umsteigebahnhof Leipzig die Gewalt gesucht. Das ist alles richtig abstoßend. Aber es ist auch ergreifend. Nicht nur, weil diese Gewaltorgie in der DDR geschieht, unter den Augen der Volkspolizei.

In dem Text schwingt eine Kraft mit, die fasziniert – und ekelt. Willmann und Hauswald schildern die Fans, das Fan-Dasein. Das ist ihnen hervorragend gelungen. Auf den wenigen Seiten kann man mehr über die Probleme in den Stadien lernen als in vielen theoretischen
Büchern. Die Ultras werden nicht diffamiert, aber auch nicht gefeiert. Sie kommen einfach
zu Wort und wirken für sich selbst.

Harald Hauswald und Frank Willmann: Ultras Kutten Hooligans – Fußballfans in Ost-Berlin, Jaron Verlag, 14,90 Euro.

Andrea Camilleri

Andrea Camilleri schickt Commissario Montalbano in einen neuen Mord, der lange zurückliegt, und in einen Kampf mit sich. Die junge Frau, deren Leiche er in einer geheimen Wohnung unter der Ferienwohnung seiner Freunde findet, hat eine Zwillingsschwester. Die ist hübsch, strahlt mit jeder Geste, mit jedem Wort Erotik aus. Und sie ist an Montalbano mit seinen 55 Jahren interessiert.

Camilleri konstruiert einen netten Fall, der ein bisschen Mafia, etwas unorthodoxe Ermittlungsmethoden und viel schrulligen Montalbano enthält. Der Commissario ist stark genug, die Schwächen der Krimi-Handlung auszugleichen. Aber dennoch wirkt der neue Camilleri, als könnte Montalbano bald in Rente gehen.

Andrea Camilleri: DIE SCHWARZE SEELE DES SOMMERS. LÜBBE. 19,95 EURO

Metallica gönnt sich Längen auf Death Magnetic

Metallica: Death Magnetic
Metallica: Death Magnetic

Am schönsten an der neuen Metallica-
CD ist die konsequente Missachtung normierter Song-Längen. Von wegen drei Minuten passend fürs Radio. Metallica
treibt mit Schlagzeug und Bass die Dauer der Stücke immer weiter und immer neuen Höhepunkten zu.

Musikalisch ist Death Magnetic eine
Verbindung der besten Metallica-Zeit in den späten 80ern, frühen 90ern mit dem Heute. Produzenten-Legende Rick Rubin hat James Hetfield und Co. neues Leben eingehaucht. Harter Rock wird auf dem neuen Album zur spielerischen Auseinandersetzung mit dem Tod, dem harte Riffs immer ein Schnippchen schlagen. Von wegen magnetischer Tod! Magnetisch ist nur die Sogkraft dieses starken Albums, in dem man aufgehen kann.

Element of Crime wundert sich über die Liebe

Offensichtlich sind gerade Sven-Regner-Festwochen. Sein neues Buch, Der kleine Bruder, ist herausgekommen
und hat eingeschlagen wie eine Bombe. Und dann ist da noch eine CD ganz frisch auf dem Markt: Robert Zimmermann
wundert sich über die Liebe. Das ist das Album zum aktuellen Film von Regisseur Leander Haußmann.
Sven Regener und seine Element of Crime haben dazu die meisten Stücke beigesteuert. Und so ist die CD ein halbes neues
Element-Album mit etwas Russendisco von Vladimir Vissotski und je einem Stück von Lexy & K. Paul, Amos, Donovan und Ed Csupkay. Aber am stärksten sind Regener und Freunde. Text und Musik knüpfen nahtlos an das letzte Album, Mittelpunkt der Welt, an. Die Melancholie, getragen von leichten Trompetenklängen, durchzieht die Songs. Sie fängt das Leben so ein,
wie es ist: In den einfachen Dingen oft so unendlich schwer und dennoch immer wieder heiter. Genau darin ist Element of Crime so meisterhaft. Im Kontrast mit Lexy & K. Paul oder Amos wird das richtig deutlich. Denn die stören auf dieser ansonsten wunderbaren
CD.