Nina Hagen erinnert beim Brecht-Abend an den Terror in Paris

Blau-weiß-rot ist der Kopfschmuck, den Nina Hagen am Abend des 18. November auf der Bühne des Berliner Ensembles trägt. Fünf Tage nach dem Terrorabend in Paris zeigt sie so ihre Solidarität. Vor allem aber merkt man ihr an, wie sie vor allem der Massenmord im Bataclan mitgenommen hat – und noch immer mitnimmt. Denn sie selbst ist mit ihrer Band nur fünf Tage vorher auf der Bühne gestanden, auf der am 13. November die Eagles of Death Matel erleben mussten, wie ihr Publikum von Islamisten mit automatischen Waffen niedergemäht wurde.

Nina Hagen setzt diesem Terror Liebe entgegen. Zu Beginn ihres Auftritts liest sie aus einem Buch von Martin Luther King. Während des gesamten Gigs kommt sie immer wieder darauf zurück, dass nur die Liebe gegen den Terror ankomme. Das ist ihr fester Glaube. Sie scheut sich nicht ihr Vertrauen in ihren christlichen Glauben auf der Bühne, auf der der große Atheist Bert Brecht irgendwie immer präsent ist, zu betonen. Auch wenn sie vor allem in der zweiten Hälfte ab und an den Faden verliert, ihre Kraft, ihr Glauben und ihre Mission faszinieren dennoch.

Im Wesentlichen ist der 1. Teil des Abends von Liedern Bert Brechts dominiert. Im 2. überwiegen Songs, die sie auf ihrem Album „Personal Jesus“ veröffentlicht hat. Country, Rock’n’Roll und Folk dominieren. Und dennoch klingen sowohl die Lieder Brechts, als auch jene wie aus einer Tradition, die sich in Nina Hagen bündelt. Ihrer Stimme ist die Aufmerksamkeit des fast ausverkauften Theaters immer gewiss. Selbst die reduzierte Band, die an diesem Abend nur aus einem Gitarristen und einem Bassisten – der Mann am Klavier wurde just an diesem Abend vom ZDF für die Show Jan Böhmermanns abgeworben – besteht, sorgt für einen angenehmen Sound, der immer im Dienst der Stimme Nina Hagens steht.

Der Besuch des BEs an diesem Abend war im Vorfeld von einer frohen Stimmung leichten Misstrauens geprägt. Aber das hatte Nina Hagen nicht verdient. Der Abend hatte etwas von Wundertüte. Aber im besten Sinne. Denn die Überraschungen waren nachhaltig.

Französische Revolutionslieder in der Übersetzung Mehrings

Walter Mehring war nicht nur Dramatiker, Romancier, Lyriker und Journalist. Er hat auch immer wieder übersetzt. Dabei scheute er auch Namen wie Balzac oder Shakespeare nicht. Sein außergewöhnliches Sprachempfinden, sein enormer Wortschaftz und die Fähigkeit selbst die schwierigsten Stoffe in Rhythmen zum Schwingen zu bringen, ermöglichten ihm bemerkenswerte Übersetzungen.

Ein kleiner Band von 1924 mit nicht einmal 65 Seiten ist eines der so entstandenen Bücher. “Französische Revolutionslieder” ist Band 1 der Malik-Bücherei des gleichnamigen Verlages von Wieland Herzfelde, dem Bruder John Heartfields. Die alten DADA-Kontakte führten wohl zu diesem Auftrag, dem Mehring gern nachkam. Jean Pottier und L.B. Clément heißen die Autoren der Chansons aus der Zeit der Pariser Kommune, denen Mehring seine Sprachgewalt borgte. Dabei erhielt er das Versmaß vollständig.

Diese Übersetzung ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen bezieht sich Walter Mehring im Vorwort explizit auf seinen Vater Sigmar Mehring. Ja er übernimmt sogar vier Übersetzungen von ihm. Meines Wissens nach ist dies das einzige Mal, dass er sich so offensiv zu seinem Vater bekennt – außer in der “Verlorenen Bibliothek”. Zum anderen ordnet sich Mehring mit der Publikation und der Übersetzung der frühkommunistischen Chansons in die Tradition des Kommunismus ein. “Pottier wollte in Dichtung und Tat nur eins: Propaganda der kommunistischen Freiheitsidee!” schreibt er im Vorwort (S. 8). Und übernimmt damit diese Position.

Später wird er sich immer wieder stark von den Kommunisten distanzieren. Aber 1924, dem Jahr des Erscheinens, war in Deutschland noch nicht ausgemacht, ob die KP eine Freiheitspartei werden könnte oder eine, die Freiheit mit Füßen tritt. Der kraftvollen Übersetzung tut das keinen Abbruch.

Wolf Zucker sieht Mehrings Lyrik ganz anders als Walter Benjamin

In der “Literarischen Welt” entdeckt Wolf Zucker in “Die Gedichte Lieder und Chansons des Walter Mehring” das wirklich Besondere. Anders als Walter Benjamin, konzentriert sich Zucker auf die Wirkung und die große Bandbreite der Tonalität in Mehrings Lyrik. Dieser unideologische Blick ist denn auch mehr als 80 Jahre nach entstehen des Textes erhellend:

Walter Mehring gehört zu jenen Autoren, deren Wirkung viel weiter geht, als sie selber ahnen. Ohne daß sein Name genannt wird, sind seine Chansons weit über den engen Kreis der Literaturfreunde hinaus bekannt. Es gibt kein schöneres Lob für seine Gassenhauer, als daß sie wirklich in Kneipen bruchstückhaft gesungen werden. Dabei sind die Chansons, Legenden und Balladen mit einer so raffinierten Klugheit und Beherrschung aller sprachlichen Register geschrieben, daß sie oft naturgewachsene Wunderwerke an Ausdrucksfähigkeit zu sein scheinen.

Der gesamte Text steht im Walter-Mehring-Blog… 

Mehring steuerte Lieder zum Film “Ein Mädel von der Reeperbahn” bei

1930 ist der Film “Ein Mädel von der Reeperbahn” von Karl Anton als deutsch-tscheslowakische Koproduktion erschienen. Walter Mehring hat dazu Lider beigesteuert. Auf dem Filmportal wird der Inhalt beschrieben:

“Der Leuchtturmwärter Uwe Bull lebt mit seiner Frau Hanne und dem stummen Gehilfen Jens in einer abgeschiedenen, kleinen Welt. Erotisches Knistern kommt in diese Welt, als eines Tages als einzige Überlebende eines Schiffsunglücks Margot angespült wird, ein flottes Mädel von der Reeperbahn. Uwe verfällt dem kecken Mädel bald mit Leib und Seele, und nach einem Streit zwischen Margot und Hanne will er seine Frau verlassen und eilt Margot hinterher. Aber dunkle Wolken ziehen am Himmel auf, und da Uwe sich nicht um den Leuchtturm kümmert, gerät ein Schiff in Gefahr. Hanne will hinauf zum Scheinwerfer, stürzt aber vom Geländer und bleibt an einem Balken hängen, der langsam nachgibt. Da erkennt Uwe die Gefahr, eilt zurück, rettet seine Frau und bleibt von nun an bei ihr.”

Unter anderem ist in dem Film “Der Seemannschoral” zu hören:

Wir haben die ganze Welt gesehn
— Die Welt war überall rund! –
Um alle paar Monat vor Anker zu gehn
Bei einem Mädchenmund!
Wir sahn eine Mutter in schneeigem Haar
— Die verkuppelte uns ihr Jöhr
Wir fraßen pfundweis den Kaviar
Direkt an der Quelle vom Stör!

Wir sahen Seeanemonen und Qualln,
Die schmückten Gebein und Gewand
Eines Matrosen, der war gefalln
Für irgendein Vaterland.
— Die Welt ist rund und klein!
Was kann sie dem Seemann noch sein?
In Hamburg an der Elbe
Gleich hinter dem Ozean
Ein Mädchen von Sankt Pauli
Von Sankt Pauli und von der Reeperbahn
Ein Mädchen, das bei Tag und bei Nacht
Bei jedem Kuß an uns nur gedacht
Ein Mädchen von Sankt Pauli
und von der Reeperbahn.

Der ganze Seemannschoral steht im Walter-Mehring-Blog… 

Max Herrmann-Neiße blickt 1925 auf neue Kabarettdichtung

Neuere deutsche Kabarettdichtung

Lange fehlten in Deutschland jene Dichter des packenden, urwüchsigen, aktuellen Schlagers, die in Frankreich die Entwicklung des Kabaretts zu einem eignen vollwertigen Kunstzweige früh gefördert hatten, gab es gar keine Schriftsteller, die spezifisch dahin begabt waren, ein Ereignis sofort rücksichtslos zu entblößen und unterm amüsanten Pfeilregen des Witzes zu begraben. Gab es keine Künstler, denen jene leichte Musikalität im Blute liegt, die im einprägsamen Rhythmus und mit dem volkstümlichen Gedächtnisanhalt des Refrains gleichsam spontan Empfindung und Meinung sich äußern läßt. Gab es auch keine abseitigen, untergründigen Urwuchspoeten, Bänkelsangdichter voll Dämonie und satzungsferner Doppelbödigkeit.

Die Textlieferanten der ersten deutschen Überbrettlära waren lyrische Limonadenfabrikanten (Ernst von Wolzogen, Bierbaum), platte Bonmotdrechsler und Bonhomiesatiriker (Pserhofer, Rideamus). Und die Dichter, die damals zufällig im Rahmen dieser Kabaretts auftraten, schrieben nicht fürs Kabarett und schrieben nicht so, daß ihre Werke irgend eine Möglichkeit gehabt hätten, vom Kabarett aus zu wirken. Von wirklichen
Künstlern gemachtes, Kabarett, das eine Welt für sich darstellte, war erst das der »Elf Scharfrichter« mit den Dichtern Wedekind, Lautensack. Leo Greiner, Gumppenberg, Ludwig Scharf. Dann gab es in den drei, vier Jahren, die dem Weltkrieg vorausgingen, eine Dichtung, die zwar nicht direkt fürs Kabarett gemacht war, aber ihrer Struktur nach einem wirklich künstlerischen und selbständigen Kabarett geeignetes Material zu bieten hätte. Die impressionistisch-naturalistische Literaturepoche hatte es in ihrem Ausgang zur Groteske gezogen: nach der Erringung eines hohen formalen Niveaus führte man akrobatische Wagestücke und verblüffende Fingerfertigkeiten vor, hielt Berlins Großstadtsensationen in grotesk frisierter Verklärung lyrisch fest. Die Reihe der Dichterexzentriks war groß und mannigfaltig, Scheerbart, Meyrink, Mynona waren ebenso darin wie Hardekopf, van Hoddis, Lichtenstein, Blass, Hugo Kersten und das Autorenterzett der »Kriminalsonette«. Die Schwindelatmosphäre des Kriegs- und Nachkriegsbetriebs nimmt die deutsche Abart des Dadaismus dann einfach als Technik auf, erbarmungslos, exakt, mit nötiger Kaltschnäuzigkeit, marschartigem Draufloshämmern, marktschreierischer Inseratenstrophe, marionettenhafte Geschäftigkeit, betreibt die Tollheit als Gewerbe und schafft so auch für ein selbstherrliches Kunstkabarett bizarre, klischeefeindliche Vorlagen in Gedichten von George Grosz, Richard Huelsenbeck, Hans Arp, Kurt Schwitters.

Der ganze Text steht im Walter-Mehring-Blog…

Kurt Tucholsky lobt Mehrings frühe Gedichte

DAS NEUE LIED

Wir sind kein liedersingendes Volk, und aus dem schauerlichen Gemisch von gestorbenen Wandervogelliedern und künstlich gemachten Operettenschlagern ragt nichts hervor, was dieses Volkes Seele erfüllte. Wenn dem Deutschen so recht wohl ums Herz ist, dann singt er nicht. Dann spielt er Skat.

Eine ganze Industrie befaßt sich mit der Herstellung von Amüsierungs-Erzeugnissen – aber wie tot ist das alles!

Der ganze Brief steht unter walter-mehring.info:

 

Malediva gibt sich ganz ungeschminkt

Jetzt sind sie Ungeschminkt. Das Duo Malediva hat seit 1997 von Programm zu Progamm die Welt der künstlichen Figuren Tetta und Lo immer weiter in den Hintergrund gerückt. Auf der neuen Doppel-CD ist das aktuelle Programm bei einem Auftritt in Köln aufgezeichnet worden. Wieder überzeugen vor allem die wunderbaren Lieder und Chansons.

Malediva sind Tetta Müller (Gesang, Dialoge), Lo Malinke (Gesang, Dialoge, Liedtexte) und Florian Ludewig (Musik und Arrangements). Dieser dritte im Bunde des ursprünglichen Duos liefert den musikalischen Anteil. Auf Ungeschminkt geht es um das Heiraten und Zusammenleben zweier Schwuler. Auch sie kennen die Diskussionen über die Eltern des
anderen. Auch sie streiten sich über die Schrullen des Partners.

Die leichte Melancholie, die in allen Songs mitschwingt, sind eine wunderbare Mischung aus Resignation und Lust am Leben. Singen können Tetta und Lo sowieso. Musikalisch präsentieren sich die Gewinner des Deutschen Kleinkunstpreises 2006 nicht ganz so poppig. Dafür aber klar in Text und Ton. Malediva ist ein schönes Beispiel dafür, dass auf
Kleinkunstbühnen die beste Musik zu hören ist.

Thomas Pigor besingt Adolf, die alte Nazi-Sau

Der Comic „Der Bonker“ von Walter Moers (49) macht vor seinem Erscheinen  Schlagzeilen. Schuld sind Song und Video „Adolf, die Nazisau – Ich hock in meinem Bonker“. Aber was heißt hier schuld? Das Wort wäre ja nur sinnvoll, wenn das gute
Stück eine Verfehlung wäre. Doch genau das ist es nicht.

Moers hat sich für den Song einen der besten deutschen Kabarett-Texter geholt: Thomas Pigor. Seine Shows zusammen mit Benedikt Eichhorn sind das Witzigste und Musikalischste, was auf deutschen Kabarettbühnen zu hören ist. Ganz groß ist etwa das Stück „Historische Vergleiche“. In ihm heisst es: „Heiliger Ralph Giordano,
heiliger Wolfgang Thierse, heilige Antje Vollmer, bitte regt euch nicht auf und nehmt unsere Zerknirschung ernst.“

Wer das im Hinterkopf hat, kann den Reggae „Adolf, die Nazisau“ noch intensiver  genießen. Satire darf ja alles. Also auch den Massenmörder Hitler als senilen Deppen darstellen, dem sein Spielzeug weggenommen wurde. Moers und Pigor schaffen
es, Hitler, seinen Krieg und seine Ideologie als peinlich darzustellen. Also so dämlich, dass man über ihn lachen muss. Das befreit und macht den Kopf für den Kampf gegen alle gegenwärtigen Nazisäue frei.