Salzburger Land – ein inzwischen kulinarisch ödes Land

Denk ich an Österreichs Küche, fließt mir das im Mund zusammen. All die verschiedenen Knödel, die wunderbaren Braten, die köstlichen Süßspeisen. Wenn ich aber im Salzburger Land nach Wirtschaften suche, dann finde ich nur noch wenige. Und die bieten nicht viel an. Und das, was sie anbieten, ist vor allem kurz Gebratenes mit Pommes. Zu einem guten Schnitzel mag das ja noch gehen – wobei feine Petersilienkartoffeln die besser Alternative wären. Aber warum muss die immer gleiche Beilage auch bei den anderen Gerichten serviert werden?

Die Speisekarten richten sich offensichtlich am Publikum aus. Und das will Pommes. Und keine Selchknödel mit Kraut und Soße. Oder Schweinsbraten mit Semmelknödel. Auch den Tafelspitz scheint es nicht zu mögen. Das ist traurig. Und für mich eine echte Enttäuschung. Zum Urlaub gehört auch die kulinarische Entdeckungsreise dazu. Wenn es aber nur Pommes gibt, dann reduziert sich der Genuss dramatisch. Oder er konzentriert sich auf die Süßspeisen, wenn es einen guten Kaiserschmarrn oder einen Strudel gibt.

Vielleicht hängt der verhängnisvolle Trend zu eintönigen Speisekarten aber nicht nur an den vielen Touristen aus Holland und Dänemark, sondern auch an den Wirten selbst. Die werden nämlich immer weniger. Die Kinder wollen die Betriebe oftmals nicht mehr übernehmen. Dann werden die Wirtshäuser verkauft, aus dem Saal werden Fremdenzimmer und der neue Eigentümer kommt am Ende auch von weit her. Dann fehlt ihm natürlich der Bezug zur regionalen Küche und ihren Köstlichkeiten. Mit viel Glück sorgen die Köche noch für Pinzgauer Kasnocken oder ein Tiroler Geröstl, aber alles, was mehr Aufwand kostet, können oder wollen sie nicht durchsetzen.

Es ist nicht im ganzen Pinzgau, wie oben beschrieben. Aber die Tendenz geht ganz klar in diese Richtung. Inzwischen gibt es Orte wie Piesendorf, in denen die einheimische Bevölkerung nicht einmal mehr eine Hochzeit feiern kann. Die Säle sind in Fremdenzimmer umgewandelt, andere Wirtschaften stehen leer und der Rest ist so auf Tourismus eingestellt, dass für eine Hochzeitsgesellschaft kein Platz mehr ist. Und so stirbt in einer Region, die vom Tourismus lebt, der Kern der alten Gastlichkeit so langsam aus. Was bleibt ist das Wiener Schnitzel, das es überall gibt. Aber nur mit Pommes. Und ganz oft auch fritiert. Wie furchtbar.

Hammelburg Einst und Jetzt (11) – St. Nepomuk

St. Nepomuk vor dem Brunnen auf dem Marktplatz (vor 1925)

Beim St. Nepomuk denkt man in der Regel an einen Brückenheiligen. In Hammelburg ist das anders. Da stand er nie auf einer Brücke. Auf der alten Saale-Brücke, die von der Wehrmacht kurz vor Ende des Krieges in die Luft gesprengt wurde – und damit als eine der ältesten Brücken Deutschlands vernichtet wurde – stand ein Marien-Bildnis.

Den St. Nepomuk hat der Fürstabt zu Fulda Amandus von Buseck im Jahr 1756 schaffen lassen. Aufgestellt wurde er auf dem Marktplatz vor dem schönen Renaissance-Brunnen, auch wenn er da eigentlich nicht hingepasst hat. In Aufnahmen, die vor 1933 entstanden sind, ist er auf diesem Platz zu sehen. in späteren befindet sich der St. Nepomuk auf dem Viehmarkt vor der Rückseite des Bürgerspitals. Dort steht er auch heute noch und belohnt den Besucher, der ihn nicht nur von vorne betrachtet. Denn auf seiner Rückseite ist ein Engel zu sehen. Früher sah man diesen vom Brunnen aus. Und damit sicherlich deutlich häufiger als heute.

St. Nepomuk auf dem Viehmarkt vor dem Bürgerspital im Juli 2014

Mehr Einst und Jetzt aus Hammelburg:
(1)  – Stadtpfarrkirche
(2)  – Rotes Schloss vom Weiher aus
(3)  – Am Kellereischloss
(4)  – Hüterturm
(5)  – Ruine Aura
(6)  – Baderturm
(7)  – Kloster Altstadt und Schloss Saaleck
(8)  – Kreuzigungsgruppe des Altstädter Kreuzwegs
(9)  – Blick von Schloss Saaleck auf die Stadt
(10) – Freibad (heute Saaletalbad) 
(11) – St. Nepomuk
(12) – Kissinger Straße
(13) – Hochhaus Breslauer Straße 2

Dieter Sander erzählt vom phantastsichen Leben Fitz Picards

Dieter Sander: Fritz Picard - ein Leben zwischen Hesse und Lenin
Dieter Sander: Fritz Picard – ein Leben zwischen Hesse und Lenin

Fritz Picard ist einer der Menschen, die einen völlig verblüffen. 1888 am Bodensee geboren, lernt er schon als Schüler Hermann Hesse kennen.  Später in seinem Leben als Verlagsvertreter lernt er nicht nur die Avantgarde Berlins im Café Größenwahn von Else Lasker-Schüler über Walter Mehring und Kurt Tucholsky kennen. Er verhandelt mit Max Liebermann und etlichen anderen Künstlern.

Beim Strohballenfest findet die SPD Politik im Wahlkampf doof

Neuzelle nutzt das SPD-Strohballenfest zum Protest

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Neuzelle nutzt das SPD-Strohballenfest zum Protest

Mit seiner Designer-Jeans und der schicken Marken-Allwetterjacke passt er nicht so richtig hier her. Der Mitarbeiter des SPD-Landesverbandes, der das Strohballenfest in Neuzelle (Landkreis Oder-Spree) organisiert hat, fremdelt nicht nur äußerlich mit der Region, in der für Stimmen bei der Landtagswahl werben will. Beim Anblick von echten Einheimischen, wird er unruhig. Vor allem, wenn sie Transparente und Banner mit sich führen.

Neuzelle liegt direkt an der Oder. Hier haben viele Einwohner bereits schlechte Erfahrung mit der sogenannten Grenzkriminalität gemacht. Autos werden hier häufiger gestohlen als etwa in Unterfranken. Und Neuzelle wartet seit vielen Jahren auf eine schon längst versprochene Umgehungsstraße. Vor allem viel Lkw-Verkehr wälzt sich durch den Ort mit dem schönen – und für Brandenburg extrem außergewöhnlichen – Barock-Kloster. Für den Fremdenverkehr ist das alles andere als gut. Und fürs Wohlbefinden der Einwohner auch nicht.

Auf ihren Transparenten wollen sie genau darauf aufmerksam machen. Wenn sich der Ministerpräsident schon einmal hier her verirrt, dass will man ihn schon auf die Probleme aufmerksam machen. Und genau das verwirrt den SPD-Mann, der das Strohballenfest organisiert hat. Strohballenfeste sind simulierte Volkstümlichkeit als Wahlkampf der Brandenburger SPD, bei der Diemar Woidke eine kurze Ansprache hält und sich dann an den Biertischen mit den Menschen vor Ort ins persönliche Gespräch kommen will. Politik findet kaum statt. Dafür aber Square-Dance. Und Bier. Und Grillwurst.

Das ist das Konzept. Und dann kommen da auf einmal Bürger, potenzielle Wähler, die politische Forderungen nicht nur im Zwiegespräch äußern wollen, sondern für alle sichtbar. Und am Ende noch lautstark. Wo kommen wir denn da hin, wenn auf einer Wahlkampfveranstaltung auch Politik eine Rolle spielt? Das muss sich der Mann in der Designer-Jeans gedacht haben. Ansonsten hätte er den ruhigen Demonstranten nicht gedroht. Nur wenn sie die Transparente nicht zeigen, gibt es ein Gesprächsangebot. Und wenn sie ihre Forderungen ausrollen, dann mache er von seinem Hausrecht Gebrauch. Er könne sagen, was auf der angemieteten Festwiese gemacht werden darf und was nicht!

Die Neuzeller haben das nicht gern gehört. Fühlten sich an andere Zeiten erinnert, wo das zeigen von Transparenten unangenehme Folgen haben konnte. Und die sind gerade mal 25 Jahre vorbei. Auf solche Hinweise reagiert der Sozialdemokrat mit Polizei. Nicht dass er sie aufmarschieren ließe, aber einen Beamten stellt er neben sich. Damit den braven Neuzellern klar wird, dass er im Recht ist. Und er politische Meinungsäußerungen bei einer Wahlkampfveranstaltung sehr wohl verbieten kann.

Zum Glück schlichtet Detlef Baer, der Landtagsabgeordnete der SPD vor Ort. Als Gewerkschafter sind ihm Transparente vertraut. Und so stehen die Protestler mit ihren sichtbaren Botschaften, als der Ministerpräsident kommt, auf dem Strohballenfest. Und was macht Woidke? Nein, er wirft seinem Mitarbeiter keinen bösen Blick zu, weil hier Politik eine Rolle spielt. Er geht auf die Leute zu und spricht sie an. Aber zu einer öffentlichen Diskussion über die Probleme vor Ort kommt es auch nicht. Diskutiert wird nur im Zwiegespräch – und nicht für alle vernehmbar vor dem Mikrophon. So viel politischer Diskurs ist der SPD zu viel. Und so ziehen sich die meisten Demonstranten schon zurück, bevor Woidke am ersten Tisch Platz nimmt, Sie wollen sich nicht das Maul verbieten lassen. Schon gar nicht von Designer-Jeans-Trägern. Und sie wollen diskutieren. Aber nicht unverbindlich und de facto nicht-öffentlich in kleiner, trauter Runde.

Mehr zum Landtagswahlkampf:
Alexander Gauland bietet Rechten bewusst die Chance, die AfD gut zu finden

Die Horen suchen den europäischen Blick auf den Ausbruch des 1. Weltkriegs

Die Horen: August 1914 Allerorten wird an den Ausbruch des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert. Der Bundespräsident reist nach Frankreich und Belgien, die Zeitungen füllen Seiten mit historischen Betrachtungen und Auszügen aus zeitgenössischen Zeitungsartikeln und Tagebüchern. Überall ist der Rückblick auf den mörderischen Krieg Thema. Die Literaturzeitschrift „Die Horen“ hat auch einen Beitrag dazu geleistet. Einen Beitrag, der sehr lesenswert ist.

Robert Seethaler fasziniert ein ganzes Leben

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben

Seine ersten beiden Bücher überraschten mit einem wunderbaren absurden Humor. In seinem dritten, „Der Trafikant„, macht sich Robert Seethaler erneut auf die Suche nach den Verwirrungen des Erwachsenwerdens. Diesmal aber im historischen Wien kurz vor und nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Und jetzt in seinem aktuellen Roman „Ein ganzes Leben“ begleitet Seethaler tatsächlich ein ganzes Leben, das Leben des Seilbahnarbeiters Andreas Egger. und so, wie sein Schreiben schon im vorherigen Buch erwachsener, reifer wurde, so ist es jetzt noch überzeugender und ganzheitlicher.

Hammelburg Einst und Jetzt (10) – Freibad (heute Saaletalbad)

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Am 10. Mai 1974 ist in Hammelburg das Freibad eröffnet worden. Das Bild entstammt einer Broschüre zur Eröffnung und ist wenige Wochen zuvor aufgenommen worden. Die Rutsche ist noch nicht fertig; genauso wie der Sprungturm, an dem die Leiter und die Geländer noch fehlen.

Heute heißt das Freibad „Saaletalbad“. Von der klaren Sicht auf das Becken ist nichts mehr zu sehen. Zum einen, weil der Baumbestand in den vergangen 40 Jahren zu schönen schattenspendenden Bäumen herangereift ist. Viel massiver ist aber der Umbau zu erkennen. Das Nichtschwimmerbecken mit Rutsche und 20-Meter-Bahnen im hinteren Teil gibt es nicht mehr. Es wurde beim Umbau zugeschüttet. Stattdessen ist das um eine Bahn verkleinerte 50-Meter-Becken um einen Nichtschwimmerbereich erweitert worden. Und die Bademeisterkabine befindet sich jetzt fast direkt am Becken.

Trotz aller Umbaumaßnahmen ist der Sprungturm aber erhalten worden. Eine Attraktion, die nach wie vor viel genutzt wird. Und die 50-Meter-Bahnen wurden im Kern auch nicht angetastet. Zum Glück. Statt Spaß-Wahnsinn existiert nun eine schöne Mischung aus Schwimmbad, Sprungturm und vielen Möglichkeiten zum Spielen und Räubern – etwa auf den beiden Beach-Volleyballplätzen.

Saaletalbad Hammelburg
Saaletalbad Hammelburg

Mehr Einst und Jetzt aus Hammelburg:
(1)  – Stadtpfarrkirche
(2)  – Rotes Schloss vom Weiher aus
(3)  – Am Kellereischloss
(4)  – Hüterturm
(5)  – Ruine Aura
(6)  – Baderturm
(7)  – Kloster Altstadt und Schloss Saaleck
(8)  – Kreuzigungsgruppe des Altstädter Kreuzwegs
(9)  – Blick von Schloss Saaleck auf die Stadt
(10) – Freibad (heute Saaletalbad) 
(11) – St. Nepomuk
(12) – Kissinger Straße
(13) – Hochhaus Breslauer Straße 2

Peter Truschner entdeckt die Sehnsucht des Träumers

Peter Truschner: Der TräumerEs beginnt mit schon mit dem Titel „Die Träumer“. Was der mit dem Roman zu tun hat, erschließt sich nicht wirklich. Dann ist da eine Handlung, die nicht immer logisch ist. Und es endet mit einer Sprache, die gern etwas zu expressionistisch, zu verknappt ist. Und dennoch schafft es der Roman von Peter Truschner eine eigenartige Spannung auszubauen. Oder besser gesagt eine verwirrende.

Iris und Robert haben sich auseinandergelebt. Sie sind gute 40 Jahre alt, haben keine Kinder und sich nicht mehr viel zu sagen. Iris hat erfolg mit ihrem Cateringservice für die Events in den besonderen Locations. Er ist Wissenschaftler im Mittelbau, der seinen Job schmeißt, als er von der Geliebten den Laufpass bekommt. Truschner lässt seinen gescheiterten Helden nicht einfach nur ausflippen. Sein Abgang ist sehr skurril. Das sind Stellen, wo der Hang zu überdeutlichen Bildern und plakativer Wortwahl zu übermächtig wird.

Die Suche nach Sinn und Halt treibt Robert um. Ohne seiner Iris von der Kündigung zu erzählen macht er sich ziellos auf den Weg durch die Stadt. Er kommt immer weiter an die Peripherie, beobachtet Penner, kickt mit jungen Migranten und kommt schließlich mit Männern in Kontakt, die den haltlosen Jugendlichen der Sozialslums Halt durch Drill geben. Ein Drill der faschistoide Züge hat und dazu dient, in dem Viertel die Polizei zu ersetzen. Und um eine Privatarmee aufzubauen, die auch im Ausland eingesetzt wird.

Wie sich Robert dieser Organisation annähert, ist sehr gut erzählt. Hier funktioniert die Sprache. Peter Truschner klagt den Rückzug des Staates aus der sozialen Verantwortung an. Und mit dem Untergang von Robert, der tatsächlich ertrinkt, entwickelt er ein starkes Bild, das zeigen soll, wie falsch diese politische Entwicklung ist. Aber alles in allem will Truschner zu viel für die 250 Seiten.

Spectaculum in Hammelburg vor 25 Jahren

Es war die Idee des Pfarrgemeinderats in Hammelburg. Zum 600. Grundsteinjubiläum der Stadtpfarrkirche im Jahr 1989 sollte etwas ganz Besonderes geschehen. Ein Theaterstück, bei dem die Zeit der Grundsteinlegung vor den Augen der Zuschauer wiederbelebt wird. Als Werner Bergmann, der im Frobenius Gymnasium schon viele Jahre Theatergruppen geleitet hatte, gefragt wurde, ob er sich so etwas vorstellen könnte, ließ er sich nicht zweimal fragen. Lediglich Mitstreiter benötigte er.

Sein Kollege Erhard Schenk war sofort dabei. Und einige Schauspiel-Verrückte, um die herum die große Gruppe entstehen sollte, benötigte er auch noch. Irgendwann zwischen Abitur und Zeugnisausgabe fragte er mich und die anderen. Und dann begann für ihn und Erhard Schenk die Arbeit an den Texten, bevor nach den Sommerferien die ersten Proben begannen und weitere Akteure für die vielen Rollen gewonnen werden mussten.

Spectaculum 1989 in Hammelburg

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Spectaculum 1989 in Hammelburg

Es sollte etwas entstehen, das nicht aus heutiger Perspektive über das Mittelalter erzählte, sondern die Texte der Zeit zu einem großen Bilderbogen des Denkens, Fühlens und Glaubens der Menschen vor 600 Jahren aufzeigte. Und das mit der Kirche als Mittelpunkt. Weshalb Werner Bergmann auch sofort daran dachte, um die Kirche herum zu spielen, auf dass die Zuschauer die Kirche bei fast allen Szenen fest im Blick hätten.

Ausgangspunkt des Spectaculums ist ein Disput zwischen einem frommen Mönch (Hans-Jürgen Burdack) und Luzifer (ich) über die Verführbarkeit der menschlichen Seelen. Luzifer schickt einen Verführer (Ulrike Scheblein) aus, um mit tatkräftiger Unterstützung der sieben Todsünden die Menschen vom Weg des rechten Glaubens abzubringen. In diesem Rahmen spielen sich an unterschiedlichen Orten rund um die Kirche und das Rote Schloss die Szenen ab, die unterschiedliche Texte des Mittelalters dem Publikum nahe bringen. Von Walther von der Vogelweise bis Hans Sachs, von philosophischen Gedanken bis zotigen Schwänken.

Ich lernte so schon viele Texte über dieses Theaterspielen kennen, die in meinem Studium dann ausführlicher gelesen wurden. Und ich machte die Erfahrung, dass Theater etwas Rauschhaftes haben kann. Als Luzifer, als Teufel die Zuschauer in den Bann zu schlagen, war Berauschend. Vor allem bei der dritten Aufführung, der zusätzlichen, weil die Nachfrage nach diesem so besonderen Theater so groß war. Da hatte es nachmittags geregnet, die Kabel waren nass. Wir mussten kurzfristig in die Kirche umziehen. Und in der Kirche, am Altar das teuflische Spiel zu spielen war fast schon irre (so wie die Rolle ja in der Zwangsjacke etwas irrsinniges hatte).

Aus der Idee des Pfarrgemeinderats, ein Theaterstück für ein Jubiläum anzuregen, war im Sommer 1989 in Hammelburg ein erstaunliches Gemeinschaftserlebnis geworden. Da spielten alle Generationen zusammen Theater. Da trafen sich Soldaten und Schüler, Lehrer und Zahnärzte, Redakteure und Leser ein Jahr lang zum Proben. Sie setzten etwas um, das die meisten anfangs für zumindest eine leichte Form des Größenwahns hielten. Und sie alle bannten die Zuschauer, die sich nicht nur von den sich geißelnden Mönchen angesprochen fühlten. Obwohl es nur dreimal aufgeführt wurde, ist dieses erste Spectaculum noch immer in der Erinnerung präsent.

P.S. Ich hoffe, die Fotografen der Aufnahmen haben nichts gegen die Veröffentlichung nach 25 Jahren hier bei mir.

Wie ich 1990 Weltmeister wurde – obwohl ich eigentlich nicht wollte

Die Weltmeister von 1990
Die Weltmeister von 1990
Die A 7 war leer. Vollkommen leer. So leer wie sonst nie, in den drei Semestern, in denen ich regelmäßig von Hammelburg nach Göttingen fuhr. Kurz vor dem Anpfiff hatte ich mich auf den Weg gemacht. Statt Autostress wie sonst hatte ich eine ruhige Fahrt erwartet. Und genau so kam es.

Deutschland stand in Rom im Finale. Ganz Fußball-Deutschland fieberte mit. Und ganz Deutschland meinte mehr als ein halbes Jahr nach dem Fall der Mauer und einige Monate vor Helmut Kohls willkürlich terminierter Vereinigung von DDR und Bundesrepublik tatsächlich GANZ DEUTSCHLAND! Okay, es gab da noch viele Linke und skeptische Intellektuelle, die diskutierten, ob die Vereinigung der beiden Deutschlands der richtige Weg sei. Oder die davor warnten, dass dieses zukünftige vereinte Deutschland in alte, grausige Muster verfallen könnte. Dieser Skepsis konnte ich auch viel abgewinnen. So viel, dass ich mir sogar Gregor Gysi im Wahlkampf in Göttingen anschaute. Den Mann, der die Auflösung der SED verhinderte – und stattdessen eine reformierte Partei durchsetzte. Nicht aus moralischen Gründen, die er schon 1990 ständig im Mund führte, sondern aus rein finanziellen. Mit dem Argument, dass das mehr als zweifelhafte Vermögen der Diktatur-Partei nur bei einer Umbenennung, nicht aber bei einer Auflösung erhalten werden könne.

Nun ja, in diesem Land, das formal noch zwei Länder war, in dem aber der DFB die Vereinigung schon vollzogen hatte, fuhr ich auf der Autobahn. An diesem 8. Juli 1990, als Argentinien der Gegner war. Wirklich mitfiebern konnte ich nicht. Auch wenn ich das Spiel im Radio verfolgte. Die Live-Reportage war großartig, die Stimme des Reporters sonor und nur selten am kippen. Sie war ein wenig so wie das Spiel, das offenbar weder spielerisch noch kreativ eine Offenbarung war. Ich war zufrieden, es nicht im Fernseher verfolgen zu müssen und schwebte über die leere A 7.

Kurz vor Göttingen fiel das Tor. Kurz vor Göttingen wurde ich Weltmeister. Im alten hellgrünen Audi 100 mit dem weißen Kotflügel. Und irgendwie freute auch ich mich über dieses Tor. Vor allem aber über meine Cleverness, die mir zu dieser ruhigen Fahrt verholfen hatte. Gut gestimmt, ja formidable fröhlich fuhr ich in die Stadt. Und da stand ich dann. Mitten im Autokorso. Inmitten von Deutschlandfahnen schwenkenden jungen Frauen und Männern, die auch alle Weltmeister geworden waren. Inmitten von Türken und Griechen und Italienern, wie wir damals all die „Gastarbeiter“ nach ihrer Herkunft noch nannten. Und die auch alle Weltmeister geworden waren.

Und ich? Ich habe für die paar Kilometer in Göttingen fast genauso lange gebraucht wie auf den gut 200 Kilometern auf der A 7! Und ich habe noch viel länger gebraucht, bis ich verstanden habe, dass Deutschlandfahnen nicht schlimm sein müssen. Nämlich bis 2002. bei einer anderen WM. Aber das ist eine andere Geschichte, bei der weder wir noch Weltmeister wurden.