Im Mai 1933 hat Erich Kästner verfolgt, wie Nationalsozialisten seine Bücher verbrannten. Die meisten anderen verbrannten Autoren waren da schon geflohen. Auch ihm wurde geraten Deutschland zu verlassen. Aber Erich Kästner blieb. Trotz Veröffentlichungsverbot, trotz der steten Gefahr verhaftet zu werden, ist er in Berlin geblieben. Er fasste den Vorsatz, den Roman über das Dritte Reich aus eigener Anschauung im Land Hitlers zu schreiben. Als Vorbereitung dafür führte er sein Tagebuch, das jetzt in Teilen als „Das Blaue Buch“ veröffentlicht wurde.
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Zum Entdecken des Entdeckers Ludwig Leichhardt: Briefwechsel und Tagebuch
Zum 200. Geburtstag Ludwig Leichhardts sind einige Bücher erschienen. Ganz neu ist ein Band, der die Beiträge zum Leichhardt-Symposium in diesem Jahr versammelt. Das von Günter Bayerl und Tim Müller herausgegebene Buch ist für Fortgeschrittene sicherlich lesenswert. Wer aber Ludwig Leichhardt erst noch kennenlernen will, der sollte mit seinen eigenen Texten anfangen. Franz Braumann hat „Die erste Durchquerung Australiens“ nach Leichhardts Tagebüchern herausgebracht. Der Erdmann-Verlag, der für seine Bücher über und von Entdeckern und Seefahrer aller Zeitalter bekannt ist, hat das Buch 20 Jahre nach der vergriffenen Erstauflage noch einmal veröffentlicht.
Jonathan Littell erschüttert mit seinen Notizen aus Homs
Mitten in Homs genießt Jonathan Littell am 27. Januar einige Stunden Ruhe ohne Beschuss. Selbst ein Spaziergang war ihm und dem Fotografen Read möglich: „Das Licht verändert sich pausenlos, während die Wolken vorbeiziehen. In den Pfützen spiegeln sich der Himmel und die Fassaden der Häuser.“ Ein Moment der Idylle verschafft ihm und dem Leser Ruhe zum Durchatmen. Aber der Spaziergang öffnet auch den Blick für die Gewaltbereitschaft des Assad-Regimes in Syrien: „Durch die Treppenhausöffnungen sieht man die Zitadelle, ganz nah, keine 200 Meter entfernt.“ 200 Meter. Für die Scharfschützen der syrischen Armee ist das keine Entfernung. Und deshalb nehmen sie ständig dieses Viertel mit Rebellen in Homs unter Beschuss.
Jonathan Littell war vom 16. Januar bis zum 2. Februar in Homs. Während ich einem jungen Mann lauschte, der aus dem Tagebuch einer jungen Frau aus den 20er-Jahren vorlas, hielt er sich da auf, wo Menschen auf ein Leben ohne Diktatur hofften. Während ich wohlig in einem hippen Neuköllner Raum zusammen mit zwei Freundinnen anläßlich eines Geburtstages lauschte, wie eine junge Frau ihre erste Liebe in ihrem Tagebuch diskutierte, war Littell da, wo Frauen und Kinder, wo Männer, die sich gegen Assad auflehnen – und mit dem Leben bezahlen. Während wir Geburtstag feierten, wurden in Homs von Heckenschützen ermordeten beedigt. Für sie gibt es keine Geburtstage mehr. Littell besuchte die Untergrund-Hospitale, diskutierte die vergebliche Hoffnung auf Hilfe aus dem Westen, ertrug den Anblick von toten Männern, die von der Armee des eigenen Landes hingeschlachtet wurden.
Diese Diskrepanz macht den ruhigen und sachlichen Text Littells immer wieder unerträglich. Und doch muss er gelesen werden. Littells Buch ist ein Dokument, das zeigt, wie wir alle in Syrien versagt haben. Littell war vor dem großen Bombenangriff Assads auf Homs in der Stadt. Viele seiner Gesprächspartner leben nicht mehr – sie sind einige Tage nach Littells Ausreise von Assads Armee ermordet worden. Und das nur, weil sie Freiheit wollten, weil sie nicht mehr einem Diktator dienen wollten. Zu diesem Zeitpunkt hatten Islamisten kaum Einfluss auf Littells Gesprächspartner. Aber je länger der Westen zuschaut, wie Tausende, Zehntausende Syrer sterben, umso leichter wird die tatkräftige Hilfe von radikalen Islamisten angenommen. Denn es geht um das Überleben. Und in dieser Situation ist die tatsächliche Hilfe wichtig – und nicht absurde Beschwörungen eines Friedens mit dem Diktator, den es nicht geben kann.
Littells Buch „Notizen aus Homs“ ist ein erschütternd starkes Buch. Am 29. Januar, an meinem eigenen Geburtstag, hat Littell von einem ehemaligen Gefängnisarzt geschildert bekommen, wie Ärzte Folter dulden oder gar selbst foltern. Zur gleichen Zeit, als ich in der Märchenhütte in Berlin Mitte ein hinreißend lustiges Märchenthaeterstück sah, erlebte Littell, wie Opfer von Scharfschützen nur mit Mühe gerettet werden können – und ein anderer Mann an seinen Verletzungen stirbt. Und während ich mit meiner Familie beim Türken Köstlichkeiten aß, die Littell auch in Syrien bekam, wird ihm ein Handy gezeigt, das eine Projektil ablenkte. Dieses Handy hat einem Mann das Leben gerettet. Es hat die Kugel so abgelenkt und gebremst dass sie einige Zentimeter vor dem Herzen stoppte. An das Geburtstagsessen zu denken, während ich das Buch lese, ist irre. So wie diese Welt, in der wir immer viel zu wenig helfen, den Wahnsinn zu beenden.
Jonathan Litell: Notizen aus Homs, Hanser Berlin.
Wenn junge Männer Tagebücher junger Frauen vorlesen
Gut 50 Zuhörer auf 50 Quadratmeter drängen sich in einem ehemaligen Ladenlokal in Neukölln. Die Enge macht die eisige Kälte erträglicher, wenn die Tür aufgeht und noch mehr zu dieser Lesung in den Raum drängen. Die Frauen tragen Nasenring oder mindestens Nasensticker. Die Wände lassen ehemalige Tapeten und Anstriche erahnen. Die Beleuchtung zierte einst eine Chouchgarnitur mit Nierentisch. Und das große Bild des Malers dieses Ateliers hängt nicht an der Wand, sondern trocknet auf Bierkästen.
An einem kleinen Tisch sitzt ein hagerer junger Mann ganz in weinrot gekleidet. Zum Vortrag bringt er ein Tagebuch. Eine Hilde hat es mit knapp 18 Jahren 1928/29 in Mannheim geschrieben. Theodor Schmidt liest den Text als sei es ein Roman. Eine Geschichte vom Verliebtsein einer jungen Frau in einen Schauspieler am Theater. Die Zuhörer erleben den ersten Kuss, sie fiebern bei der ersten Knutscherei im Auto des zweiten Schauspielers und sie lachen, wenn Hilde ihre nächsten Küsse plant.
All die Gefühle sind aus der eigenen Jugend irgendwie vertraut. Aber die Sprache ist doch manchmal etwas seltsam. Eine eigenartige Spannung baut sich auf, die durch den lesenden Mann der Frauengedanken noch verstärkt wird. Etwa wenn er über Wörter wie „Busserl“ oder „Gspusi“ stolpert. Dann wird die Nähe, wie sie bei der Lesung eines Autors seines eigenen Textes immer zu spüren ist, gestört. Dann verschwindet für einen Moment der Eindruck, als höre man doch ein Buch von Schmidt, das als Hildes Tagebuch getarnt wird.
Die Geschichte von Hildes Eroberungen und dem Abgewiesen-Werden ist mehr als eine gute Abend-Unterhaltung. Die Spannung der Authentizität überträgt sich trotz aller Irritationen. Und so erträgt der Zuschauer auch das schwarze Einhorn, das auf den Bierkisten trocknet. Obwohl Hilde nur küsste – und sich nicht traute, es mit einem der Einhörner vom Theater wirklich aufzunehmen.