Peter-Paul Zahl amüsiert auch 30 Jahre später

Peter-Paul Zahl: Die Glücklichen
Peter-Paul Zahl: Die Glücklichen

Dieses Buch ist ein ganz eigener Kosmos. Peter-Paul Zahl, ein studentenbewegter  Linker, der in den frühen 70er Jahren ins terroristische Umfeld abrutschte, schildert den Zerfall der 68er-Bewegung in Deutschland aus der Sicht einer Berliner WG.

Zahl erzählt von den gemeinsamen Demos gegen die Springer-Konzern, er erzählt von  Militanten und  kommunistischen Dogmatikern und er erzählt von der Solidarität, die die Terroristen der  RAF und der Bewegung 2. Juni in den linken WGs genossen. Das Ganze montiert er aus unendlich vielen Zitaten und Handlungssträngen zu einem Schelmenroman gegen die Obrigkeit. Das ist oft lustig, vielfach bedenkenswert und auf jeden Fall literarisch gelungen.

Peter-Paul Zahl: DIE GLÜCKLICHEN – EIN SCHELMENROMAN. DAS NEUE BERLIN
19,90 EURO.

 

Herbert Marcuse ist nach wie vor aktuell

Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch
Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch

1964 ist das Hauptwerk des Philosophen und Soziologen Herbert Marcuse erschienen. Der eindimensionale Mensch ist das zentrale Werk, auf das sich die Studentenbewegung der 68er bezieht. Marcuse stellt fest, dass die Industriegesellschaft genug Mittel hat, den Hunger und die Krankheiten der Welt zu bekämpfen. Aber die Mittel werden falsch eingesetzt.

Sie werden zur Zerstreuung eingesetzt, zur vollständigen Herrschaft der Wirtschaft und ihrer Produkte über den Menschen. Das stete Wirtschaftswachstum hat nach Marcuse dazu geführt, dass immer Menschen am Wohlstand teilhaben. Aber zum Preis der  Unterentwicklung der armen Länder. Das ist auch heute noch lesenswert.

Herbert Marcuse: DER EINDIMENSIONALE MENSCH, DTV 9,90 EURO.

Der Schalk Robert Gernhardt geht lächelnd von Bord

Robert Gernhardt (1937 - 2006)
Robert Gernhardt (1937 – 2006)

Robert Gernhardt hat für den Witz gelebt. Für den geistreichen, für den gereimten, für den gezeichneten, aber auch für den deftigen und derben. Er schrieb an den Drehbüchern der Otto-Filme mit. Er war der wichtigste deutsche Lyriker der Gegenwart, und er war ein geistreicher Mensch, der auf sein Gegenüber ohne Dünkel zuging. Am Freitag ist Robert Gernhardt mit 68 Jahren gestorben.

Wollte immer schnell
abtreten.
Bin wohl bestimmt zum
Weilen.
Wie soll denn den,
der so langsam
vergeht,
jemals das Ende
ereilen?

„Lagebeurteilung“ nannte Gernhardt dieses Gedicht 1996. Da musste er am Herzen operiert
werden. Nach überstandenen Herzinfarkt und Bypass-OP war er zu Recht sehr  optimistisch. Wie er die Krankheit als Chance begriff und in Herz in Not in witzige und
nachdenkliche Gedichte packte, war meisterhaft. Seine letzte Krankheit überlebte er leider nicht mehr.

1937 wurde Gernhardt im damals noch multikulturellen Reval, der Hauptstadt Estlands geboren. Nach dem Krieg kam er nach Frankfurt und begann schon bald das Reimen. Gemeinsam mit Bernd Eilert, F.K. Waechter, Eckhard Henscheid, F.W. Bernstein und anderen begründete er die Neue Frankfurter Schule in Anspielung an die philosophische Frankfurter Schule um Adorno, Marcuse und Habermas, die als Vordenker der 68er-Bewegung galten.

Doch Gernhardt und Co. hatten die Philosophie zwar begriffen, doch das Lachen darüber lag ihnen mehr. Sie gründeten die Satire-Zeitschrift Pardon und in den 70er-Jahren dann Titanic. Aus diesen Zeiten ist der Klassiker:

Die größten Kritiker der Elche
waren früher selber welche.

Bis die Kritik Gernhardt und Co.Ernst nahm, hat es lange gedauert. Die Leichtigkeit der Reime war ihnen nicht geheuer. Und die Stoffe, über die Gernhardt lachen konnte und wollte: nämlich alles. Ob Religion oder George W. Bush, ob Mülltrennung oder Krankheit.
Und das in formal vollendeten Sonetten oder in lockeren Versfolgen. Gernhardt ging das scheinbar leicht von der Hand.

In einem Essay über Literatur schrieb er: Keine Sau will mehr rühmen, jedes noch so dumme Schwein möchte berühmt werden. Das war schon in den 80er-Jahren. Also lange vor Big Brother und anderer voyeuristischer TV-Obszönitäten. Um ihm gerecht zu werden,
bleiben uns Lesern nur zwei Dinge: Weiter Robert Gernhardt lesen und weder Sau noch dummes Schwein zu sein, um ihn zu rühmen!

Paul Berman analysiert die Generation Joschka Fischer

Joschka Fischer (57) ist der Inbegriff eines 68ers, der den Marsch durch die Institutionen vollendete. Paul Berman, ein amerikanischer Intellektueller, hat die Karriere Fischers vom Straßenkämpfer bis zum Außenminister analysiert.

Sein Blick von außen lässt die Debatte über Fischers Vergangenheit kleinkariert erscheinen. Zu Recht. Denn Bermann zeigt in seinem Buch auf, wie sich eine Generation
nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa aufmachte, um das Leben freier, friedlicher und fröhlicher zu machen. Und welchen Erfolg die Generation gesellschaftlich
hatte. Problematisch bleibt aber sein Vorwurf, dass Fischer und Co. den Irakkrieg
ablehnten.

Paul Berman: IDEALISTEN AN DER MACHT – DIE PASSION DES JOSCHKA
FISCHER. SIEDLER. 19,95 EURO