Der Regen kam von oben. Und so richtete sich mein Blick nach unten. Unter dem Sonnenschirm dieser Wirtschaft am Marktplatz taten sich auf einmal ganz neue Perspektiven auf: Gleichschritt, Wechselschritt in Latschen und High Heels, in Wanderschuhen und Espandrills.
Sein Haus liegt vor den Toren der Stadt in einer Sackgasse, nach der nur noch Wald und Natur kommt. Der touristische Trubel Krakaus mit seinen 8 Millionen jährlichen Besuchern ist hier so fern wie Phantasielosigkeit in der Musik Krzysztof Pendereckis.
Ich war acht Minuten vor der Verabredung zu dem Interview vor seinem Haus. Und wollte noch auf und ab gehen. Da sprach mich eine Frau aus einem Auto auf Deutsch an: „Mein Mann wartet schon auf Sie. Sie können ruhig klingeln. Viel Spaß!“ Diese Herzlichkeit und Freundlichkeit durchzog dann den ganzen Besuch.
Insgesamt war ich eineinhalb Stunden bei Krzysztof Penderecki. Er hat die Telefone ausgestellt, damit niemand stört. Und er hat sich voll auf das Interview konzentriert. Beim Rausgehen meinte er dann, dass er mir unbedingt noch etwas zeigen müsse. Er führte mich in einen Raum voller Bücher und Noten und nochmals Bücher. Und einem Klavier. Genau das wollte er mir zeigen. Denn er hat es erst vor kurzem erworben. Es ist das Klavier, das sich Rachmaninow hatte anfertigen lassen, als er in St. Petersburg lebte, also bevor er noch vor der Revolution in die USA ging. Es ist wunderbar schwarz lackiert und hat eine Notenablage, die deutlich größer ist als normal. Sie ist so groß, dass er daran komponieren konnte. Und jetzt steht es bei Penderecki in Krakau, der auch an ihm spielt. Nur zum Komponieren benötigt er es nicht. Denn Penderecki komponiert am Tisch. Er hat die Musik im Kopf, hört beim Lesen einer Partitur wie sie klingt.
Und ich? Ich bin froh, wenn das Interview so klingt, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber das sind ja nur Worte. Keine Musik, die alle Sinne bis hin zur körperlichen Erschütterung, den ganzen Menschen in Beschlag nehmen. So wie die Musik Pendereckis, wenn man sich auf sie einlässt.
Die Außentemperaturen sind wie im Hochsommer, doch das Wasser ist noch nicht so weit. Die Zehen ziehen sich zusammen, die Kälte nimmt nicht nur den Fuß, sondern den ganzen Körper gefangen. Erst nach dem tiefen Durchatmen und dem anschließenden ins Wasser stürzen wird es besser. Zwar bin ich vollständig Gänsehaut, aber nach den ersten Schwimmzügen löst sich der Kälteschmerz auf. Was bleibt ist angenehme Abkühlung und das wohlige Gefühl, dass die Saison endlich begonnen hat.
„Ja, was ist denn jetzt ein Passantenzimmer?“ Die Frage des jungen Mannes klingt tatsächlich verwirrt. Mitten in Bad Kissingen gibt es zwar keine Herbert-Straße, wohl aber ein Haus Herbert.
Ob die Namensähnlichkeiten bewusst gewählt sind, ist ungewiss. Ebenso wie die Frage, ob die Assoziation zulässig ist. Sicher aber ist, dass die ältere Dame, die mit dem Mann einen Sonntagsspaziergang machte, trocken sagte: „Passantenzimmer klingt nach Puff und Stundenzimmer.“
Die Luft macht sich in den Lungen ganz tief breit. Sie riecht nach Aufbruch. Die Haut spürt das erste Mal Temperaturen von mehr als 20 Grad. Die Augen finden überall ganz helles Grün, wo vor einer Woche nur braun war. Und die Ohren lauschen auf das Knacken der Knospen und auf das aufgeregte Zwitschern der Vögel.
Die Gedanken lassen sich ganz von diesem Frühlingsgefühl einnehmen. Andere wollen sich nicht fassen lassen. Sie verschwinden gleich wieder, weil ein neuer Eindruck dieser erwachenden Natur an diesem Abend beim Laufen alles Schwere sofort vertreibt.
Die Schritte sind bei diesem Lauf am Schmöckwitzer Werder noch recht schwer. Die vergangenen Wochen blieben die Laufschuhe meist noch im Schuhregal. Und die Rippenprellung vor einem halben Jahr hat die Kondition auch nicht wirklich gefördert. Und dennoch fühlt sich alles gut an.
Doch dann erfasst das Auge einen schmalen Strich kurz übe rdem Boden. Sofort sticht Schmerz in die Rippe. Mit dem rechten Fuß springe ich rechtzeitig noch ab, um über die gespannte Schnur zu springen. Dann bleibe ich stehen. Das Herz rast, der Rippenschmerz entpuppt sich als Phantomschmerz. Aber der Kopf ist hellwach.
Und der Ärger und die Wut über diejenigen, die hier eine Stolperfalle für Läufer und Radler gespannt haben. Wer macht so etwas? Wer freut sich darüber, wenn andere stürzen, sich eventuell Rippen prellen oder noch schlimmer Knochen brechen? Das Seil ist in gut 15 Zentimeter Höhe gespannt. Genau so, dass eigentlich jeder stürzen muss.
Ich hatte noch einmal Glück, habe die Knoten gelöst und die Schnur weggeschmissen. Beim nächsten Lauf werde ich noch mehr auf den Boden schauen. Und mich ständig daran erinnern müssen, dass ich mich nicht von Grün und Zwitschern und Wärme ablenken lassen darf.
Mühsam wird das Leben geboren.
In Schulen wird der freie Wuchs beschnitten.
Draußen soll das Leben sich entfalten.
Und dann?
Dann kommt das Sägewerk.
Hier sogar auf einer Straße.
Der Apfelbaum ist gefällt. Ein Pilz am Stamm hat ihn ruiniert. Der Kampf mit der Wurzel ist gewonnen. Nach drei Stunden buddeln und hacken ist der Ballen draußen.
Und dann liegt da dieser Keimling. Dort, wo die Reste des toten Baums in der Erde waren, beginnt neues Leben. An einer Stelle, an die eine Eichel eigentlich gar nicht hinkommt.
Fürs Wochenende war noch Schnee angekündigt, doch der Frühling ließ sich nicht vertreiben. Am Tag nach Ostern klettern die Temperaturen auf 19 Grad. Selbst am Abend ist es noch richtig warm, für den Läufer in seiner Laufjacke sogar zu warm.
Ihm kommen ständig Menschen auf dem Weg am See entgegen. Sie trauten eher der Wettervorhersage als dem eigenen Temperaturempfinden. In dicken Winterjacken trotten sie eher, als dass sie fröhlich dem Frühling entgegen schreiten. In ihre Gedanken versunken, die Jacken bis oben verschlossen, wirken sie an diesem Abend wie aus einer anderen Welt.
Erst das „Hallo“ des Läufers schreckt sie aus ihrer abgekapselten Welt auf. So ist dann auch ihr Blick. Aber nur im ersten Moment. Dann macht sich ein Lächeln in ihren Augen breit – und sofort danach im ganzen Gesicht. Der fröhliche Gruß des fremden Läufers holt sie aus dem Winter. Ihre Köpfe tragen sie jetzt oben. Ihre Schritte werden fester. Und das alles nur wegen eines Grußes am ersten Frühlingsabend.
1967 war es die Steinkohle, ohne die sich niemand vorstellen konnte, dass es genügend Energie für den Wohlstand geben könnte. 2012 glaubt Brandenburgs Landesregierung plus CDU- und FDP-Opposition noch immer, dass die Braunkohle Basis für den Wohlstand in der Lausitz sei. Damals wie heute hat das für die Vergangenheit gestimmt. Den deutschen Steinkohle-Bergbau gibt es nicht mehr. Er ist genauso Geschichte wie diese Anzeige. Die Braunkohle wird folgen. Und zwar schneller, als viele glauben. Nur Energie, die keine Brennstoffkosten verursacht, hat Zukunft. Und das sind Sonne, Wind und Co.
Mal schauen, wann Braunkohle-Anzeigen nur noch Geschichte sind?
In der Rutsche geht es schnell nach unten. Wie beim Springen vom Turm. Einmal gestartet, gibt es kein Halt mehr. Erst unten ist Schluss.
Wo kommt diese Faszination her? Diese Lust am Sog nach unten? Dieser Drang die Mühsal des Aufstiegs auf sich zu nehmen, nur um dann dieses Kribbeln zu spüren? Sehr seltsam das Alles.
Aber immer wieder so unglaublich schön. Und erfüllend. Ohne Sinn sich selbst zu spüren. Wunderbar!