Der Pole Marek Krajewski entdeckt das deutsche Breslau

Breslau kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges. Eine unheimliche Mordserie erschüttert die Stadt. Und Eberhard Mock von der Mordkommission. Denn offensichtlich werden nur Menschen ermordet, mit denen er in Kontakt kommt.

Ein Pole aus Breslau (Wroclaw) ist der Autor dieses packenden Krimis. Marek Krajewski (41) lässt die deutsche Stadt, die Hauptstadt Niederschlesiens, wieder aufleben. Er hat sich über alte Stadtpläne gemacht, die Strukturen der deutschen Stadtverwaltung und der preußischen Polizei genau studiert und sich einen Kommissar einfallen lassen, wie er nur direkt nach dem Ersten Weltkrieg denkbar ist.

Eberhard Mock hat sich seinen eigenen Kosmos in Breslau aufgebaut. Er kann mit der Unterwelt und ist dennoch ein leidenschaftlicher Polizist. Vier Matrosen werden tot aufgefunden. Ihre Knochen sind gebrochen, damit sie zu einer perversen Skulptur geformt werden konnten. Denn das einzige, was sie anhaben, sind lederne Lendenschurze.

Der Fall nimmt Mock sehr mit. Sein Freund, ein Arzt, ist der einzige Mensch, mit dem er reden kann. Vor allem, als deutlich wird, dass sämtliche Mordopfer, die dananch gefunden werden, mit Mock in Zusammenhang stehen. Das Sittenbild, das Krajewski zeichnet, ist nicht gerade schmeichelhaft. Aber für das Jahr 1919, als der verlorene
Erste Weltkrieg noch nicht verkraftet ist, als die Monarchie gestürzt, die Demokratie aber noch lange nicht etabliert ist, ist dieses Bild stimmig.

Auch die Handlung ist nachvollziehbar. Die Motive leuchten ein. Doch der Erzählstil macht  es dem Leser zunächst nicht leicht, ins Breslau von 1919 einzutauchen. Aber wer die ersten 50 Seiten gelesen hat, will dann doch wissen, wie der Fall ausgeht. Vor allem, weil es schon ziemlich lange dauert, bis sich die ersten Ahnungen, wer denn der Täter sein könnte,
verfestigen.

Ein spannender Krimi also, der vor allem von seinem Lokalkolorit lebt. Dass der von einem Polen geschrieben ist, macht das Buch noch interessanter. Denn immerhin war Breslau bis 1945 eine fast vollständig deutsche Stadt. Im Rahmen der Grenzverschiebung Polens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von Polen besiedelt. Und jetzt eignet sich ein Pole
die deutsche Geschichte Breslaus als die eigene an. Das ist mehr als reizvoll.

MAREK KRAJEWSKI: GESPENSTER IN BRESLAU. DTV, 14,50 €.

Brandenburger Vergleichsarbeiten als Drohkulisse

Die Grundschulgutachten sind da. Die Kinder der sechsten Klassen in Brandenburg wissen, welchen Bildungsgang ihre Lehrer ihnen zutrauen. Für diejenigen, die eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen haben und den Notenschnitt erfüllen, ist alles klar. Andere können beim Probeunterricht im April ihr Ziel noch erreichen. Was auf den ersten Blick ganz sinnvoll wirkt, ist aber vor allem bei der Gymnasialempfehlung oft eine Farce. Denn viele Lehrer bewerten nicht die Fähigkeiten der Schüler. Sie machen sich nicht die Mühe, die Kreativität, das soziale Engagement, die Familiensituation zu beurteilen, um daraus abzuleiten, ob ein Kind das Gymnasium bestehen dürfte.

Nein, sie schauen einfach auf die Note. Wer eine Zwei hat, bekommt die Empfehlung, wer schlechter ist, bekommt sie nicht. In der Regel tun sich diejenigen Lehrer am schwersten mit dieser Unterscheidung, die auf Auswendiglernen gesteigerten Wert legen, und für die Sekundärtugenden wie Sauberkeit und Ordnung das Maß ihrer Vorstellung von Bildung sind. Für die Kinder – und um die sollte es bei all diesen Fragen ja vor allem gehen – ist dies alles der reinste Wahnsinn. Auf sie wurde im letzten halben Jahr ein irrsinniger Druck ausgeübt. Schon kurz nach Schuljahresbeginn wurde mit den Vergleichsarbeiten eine Drohkulisse aufgebaut. Auch diese bildungspolitische Neuerung in Brandenburg zeigt, wie radikal der Wunsch nach Auslese in der Mark ist. Vergleichsarbeiten sind eigentlich dazu da, um zu testen, ob Lehrer in der Lage sind, den Stoff an ihre Schüler zu vermitteln. Eine Idee, die zu begrüßen ist.

Doch was hat die rot-schwarze Koalition in Potsdam daraus gemacht? Einen zentralen Test, um den Übergang aufs Gymnasium zu erschweren. In Mathematik und Deutsch wurden die Kinder getestet und benotet. Und zwar so massiv, dass Schüler durch eine schlechte Arbeit daran scheitern konnten, die oben erwähnte Quersumme zu erreichen. In Mathe schafften die Kinder gerade mal einen Schnitt von 3,4 landesweit. Es gab auch Klassen, die deutlich besser waren. Deren Schüler hatten offensichtlich Glück. Doch es wird auch Klassen geben, in denen das schlechte Testergebnis für die Lehrkräfte zum unüberwindbaren Hindernis für Schüler wurde, um sich auf den Weg zum Abitur machen zu können. Verbunden war das mit Druck. I

mmer wieder wurde den Kindern erzählt, wie wichtig diese Vergleichsarbeiten sind. Die Unsicherheit der Lehrkräfte, die ja selbst nicht wussten, was auf sie zu- kommt, wurde an die Kinder weitergegeben. Statt die Lehrer erst einmal zu testen, dann die Ergebnisse auszuwerten und dann eventuell zentrale Tests einzuführen, entschied sich die Brandenburger Politik für die brutalste Variante: ungebremster Druck auf die gesamte Schulgemeinschaft.

Denn die Eltern mussten sich ja auch noch mit dieser Unsicherheit beschäftigen. Und ihre Kinder immer wieder aufbauen. Und jede Menge Nachhilfe organisieren. Zwar will Minister Rupprecht die Gewichtung der Vergleichsarbeiten im kommenden Jahr reduzieren. Dennoch sind sie zusammen mit den Grundschulgutachten eine unschlagbare Kombination, um die Zahl der potenziellen Abiturienten bloß nicht zu vergrößern. Und das in einer Zeit, in der uns die Akademiker ausgehen – vor allem in Brandenburg.

Der Text ist im Tagesspiegel erschienen.

The Bosshoss live in Köln

Bosshoss: Live from Cologne
Bosshoss: Live from Cologne

Die Berliner Country-Rocker Bosshoss sind auf der Bühne groß geworden. Das ist auf der Doppel-CD Stallion Battalion Live in jedem ihrer Song zu hören. Boss und Hoss und ihre Band überzeugen nicht nur mit ihren Songs. Das haben sie nun schon hinlänglich bewiesen. Vor allem ihre Fähigkeit, das Publikum zu steuern ist faszinierend. Das kommt auf der beiliegenden DVD natürlich noch besser zur Geltung. Musikalisch bieten Bosshoss ihrerockige Mischung aus Cover-Versionen und eigenen Titeln. Die Songs haben einen unglaublichen Drive. Sie sind gespickt mit Ironie und dennoch nichts für den Kopf, sondern vor allem für Bauch und Beine. Denn bei Bosshoss ruhig zu bleiben, geht gar nicht. Bewegung ist ein Muss. Und vor allem eine große Lust!

Peter Paul Zahl lässt Kommissare kiffen

Peter Paul Zahl: Miss Mary Huana
Peter Paul Zahl: Miss Mary Huana

Peter-Paul Zahl wollte einst über jede der 14 Provinzen Jamaikas einen Krimi schreiben. Doch leider ist ihm die Puste ausgegangen. „Teufelsdroge Cannabis“ ist jetzt neu erschienen unter dem Titel „Miss Mary Huana“. Auf der einen Seite ist das schade, weil er statt neuem Stoff alten aufgemöbelt hat.

Auf der einen Seite ist das schade, weil er statt neuem Stoff alten aufgemöbelt hat. Auf der anderen lässt das hoffen: Neuer Verlag, neues Glück? Denn die Krimis um einen Bullen und einen Ex-Bullen, der sein Rasta-Leben mit vielen Kindern genießt, sind gut. Das beweist auch diese Neuauflage. Dennoch wäre es fein, wenn sich der auf Jamaika lebende Zahl mit den Problemen des Landes in der Gegenwart auseinandersetzen würde. Doch als Einstiegsdroge taugt Miss Mary Huana schon mal.

PETER PAUL ZAHL: MISS MARY HUANA. EDITION KÖLN, 15,90 EURO.

Lauscherlounge ist auf dem Treck nach Westen

Lauscherlounge: Der Treck nach Westen
Lauscherlounge: Der Treck nach Westen

Es erklingen die deutschen Stimmen von Richard Gere, Leonardo DiCaprio, Ben Stiller, Jackie Chan, George Clooney und anderen. Sie spielen einen Western um Buffalo Bill. Sie trinken, flirten, schießen, küssen und pokern. Und das alles live. Das Publikum des Mitschnitts von „Der Treck nach Westen“ von der Lauscherlounge hat seinen Spaß.

Kein Wunder. Die Geschichte ist lustig, die Vorstellung, wie sich die Hollywoodstars in der Story bewegen, sorgt für zusätzlichen Humor. Mit der Idee, Hörspiele live zu spielen, hat die Berliner Lauscherlounge eine Nische besetzt. Das Stück um Vatereifersucht, Betrug und Wilden Westen ist ein Musterbeispiel dafür, wie unser Hirn sich hinzudenkt, was es gar nicht sieht. Herrlich!

Lauscherlounge: DER TRECK NACH WESTEN, LÜBBE AUDIO, 3 CD, 15,95 EURO.

Thomas Brussig gibt Schiedsrichter Fertig eine Stimme

Thomas Brussig: Schiedsrichter Fertig - Eine Litanei
Thomas Brussig: Schiedsrichter Fertig – Eine Litanei

Es gibt Bücher über Torhüter. Es gibt Jugendbücher über Stürmer und Trainer. Aber den Schiedsrichter hat noch niemand ausführlich literarisch gewürdigt. Diese Aufgabe hat nun Thomas Brussig (43) übernommen. Und meisterhaft gelöst.

Schiedsrichter Fertig sind gut 90 Seiten fließende Gedanken darüber, wie sich Schiedsrichter fühlen, wie sie gesehen werden und wie ungerecht die Öffentlichkeit mit ihnen umgeht. Brussigs Schiedsrichter vergleicht sich mit einem Chirurgen, der wie der Referee nur dann gut ist, wenn von seinem Eingriff nichts zu spüren ist. Der Text ist stringent und logisch. Er ist unterhaltend und beklemmend. Kurz: Er ist das Beste, was seit Langem über Fußball geschrieben wurde.

Umberto Eco beschreibt die Häßlichkeit

Umberto Eco: Die Geschichte der Häßlichkeit
Umberto Eco: Die Geschichte der Häßlichkeit

Die Schönheit ist das Ideal aller Kunst. Alles Hässliche hat gegen den Wunsch nach dem vollendeten Körper, der Brust, die der Schwerkraft widerstrebt, dem klaren
Blick oder dem ebenen Gesicht, keine Chance. Allerdings gibt es ohne das Hässliche auch das Schöne nicht.

Umberto Eco (76) hat unendlich viele Bilder auf der Suche nach dem Hässlichen betrachtet. Er
durchstöberte Fotos, schaute Filme und kramte in seinem literarischen Gedächtnis, um herauszufinden,
was hässlich ist. Überraschendes Ergebnis: Es gibt mehr Hässlichkeit als Schönheit. Während sich ganz klar beschreiben lässt, was schön ist, gelingt dies
beim Gegenteil nicht so einfach.

Seinem neuen Buch Die Geschichte der Häßlichkeit ging vor drei Jahren eines über die Schönheit voraus. Doch das neue hat Eco sichtlich mehr Spaß gemacht. Hier kann er sich austoben und das Abseitige beschreiben. All seine hässlichen Figuren, die Im Namen der Rose oder in Baudolino seine Romane bevölkerten, bekommen hier Gesichter. Und zwar von den ganz großen Malern gemalt. So wird Ecos Suche für die Leser seiner Bücher auch zu einer Fundgrube seiner Stoffe.

Umberto Eco wäre nicht so erfolgreich als Wissenschaftler und vor allem als Autor, wenn er nicht so gut seine enorme Bildung mit dem Alltag seiner Leser in Beziehung setzen könnte. Er wühlt nicht nur in der Antike, in mittelalterlicher Kunst und dem Barock. Eco zieht zum Beispiel bei der Frage nach der Darstellung des Todes auch Material aus Filmen, Karikaturen und der modernen Kunst heran. So macht er seine Überlegungen auch für Normalbürger zugänglich.

Und er testet seine Thesen ganz nebenbei auf ihre Richtigkeit. Richtig faszinierend ist das Kapitel über „Das Häßliche, das Komische und das Obszöne“. Da lebt der Karneval auf, da zeigt Eco, wie die Karikatur – und damit der Comic – in die Welt kam. Und welchen Spaß
wir alle daran haben. Wie öde wäre es, würden wir uns nur mit Schönem beschäftigen. Mit E.T., Marylin Manson (38) und Punk beendet Eco dann die Reise durch die Geschichte des
Hässlichen.

P.R. Kantate ist janz dick im Jeschäft

Der Berliner Plattenreiter Kantate hat sich die deutsche Rockmusik der 80er-Jahre noch mal angehört. Und Rio Reisers „König von Deutschland“ in einen Kreuzberger verwandelt. Und aus „Karl dem Käfer“ einen Kiffer gemacht. Das Gute daran: Es sind richtig gute Songs entstanden.

P. R. Kantate hat das Covern als Kunst begriffen und sich Songs von Ideal, Trio, Grauzone angeeignet. Er hat sie neu abgemischt, mit neuen Texten oder Textteilen versehen und so zu Berliner Songs eines Jungen vom Kiez in Kreuzberg gemacht. Das Ganze ist mit Reggae-
Rhythmen unterlegt und zu einer extrem tanzbaren Musik gemixt.

Seine selbstironischen Einschübe unter dem Titel „Radio Ragga“ geben dem ganzen Halt und Struktur. Das Ganze ist also ein echter Knüller, verspielt und doch mit Witz und Schärfe.

Trikont feiert Weihnachtslieder mal ganz anders

Weihnachtsgedudel allerorten. Aus jeder Box im Kaufhaus, aus jedem Radio, selbst in den Fußgängerzonen trällern perwollweichgespülte Weihnachtsweisen aus den Lautsprechern. Wem das zu viel ist – und wem sollte das nicht zu viel sein? – für den hat das kleine, feine Label Trikont eine passende Ausgabe von Weihnachtsliedern.

Wish you heißt das Album, auf dem 19 Songs rund um das Thema Weihnachten, Geschenke und Gefühl versammelt sind. Da erklingen Country-, Mambo- und Jazzklänge.
Da ist wunderbarer Schlager aus den 40er-Jahren dabei. Und selbst „Last Christmas“ von George Michael (44) erklingt hier – aber in einer Country-Version von „The Twang“. Der einfache Kunstkniff, dem Song einen anderen Sound zu geben, sorgt dafür, dass selbst diese schlimmste aller Christmas-Schnulzen schön wird – und eine Erholung für die Ohren.
Renate Heilmeier hat die Sammlung zusammengestellt.

Wer will, kann auf die Texte hören und über Weihnachten sinnieren. Wem die säuselnden Engelschöre vergangen sind, der kann diese CD auch nach Weihnachten noch wunderbar
hören. Denn ohne die Texte funktioniert die Musik einfach als gute Musik. Ganz ohne Schmalz und Glockenklingeln.

Flann O’Brien freut sich über „Das harte Leben“

Mit diesem achten Band ist die Werkausgabe des irischen Autors Flann O’Brienn (1911 bis 1966) in der Übersetzung von Harry Rowohlt (62) vollbracht. Die knapp 150 Seiten von „Das harte Leben“, das 1961 erstmals erschienen ist, ist so etwas wie die komprimierte
Zusammenfassung dessen, was den Iren O’Brien noch heute so lesenswert macht.

Das Buch ist böse, es ist eine gelungene Satire auf heuchlerische katholische Priester, absurd wohltätige irische Müßiggänger und eine Hommage an die Nationalgetränke Whiskey und ganz dunkles Bier. Wer Humor, der so schwarz ist wie das Guiness,
mag, der ist bei Flann O’Brien gut aufgehoben. Der entdeckt mit „Das harte Leben“ einen der ganz großen irischen Dichter.

Flann O’Brien: Das harte Leben, Kein & Aber, 16,90 EURO.