Reinhard Blomert rettet Adam Smith vor der FDP

Reinhard Blomert: Adam Smiths Reise nach Frankreich oder die Entstehung der Nationalökonomie
Reinhard Blomert: Adam Smiths Reise nach Frankreich oder die Entstehung der Nationalökonomie

Für die FDP ist Adam Smith eine Art Säulenheiliger. Für die Vertreter des Vulgär-Kapitalismus ist der schottische Philosoph und Ökonom derjenige, auf den man sich guten Gewissens berufen kann, wenn man sein Gewissen bei der Mehrung des Vermögens abschalten will. Adam Smith ist der, der sagte, dass der Markt alles regelt, derjenige, der den Eingriff des Staates in die Wirtschaft ablehnte, weil die Wohlstandsmehrung des Einzelnen nicht behindert werden dürfe, denn nur so könne der Wohlstand aller gemehrt werden.

So haben wir Adam Smith im Kopf. So wird er uns immer wieder vorgehalten, wenn uns nicht einleuchten will, dass der Staat schlechter wirtschaften soll als beispielsweise Opel oder die Banken, Versicherungskonzerne und Fonds, die die Alterversorgung Hunderttausender in nur zehn Jahren zweimal ruiniert haben. Nun ist niemand gezwungen, den radikalen Markt gut zu finden. Das Wählen der FDP ist auch kein Muss, sondern ein Akt der freien Wahl. Vor allem aber stimmt nicht einmal der Bezug auf Adam Smith in dieser vereinfachten und radikalen Form.

Das beschreibt Reinhard Blomert, der eine Ehrenrettung von Adam Smith in seinem Buch „Adam Smiths Reise nach Frankreich“ versucht. Vor allem will er verhindern, dass Adam Smith weiterhin so vereinfachend als Marktliberaler dargestellt werden kann und somit von den Philipp Röslers, Guide Westerwelles und Rainer Brüderles missbraucht werden kann. Denn auf der von Blomert beschriebenen Reise lernte Smith sehr wohl, dass Zölle im Einzelfall sinnvoll sein können. Er tauschte sich mit allen wichtigen Aufklärern von Voltaire bis Rousseau und den Enzyklopädisten aus lernte, von ihrem Denken zu lernen.

Blomert schreibt das gut verständlich. Allenfalls bei den großen Frankreich-Passagen hat die Entdeckung dieser versunkenen historischen Welt für den Autor eine so große Magie, dass der eigentliche Anlass der Entdeckungsreise manchmal aus den Blick zu geraten scheint. Aber selbst das ist lesenswert in diesem wunderschön gestalteten Buch. Angesichts des unablässigen Stroms an Wirtschaftsmeldungen, die der aufgeklärte Bürger verfolgen muss, um guten Gewissens seine Stimme bei der Bundestagswahl im Herbst abgeben zu können, ist es zudem hilfreich, sich etwas mit der Theorie der Ökonomen zu beschäftigen.

Mehr über Bücher der Anderen Bibliothek

Reinhard Blomert: Adam Smiths Reise nach Frankreich, Die Andere Bibliothek: 34 Euro

Anzeigen-Fundstücke (2) – Steinkohle

Anzeige für die Deutsche Steinkohle in der "Bild" vom 20. April 1967
Anzeige für die Deutsche Steinkohle in der „Bild“ vom 20. April 1967

1967 war es die Steinkohle, ohne die sich niemand vorstellen konnte, dass es genügend Energie für den Wohlstand geben könnte. 2012 glaubt Brandenburgs Landesregierung plus CDU- und FDP-Opposition noch immer, dass die Braunkohle Basis für den Wohlstand in der Lausitz sei. Damals wie heute hat das für die Vergangenheit gestimmt. Den deutschen Steinkohle-Bergbau gibt es nicht mehr. Er ist genauso Geschichte wie diese Anzeige. Die Braunkohle wird folgen. Und zwar schneller, als viele glauben. Nur Energie, die keine Brennstoffkosten verursacht, hat Zukunft. Und das sind Sonne, Wind und Co.

Mal schauen, wann Braunkohle-Anzeigen nur noch Geschichte sind?

Mehr Anzeigen-Fundstücke:
(1) – Mitfahren anno 1820
(3) – Lebensmittelpreise 1933
(4) – Ventilator für Dicke

Online-Nutzer, Opposition und FDP stoppen Internetsperren

Fast unbeachtet hat der Bundestag mit überwältigender Mehrheit eines der großen Streitthemen der vergangenen beiden Jahre beerdigt. Statt Internetsperren gegen Kinderpornografie zu errichten, werden jetzt entsprechende Seiten, Fotos und Videos gelöscht. Und damit dauerhaft vernichtet.

Mehr als 130 000 Bürger beteiligten sich an einer Online-Petition gegen das Gesetz der schwarz-roten Koalition aus dem Jahr 2009. Zeitweise war der Hashtag #zensursula der am häufigsten verwendete auf Twitter. „Zensursula“ wurde in der Netzgemeinde Ursula von der Leyen (CDU) genannt, auf deren Initiative das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz zurückging. Das Kunstwort aus dem Begriff Zensur und dem Vornamen der damaligen Familienministerin brachte das Angriffsziel und den Grund der Aufregung auf den Punkt.

Ziel der Kritik war nie die Bekämpfung der Kinderpornografie an sich, sondern deren Mittel. Wer aufwendige technische Internetsperren aufbaut, kann in Versuchung geraten, diese auch in anderen Bereichen anzuwenden. Ob die Technik gegen Kinderpornos oder politisch unliebsame Webseiten verwendet wird, ist der Technik egal. Angesichts der Erfahrungen mit den Antiterrorgesetzen war diese prinzipielle Furcht berechtigt.

Dass in Zukunft nur noch auf das Löschen von strafrechtlich relevanten Inhalten gesetzt wird, ist ein Erfolg des Online-Protestes, der auch zum Straßenprotest wurde, der Opposition und der FDP. Deren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger arbeitete beharrlich am Ende der Internetsperren. Erst mit einer Aussetzung des Gesetzes und jetzt mit der endgültigen Beerdigung.

Zum Umdenken von CDU und CSU haben neben den praktischen Erfolgen beim Löschen von Webseiten auch die Erfolge der Piratenpartei beigetragen. Internetthemen werden inzwischen nicht nur als Angst-Themen diskutiert, sondern sachlich. In den Köpfen der Bundestagspolitiker ist angekommen, dass mit falschem oder oberflächlichem Gerede über das Netz Mehrheiten verspielt werden können. Das will seit dem Berliner Triumph keiner mehr riskieren.

Insofern steht die sachlich richtige Entscheidung des Bundestags vom Donnerstagabend hoffentlich auch für eine generell neue Kultur im Umgang mit dem Netz. Es lauern Gefahren in ihm. Aber auch enorme Chancen. Diese zu erkennen und zu fördern ist die vornehme Aufgabe der Politik. Dazu ist technisches Wissen nötig. Vor allem aber auch reflektierte Erfahrung in der täglichen Nutzung.

Dieser Kommentar ist am 3. Dezember 2011 in der Märkischen Oderzeitung erschienen…

Westerwelles Wissen stammt aus Sandalenfilmen

Guido Westerwelle hat mit einem einzigen Begriff Aufregung in die Sozialstaatsdebatte gebracht. Im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Problematik sprach der Vizekanzler von „spätrömischer Dekadenz“. Andreas Oppermann hat sich über den Begriff und die Tradition der Untergangsbeschwörung mit dem Schriftsteller Gerhard Henschel unterhalten.

Herr Henschel, Sie haben ein Buch über Dekadenz geschrieben, warum?

Gerhard Henschel: Ich habe mich oft über Widersprüche zwischen Biografie und Thesen von Apokalyptikern amüsiert.

Es ist schon spannend, dass zu allen Zeiten der Niedergang gepredigt wurde.

Die gute alte Zeit wurde immer als Zeit beschworen, in der alles schicklich und sittlich zugegangen sei. Wir kennen alle die Rede von der Jugend von heute, die angeblich viel schlechter sei als die von damals. Aber dieses Damals lässt sich historisch nie ermitteln, weil jede Generation eine solche schriftliche Überlieferung hinterlassen hat. Es wurde immer gleich angeklagt.

Das heißt, es gibt gar keinen Niedergang?

Es gab sicher Zeiten, in denen das gestimmt haben mag, zumindest teilweise. Es hängt aber davon ab, was man unter Niedergang versteht. Wenn Leute einen Niedergang darin zu erkennen glauben, dass wir jetzt einen homosexuellen Außenminister haben, sieht das ganz anders aus, als wenn Menschen den Niedergang der Tischmanieren beklagen oder das Ausmaß der Umweltzerstörung als Symptom des Verfalls meinen.

Spüren Sie persönlich Niedergang?

Ich selbst bin nicht ganz frei von kulturpessimistischen Anwandlungen. Vor etwa 30, 40 Jahren lag in vornehmen Hotels die „Bild“-Zeitung nicht aus. Und zwar einfach aus Anstand. Das hat sich gründlich geändert.

Ist die Rede vom Niedergang mit dem Verweis auf Dekadenz immer politisch?

Der Verweis kann politisch sein, aber auch gesellschaftskritisch oder theologisch. Und es gibt sicherlich viele Apokalyptiker, die sich gegenseitig überhaupt nicht ausstehen können, weil sie genau in entgegengesetzten Entwicklungen den Niedergang erkennen.

Es ist aber neu, dass Liberale wie Guido Westerwelle zu Apokalyptikern werden.

Ja, er klagt ja die spätrömische Dekadenz an. Ich weiß nicht, was Guido Westerwelle über die spätrömische Dekadenz weiß. Ich vermute allerdings, er kennt sie hauptsächlich aus Sandalenfilmen, vielleicht aus Quo vadis, in dem Peter Ustinov den Nero verkörperte. Ich fand die Replik Heiner Geißlers sehr hübsch, der darauf hinwies, dass im dekadenten Rom tatsächlich ein Esel zum Konsul ernannt worden sei und wir jetzt einen Esel als Außenminister hätten.

Der Verweis auf angebliche Dekadenz ist doch immer ein Akt der Restauration. Wie passt das zu Liberalen?

Erstaunlicherweise hat gerade Guido Westerwelle von der sexuellen Liberalisierung und der Entkriminalisierung der Homosexualität profitiert. Es ist tatsächlich erstaunlich zu erleben, in wessen Horn er jetzt tutet.

War ihm das bewusst?

Dafür kenne ich Herrn Westerwelle nicht gut genug. Was ihm auf alle Fälle gelungen ist, ist das Anzetteln einer breiten und munteren Debatte. Vielleicht wollte er sich einfach auch nur ins Gespräch bringen. Wenn es darum gegangen ist, war sein PR-Gag erfolgreich.

Gab es Zeiten, wo der Hinweis auf Verfall nicht greifen konnte, weil eine Aufbruchstimmung alles überdeckte?

Der beklagte Verfall ist immer präsent. Die Frage ist natürlich: Wie hat er gewirkt? Es gab weder im Mittelalter noch in der frühen Neuzeit oder gar in der Antike Meinungsforschungsinstitute, mit deren Ergebnissen sich das beurteilen ließe. Aber wenn die Kirchenväter predigten, dass die Sitten im grauenhaften Verfall befindlich seien, wird es die Gemeinde vermutlich schon geglaubt haben.

Historiker wissen, dass Dinge, die besonders oft verboten wurden, offensichtlich be- sonders gern praktiziert wurden.

Ja, allerdings. Es ist ja so: Das, was verboten ist, macht uns gerade scharf. Die stetige Erneuerung des Verbots der Heirat und des Beischlafs zwischen Juden und Christen durch die frühen Kirchenkonzile deutet natürlich darauf hin, dass diese Gesetzgebung verhältnismäßig erfolglos gewesen ist. Sonst wäre sie nicht ständig erneuert worden.

Der Verweis auf Dekadenz ist ein Kampfbegriff, um sich abzugrenzen. Ist er deshalb auch gleich gefährlich?

Man sollte sich hüten, zu einfältig mit kulturpessimistischem Gedankengut zu hantieren. Allzu oft sind die Kulturpessimisten vom Gang der Dinge widerlegt worden. Aber es gibt auch Ausnahmen: Wer beispielsweise 1938 einen Weltuntergang aus politischen Gründen vorhergesagt hätte, der hätte wahrlich mehr als Recht behalten.

In der Auseinandersetzung um Zuwanderung und Migration sind viele kulturpessimistische Argumente zu hören. Dort geht es um Christen und Muslime.

Man erkennt in den apokalyptischen Reden mancher muslimischer Fundamentalisten genau das gleiche Muster wider, wie jene, die von den Kirchenvätern bemüht wurden. Im Prinzip deckt es sich alles durchaus. Jedenfalls so weit es sich auf die Vermutung bezieht, dass der Weltuntergang wegen sexueller Libertinage bevorstehe.

Erringt die Warnung vor dem Untergang leichter die Meinungshoheit als eine realistische Sicht der Dinge?

Die Erfahrung zeigt, dass diejenigen, die propagandistisch auf die Tube drücken, in der Regel größeren Anklang bei den Massen finden als die nüchternen Zeitdiagnostiker. Da hat sich manches sicherlich zum Besseren verändert. Ein Schreihals, wie Adolf Hitler beispielsweise, hätte heutzutage in Deutschland vermutlich nur wenige Anhänger, die er um sich scharen könnte. Da hat sich durchaus etwas verändert.

Gerhard Henschel (48) ist Schriftsteller und Übersetzer. Er war Redakteur des Satiremagazins „Titanic“ und machte sich als Autor der Bücher „Kindheitsroman“ und „Jugendroman“ einen Namen. Bekannt wurde er auch durch eine Satire über das Geschlechtsteil des „Bild“-Chefredakteurs Kai Diekmann in der „Tageszeitung“. Diekmann verklagte ihn erfolglos auf 30 000 Euro Schmerzensgeld. Henschels aktuelles Buch heißt „Menetekel – 3000 Jahre Untergang des Abendlandes“.

MOZ-Interview…

Mehr über Bücher der Anderen Bibliothek