Der Mauerfall und die friedliche Revolution in der DDR jähren sich in diesem Jahr zum 25. Mal. Einer der Akteure in Frankfurt (Oder) war Karl-Ludwig von Klitzing. Schon am 1. November 1989, also acht Tage vor dem Mauerfall, forderte er vor 35.000 Demonstranten auf dem Frankfurter Brunnenplatz: „Wir brauchen eine vollkommene Demokratisierung, Reisefreiheit, Rede- und Pressefreiheit.“ Von Klitzing war Arzt und hat jetzt ein Erinnerungsbuch geschrieben.
Kategorie: Geschichte
Das Kraftwerk Kaprun fasziniert mit Natur und Technik
70 Meter ist Staumauer des Mooserbodenseess an der Basis dick. 107 Meter ist die fast 500 Meter lange Staumauer hoch. Ein gewaltiges Bauwerk mitten in den Bergen, das sich einfügt, als gehöre es hier her. Um zum Moserbodensee zu kommen, fährt man kilometerweit durch Tunnel mit dem Bus. Allein diese fast halbstündige Fahrt lohnt den Ausflug in Österreichs Technikgeschichte schon. Denn die Tunnel werden durch grandiose Ausblicke abgelöst, wenn der Bus ins Freie kommt. Etwa an der Staumauer des Limbergsees, der unterhalb des Moserbodens liegt. Beide zusammen bilden ein gigantisches Pumpspeicherkraftwerk.
Geplant wurde die grandiose Anlage schon in den 1930er-Jahren. Angefangen wurde sie von den Nazis, Dutzende Zwangsarbeiter starben dabei. Fertig gestellt wurde das Kraftwerk Kaprun dann nach dem 2. Weltkrieg mit Mitteln des Marschall-Fonds. Damals produzierte es so viel Strom, dass fast ganz Österreich damit versorgt werden konnte. Heute ist es nur eines von vielen Wasserkraftwerken, die aus Schmelzwasser gespeist werden. Was in den 1950er-Jahren genügte, um ein Land zu versorgen, ist heute angesichts unseres Stromverbrauchs nur ein kleiner Baustein zur Versorgungssicherheit.
Während man auf der Staumauer vor allem von der großartigen Natur gefesselt ist, bekommt man im Innern einen ganz eigenen Eindruck von der Wucht des Bauwerks. Der Gang zieht sich im engen Stollen, der Blick in die Tiefe der Mauer in einem Leiterweg nach unten findet keinen Halt. So tief ist die Basis. Selbst die Beleuchtung wird auf dem Weg nach unten verschluckt.
Der Stausee selbst ist schön. Auch die Mauer ist ein gelungener Eingriff in die Natur. Beides ist zwar gewaltig, aber angesichts anderer Formen Energie zu erzeugen, eine fast schon harmonische Veränderung. Im Vergleich zu den Tagebaulöchern, die irgendwann auch mit Wasser gefüllt sein werden, zeugt die Idee der Stauseen von Nachhaltigkeit. Sie füllen sich jedes Jahr wieder mit Schmelzwasser, das ins Tal fließt. Solange es noch Winter und Schnee und Gletscher gibt, wird das funktionieren. Der Mann von den Verbundwerken, der uns durch die Mauer führte, geht davon aus, dass dies noch gut 100 Jahre klappen könnte. Dann gibt es keine Gletscher mehr. Schuld daran ist nicht die Wasserkraft, sondern die Kohlenverfeuerung, das Verbrennen (russischen) Erdgases oder (arabischen) Öls.
Hammelburg Einst und Jetzt (11) – St. Nepomuk

Beim St. Nepomuk denkt man in der Regel an einen Brückenheiligen. In Hammelburg ist das anders. Da stand er nie auf einer Brücke. Auf der alten Saale-Brücke, die von der Wehrmacht kurz vor Ende des Krieges in die Luft gesprengt wurde – und damit als eine der ältesten Brücken Deutschlands vernichtet wurde – stand ein Marien-Bildnis.
Den St. Nepomuk hat der Fürstabt zu Fulda Amandus von Buseck im Jahr 1756 schaffen lassen. Aufgestellt wurde er auf dem Marktplatz vor dem schönen Renaissance-Brunnen, auch wenn er da eigentlich nicht hingepasst hat. In Aufnahmen, die vor 1933 entstanden sind, ist er auf diesem Platz zu sehen. in späteren befindet sich der St. Nepomuk auf dem Viehmarkt vor der Rückseite des Bürgerspitals. Dort steht er auch heute noch und belohnt den Besucher, der ihn nicht nur von vorne betrachtet. Denn auf seiner Rückseite ist ein Engel zu sehen. Früher sah man diesen vom Brunnen aus. Und damit sicherlich deutlich häufiger als heute.

Mehr Einst und Jetzt aus Hammelburg:
(1) – Stadtpfarrkirche
(2) – Rotes Schloss vom Weiher aus
(3) – Am Kellereischloss
(4) – Hüterturm
(5) – Ruine Aura
(6) – Baderturm
(7) – Kloster Altstadt und Schloss Saaleck
(8) – Kreuzigungsgruppe des Altstädter Kreuzwegs
(9) – Blick von Schloss Saaleck auf die Stadt
(10) – Freibad (heute Saaletalbad)
(11) – St. Nepomuk
(12) – Kissinger Straße
(13) – Hochhaus Breslauer Straße 2
Dieter Sander erzählt vom phantastsichen Leben Fitz Picards

Fritz Picard ist einer der Menschen, die einen völlig verblüffen. 1888 am Bodensee geboren, lernt er schon als Schüler Hermann Hesse kennen. Später in seinem Leben als Verlagsvertreter lernt er nicht nur die Avantgarde Berlins im Café Größenwahn von Else Lasker-Schüler über Walter Mehring und Kurt Tucholsky kennen. Er verhandelt mit Max Liebermann und etlichen anderen Künstlern.
Die Horen suchen den europäischen Blick auf den Ausbruch des 1. Weltkriegs
Allerorten wird an den Ausbruch des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert. Der Bundespräsident reist nach Frankreich und Belgien, die Zeitungen füllen Seiten mit historischen Betrachtungen und Auszügen aus zeitgenössischen Zeitungsartikeln und Tagebüchern. Überall ist der Rückblick auf den mörderischen Krieg Thema. Die Literaturzeitschrift „Die Horen“ hat auch einen Beitrag dazu geleistet. Einen Beitrag, der sehr lesenswert ist.
Hammelburg Einst und Jetzt (10) – Freibad (heute Saaletalbad)
Am 10. Mai 1974 ist in Hammelburg das Freibad eröffnet worden. Das Bild entstammt einer Broschüre zur Eröffnung und ist wenige Wochen zuvor aufgenommen worden. Die Rutsche ist noch nicht fertig; genauso wie der Sprungturm, an dem die Leiter und die Geländer noch fehlen.
Heute heißt das Freibad „Saaletalbad“. Von der klaren Sicht auf das Becken ist nichts mehr zu sehen. Zum einen, weil der Baumbestand in den vergangen 40 Jahren zu schönen schattenspendenden Bäumen herangereift ist. Viel massiver ist aber der Umbau zu erkennen. Das Nichtschwimmerbecken mit Rutsche und 20-Meter-Bahnen im hinteren Teil gibt es nicht mehr. Es wurde beim Umbau zugeschüttet. Stattdessen ist das um eine Bahn verkleinerte 50-Meter-Becken um einen Nichtschwimmerbereich erweitert worden. Und die Bademeisterkabine befindet sich jetzt fast direkt am Becken.
Trotz aller Umbaumaßnahmen ist der Sprungturm aber erhalten worden. Eine Attraktion, die nach wie vor viel genutzt wird. Und die 50-Meter-Bahnen wurden im Kern auch nicht angetastet. Zum Glück. Statt Spaß-Wahnsinn existiert nun eine schöne Mischung aus Schwimmbad, Sprungturm und vielen Möglichkeiten zum Spielen und Räubern – etwa auf den beiden Beach-Volleyballplätzen.

Mehr Einst und Jetzt aus Hammelburg:
(1) – Stadtpfarrkirche
(2) – Rotes Schloss vom Weiher aus
(3) – Am Kellereischloss
(4) – Hüterturm
(5) – Ruine Aura
(6) – Baderturm
(7) – Kloster Altstadt und Schloss Saaleck
(8) – Kreuzigungsgruppe des Altstädter Kreuzwegs
(9) – Blick von Schloss Saaleck auf die Stadt
(10) – Freibad (heute Saaletalbad)
(11) – St. Nepomuk
(12) – Kissinger Straße
(13) – Hochhaus Breslauer Straße 2
Florian Illies entdeckt die Kraft des Jahres 1913
Was für ein furioser Beginn eines Buches. Der zwölfjährige Louis Armstrong schießt mit einem Revolver. Und als nächstes betritt der bis über beide Ohren verliebte Franz Kafka die Bühne. Und dann kommt Stalin in Wien an, Sigmund Freund streichelt eine Katze. Und so geht es weiter. Immer weiter. Ein bedeutender Name nach dem anderen wird von Florian Illies im Januar 1913 beobachtet. Sie alle haben vordergründig nichts miteinander zu tun. Aber doch sind sie miteinander verbunden. Zumindest mit der Gleichzeitigkeit ihres Lebens.
Die Idee von „1913“ ist simpel und genau dadurch so bestechend. Faszinierend, was alles 1913 passierte. Der Januar und der Februar ziehen den Leser in ein Jahr, in dem kulturell so viel passierte. Und natürlich lauert irgendwie der 1. Weltkrieg auf Thomas Mann, die Künstler der Brücke oder Pablo Picasso. Florian Illies ordnet sie und Adolf Hitler, Arnold Schönberg, Gertrude Stein und viele andere parallel an. Vielfach haben die Fäden, die er mit ihnen spinnt nichts miteinander zu tun. Und doch formt sich im Kopf des Lesers ein Bild von einer faszinierenden Zeit, in der sich Kunst, Musik, Literatur und die Gesellschaft neu formieren.
Genau das ist die große Leistung des Buches. Immer dann, wenn Illies die Ereignisse ohne eigenen Kommentar nebeneinander stellt, ist der Text stark. Der einzige, der dabei stört, ist Illies selbst. Sein bedeutungsschwangeres Raunen verstärkt die Wirkung nicht, sondern raubt ihr den Zauber. Der Autor vertraut seiner Idee und seiner Fähigkeit zu schreiben offenbar nicht. Und so stört er das Puzzle der Ereignisse und Erlebnisse aus dem Jahr 1913 mit seinem Wissen, stellt es aus und in den Vordergrund. Das ist schade. Denn Illies selbst stört das Buch, das er doch selbst geschrieben hat. Ja, er stört so sehr, dass der Sog des Textes immer dann verflacht, wenn er und nicht seine Protagonisten mit ihren verbürgten Erlebnissen auftaucht.
Doch trotz dieser Schwäche, die das Weiterlesen schwer macht, ist das Sammelsurium dieses außergewöhnliches Kalendariums ein beachtenswertes Buch.
Montaigne entdeckt das Innere beim Reisen

Italien, Deutschland und die Schweiz aus der Sicht eines Franzosen aus dem 16. Jahrhundert, das ist eine interessante Konstellation. Zum einen weil die Nationalstaaten damals noch nicht einmal als Idee in den Köpfe war, zum anderen weil der Autor Michel de Montaigne präzise und amüsant zu formulieren wusste. Vor allem aber, weil in diesem Text, in diesem Tagebuch zu beobachten ist, wie sich das Ich, wie sich die Beschreibung von eigenen Gemütszuständen und die Beobachtung des eigenen Körpers bei Krankheiten in den Tagebüchern Raum nehmen. Das ist in dieser Zeit tatsächlich neu. Und so ermöglicht Montaignes Tagebuch einen Einblick in die frühsten Momente der Moderne.
Die Andere Bibliothek hat den Band jetzt herausgegeben. Das ist einerseits gut, weil er deshalb wieder verfügbar ist. Es ist aber auch ärgerlich, weil das Besondere dieser Reihe dadurch aufgeweicht wird. Denn der exakt gleiche Band ist schon vor einigen Jahren bei Eichborn erschienen. Derselbe Text, dieselbe Übersetzung, nur die Gestaltung ist anders. Da das Ziel der Anderen Bibliothek eigentlich das Entdecken von Büchern und Texten ist, die schon lange nicht mehr verfügbar sind oder gar noch nie in Deutschland oder gar überhaupt noch nie erschienen sind, ist das wirklich ärgerlich.
Mehr von der Anderen Bibliothek auf diesem Blog…
Die Reportagen von Albert Londres verblüffen durch Aktualität

Albert Londres kannte ich bislang nicht. Dass er ein großer französischer Journalist in den Zwischenkriegsjahren war, wusste ich nicht. Aber jetzt habe ich „Ein Reporter und nichts als das“ gelesen. „Die Andere Bibliothek“ hat wieder einmal Texte zugänglich gemacht, die in Deutschland bislang nicht verfügbar waren. Drei Bücher haben Christian Döring als Herausgeber und Linda Vogt als Lektorin in einem Band zusammengefasst. Und alle drei sind Reportagen von großer Klarheit.
„China aus den Fugen“ ist im Mai 1922 erschienen und schildert die Situation zehn Jahre nach der Abdankung des letzten Kaisers. „Ahashver ist angekommen“ ist eine Reise durch das jüdische Leben in Westeuropa, den Ghettos Osteuropas und im Palästina der Zionisten in den Jahren 1929 und 1930. Und „Perlenfischer“ ist das Ergebnis einer Recherche zwischen dem Golf von Oman und dem Golf von Aden im Jahr 1931. Jedes dieser Bücher ist ein erstaunlicher Reportageband. In ihrer Fülle sind sie ein fulminantes Zeugnis davon, was dieses Genre kann.
Das wird vor allem bei „Ahashver ist angekommen“ deutlich. Londres beginnt in London, sich auf die Suche nach dem Leben und dem Denken der Juden zu machen. Er lernt die reichen und die armen Juden kennen. Er besucht Talmud-Schulen und spricht mit Zionisten, die eine jüdische Zukunft nur in Palästina sehen. Von dort macht sich Londres auf den Weg über Westeuropa ins östliche Mitteleuropa, in die Tschechoslowakei, nach Polen und Russland. Er erlebt die kaum vorstellbare Armut der Juden in den Karpaten oder dem Lemberger Ghetto. Er reist zusammen mit Menschen, die sieben Sprachen fließend sprechen, aber es nicht schaffen sich aus den furchtbaren Zuständen ihrer Heimatorte zu befreien. Er lernt Wunderrabbis kennen und überall sieht er Fotografien von Theodor Herzl, dem Begründer des Zionismus. Londres erfährt, was die Juden Europas bewegt, wie unterschiedlich sie denken – und wie antisemitisch die Gesetzgebung Polens war, wie diskriminierend Tschechen, Slowaken, Rumänen, Ukrainer oder Russen mit der Minderheit in ihrer Mitte umgingen. Londres hört überlebenden der Pogrome in Russland zu. Und so versteht er immer besser, warum sich ein Teil der Juden in den tiefen Glauben flüchtete und ein anderer sein Heil in der Auswanderung ins Land der Vorväter in Palästina suchte.
Wer diese Reportage heute, nach der Shoa, liest, erschrickt zwangsläufig. Nicht nur, weil hier eine Welt auflebt, die durch die Mordmaschinerie der Nazis vernichtet wurde. Nein, man erschrickt auch, weil der Hass auf die Juden als ein europäisches Phänomen geschildert wird. Denn das diskriminiert werden, ja das ermordet werden, gehörte für die Juden auch in den 21 Jahren zwischen 1. und 2. Weltkrieg zum Alltag.
Sein Besuch im englischen Mandatsgebiet, in dem sich die Zionisten niederlassen durften, ist ebenfalls von einer ungeheuren Hellsichtigkeit. Londres beschreibt die Konflikte mit den Arabern, er schildert auch dort einen Pogrom gegen die Juden – und er beobachtet verblüfft, wie sie die jüdischen Einwanderer in den Dienst des Aufbaus eines jüdischen Staats stellten, ohne auf die einstige Stellung in Europa zurückzublicken. Wer etwas über das Entstehen des Nahost-Konflikts erfahren will, ist hier richtig. Denn Londres zeichnet bei seiner Reportage aus den Jahren 1929 und 1930 genau die Konfliktlinien nach, die noch heute entscheidend sind. Und er erfasst die Mentalität eines Volkes, das sich aus der Diskriminierung und Verfolgung befreit, um den eigenen Staat zu schaffen. Londres schafft es dabei, immer Distanz zu wahren. Ihn begeistern der Wille und die Zielstrebigkeit. Aber er versteht auch die Araber. Er nimmt keine Partei, sondern schafft es nur Kraft seiner Beobachtung und seiner klaren und prägnanten Stils, aufzuklären. Ein Meisterwerk eben.
Die Andere Bibliothek entdeckt Henriette Herz

Neugierig war ich auf das Buch, aber auch voller Ehrfurcht. Mehr als 600 Seiten Erinnerungen, Briefe und editorische Hinweise zu einer Frau, die vor 200 Jahren lebte, schüchtern im Alltag doch etwas ein. Wobei sich das nicht auf das Geschlecht, sondern auf die Zeit und ihre Zeitgenossen bezieht, die einem ja doch nicht alle geläufig sind. Aber schon nach den ersten Seiten der Erinnerungen von Henriette Herz sind die Hemmungen weg. Die jüdische Berlinerin, die in ihrem Salon alle wichtigen Geistesgrößen zu Gast hatte, schreibt selbstbewusst, aber zurückhaltend und zieht den Leser ganz schnell in ihr Leben. Dieses faszinierend zu nennen würde nicht genügen, um das auch aus heutiger Sicht noch Besondere zu beschreiben.
