„Der neuzigste Geburtstag“ von Günter de Bruyn überzeugt

Günter de Bruyn: Der neunzigste GeburtstagGünter de Bruyn ist inzwischen 92 Jahre alt. Noch immer schreibt und veröffentlicht der große Schriftsteller aus Görsdorf bei Beeskow alle ein bis zwei Jahre ein Buch. In den vergangenen Jahrzehnten hat er vor allem Bücher über die preußische Geschichte, Literatur und Schlösser geschrieben. Doch das jüngste ist wieder ein Roman. „Der neunzigste Geburtstag“ ist ein Buch über das Zusammenwachsen Deutschlands, das Altern und über die Auswirkungen der Flüchtlingskrise 2015.

Herbert Lackner ruft die Flucht vor den Nazis ins Gedächtnis

Herbert Lackner: Die Flucht der Dichter und DenkerWer es wissen will, weiß es. Die Vertreibung der deutschen, der österreichischen, der tschechischen, französischen, belgischen, polnischen usw. Intelligenz aus Europa ist bekannt. Aber dennoch ist es gut, das der langjährige Chefredakteur des österreichischen Politik-Magazins „Profil“ ein neues Buch über „Die Flucht der Dichter und Denker“ geschrieben hat. Denn diese Geschichte enthält alles, was auch heute wieder im Zusammenhang mit Asyl und Flucht diskutiert wird.

Parsua Bashi zeichnet die Nylon Road ins Exil

Ein Comic über Vertreibung und Exil ist nach wie vor selten. Die Iranerin Parsua Bashi (40) hat mit ihrer autobiografischen Novelle „Nylon Road“ ein wunderbares Buch gezeichnet und geschrieben.

Parsua Bashi war 37 Jahre alt, als sie den Iran verließ. Seit 2004 lebt die Grafikerin in Zürich. Diesen Bruch hat sie auf den 127 Seiten von „Nylon Road“ verarbeitet. Und das mit viel Humor und einem gezielten Strich für das Wesentliche. Sie schildert ihr Leben aus der Perspektive der in die Freiheit geflohenen Frau. Das schafft sie ohne jedes Pathos, weil sie sich selbst immer wieder konfrontiert.

Im Buch unterhält sie sich mit der jungen Parsua, die sich dagegen sträubt, dass ihre Brüder und viele Freunde und Verwandte nach der Machtergreifung der Mullahs 1979 den Iran verlassen. Sie will doch in ihrer geliebten Heimatstadt Teheran bleiben. Die junge Parsua macht der Exilantin Vorwürfe. Sie habe das Land – und damit sich selbst – verraten. Noch härter werden die Selbstvorwürfe, als sie von der Scheidung von ihrem Mann – und von ihrem Kindes erzählt. Denn da sie den selbstgefälligen Mann, der ihr sogar den Kontakt zur eigenen Familie verbot, der ihr die geliebte Arbeit untersagte und sie zu Hause einschloss, nicht mehr ertragen konnte, wagte sie die Scheidung.

Im Iran von heute bedeutet das den Verzicht auf die eigenen Kinder. Denn eine Frau, die sich scheiden lässt, ist bei den muslimischen Machos nicht vorgesehen. Parsua Bashi kehrt ihr Innerstes nach außen. Dabei wahrt sie dennoch Distanz. Sie beleuchtet die Gründe, die für ein Leben im Iran sprechen. Und sie macht unmittelbar erlebbar, was sich junge Menschen in Deutschland gar nicht vorstellen können: die Verhaftung der jungen Frau, nur weil sie zusammen mit einem jungen Mann Farben einkauft; das Getuschel nach der Scheidung; die soziale Ausgrenzung, nur weil sie eigenverantwortlich leben will.

„Nylon Road“ moralisiert nicht. Die gezeichnete Novelle macht das Dilemma des Exils, die Schwierigkeiten beim Einleben im Westen und die Sehnsucht nach dem Teheran der Jugend ganz real erlebbar.

PARSUA BASHI: NYLON ROAD – EINE GRAPHISCHE NOVELLE. KEIN & ABER. 19,90 EURO.