Heimat (12) – Berlin

Bergmannstraße 16; Berlin Kreuzberg
Bergmannstraße 16; Berlin Kreuzberg

Berlin, München oder Hamburg? Welche dieser Städte könnte es einmal sein? Dass es Hammelburg auf Dauer kaum sein kann, war schon bald klar. Für München sprachen die vielen Besuche als Kind beim Großvater. Für Hamburg eigentlich nichts – außer eventueller Jobaussichten. Und für Berlin? Da war vor allem ein Gefühl – und die Herkunft des anderen Großvaters.

Etwa hier in der Bergmannstraße. In der Nummer 16 wurde er geboren. Und seltsam vertraut war mir diese Gegend schon beim ersten Besuch. Immer wieder zieht es mich dorthin, so als gäbe es noch heute einen Bezug zu diesem Gemäuer und den Straßen Kreuzbergs, der tiefer geht. Die Großeltern sind schon 1936 aus Berlin weggezogen. Und sie haben die Stadt nach dem Krieg nicht nehr besucht. Eine enge Bindung sieht anders aus.

Bergmannstraße 16; Berlin Kreuzberg
Bergmannstraße 16; Berlin Kreuzberg – heute mit Weinladen

Vor zehn Jahren hatte ich meinen ersten Arbeitstag in Berlin. Von Anfang fühlte ich mich, als sei ich angekommen. Weder sprachlich noch kulinarisch passe ich eigentlich hier her. Aber gegen das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, sind diese Kleinigkeiten nichts. Vielleicht hängt es auch mit all den Autoren der 20er-Jahre zusammen, die mich schon immer beschäftigen. Mit den Mehring, Tucholsky, Herrmann-Neisse, mit dem Umfeld von Weltbühne und Tage-Buch, die ohne Berlin nicht zu denken wären. Vor zehn Jahren konnte ich beginnen, diese Stadt besser kennenzulernen. Damit fertig bin ich noch lange nicht. Aber mit Heimat wird man ja nie fertig. Sie treibt einen immer weiter. Und meldet sich in Momenten, in denen man nicht mit ihnen rechnet.

Mehr Heimat:
(1) Mein Sprungturm
(2) Stänglich vom Schwab
(3) Leberkäsweck
(4) Bilder aus Hammelburg
(5) Schlesisch Blau in Kreuzberg
(6) Danke Biermösl Blosn!
(7) Weinlaub und Weintrauben
(8) Laufwege in Buchenwäldern
(9) Fränkische Wirtschaft
(10) Bamberger Bratwörscht am Maibachufer
(11) Weißer Glühwein
(12) Berlin
(13) Geburtstage bei Freunden aus dem Heimatort
(14) Gemüse aus dem eigenen Garten
(15) Glockenläuten in der Kleinstadt
(16) Italienische Klänge
(17) Erstaunliches Wiedersehen nach 20 Jahren
(18) Federweißen aus Hammelburg
(19) Wo die Polizei einem vertraut
(20) Erinnerungen in Aschaffenburg
(21) Nürnberg gegen Union Berlin
(22) Der DDR-Polizeiruf 110 „Draußen am See“

Fundstück im Antiquariat (1): Walter Mehrings Autograph

Walter Mehrings Autograph
Walter Mehrings Autograph

Es gibt sie noch, diese Glücksmomente in Antiquariaten. Nicht nur das Strahlen eines Menschen, wenn er ein Buch entdeckt, das er sucht. Oder jenes, wenn wir viel mehr zu einem Thema finden, als wir erhofft hatten. Diese Momente gehören zu den wesentlichen Gründen, weshalb der Besuch von Antiquariaten immer schön ist. Und immer gefährlich für den Geldbeutel.

Doch manchmal gibt es diese ganz besonderen Augenblicke, in denen das Herz vor Glück zu rasen beginnt und das Hirn erst einmal nicht glauben will, was das Auge sieht. So einen Moment bescherte der letzte Besuch eines Antiquariats in Kreuzberg. Zusammen mit einer lieben Freundin stand die Suche nach spezieller Reiseliteratur an. Doch dann greift sie bei der deutschen Literatur unter “M” in ein Regal, zieht einen blauen, unspektakulären Band hervor. Und öffnet ihn. Sofort habe ich die Handschrift auf dem Aufdeckblatt erkannt. Und das Herz hüpfte und raste. Ja, meine Hand musste das Buch sofort fühlen – und es ihr deshalb fast schon aus den Händen reißen. Tatsächlich. Es ist seine Schrift. Es ist seine Unterschrift. Es passt die Zeit, in der er viel in München im Hotel lebte und viel in Zürich. Es ist eine Widmung von Walter Mehring! In der Herbig-Ausgabe des “Großen Ketzerbreviers” von 1974. Also von einer eher unbedeutenden Ausgabe.

Wahrscheinlich kann das kaum jemand verstehen. Aber sie hat es verstanden. Und sich genauso mitgefreut. Sie war mir nicht böse, dass ich ihr das Buch nicht lassen konnte. Im Gegenteil. Sie schenkte es mir! Und ich bin jetzt im Besitz des zweiten Buches dieser Ausgabe – aber nun mit dem Autograph des damals, 1975, sehr unglücklichen Walter Mehring.

P.S.: Gesteigert werden diese Glücksmomente in Antiquariaten noch, wenn es eine Entdeckung ist, die sich im Preis nicht niederschlägt. In diesem Fall war es so. Wenige Euro für eine Besonderheit, die noch dazu Seite für Seite immer wieder lesenswert ist.

Weitere Fundstücke im Antiquariat:
Walter Mehrings Autograph
Ludwig Börnes Verhaftung
Kostbarkeiten bei Alfred Polgar
Ein Theaterzettel von 1931
Die Verlustanzeige von Karl Frucht
Andreas Oppermann erinnert 1860 an Palermo