Pegida und die Lügenpresse – Verweigerung der Wirklichkeit

Dresden und die angrenzenden Landkreise sind fest in der Hand der „Sächsischen Zeitung“. 1,6 Millionen Menschen leben in der Region. Knapp 235.000 von ihnen haben die Regionalzeitung abonniert. Das ist gut jeder siebte. Wenn man bedenkt, dass jedes Exemplar von zwei bis drei Menschen gelesen wird, dann kommt man auf eine Reichweite der „Sächsischen Zeitung“ von 28 bis 42 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss, dass zwischen 58 und 72 Prozent der Sachsen ihr Regionalblatt nicht lesen.

Dieser Befund ist nicht wirklich überraschend. Die Zahlen sind vergleichbar mit vielen Regionen in Deutschland. Weshalb sie für Dresden jetzt so interessant sind, liegt an der Ablehnung der „Lügenpresse“ durch die fremdenfeindlichen Pegida-Anhänger in Dresden. Zwar gibt es in Dresden noch die kleine Zeitung „Dresdner Neueste Nachrichten“ und die „Morgenpost“. Aber auch zusammen mit deren Auflage lesen in der Region höchstens die Hälfte Zeitung. Die andere Hälfte hat mit Printprodukten nichts zu tun. Oder nichts mehr. Denn der Auflagenverlust der vergangenen zehn bis 20 Jahre belegt, dass die Zeitung für immer weniger Menschen notwendig ist. Vor 15 Jahren abonnierten noch 361.981 die „Sächsische Zeitung“. Das ist in 15 Jahren ein Auflagenrückgang von 35 Prozent.

Die Regionalzeitungen waren immer die Medien, die von den meisten Deutschen rezipiert wurden. Sie erklärten die Welt, sortierten, wer auf welcher politischen Ebene für was verantwortlich ist. Sie hatten das lokale Umfeld des Lesers genauso im Blick wie Landes-, Bundes- und Außenpolitik. Und das tun sie noch heute. Die Pegida-Anhänger denunzieren diese Leistung. Sie behaupten, dass alle Journalisten von „Sächsischer Zeitung“, überregionalen Zeitungen, Hörfunk, TV und Online-Medien gleichgeschaltet seien. Und dass sie sich weigern, die Wirklichkeit wahrzunehmen. Dabei ist gerade ihre Weigerung, sich mit den Median auseinanderzusetzen und sie als „Lügenpresse“ zu diffamieren, ein Beleg für ihre Wirklichkeitsverweigerung.

Nun machen Journalisten Fehler. Sie können nicht über alles schreiben. Der Sparzwang in den Redaktionen führt dazu, dass nicht mehr über jeden Ort, jedes Ereignis berichtet werden kann. Wer über das, was ihn umgibt, nichts mehr in der Zeitung findet, verliert langsam das Interesse an ihr – oder hat es nie gewinnen können. Aber auch das ist zu einfach. Damit kann man erklären, warum sich nicht mehr informiert wird. Aber vor allem zeigt es, dass die Grundfunktion der Regionalzeitung, nämlich die bürgerliche Öffentlichkeit zu konstituieren, von den Dresdner Demonstranten nicht mehr gewollt wird. Und das ist das eigentlich dramatische.

Die Pegida-Anhänger missbrauchen den Ruf der friedlichen Revolution. Sie skandieren: “ Wir sind das Volk.“ Im Gegensatz zu 1989 bringen sie damit zum Ausdruck, dass sie sich nicht als Bürger verstehen, sondern als Teil eines völkischen Ganzen. Als Bürger müssten sie sich informieren und einbringen, müssten Diskussionen führen und eine Kompromisskultur leben. Aber sie wollen keine Kompromisse. Sie wollen nicht teilen, weder mit Flüchtlingen noch mit irgend jemandem anderen. Sie wollen sein, was sie schon immer waren. Und auf keinen Fall wollen sie mit der Wirklichkeit konfrontiert werden. Sonst würden sie sich mit der „Sächsischen Zeitung“ oder anderen Medien auseinandersetzen. Und sie nicht als Lügenpresse niederbrüllen. „Wir sind das Volk“ wird von ihnen völkisch umgedeutet. Und „Lügenpresse“ ist mindestens seit Joseph Goebbels der Terminus technicus der Rechtsextremen, um freie Medien und die Demokratie zu diffamieren. Das ist der Rahmen, in dem sich Pegida bewegt.

Der gefährliche Mix aus Medienverachtung, völkischem Ressentiment und Beleidigt-Sein auf der einen Seite, veränderter Medienlandschaft und der damit verbunden Abkoppelung eines großenTeils der Gesellschaft von den demokratischen Beteiligungsprozessen auf der anderen, das sind die großen Herausforderungen im Umgang mit Pegida. Das erfordert vor allem neue Ideen für eine andere mediale Landschaft, die Journalismus nicht als konstitutiv begreift und notfalls auch unabhängig von den Regionalzeitungen finanziert, oder in Kombination mit ihnen.

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Mehr zum Thema: Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern? – Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

(1) – Einführung
(2) – Kommunikations-Versagen: Stuttgart 21
(3) – Kommunikations-Versagen: Flughafen Schönefeld
(4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen

(5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
(6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
(7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
(8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation
(9) – Bürgerengagement im Netz

Politische Kommunikation (1)

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Das Thema für diesen Vortrag klingt etwas nach Obrigkeitsstaat. Denn es kann ja nur zum Teil darum gehen, wie die Politik oder die Verwaltung von oben nach unten kommuniziert. Wesentlich für die Kommunikation politischer Prozesse sind die medialen Vorraussetzungen dafür. Wie wird bürgerliche Öffentlichkeit hergestellt und gibt es dabei gravierende Veränderungen. Deshalb will ich zunächst anhand dreier Beispiele schildern, was meiner Meinung nach die zentralen Probleme bei der Kommunikation von oben nach unten sein können. Anschließend werde ich einen Blick auf die massive Veränderung der bürgerlichen Öffentlichkeit werfen, um in der Folge einen möglichen Lösungsansatz vorzuschlagen. Am Ende will ich noch einige Anmerkungen zu den Veränderungen durch das Internet und Social Media machen, die nicht dem weit verbreiteten Kulturpessimismus der Alten huldigen.

Die einzelnen Teile des Vortrags:

Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen bei Stuttgart 21
Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen beim Flughafen Schönefeld Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation
Politische Kommunikation (9) – Bürgerengagement im Netz

Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen bei Stuttgart 21

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Politische Kommunikation (1) -Einführung

Kommunikations-Versagen: Stuttgart 21

Wenn wir das Versagen der politischen Kommunikation bei Stuttgart 21 betrachten, fällt vor allem auf, dass wesentliche Teile des Projekts nicht kommuniziert wurden. Im Kern ist Stuttgart 21 ein gigantischer Immobiliendeal, der den öffentlichen Grund der Bahn bei den dann überflüssigen Bahnanlagen privatisieren soll. Mit den Erlösen wiederum soll ein Teil des Bahnhofs finanziert werden. Angesichts der Grundstücksknappheit in vielen Großstädten ist es durchaus legitim, überflüssige Gleisanlagen zurückzubauen. Aber da das Eigentum der Bahn nach wie vor unser aller Eigentum ist es mehr als problematisch, wenn die Bürger davon nichts haben.

Im Schlichtungsverfahren sind wichtige Aspekte nachgebessert worden. Jetzt geht es auch um erschwinglichen Baugrund für Stuttgarter und – so viel ich weiß – sozialen Wohnungsbau. Wären solche Ideen frühzeitig entwickelt und kommuniziert worden, wäre das Projekt nicht nur als eines, das von oben für die Wirtschaft durchgesetzt wird, wahrgenommen worden. Außerdem gab es ja den Wunsch, ein Bürgerbegehren durchzuführen. Dieses wurde abgeschmettert. Hätte es stattgefunden, wäre die Befriedung Stuttgarts leichter möglich gewesen. Das Bürgervotum wird ja fast immer akzeptiert. Aber die Art und Weise wie es nicht zu dazu kam, ist ein nicht weiteres Element, das zum steigenden Misstrauen führte.

Ein Misstrauen, das schließlich sehr viele Bürger zu bürgerschaftlichen Engagement bewegte. Sie arbeiteten sich in Planungsrecht ein. Sie berechneten Zugfolgen. Wer kommt auf die Idee, Zugfolgen zu berechnen? Abende lang haben sich diese Bürger mit Fragen auseinandergesetzt, mit denen sich normale Bürger nicht auseinandersetzen. Das machen nur Bürger, die am Gemeinwesen interessiert sind. Dieser Aspekt wird in der Kommunikation der Verantwortlichen meist unterschlagen. Die Sachkenntnis der Bürger ist enorm. Ihr muss sich Politik stellen.

Auch wenn oft nicht klar ist, wer das eigentlich ist: verantwortlich in der Politik. Dafür ist Stuttgart 21 auch ein gutes Beispiel. Die Vermischung der Verantwortungsebenen macht es dem Bürger fast unmöglich, ein differenziertes Urteil abzugeben. Außerdem wird in den Medien kaum dargestellt, welche Ebene für welchen speziellen Teil verantwortlich ist. Die von Oben-Nach-Unten-Kommunikation verhindert das. Und zwar bewusst. Verstärkt wird das noch durch administrativ-formale Prozesse, die so verrechtlicht sind, dass es fast schon wirkt, als solle mit ihnen eine besondere Form der Bürgerferne hergestellt werden. Mit ihnen ist zwar formal alles korrekt gelaufen, aber am Bürger vorbei. Dem bleibt dann nur der Groll „gegen die da oben.“

Fortsetzung des Vortrags:
Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen Flughafen Schönefeld
Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation
Politische Kommunikation (9) – Bürgerengagement im Netz

Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen beim Flughafen Schönefeld

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Politische Kommunikation (1) -Einführung
Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen bei Stuttgart 21

Kommunikations-Versagen: Flughafen Schönefeld

Wenn man es drastisch ausdrücken will, dann werden die Menschen im Umfeld des Flughafens Schönefelds seit 1998 angelogen. Stimmen die Meldungen, dass das Brandenburgische Infrastrukturministerium schon seit 1998 weiß, dass es keinen parallelen Flugbetrieb auf den beiden neuen Startbahnen geben darf, dann trifft der Ausdruck zu. Denn nach EU-Recht ist ein Abknicken um 15 Grad Pflicht. Das Planfeststellungsverfahren ist aber vom Parallelbetrieb ausgegangen.

Das hatte zwei dramatische Folgen: Zum einen durften sich viele vom Fluglärmbetroffene am Planfeststellungsverfahren nicht beteiligen. Sie wurden aufgrund einer falschen – wahrscheinlich sogar bewusst falschen – Annahme von den Auswirkungen des Flughafens ausgeschlossen. Sie haben ihre Partizipationsrechte verloren. Zum anderen haben aufgrund der falschen Auskunft Tausende, ja Zehntausende Berliner und Brandenburger ihr Vermögen in Grundstücke und Häuser in der falschen Annahme investiert, sie seien vom Fluglärm nicht betroffen. Diese Bürger haben sich bei Ämtern und Ministerien erkundigt, ob sie der Fluglärm treffen wird und bekamen stets die Aussage, dass die Fluglärmkarte des Parallelbetriebs gelte. Sie fühlen sich alle angelogen und befürchten die de facto Teilenteignung.

Der Vertrauensverlust in die Politik ist so groß, dass sich viele aufgrund dieser persönlichen negativen Erfahrung abwenden. Der Großteil von ihnen ist besser gebildet, sehr viele mit Hochschulabschluss, und er ist finanziell so gut gestellt, dass er sich ein Haus leisten kann. Eigentlich handelt es sich dabei um genau die, die das Rückgrat einer demokratischen Gesellschaft bilden. Jedem wird bei diesem Beispiel sofort klar sein, dass der Versuch, es den Bürgern zu sagen, vollkommen gescheitert ist. Verstärkt wurde das Desaster noch durch die Auftritte von Ministerpräsident Platzeck und Bürgermeister Wowereit bei den Demonstrationen gegen die neuen Flugrouten. Sie versprachen den Bürgern, dass Lärmschutz wichtiger sei als Wirtschaftlichkeit.

Das Problem: Es gibt nur zwei Hebel, um dieses Versprechen umzusetzen. Der eine wäre eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Flugsicherheitsgesetzes, in dem ganz klar steht, dass erst die Sicherheit, dann die Wirtschaftlichkeit und als drittes der Lärmschutz beim Betrieb eines Flughafens kommt. Im Gesetz müsste nur zweitens mit drittens getauscht werden und schon könnte das Versprechen der Landesväter gehalten werden. Der zweite Hebel, um das Versprechen zu halten, wäre ein Antrag im Aufsichtsrat der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH (FBS), der festlegt, dass der Lärmschutz priorisiert wird. Da beide in diesem Gremium sitzen, wäre das möglich. Beides ist nicht passiert. Obwohl sie Abhilfe versprachen, haben sie nicht da gehandelt, wo es zur Durchsetzung des Versprechens möglich wäre.

Da der Sachverstand der Bürger massiv gestiegen ist, wissen sie um diese Lüge, die zweite Lüge nach der Parallelbetrieb-Lüge. Ein größeres Desaster in der Kommunikation ist gar nicht darstellbar. Wer so agiert, darf sich über Widerstand nicht beklagen. Auch bei Schönefeld ist das Engagement der Bürger sehr groß. Es ging so weit, dass von einem Bürger eine Abflugroute vorgeschlagen wurde, die viel Lärm vermeidet. Die Hoffmann-Kurve ist inzwischen Bestandteil des Routenkonzeptes. Auch hier gilt also, dass Protest mehr ist als Nein-Sagen. Er ist Engagement, über das sich die Politik freuen müsste.

Auch im Fall Schönefeld hat es sehr lang gedauert, bis in den Medien die Veranwortlichkeiten benannt wurden. Die Handlungsoptionen der Politik wurden allerdings kaum klar dargestellt. Der Vertrauensverlust schlägt sich inzwischen auch in Meinungsumfragen nieder. In der jüngsten von rbb und Märkischer Allgemeinen hat sich die Zahl derer, die nicht einmal mehr bei Umfragen angeben will, wen sie am kommenden Sonntag wählen könnte, von circa 15 auf 30 Prozent gestiegen. Das liegt sicherlich nicht nur an Schönefeld, aber das Zeichen ist dramatisch. Vor allem als Zeichen vielfachen dramatischen Kommunikations-Versagens von oben.

Fortsetzung des Vortrags:
Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation
Politische Kommunikation (9) – Bürgerengagement im Netz

Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Politische Kommunikation (1) -Einführung
Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen: Stuttgart 21
Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen: Flughafen Schönefeld

Kommunikations-Versagen: Hochspannungsleitungen für den Atomausstieg

Als drittes Beispiel für eine völlig verfehlte Kommunikation nach dem Motto: „Wie sage ich es meinen Bürgern“ bietet sich derzeit das Thema Stromtrassen durch Deutschland an. Auch hier werden nicht die eigentlichen Ursachen benannt. Die politische Kommunikation ist von der Annahme geprägt, dass die Stromproduktion der Atomkraftwerke am gleichen Ort ersetzt werden muss. Und dies durch eine Infrastruktur, die weiter auf zentralen Erzeuger- und Verteilereinheiten beruht.

Es wird keine Diskussion darüber geführt, ob das der einzig gangbare Weg wäre. Die Themen Dezentralisierung der Energieversorgung und der Energieproduktion spielen keine Rolle. Deshalb lässt sich sagen, dass es im Kern darum geht, die Interessen der vier großen Energiekonzerne ins Zeitalter der erneuerbaren Energien zu retten. Auch bei diesem Thema lassen sich zwei Versäumnisse der politischen Kommunikation feststellen. Zum einen wird nicht wirklich offen über Optionen gesprochen. Stattdessen wird das unsägliche „alternativlos“ immer wieder wiederholt.

Zum zweiten wird der Sachverstand der Bürger unterschätzt. Die Anzahl derer, die an Windkraftanlagen beteiligt ist oder auf dem eigenen Dach eine Photovoltaikanlage betreibt, geht in die Hunderttausende. Sie alle haben sich mit dem Thema beschäftigt. Sie wissen zumindest in Teilen, dass die Dezentralisierung eine Option – vielleicht nicht für das gesamte, aber immerhin für bedeutende Teile – der Energieversorgung sein könnte. Kommunikation von oben, die das Engagement und den Sachverstand der Bürger ignoriert, produziert zwangsläufig schwer steuerbare Konflikte. Verstärkt wird dies durch eine Medienlandschaft, die sich kaum mit den Alternativen befasst, sondern in der Regel nur mit den Informationen, die von der Bundesregierung, den Netzbetreibern oder der Wirtschaft geliefert werden, arbeitet. Diese werden kaum hinterfragt.

Außerdem werden auch in diesem Fall die Verantwortlichkeiten nicht transparent dargestellt. Wer hat die Planungshoheit? Wer kann politisch entscheiden? Wann ist Bürgerbeteiligung möglich? Welche Rolle spielen Kommunen, Kreise, Länder und der Bund? All das wird in der Berichterstattung meist nicht klar herausgearbeitet. Wenn es dann zum Unmut der Betroffenen kommt, ist das kein Wunder. Und mehr noch: Der Ärger und der Widerstand ist vorprogrammiert.

Fortsetzung des Vortrags:
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation
Politische Kommunikation (9) – Bürgerengagement im Netz

Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Politische Kommunikation (1) – Einführung
Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen: Stuttgart 21
Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen: Flughafen Schönefeld
Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen

Veränderte Rolle der Tageszeitungen

Wer sich mit der politischen Kommunikation in Deutschland beschäftigt, darf nicht nur auf die Art und Weise schauen, wie die Politik in Richtung Bevölkerung kommuniziert. Ganz wesentlich ist ein Blick auf die Medien, die die politische Kommunikation maßgeblich prägen. Sie sind es, die über Verantwortlichkeiten aufklären und Sachverhalte erklären. Sie stellen die Fragen, die zum Verständnis komplexer Sachverhalte für die Bürger unerlässlich sind. Demokratie lebt von der Beteiligung der Bürger. Diese aktive Form der Teilhabe setzt Wissen um Zuständigkeiten und Verfahren voraus. In einer demokratischen Gesellschaft, in der es eine Vielzahl von Entscheidungsebenen gibt, muss der mündige Bürger in der Lage sein, sich immer neues Wissen selbst aktiv anzueignen. Um sich ein Bild von den Entscheidungsstrukturen, den politischen Akteuren und ihren Netzwerken machen zu können, muss er zudem seine kommunalen Mandatsträger, Abgeordneten, kommunalen Wahlbeamten, Minister und Kommissionsmitglieder kennen. Wobei kennen hier nicht meint, mit ihnen persönlich bekannt zu sein.

Um das Funktionieren der repräsentativen Demokratie sicherzustellen, geht es vielmehr um die Möglichkeit, politische Positionen und ihre jeweiligen Konsequenzen eigenständig und unabhängig in der Kommune, im Land, im Bund und in Europa beurteilen zu können. Eine bürgerliche Öffentlichkeit bedarf funktionierender Medien. In der Vergangenheit übernahmen für bundes- und landespolitische Themen vor allem die überregionalen Tageszeitungen, die Nachrichtenmagazine und das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen die Funktion, die Bürger mit Informationen und Hintergründen zu versorgen, die zu einer Teilhabe am politischen Leben notwendig sind. Auf kommunaler und regionaler Ebene oblag diese Funktion bis dato den regionalen und lokalen Tageszeitungen. Auch sie nahmen dabei immer die Landes-, Bundes- und Europapolitik ins Visier, das stark durch eine regionale Optik geprägt war.

Fortsetzung des Vortrags:
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern

Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation

Politische Kommunikation (9) –  Bürgerengagement im Netz

Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit denoch herstellen?

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Politische Kommunikation (1) – Einführung
Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen: Stuttgart 21
Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen: Flughafen Schönefeld
Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern

Wie lässt sich bürgerliche Öffentlichkeit dennoch herstellen?

Die sich auflösende Funktion der Regionalzeitung kann bislang von keinem anderen Medium kompensiert werden. Das liegt vor allem an der unzureichenden Ertragssituation im Lesermarkt und im Anzeigenmarkt. Allenfalls die über Gebühren finanzierten Öffentlich-Rechtlichen Sender können es sich leisten, unabhängig vom Markt ihre publizistische Aufgabe wahrzunehmen. Aber diese Sender sind nicht lokal gebunden. Sie berichten nur punktuell und oft auch nur bei sogenannten „Aufreger-Themen“. Kontinuität im Lokalen und Regionalen wird von ihnen nicht gewährleistet. Aber genau diese Funktion muss erfüllt werden, um Demokratie überall in Deutschland am Leben zu halten. Das Internet bietet alle Voraussetzungen, die publizistische Lücke zu schließen.

Allerdings ist der wirtschaftliche Betrieb eines anspruchsvollen publizistischen Portals mit starker lokaler Ausrichtung vor allem in Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern auf absehbare Zeit nicht möglich. Doch für das Funktionieren der Demokratie vor Ort, für bürgerschaftliches Engagement und die Vernetzung von Akteuren ist schon jetzt ein solches publizistisches Angebot notwendig. Es muss mit gut qualifizierten Journalisten nicht nur die Chronistenpflicht abdecken, sondern vor allem erläutern, welche Verantwortlichkeiten in der Gemeinde, dem Kreis, dem Land, dem Bund und der Europäischen Union für Entscheidungen zuständig sind. Es muss zudem sicherstellen, dass es als seriöse Plattform für die öffentliche Debatte angenommen wird. Und es muss durch Vernetzung und öffentliche Veranstaltungen die Bildung von solchen regionalen Netzwerken unterstützen, die die Aushandlung demokratischer Prozesse befördern und nachvollziehbar machen.

Konkret bedeutet dies, dass ein Medium benötigt wird, das nicht aus eigenen wirtschaftlichen Interessen notwendige Kooperationen mit anderen Webseiten verhindert. Vielmehr ist es nötig, gute redaktionelle Inhalte auch anderen Seiten über Kooperationen zur Verfügung zustellen bzw. andere lokale und regionale Akteure für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Dadurch wächst die Wahrnehmung und Akzeptanz als neues lokales Mediums demokratischer Kultur und Öffentlichkeit. Das A und O für das Gelingen eines solchen Projekts ist und bleibt aber die Qualität des Inhalts.

Für diese gibt es zwei Voraussetzungen: Der Input von motivierten und qualifizierten Bürgern, die auf der lokalen Ebene Informationen, Meinungen und Beobachtungen sammeln. Und die redaktionelle Bearbeitung ihrer Texte durch gut ausgebildete und entsprechend bezahlte Journalisten auf regionaler Ebene. Nur durch die aktive Beteiligung von Bürgern wird es zukünftig möglich sein, auch in peripheren sowie besonders kleinen Orten die Abdeckung mit lokalen Informationen sicher zu stellen. Deshalb ist würde ein wichtiger Bestandteil des Projekts in der Aus- und Weiterbildung lokaler Akteure liegen.

Lesen Sie weiter:
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation

Politische Kommunikation (9) – Bürgerengagement im Netz

Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

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Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?

Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation

Das Internet hat die politische Kommunikation nachhaltig verändert. Immer wieder ist zu beobachten, dass im Netz Themen schneller an Bedeutung gewinnen als in den klassischen Medien. Das betrifft vor allem Themen, die von den Redaktionen nicht als wirklich relevant eingestuft werden. Neben dem Protesteffekt ist dafür der Erfolg der Piratenpartei ein schönes Beispiel. Die Protagonisten der Piraten betrachten das Internet als ihren originären Lebensraum, den es zu gestalten gilt.

Die etablierte Politik beschäftigt sich mit dem Netz meist nur unter dem Motto: Wie können wir die Gefahren bekämpfen? Sie betreibt also eine kontinuierliche Angst-Kommunikation, wenn die über das Netz spricht. Die Chancen und die Strukturierung des Lebensraums Internet ist ihre Sache nicht. Die Piraten sehen das naturgemäß anders. Da das Netz für einen immer größeren Teil der Bevölkerung selbstverständlich ist, erreichen sie mit ihrer Kritik an der etablierten Netzpolitik auch viele Menschen und nicht nur die Berliner Digital-Boheme.

Dieses Erreichen funktioniert dann außerdem über andere Kanäle als in der analogen Politik. Social Media ist hier das entscheidende Stichwort. Über Netzwerke wird Kontakt aufgenommen, über Facebook und Co werden Informationen empfohlen und weitergeleitet. Gegen diese persönlichen Empfehlungen von Bekannten sind Presseerklärungen und die Berichterstattung von Pressekonferenzen machtlos. Da dies meine Vorredner nicht bedenken, wirkt die Vorsicht und das Unverständnis über den Wahlerfolg für mich wie der Kulturpessimismus der Alten. Dabei wird vergessen, dass die Piraten etwas tun, was das Hauptanliegen der beiden Vereine ist: Sie engagieren sich für Politik und sie machen dies auf sehr demokratischem Weg. Ja sie wählen den Weg in die Parlamente, weil sie wissen, dass die Ausformung ihres digitalen Lebensraums nur in Parlamenten beschlossen werden kann.

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Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen

Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern

Diese Beschreibung wurde im Präteritum verfasst. Denn eine funktionierende bürgerliche Öffentlichkeit ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr. Mehrere Faktoren tragen dazu bei. Wesentlich ist die Verknüpfung des wirtschaftlichen Bedeutungsrückgangs der regionalen Tageszeitungen und des steigenden Desinteresses an ihnen. Ein Blick nach Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass die klassische Medienlandschaft dort nicht mehr flächendeckend in der Lage ist, qualitativ guten Journalismus auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene aus einer Redaktion anzubieten.

Mecklenburg-Vorpommern hat schon heute keine Redaktion mehr, die Lokales und Mantel vollständig aus einer Hand liefert. Dadurch sinkt die journalistische Qualität und in Folge auch das Interesse der lokalen Öffentlichkeit an den Medien. Die Ostsee Zeitung erhält ihren Mantel von der Mutter aus Kiel. Die Schweriner Volkszeitung hat die Mantelredaktionen in eine eigene Tochtergesellschaft ausgegliedert, die wiederum Inhalte von der Mutter in Flensburg übernimmt. Der Nordkurier schließlich kauft seinen Mantel bei dieser Tochter der Schweriner Volkszeitung komplett ein. Dieser Befund ist für das Bundesland besonders gravierend, weil dort die anhaltende Bevölkerungsabwanderung und das sinkende Engagement der Verlage Hand in Hand gehen. Aber auch in anderen Regionen Deutschlands sind Verlage nicht mehr willens oder in der Lage, quantitativ und qualitativ gut besetzte Redaktionen vorzuhalten. Ein Blick über die Grenzen Deutschlands bestätigt diese Analyse auch für das europäische Ausland. Diese Prozesse lassen sich in den Niederlanden und in Frankreich ebenso wie in Polen beobachten.

Einige Zahlen verdeutlichen das. In den vergangenen zehn Jahren haben etliche ostdeutschen Tageszeitungen ca. 30 Prozent der Auflage verloren. Heute ist eine Haushaltsabdeckung von mehr als 30 Prozent eine Seltenheit. Das heißt, dass in mehr als zwei Drittel der Haushalte keine Zeitung mehr gelesen wird. Gleichzeitig sind die Anzeigenerlöse in diesem Zeitraum um bis zu 50 Prozent gesunken. Als Kompensation wird an den Vertriebserlösen gedreht. Das wiederum bedeutet, dass Tageszeitungen jährliche Erhöhungen der Abonnementspreise von deutlich über der normalen Preissteigerung durchsetzen und damit bewusst eine weiter sinkende Auflage in Kauf nehmen. Hauptsache die Erlössteigerung ist größer als der Verlust durch den Abgang an Abonnenten.

Es handelt sich um einen Teufelskreis, weil anderweitige Erlöse, etwa aus dem Briefgeschäft oder aus Online-Aktivitäten, nicht in der Lage sind, die Lücke zu schließen. Sinkende Erlöse schlagen sich in der Folge in sinkenden Mitarbeiterzahlen nieder. Es gibt Redaktionen, in denen mehr als ein Drittel der Redaktionsstellen weggefallen sind. All diese ökonomischen Gründe wirken sich direkt auf die Rolle der Tageszeitungen in den betroffenen Regionen aus. Da, wo Lokalredaktionen zusammengelegt und ausgedünnt werden, kann zwangsläufig nur weniger und qualitativ schlechter über die betroffenen Orte berichtet werden. Gleichzeitig schwindet die Fähigkeit der Redaktionen, zu reflektieren, welche Entscheidungsebene für welche Auswirkungen vor Ort verantwortlich ist. All dies verstärkt dann wiederum den Bedeutungsschwund der Tageszeitung als flächendeckendes Medium.

Verstärkt wird dieser Prozess durch die sich ändernde Nutzung von Medien. Ganz vereinfacht lässt sich sagen, dass jüngere Menschen weniger Zeitung lesen. Sie sind stärker im Internet aktiv. Dabei nutzen sie soziale Netzwerke auch zur Informationsbeschaffung. Traditionelle Medienhäuser sind in diesem Bereich in der Regel schlechter aufgestellt als die reine Online-Konkurrenz. Tageszeitungen sind derzeit kaum in der Lage den Reichweitenrückgang durch Online-Aktivitäten vollständig zu kompensieren: weder inhaltlich noch wirtschaftlich. Dies liegt vor allem daran, dass die Zeitung und deren Inhalte gezielt geschützt werden. Sie sollen aus strategischen Erwägungen möglichst nicht kostenfrei in gleicher Qualität ins Netz gestellt werden. Außerdem sind die Portale der Tageszeitungen nicht darauf ausgelegt, die Vernetzung mit der Region zu fördern, da Blogs und andere Webseiten als Konkurrenz gesehen werden.

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Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
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Politische Kommunikation (1) – Einführung
Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen: Stuttgart 21
Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen: Flughafen Schönefeld
Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation

Bürgerengagement im Netz

In vielen politischen Diskussionen über das Internet wird die Anonymität beklagt. Dies mag für bestimmte Bereiche stimmen. Etwa bei den Kommentarfunktionen von Medienangeboten oder auch bei Blogs, die unter Pseudonym geschrieben werden. Aber die Verschleierung der Identität ist fester Bestandteil der politischen Kommunikation – und das nicht nur in Diktaturen. Ob das Streiflicht der Süddeutschen Zeitung oder viele Kolumnen in den Lokalteilen der Tageszeitungen, das Verfahren, den Verfasser zu verheimlichen, hat eine lange Tradition und sollte eigentlich auch Innenminister Friedrich bekannt sein.

Was völlig übersehen wird, ist das häufige öffentliche Bekenntnis im Internet. Wer auf Facebook seine Unterstützung für die Kandidatur von Joachim Gauck als Bundespräsident zum Ausdruck brachte, tat dies in der Regel mit echtem Namen und seinem Gesicht. Nur so funktioniert der Schneeballeffekt, der zu immer mehr Unterstützern führt. Die persönliche Empfehlung von mir bekannten Menschen veranlasst mich, ebenfalls zu unterstützen. Im Gegensatz zur Unterschrift auf einer analogen Unterschriftenliste zeige ich auf Facebook mein Gesicht für oder gegen ein Projekt, einen Kandidaten oder eine politische Kampagne.

Die politische Beteiligung ist hier viel persönlicher und offener, als immer dargestellt. Ja, das Bekenntnis ist sogar viel authentischer als früher. Diesen Wert gilt es zu beachten und fördern. Das Engagement darf nicht als minderwertig abgetan werden, nur weil es in einer anderen Form gezeigt wird. Natürlich ist es leicht, den Like-Button bei Facebook zu klicken, weil mir ein Freund – wobei ich das Wort Bekannter für die bessere Übersetzung des englischen friend bei Facebook halte – etwas empfohlen hat. Dennoch ist mein Like ein Bekenntnis. Wie gut diese Mobilisierung für Themen funktioniert, war nicht nur bei der Gauck-Kampagne zu beobachten. Auch bei den Mobilisierungsaktionen von Kompakt oder den Online-Petitionen des Bundestages funktioniert dies. Spätestens beim letzten Beispiel müsste jeder einsehen, dass online nicht schlecht und anonym ist, sondern sehr oft das Gegenteil. Aber für eine obrigkeitsstaatliche politische Kommunikation ist der Weg über die sozialen Netzwerke nicht erfolgreich.

Denn es geht um das Vernetzen von Menschen und nicht um das Erklären ex cathedra. Wer sich das klar macht, kann allerdings neue Formen der Bürgerbeteiligung entwerfen. Er kann als Politiker auch sinnvoll kommunizieren. Aber nur, wenn er bereit ist, auch die Antworten der Menschen im Netz ernst zu nehmen – und gegebenenfalls auch selbst zu antworten. Mit diesen Schlaglichtern auf veränderte Kommunikationsbedingungen in den Medien und im Internet möchte ich enden. Ich hoffe, sie regen zur Diskussion an.