Brandenburg ist kulturell gespalten

Ein Kommentar

Die Wahlergebnisse in Brandenburg sind einschneidend. Die AfD triumphiert, die Grünen legen kräftig zu – und die drei Parteien, die im Land seit 1990 regiert haben, verlieren massiv. Und das in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit auf Rekordtief ist, die Haushaltseinkommen steigen, die Kriminalität sinkt und die Renten im Osten überproportional gestiegen sind.  Aber für solche Erfolge werden Regierungsparteien offenbar nicht mehr belohnt.

Anzeigen-Fundstücke (2) – Steinkohle

Anzeige für die Deutsche Steinkohle in der "Bild" vom 20. April 1967
Anzeige für die Deutsche Steinkohle in der „Bild“ vom 20. April 1967

1967 war es die Steinkohle, ohne die sich niemand vorstellen konnte, dass es genügend Energie für den Wohlstand geben könnte. 2012 glaubt Brandenburgs Landesregierung plus CDU- und FDP-Opposition noch immer, dass die Braunkohle Basis für den Wohlstand in der Lausitz sei. Damals wie heute hat das für die Vergangenheit gestimmt. Den deutschen Steinkohle-Bergbau gibt es nicht mehr. Er ist genauso Geschichte wie diese Anzeige. Die Braunkohle wird folgen. Und zwar schneller, als viele glauben. Nur Energie, die keine Brennstoffkosten verursacht, hat Zukunft. Und das sind Sonne, Wind und Co.

Mal schauen, wann Braunkohle-Anzeigen nur noch Geschichte sind?

Mehr Anzeigen-Fundstücke:
(1) – Mitfahren anno 1820
(3) – Lebensmittelpreise 1933
(4) – Ventilator für Dicke

Online-Nutzer, Opposition und FDP stoppen Internetsperren

Fast unbeachtet hat der Bundestag mit überwältigender Mehrheit eines der großen Streitthemen der vergangenen beiden Jahre beerdigt. Statt Internetsperren gegen Kinderpornografie zu errichten, werden jetzt entsprechende Seiten, Fotos und Videos gelöscht. Und damit dauerhaft vernichtet.

Mehr als 130 000 Bürger beteiligten sich an einer Online-Petition gegen das Gesetz der schwarz-roten Koalition aus dem Jahr 2009. Zeitweise war der Hashtag #zensursula der am häufigsten verwendete auf Twitter. „Zensursula“ wurde in der Netzgemeinde Ursula von der Leyen (CDU) genannt, auf deren Initiative das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz zurückging. Das Kunstwort aus dem Begriff Zensur und dem Vornamen der damaligen Familienministerin brachte das Angriffsziel und den Grund der Aufregung auf den Punkt.

Ziel der Kritik war nie die Bekämpfung der Kinderpornografie an sich, sondern deren Mittel. Wer aufwendige technische Internetsperren aufbaut, kann in Versuchung geraten, diese auch in anderen Bereichen anzuwenden. Ob die Technik gegen Kinderpornos oder politisch unliebsame Webseiten verwendet wird, ist der Technik egal. Angesichts der Erfahrungen mit den Antiterrorgesetzen war diese prinzipielle Furcht berechtigt.

Dass in Zukunft nur noch auf das Löschen von strafrechtlich relevanten Inhalten gesetzt wird, ist ein Erfolg des Online-Protestes, der auch zum Straßenprotest wurde, der Opposition und der FDP. Deren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger arbeitete beharrlich am Ende der Internetsperren. Erst mit einer Aussetzung des Gesetzes und jetzt mit der endgültigen Beerdigung.

Zum Umdenken von CDU und CSU haben neben den praktischen Erfolgen beim Löschen von Webseiten auch die Erfolge der Piratenpartei beigetragen. Internetthemen werden inzwischen nicht nur als Angst-Themen diskutiert, sondern sachlich. In den Köpfen der Bundestagspolitiker ist angekommen, dass mit falschem oder oberflächlichem Gerede über das Netz Mehrheiten verspielt werden können. Das will seit dem Berliner Triumph keiner mehr riskieren.

Insofern steht die sachlich richtige Entscheidung des Bundestags vom Donnerstagabend hoffentlich auch für eine generell neue Kultur im Umgang mit dem Netz. Es lauern Gefahren in ihm. Aber auch enorme Chancen. Diese zu erkennen und zu fördern ist die vornehme Aufgabe der Politik. Dazu ist technisches Wissen nötig. Vor allem aber auch reflektierte Erfahrung in der täglichen Nutzung.

Dieser Kommentar ist am 3. Dezember 2011 in der Märkischen Oderzeitung erschienen…

SPD in der Zwickmühle

Für die SPD ist das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt ein schwerer Schlag. Auf der einen Seite könnte sie mit den Linken die CDU in die Opposition drücken. Auf der anderen würde sie dafür sorgen, dass erstmals ein Linker zum Ministerpräsidenten gewählt wird.

Zwar hat der sachsen-anhaltinische Spitzenkandidat Bullerjahn versprochen, nicht Juniorpartner der Linken werden zu wollen. Doch angesichts der starken strukturellen Mehrheit mit Linken, SPD und den Wahlsiegern von den Grünen wäre es schon ein Treppenwitz, wenn die Union weiter fest im Sattel sitzt. Da die FDP mit Wucht vom Wähler aus den Landtag gejagt wurde, ist das bürgerliche Lager auf ein gutes Drittel der Mandate geschrumpft.

In Baden-Württemberg blüht der SPD am Sonntag das gleiche Dilemma. Da könnten die Sozialdemokraten zum Mehrheitsbeschaffer eines grünen Ministerpräsidenten werden. Für Parteichef Gabriel stellt sich also die strategische Frage, ob die SPD für neue Mehrheitsverhältnisse sorgen oder der CDU Ministerpräsidenten sichern will. Egal wie sich die SPD entscheidet, fest steht, dass sie ihre Rolle neu definieren 
muss.

MOZ-Kommentar…

Großes Ärgernis

Die große Koalition war der Traum vieler Deutscher vor der Wahl im verganganen September. Zwei große Parteien könnten alle großen Probleme lösen, ohne sich ständig zu blockieren. Und jetzt das: Die große Koalition legt einen Haushalt vor, der nur im Schuldenmachen und Steuern-Erhöhen groß ist.

Ansonsten ist er ein gewaltiges Ärgernis kleingeistiger Politik. Wer völlig zurecht seine Schulden reduzieren will, der muss die Ausgaben senken. Doch genau das geschieht nicht. Beim Subventionsabbau sind SPD und CDU weit hinter den Vorschlägen der damaligen Ministerpräsidenten Steinbrück (SPD) und Koch (CDU) vor drei Jahren zurückgeblieben. Ja sie satteln sogar noch drauf. Etwa bei der extra Kinderwurf-Prämie namens Elterngeld.

Diese Koalition ist zurzeit nur im Verschenken von Steuerzahlers Geld groß. Und im Produzieren von Verdruss.

Weniger Freiheit

Jörg Schönbohm will das Brandenburgische Polizeigesetz verschärfen. Natürlich würde sein Ministerium nie von Verschärfung sprechen. Bei der CDU ist lediglich von Anpassung an technische Möglichkeiten die Rede.

Doch gerade bei Polizei und Geheimdiensten gilt: Nicht alles, was möglich ist, darf auch angewendet werden. Die Polizei ist vor allem dazu da, die Freiheit der Bürger zu sichern. Nur auf diesem Weg lässt sich Sicherheit organisieren. Der umgekehrte Weg führt zwangsläufig zu weniger Freiheit.

Ohne Anfangsverdacht Handys zu orten, ist ein solcher Verlust an Freiheit. Es geht den Staat nichts an, wo sich seine Bürger aufhalten. Nur weil sie ein Handy besitzen, heißt das noch lange nicht, dass diese Selbstverständlichkeit abgeschafft werden darf. Hoffentlich hat Schöhnbohms Koalitionspartner SPD den Mut, ihn auszubremsen.

Logisch, dass die große Koalition streitet

Im Land wird die Stimmung immer besser, die Konjunktur zieht an und die Verbraucher geben ihre gesparten Euros aus. Und was macht die Koalition? Sie fängt an, die zu prügeln!

Was wie ein Widerspruch klingt, ist jedoch logisch. Denn nach den ersten Monaten Freude am Regieren fällt den Partnern auf, dass sie eigentlich politische Gegner sind. Die Forderung der SPD, dass die CDU-Ministerpräsidenten mit den ständigen Querschlägen aufhören sollen, ist berechtigt. Doch das wird die Union nicht interessieren. Denn Koch, Rüttgers oder Stoiber können den Wählern signalisieren: Würden wir ohne SPD regieren, dann wäre alles anders, alles besser.

Dagegen gibt es für die SPD nur ein Mittel: Bei der Föderalismusreform kann die Bundestagsfraktion ihre Zustimmung etwa beim Thema Bildung verweigern. Das würde die CDU-Minsterpräsidenten schmerzen. Und so die Disziplin fördern.

Helmut Kohl lässt nur Otto von Bismarck neben sich gelten

Ganz ruhig spricht Helmut Kohl. Ganz gelassen blickt er auf seine ganze Bedeutung als Bundeskanzler zurück. Und ganz sicher ist er sich, dass er weder von seinem Noch-Nachfolger Gerhard Schröder noch von der eventuell künftigen Kanzlerin Angela Merkel etwas zu befürchten hat. Helmut Kohl überstrahlt sie alle – und daran wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern.

Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 - 1990
Helmut Kohl: Erinnerungen 1982 – 1990

Damit das auch ganz sicher so bleibt, orientiert er sich an dem einzigen deutschen Kanzler,
den er neben sich gelten lässt: an Otto von Bismarck. Der hat seine „Gedanken und Erinnerungen“ auch in drei Bänden herausgebracht. Genau so, wie es auch Helmut
Kohl vorschwebt. Im Berliner Hotel Hilton stellte er gestern den zweiten Band seiner Memoiren vor. Die Gedanken schenkt er sich.

Passender hätte der Zeitpunkt nicht sein können. Der Saal ist voll. Die internationale und die nationale Presse will sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen. Alle wollen hören, wie er die Gegenwart sieht. Doch das Buch handelt von der Vergangenheit. Die ersten acht Jahre seiner Kanzlerschaft hat Helmut Kohl auf 1000 Seiten beschrieben. Und doch steckt in diesem zweiten Band mehr Regierungserfahrung, als sie der noch amtierende Kanzler Gerhard Schröder vorweisen kann. Der schaffte es nur auf sieben – Helmut Kohl auf 16 Jahre an der Spitze der Bundesrepublik.

Aber Schröder hat Kohl offensichtlich schwer getroffen. Nicht nur, dass er es schaffte, ihn
1998 abzulösen. Nein, Schröder kritisierte Kohl noch im letzten Wahlkampf. „Wer die Reden des Bundeskanzlers Schröder im Wahlkampf gehört hat, wird sich schon wundern“, hebt der Altkanzler an. Von wegen 16 Jahre Stillstand, empört er sich über die Aussagen des Sozialdemokraten. Die anwesenden Journalisten bekommen eine kurze  Misserfolgsbilanz von Rot-Grün präsentiert. Ob Arbeitslosenzahlen, Verschuldung  oder Bruttoinlandsprodukt – seine Zahlen klingen besser. Obwohl sie gar nicht Thema des Buches sind, das er vorstellt, kann er es sich nicht verkneifen, mit diesem aktuellen Abschweifer seine Größe zu betonen.

Ansonsten ist Helmut Kohl ganz der souveräne Beobachter. Alles, was nichts mit ihm
und seiner Regierungsbilanz zu tun hat, lässt sich locker kommentieren. Natürlich erst nach ein bisschen Koketterie: „Ich bin hierher gekommen, um über mein Buch zu sprechen
und nicht über mein Verhältnis zu Frau Merkel.“ Grinsend antwortet er auf die Frage nach
seinem Umgang mit der CDUVorsitzenden. Da rutscht sogar die Zunge ganz spitz an die
Oberlippe. Ein echter Genießer, dieser Dr. Helmut Kohl. Vor allem dann, wenn er die
Akteure der Gegenwart noch immer überstrahlt.

Die Frage nach seiner Sicht auf Edmund Stoiber ist ihm ein besonderes Vergnügen. Auf
den 1000 Seiten wird der damalige CSU-Generalsekretär gerade ein einziges Mal erwähnt.
„Edmund Stoiber war immer ein gewaltiger bayerischer Politiker“, sagt Kohl über den Mann, den es statt nach Berlin nun doch wieder in die bayerische Landeshauptstadt zieht. „Aber nicht so gewaltig, dass ich mich in den Memoiren mit ihm beschäftigen müsste.“ Und weil es ihm so viel Spaß macht, legt er noch nach: „Er war immer so eng an Strauß, dass man gar nicht an ihn herankommt.“

Die Probleme bei der derzeitigen Regierungsbildung kann Kohl verstehen. In seinem Buch würden sich Parallelen zu seiner ersten Koalition 1982 finden. Und außerdem seien Politiker doch auch nur Menschen. „Versuchen sie mal die Fusion von zwei Fußballvereinen.
Das ist schon hundertfach gescheitert. Oder die Fusion von zwei Firmen. Da heißt es dann, dass die Unternehmenskultur das Problem ist. Aber das ist nur ein Spruch.“ Egal, ob Fußballvereine, Firmen oder Koalitionen: „In dem einen Fall besiegt die eine Mannschaft
die andere. Im anderen Fall ist es umgekehrt.“

Im Hilton ist klar, wer früher immer der Sieger war. Helmut Kohl hatte die Akteure im
Griff. Sein wichtigstes Mittel dazu: Vertrauen und Freundschaft. Die pflegte er mit dem
Franzosen François Mitterand, dem Spanier Felipe Gonzalez, dem Russen Michail Gorbatschow und dem Amerikaner George Bush. Für die Regierungsbildung heißt das, dass
sich die Akteure erst einmal vertrauen müssen. „Der deutsche Wähler hat so entschieden.
Jetzt muss der deutsche Wähler hinnehmen, dass es schwierig ist.“ Wenn Parteien gegeneinander gekämpft haben, dauert es eben, bis diese „gewaltigen Organisationen“
einen neuen Weg gehen.

Echtes Mitgefühl entwickelt Kohl mit Franz Müntefering. Auch wenn er sich erst einmal bremst: „Ich bin kein Freund des SPD-Vorsitzenden. Wie käme ich dazu.“ Aber das, was die SPD mit ihm gemacht habe, rechtfertige seinen Rücktritt. „Er macht die ganz Arbeit, geht dann in seinen Vorstand und der säbelt ihm die Beine ab.“ Das erinnert den einstigen CDU-Vorsitzenden an einen Parteitag im Bremen der späten 80er-Jahre. Da wollten ihn einige auch absäbeln. Natürlich ist es den Geißlers, Blüms und Co. nicht gelungen. Aber für Müntefering hat er Verständnis: „Versetzen sie sich mal in ihn hinein. Es ist richtig, dass er geht. Wer danach behauptet, er habe das nicht gewollt, der lügt.“

In seinem grauen Anzug mit der nett leuchtenden gelben Krawatte sieht Helmut Kohl blendend aus. Er strahlt über das ganze Gesicht. Ganz besonders, als er sich mit seiner
Nach-Nachfolgerin vergleichen kann. Wenn es stimme, dass die CDU sich von Frankreich
und Großbritannien abwenden und viel stärker zu den Osteuropäern hinwenden wolle,
dann verwundere ihn das. Sollte dieser Gedanke aus dem Umfeld Merkels kommen, „dann ist es ein törichtes Umfeld, das nicht erfolgreich sein wird“. Wovon er natürlich ausgeht.
Denn eigentlich ist er noch immer irgendwie der Bundeskanzler. Auch wenn ihn bei seiner Buchpräsentation ausnahmsweise niemand so angesprochen hat.

Helmut Kohl: Erinnerungen – 1982 – 1990. 1000 Seiten, Droemer, 29,90 Euro

(Lausitzer Rundschau)