Politische Kommunikation (3) – Kommunikations-Versagen beim Flughafen Schönefeld

Politische Kommunikation – oder Wie sage ich es den Bürgern?

Zusammenfassung meines Vortrags bei einem Workshop vom „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ am 24. September 2011 in Kassel.

Politische Kommunikation (1) -Einführung
Politische Kommunikation (2) – Kommunikations-Versagen bei Stuttgart 21

Kommunikations-Versagen: Flughafen Schönefeld

Wenn man es drastisch ausdrücken will, dann werden die Menschen im Umfeld des Flughafens Schönefelds seit 1998 angelogen. Stimmen die Meldungen, dass das Brandenburgische Infrastrukturministerium schon seit 1998 weiß, dass es keinen parallelen Flugbetrieb auf den beiden neuen Startbahnen geben darf, dann trifft der Ausdruck zu. Denn nach EU-Recht ist ein Abknicken um 15 Grad Pflicht. Das Planfeststellungsverfahren ist aber vom Parallelbetrieb ausgegangen.

Das hatte zwei dramatische Folgen: Zum einen durften sich viele vom Fluglärmbetroffene am Planfeststellungsverfahren nicht beteiligen. Sie wurden aufgrund einer falschen – wahrscheinlich sogar bewusst falschen – Annahme von den Auswirkungen des Flughafens ausgeschlossen. Sie haben ihre Partizipationsrechte verloren. Zum anderen haben aufgrund der falschen Auskunft Tausende, ja Zehntausende Berliner und Brandenburger ihr Vermögen in Grundstücke und Häuser in der falschen Annahme investiert, sie seien vom Fluglärm nicht betroffen. Diese Bürger haben sich bei Ämtern und Ministerien erkundigt, ob sie der Fluglärm treffen wird und bekamen stets die Aussage, dass die Fluglärmkarte des Parallelbetriebs gelte. Sie fühlen sich alle angelogen und befürchten die de facto Teilenteignung.

Der Vertrauensverlust in die Politik ist so groß, dass sich viele aufgrund dieser persönlichen negativen Erfahrung abwenden. Der Großteil von ihnen ist besser gebildet, sehr viele mit Hochschulabschluss, und er ist finanziell so gut gestellt, dass er sich ein Haus leisten kann. Eigentlich handelt es sich dabei um genau die, die das Rückgrat einer demokratischen Gesellschaft bilden. Jedem wird bei diesem Beispiel sofort klar sein, dass der Versuch, es den Bürgern zu sagen, vollkommen gescheitert ist. Verstärkt wurde das Desaster noch durch die Auftritte von Ministerpräsident Platzeck und Bürgermeister Wowereit bei den Demonstrationen gegen die neuen Flugrouten. Sie versprachen den Bürgern, dass Lärmschutz wichtiger sei als Wirtschaftlichkeit.

Das Problem: Es gibt nur zwei Hebel, um dieses Versprechen umzusetzen. Der eine wäre eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Flugsicherheitsgesetzes, in dem ganz klar steht, dass erst die Sicherheit, dann die Wirtschaftlichkeit und als drittes der Lärmschutz beim Betrieb eines Flughafens kommt. Im Gesetz müsste nur zweitens mit drittens getauscht werden und schon könnte das Versprechen der Landesväter gehalten werden. Der zweite Hebel, um das Versprechen zu halten, wäre ein Antrag im Aufsichtsrat der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH (FBS), der festlegt, dass der Lärmschutz priorisiert wird. Da beide in diesem Gremium sitzen, wäre das möglich. Beides ist nicht passiert. Obwohl sie Abhilfe versprachen, haben sie nicht da gehandelt, wo es zur Durchsetzung des Versprechens möglich wäre.

Da der Sachverstand der Bürger massiv gestiegen ist, wissen sie um diese Lüge, die zweite Lüge nach der Parallelbetrieb-Lüge. Ein größeres Desaster in der Kommunikation ist gar nicht darstellbar. Wer so agiert, darf sich über Widerstand nicht beklagen. Auch bei Schönefeld ist das Engagement der Bürger sehr groß. Es ging so weit, dass von einem Bürger eine Abflugroute vorgeschlagen wurde, die viel Lärm vermeidet. Die Hoffmann-Kurve ist inzwischen Bestandteil des Routenkonzeptes. Auch hier gilt also, dass Protest mehr ist als Nein-Sagen. Er ist Engagement, über das sich die Politik freuen müsste.

Auch im Fall Schönefeld hat es sehr lang gedauert, bis in den Medien die Veranwortlichkeiten benannt wurden. Die Handlungsoptionen der Politik wurden allerdings kaum klar dargestellt. Der Vertrauensverlust schlägt sich inzwischen auch in Meinungsumfragen nieder. In der jüngsten von rbb und Märkischer Allgemeinen hat sich die Zahl derer, die nicht einmal mehr bei Umfragen angeben will, wen sie am kommenden Sonntag wählen könnte, von circa 15 auf 30 Prozent gestiegen. Das liegt sicherlich nicht nur an Schönefeld, aber das Zeichen ist dramatisch. Vor allem als Zeichen vielfachen dramatischen Kommunikations-Versagens von oben.

Fortsetzung des Vortrags:
Politische Kommunikation (4) – Kommunikations-Versagen bei den Stromtrassen
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen
Politische Kommunikation (6) – Gefährdete Öffentlichkeit in Mecklenburg-Vorpommern
Politische Kommunikation (7) – Wie lässt sich regionale Öffentlichkeit dennoch herstellen?
Politische Kommunikation (8) – Piraten als Ausdruck veränderter Kommunikation
Politische Kommunikation (9) – Bürgerengagement im Netz

Brandenburgs Politik verliert massiv an Vertrauen

Länder wirken lange stabil. Dann passiert plötzlich etwas und ganze Gesellschaften können ins Rutschen kommen. So weit wird es in Brandenburg wohl nicht kommen. Aber die aktuellste Umfrage zur politischen Lage im Land ist dramatisch. Sie zeigt, dass in den zwei Jahren seit der letzten Landtagswahl der Frust steigt.

Die Zahl der Frustrierten hat sich von 16 auf 30 Prozent nahezu verdoppelt. Das ist eine dramatische Zahl. 30 Prozent trauen keiner Partei zu, dass sie die Probleme des Landes lösen könnte. Oberflächlich ist Rot-Rot stabil. Die SPD legt zu, die Linke verliert etwas. Aber das sind nur die relative Zahlen. Denn ein gutes Drittel bescheinigt allen Parteien Inkompetenz. Das ist ein großes Potenzial für Rattenfänger von rechts oder links. In der diffusen Euro-Angst ist das wirlich gefährlich. Aber was machen die Potsdamer Granden?

Sie klopfen sich auf die Schulter. Wie groß der Vertrauensverlust ist, wollen sie weder im Flughafen-Umfeld noch im abgesoffenen Oderbruch wahr haben. Wenn es nur um einzelne Parteien ginge, wäre das alles nicht schlimm. Aber oft genügen nur kleine Impulse, um große Hänge ins Rutschen zu bringen.

Über die Grenze von Berlin und Brandenburg

Die Grenze zwischen Berlin und Eichwalde
Die Grenze zwischen Berlin und Eichwalde

So sieht die Grenze zwischen Berlin (links) und Brandenburg (rechts) aus. Links ist die Straße gepflastert. Rechts ist sie märkische Sandwüste mit Schlaglöchern. Links zeugt sie von einst besseren Zeiten. Rechts sagt sie uns, dass Zivilisation ein beschränktes Gut ist. Links stehen große Häuser, Villen gar. Rechts ducken sich kleinere Häuser, eher Datschen als Paläste. Links haben die Häuser Seeblick. Rechts verstecken sie sich auf fast bewaldeten Grundstücken.

Die Straße hat auf Berliner und auf Brandenburger Seite den gleichen Namen. Doch die Grenze ist mit der Fahrbahnmitte und dem Übergang von Kopfsteinpflaster zu Sand klar markiert. Weil die Straße eine Grenzstraße ist – eine „Grenzallee“ gibt es übrigens an anderer Stelle zwischen Schmöckwitz (Bezirk Treptow-Köpenick) und Eichwalde (Landkreis Dahme-Spreewald) auch noch – fühlt sich keine der beiden Seiten so richtig für sie verantwortlich. Diese Straße sieht schon seit Generationen so aus.

Und so wie es aussieht, wird sie ihr Gesicht auch in den nächsten Jahrzehnten nicht verändern. Für das große Berlin liegt sie zu abseitig, um den eigenen Anteil zu sanieren. Für das Brandenburger Eichwalde ist sie nur eine von vielen noch nicht befestigten Straßen. Warum also sollte ausgerechnet diese in Angriff genommen werden? Noch dazu müssten sich dann ja nicht nur die angrenzenden Anwohner einig sein, sondern auch die Landesregierungen. Das sind sie aber eigentlich nie.

Es sei denn, es geht um den Großflughafen. Dann sind sich Berlin und Brandenburg einig, dass Lärm für die Anwohner weniger wichtig ist als vermeintliche Wirtschaftlichkeit von Fluglinien. Hauptsache das Minus des Niemals-ein-Drehkreuz-werdender-Flughafen bleibt möglichst gering. Sowohl Schmöckwitz als auch Eichwalde werden Fluglärm von der Fehlinvestition BBI/BER abbekommen. Da spielt die Grenzstraße keine Rolle. Ob links oder rechts von ihr – alle sind betroffen. Und so steht dies Straße exemplarisch für den Umgang der beiden Länder mit den Flughafengemeinden: Erst vergessen, dann verlärmen.

Verantwortlich für das BBI-Chaos ist die 
Politik, nicht 
die Flugsicherung

Fast täglich finden rund um Schönefeld Demonstrationen und Diskussionen statt. Der Unmut über die Flugrouten-Unsicherheit treibt Menschen auf die Straße, die noch nie demonstrierten. Und er fördert den Verdruss an der Politik, der eine Dynamik wie in Stuttgart entwickeln kann.

Das liegt am Umgang der Landesregierungen und des Bundeswirtschaftsministers mit den Empfehlungen der Flugsicherung. Alle erwecken den Eindruck, als sei die Behörde für die Verunsicherung verantwortlich, obwohl sie nur geltendes Recht umzusetzen versucht. Recht, das die drei nicht kannten oder aber ignorierten.

Statt sich der eigenen Verantwortung zu stellen, wird die Fluglärmkommission aufgestockt. Jetzt sollen 34 statt 17 Mitglieder in dem Gremium beraten. Aber im Luftverkehrsgesetz steht eindeutig, dass nicht mehr als 15 Mitglieder in der Kommission sein sollen. Dieser erneute Dilettantismus im Umgang mit geltendem Recht lässt den Eindruck aufkommen, dass die Regierungen Platzeck und Wowereit entweder nicht wissen, was sie tun oder aber bewusst falsch spielen.

Das gilt auch für das Machtwort von Verkehrsminister Ramsauer. Der ist zwar der Vorgesetzte der ihm unterstellten Flugsicherung. Aber er selbst hat keinen Einfluss auf die Gestaltung der Flugrouten. Dafür gibt es internationale und nationale Regeln, an die sich alle halten müssen. Auch wenn der Minister das vielleicht nicht weiß.

Im Aufsichtsrat des Flughafens sitzen Platzeck und Wowereit mit je zwei weiteren Regierungsmitgliedern. Für Ramsauer ist dessen Staatssekretär im Gremium. Wenn ihnen als Eigentümer der Lärmschutz so wichtig ist, wie sie behaupten, dann müssen sie die Wirtschaftlichkeit des Flughafens einschränken. Ein Verzicht auf parallele Starts würde die Lage sofort beruhigen. Denn dann könnten die alten Flugrouten gelten.

Doch offensichtlich scheuen sich die Verantwortlichen, Verantwortung zu übernehmen. Dass der Flughafen am falschen Ort gebaut wurde, ist inzwischen jedem klar. Das Dilemma, das daraus entstanden ist, lässt sich nur lösen, wenn die politisch Verantwortlichen endlich offen über ihre Fehlentscheidungen und ihre Ziele diskutieren.

MOZ-Kommentar…

Ein erster Tag in Istanbul

Die Flüge von Berlin nach Istanbul sind zwar günstig. Dafür rauben sie einem viel Zeit. Erst kurz vor zwei startet die Maschine. Ein schlechtes Gewissen fliegt nicht nur wegen des Klimas mit. Als Betroffener des neuen Flughafen in Schönefeld lehne ich Nachtflüge ab. Doch noch sind sie erlaubt. Und so nutzt man, wogegen man eigentlich ist. Schön ist dann die Fahrt mit dem Havas-Bus vom Flughafen Sabiha Gökcen in die Stadt.

Denn um halb sechs ist alle noch ruhig. Die Sonne geht auf, als der der Bus über die große Brücke über den Bosporus fährt. Nach wenigen Schlafstunden in Flugzeug macht dieser Anblick allen Ärger und alle Zweifel wett. Dennoch ist Schlafen angesagt. Und zwar im Hotel. Zumindest für einige Stunden, bis es dann zum späten Frühstück in diese Stadt geht.

Das erste Ziel in Istanbul ist Orhan Pamuks Museum der Unschuld. Zwar weiß ich seit der Lesung im März, dass es noch immer nicht eröffnet ist, aber einen Blick auf dieses ungewöhnliche Vorhaben, ein Museum für einen Roman zu eröffnen, der längst erschienen ist, muss dennoch sein. Pamuk will hier ein Haus als Museum so einrichten, wie es im gleichnamigen Buch beschrieben ist. Beim nächsten Besuch Istanbuls ist es vielleicht eröffnet?

An so einem ersten Tag in einer Stadt ist Treibenlassen das Schönste. Und so vergeht dieser Freitag auch. Ob in Katakoy Schiffen nachschauen, die offensichtlich zu einem internationalen Marine-Konvoi gehören oder später selbst mit dem Schiff auf die Prinzeninseln fahren, um mit dem Rad ein dann leider verschlossenes und verregnetes Kloster zu erkunden, dieses Nichts-Tun-Müssen ist herrlich. Und sorgt für einen schönen Abstand zur kurz vorher abgschlossenen Arbeit.

Auch wenn diese Ansammlung von Schwarz-Meer-Marineschiffen die Gedanken nach Libyen und Syrien zieht, wo Menschen andere Sorgen haben, als sich treiben zu lassen. Da geht es um Freiheit und den Sturz von Diktatoren. Große Themen, die so gar nicht in diese wenigen Tage Erholung passen wollen. Viele Cay in unterschiedlichen Cafés und Lokalen, gutes Essen mit Kreuzkümmel und Lamm, buntes Treiben in dieser vollen Stadt, all das ist belebend und beruhigend zugleich.

Ein zweiter Tag in Istanbul

Scheinlösung für BBI

Kaum hat die Fluglärmkommission das Beste aus der verfahrenen Situation in Schönefeld gemacht, schon jubilieren die Landesregierungen. In der Tat sind die vorgeschlagenen Flugrouten vor allem für Berlin gut. Doch das Umland befrieden sie nicht.

Der Flughafen Berlin-Brandenburg-International wird am falschen Ort gebaut. Wer in dicht bevölkertem Gebiet einen Flughafen betreiben will, muss zwangsläufig viele Menschen mit Fluglärm belasten. Wer dann noch wie Berlins Regierungschef Klaus Wowereit weiter vom internationalen Drehkreuz schwadroniert, darf sich nicht wundern, wenn ihm die Betroffenen nicht vertrauen.

Sie alle wissen inzwischen, dass Flugrouten für den BBI nur Empfehlungen sind, die Fluglotsen aushebeln können. Sie wissen auch, dass sie geändert werden können, wenn die Wirtschaftlichkeit es erfordert – auch wenn Matthias Platzeck und Klaus Wowereit den Fluglärmgegnern maximalen Lärmschutz versprochen haben. Wer aber der Wirtschaft ein internationales Drehkreuz verspricht und den Betroffenen besten Lärmschutz, kann nicht die Wahrheit sagen. Und somit die Region nicht befrieden.

MOZ-Kommentar…

Lärmattacke gegen Platzeck

Unerwartet kam der Protest nicht, dafür aber heftig. Die Flugroutengegner in Zeuthen (Dahme-Spreewald) pfiffen Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) am Sonnabend aus.

Den ganzen Vormittag dröhnt Fluglärm durch Zeuthen. Ein Traktor zieht mit einem Lärmsimulator durch den Ort, um alle Einwohner wachzurütteln. Die Initiative „Zeuthen gegen Fluglärm“ will veranschaulichen, worüber am Nachmittag mit Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) gestritten werden soll. Die Aktion ist erfolgreich: Zwischen 2500 und 3000 Menschen sind auf den Beinen, um Platzeck den Vertrauensverlust in die Politik direkt spüren zu lassen.

Als der Ministerpräsident die Bühne vor dem frisch renovierten Feuerwehrhaus betritt, schallt ihm Lärm entgegen. Jetzt ist es nicht der Simulator, sondern ein Chor aus mehreren Tausend Demonstranten. Sie pfeifen ihn aus, skandieren „Baustopp“ und den Slogan der Veranstalter: „Back to the Routes“. Platzeck versucht es zunächst mit Besänftigungen. „Wir haben gelernt, dass das größte Infrastrukturprojekt im Osten Deutschlands Probleme mit sich bringt“, beginnt er seine Rede. Der Versuch, Gemeinsamkeit zu erzeugen, geht jedoch in höhnischem Gelächter unter.

Denn genau diese Erfahrung haben die Zeuthener gemacht. „Im Vertrauen auf die im Planfeststellungsverfahren benannten Routen haben hier Tausende Menschen ihre Lebensentscheidungen getroffen, sind umgezogen, haben sich neu angesiedelt, wurden Kindergärten und Schulen neu gebaut“, sagt der Vorsitzende der Bürgerinitiative „Leben in Zeuthen“, Martin Henkel, später. Aber seit dem 6. September ist dieses Vertrauen zutiefst erschüttert. Die Veröffentlichung des ersten Flugroutenkozepts für den Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI) durch die Deutsche Flugsicherung hat aus einem ruhigen und beschaulichen Ort ein potenzielles Fluglärmopfer gemacht.

Platzeck steht trotz der Gegenwehr ruhig auf der Bühne. Im Laufe der Woche hat er sich schon 90 Minuten mit den Sprechern der Initiative unterhalten. Henkel hat in einer Rundmail an die Mitglieder dazu aufgerufen, Platzeck fair zu behandeln. Doch die Plakate, die Platzeck einen Lügner nennen, sind dennoch sichtbar. Und selbst als er einräumt, einen Fehler gemacht zu haben, sorgt das nicht für Zustimmung.

Der Fehler, zu dem sich Brandenburgs Regierungschef bekennt, ist folgender: „Wir haben nicht klar genug formuliert, dass der Planfeststellungsbeschluss und die Flugroutenfestlegung nichts miteinander zu tun haben.“

Aber genau das wurde bei allen Anfragen Betroffener in der Vergangenheit stets gesagt. Simon Litzmann von der Lichterfelder Initiative gegen die neuen Flugrouten bringt das so auf den Punkt: „Wir fühlen uns belogen.“ Denn wer sich in der Vergangenheit über die Auswirkungen von BBI informierte, sei auch von den offiziellen Stellen auf die Flugrouten des Planfeststellungsverfahrens verwiesen worden. Litzmann fordert deshalb unter dem Applaus der Zuhörer Rechtssicherheit auf Grundlage der von den Verantwortlichen zitierten Beschlüsse. Und dies würde ein Rückkehr zu den alten Flugrouten bedeuten.

Matthias Platzeck versucht, dem Unmut die Spitze zu nehmen, indem er verspricht, dass Brandenburg einer Lockerung des Nachtflugverbotes im Bundesrat nicht zustimmen werde. Die Bundesregierung plant diese Lockerung gerade. Für die Demonstranten ist Platzecks Versprechen allerdings das Mindeste. Denn bis vor Kurzem war es für sie gar nicht vorstellbar, Fluglärm in der Nacht zu hören.

Platzeck stellt der Kundgebung in Aussicht, dass der Lärmschutz wichtiger sein müsse als die Wirtschaftlichkeit. Er spricht davon, dass die Flugzeuge Umwege fliegen müssten, um die Anwohner zu schonen. Und er regt an, dass die Startbahnen nicht bis zum Ende ausgereizt werden müssten. Was er nicht sagt: Das Flugsicherheitsgesetz verlangt eindeutig, dass bei der Festlegung der Flugrouten erst die Sicherheit, dann die Wirtschaftlichkeit und als drittes erst der Lärmschutz berücksichtigt werden muss.

Platzeck sagt dem Publikum auch nicht, dass er allenfalls mit einer Gesetzesinitiative über den Bundesrat dafür sorgen könnte, dass sein Versprechen einer anderen Gewichtung eingehalten werden kann. Und so bleibt er unverbindlich, was bei den Zuhörern für weiteren Verdruss sorgt.

Immerhin verspricht der Ministerpräsident, dass es keine Benachteiligung Brandenburgs geben werde. Damit weist er die Forderung von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nach einer Verschonung Berlins zurück.

Als er von immer wiederkehrenden Baustopp-Rufen unterbrochen wird, fordert Platzeck Sachlichkeit. „In Stuttgart hat der Bau des Bahnhofs noch gar nicht begonnen“, sagt er. Aber hier sei der Flughafen fast fertig. Das Geld könne doch nur einmal ausgegeben werden. Deshalb seien Stuttgart 21 und BBI gar nicht vergleichbar.

Der Baustopp wird vor allem von den Demonstranten gefordert, die von den alten Flugrouten betroffen wären. Die Einwohner der Gemeinden Eichwalde, Schmöckwitz oder Wernsdorf, die ebenfalls zur Kundgebung in Zeuthen gekommen sind, können mit der Forderung „Back to the Routes“ nichts anfangen. Sie erklären sich wie der Eichwalder Bürgermeister Bernd Speer zwar solidarisch. Formulieren aber auch ganz klar: „Für uns ist ein Zurück zu den alten Routen nicht die Lösung.“

Die Redner der Bürgerinitiatven weisen nach Platzecks Rede auch auf seine Funktion als BBI-Aufsichtsrat hin. Als solcher könnte er den Verzicht auf parallele Starts durchsetzen. Denn diese erzwingen das Abknicken der Flugrouten. Doch da ist Platzeck schon nicht mehr da.

Massiver Unmut über Platzeck bei Zeuthener Fluglärm-Demo

Pfiffe und ständige Zwischenrufe haben die Rede von Mathias Platzeck in Zeuthen gestört. Der Ministerpräsident hatte sich als Redner auf der 1. Zeuthener Fluglärmparade angekündigt. Doch der Versuch Platzecks, Vertrauen bei dem von den neuen Flugrouten Betroffenen zu gewinnen lief ins Leere. Ein Teil der 2.500 Demonstranten forderte lautstark den Baustopp des Flughafens. Die Mehrheit, die in diese Rufe nicht einstimmte, versagte Platzeck aber dennoch den Applaus.

Der Sprecher der Zeuthener Initiative gegen Fluglärm, Martin Henkel, konnte gut 2.500 Demonstranten aus Zeuthen und den umliegenden Gemeinden begrüßen. Er betonte, dass seit 2004 allein in Zeuthen mehr als 300 Millionen Euro in Grundstücke und Bauwerke investiert worden seien. Und das im Vertrauen darauf, dass der Ort nicht vom Fluglärm betroffen sein würde.

Dieses Vertrauen ist seit dem 6. September erschüttert. Da verkündete die Deutsche Flugsicherung Flugrouten am neuen Airport Berlin-Brandenburg-International (BBI), die von den für das Planfeststellungsverfahren angenommen massiv abweichen. Angesichts geplanter paralleler Abflüge müssten die startenden Maschinen mindestens in einem Winkel von 15 Grad von der geraden Verlängerung der Startbahn abschenken. Und damit sind plötzlich bis zu 750.000 Bewohner Berlins und Brandenburgs zusätzlich von potenziellem Fluglärm betroffen.

Ministerpräsident Platzeck räumte ein, dass die Landesregierung nicht klar genug formuliert habe, dass der Planfeststellungsbeschluss nichts mit den Flugrouten zu tun habe. Dennoch forderte Platzeck Verständnis. Pfiffe und Buhrufe waren die Antwort. Auch als er die Zeuthener dazu aufrief, gemeinsam an den optimalen Flugrouten zu arbeiten, stieß auf wenig Gegenliebe. Lediglich Platzecks Bekenntnis, dass bei der Festlegung der Flugrouten nach der Sicherheit die Lärmbelastung und nicht die Wirtschaftlichkeit stehen müsse, wurde mit verhaltendem Applaus bedacht.

Platzeck sagte nicht, dass er als Aufsichtsrat von BBI einen entsprechenden Antrag zu Einschränkung der Wirtschaftlichkeit einbringen werde. Genau das wurde von den Demonstranten aber erwartet. Platzecks Verweis, dass man sich genau anschauen müsse, wo die Maschinen auf der Flugbahn abheben und in welchem Winkel sie dann ihren Flug noch in der Startphase aufnehmen müssten, wurde von der Menschenmenge zurückgewiesen. Sie forderte lautstark einen Baustopp. Und die Mehrheit skandierte das Motto der Demo: „Back to the Routes“ – zurück zu den alten Flugrouten.

MOZ-Text…

Politikversagen vor Gericht

Die Klage der Umlandgemeinden des Flughafens Schönefeld ist notwendig. Natürlich kämpfen sie für die Nachtruhe ihrer Einwohner. Selbstverständlich lehnen sie die schrittweise Aufweichung des Nachtflugverbots ab. Dass der Flughafenbetreiber auf der anderen Seite alles dafür tut, trotz der falschen Standortentscheidung dieses Verbot zu kippen, ist auch logisch. BBI soll ja ein wirtschaftlicher Erfolg werden.

Wenn solche Interessen aufeinanderprallen, ist eigentlich die Politik gefragt, um für einen Interessenausgleich zu sorgen. Doch das hat sie bislang nicht getan. Letztendlich wurde genau dieser vom Bundesverwaltungsgericht vorgegeben. Doch das Land Brandenburg hat den Kompromiss mit der Genehmigung der Nachtflüge aufkündigt. Und damit die wirtschaftlichen Interessen über die der Gesundheit Zehntausender gestellt.

Ärgerlich ist das Ganze auch, weil das Land in den vergangenen 15 Jahren den Zuzug tausender Familien in die betroffenen Gemeinden nicht nur geduldet, sondern mit Infrastrukturmaßnahmen sogar noch gefördert hat.