Klappe halten und ab gegen den Strom

Günther Koch. Quelle: Wikipedia
Günther Koch. Quelle: Wikipedia

Eine Radio-Legende der Sportberichterstattung tritt ab. Am heutigen 34. Spieltag  moderiert Günther Koch (64, Foto) zum letzten Mal die Bundesliga im Hörfunk. Der bekennende  Nürnberg-Fan hört auf, weil er für die ARD nicht von der WM berichten
darf. Im Interview mit 20cent spricht er über Radio-Sternstunden,
Gegen-den-Strom-Schwimmer und seine TV-Zukunft.

Wissen Sie schon, wie Sie Ihre letzte Reportage beginnen?

Ganz normal. Ich bin richtig befreit.  Es ist eine Mischung aus Trauer und Freude. Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Das Spiel ist ein schöner Anlass: Der Club (1. FC Nürnberg) ist gerettet. Ich bin ein Kind des Radios. Trotzdem freue ich mich auf meine Aufgabe bei Arena (Inhaber der TV-Bundesligarechte).

Mit wem haben Sie am liebsten Pässe in der Schlusskonferenz geschlagen?

Mit Manni Breuckmann. Und früher mit Werner Hansch, Armin Haufe.

Gibt es für Sie eine persönliche Sternstunde in den 30 Jahren Fußball-Reportage?

Ja, das war das UEFA-Cup-Halbfinale in Barcelona 1996, als Bayern München gegen Barcelona trotz eines 2:2 im Hinspiel auswärts gewann. Die Begegnung war das erste Europacup-Spiel, das nicht im Free-TV gezeigt wurde. Im ZDF wurde es als Renaissance der Fußball-Reportage im Radio gefeiert. Aus Protest und Überzeugung haben die Leute Radio gehört.

Sie haben viele Generationen deutscher Fußballer erlebt und kennen gelernt. Wen fanden Sie auch menschlich überzeugend?

Markus Babbel (33), weil er wohl erzogen, charakterstark, mannschaftsdienlich und bescheiden ist. Norbert Eder (50) vom Club, weil er die Kapitäns-Binde aus Protest
gegen die Entlassung seines Trainers hinschmiss. Und dann Jürgen Klinsmann (41), weil der immer gegen den Strom geschwommen ist. So etwas gefällt mir.

Hatten Sie Angst um die Schlusskonferenz, als Premiere damit im Fernsehen begonnen  hat?

Angst und Wut. Als wir deshalb im Radio nur ganz wenig sagen durften, habe ich das auch mal im Stil eines Berichterstatters verfremdet: „Hier ist Dortmund. Es steht 1:0. Wir haben 38.000 Zuschauer und zwei Freistöße gesehen. Das Wetter ist gut. Ich gebe zurück ins Funkhaus.“

Jetzt machen Sie das bald selber.

Aber anders. Es war ja nicht mein Wunsch und meine Absicht, mit dem Radio aufzuhören.

Das ist die Herausforderung?

Die Klappe zu halten. Und nicht das Bild tot zu quatschen. Daran messe ich mich.

Glauben Sie, dass Cottbus den Aufstieg schafft?

Ja.

Weil Sie als Clubberer den Fürthern nichts gönnen.

Nein, ich würde mich auch für (Greuther) Fürth freuen. Aber es ist wirklich nicht so, dass ich den Aufstieg von Cottbus befürchten würde. Im Gegenteil. Ich halte es für richtig, dass der Osten wieder mit einer Mannschaft in der 1. Liga vertreten ist.

Dieses Interview ist am 13. Mai 2006 in 20cent erschienen.

Frank Schätzing liest ein Unbekanntes Universum

Frank Schätzing: Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Frank Schätzing: Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Frank Schätzing hat aus seinen umfassenden Recherchen für seinen Bestseller „Der Schwarm“ ein zweites Buch gemacht: Nachrichten aus einem unbekannten Universum. Auch das ist ein Bestseller. Für all jene, denen mehr als 500 Seiten Erdgeschichte und Evolution zu viel sind, hat der Hörverlag daraus zwei CDs gemacht.

Der Autor liest ausgewählte Kapitel selbst vor. Das macht er sehr gut. Doch werden beim Hören auch einige Schwächen offenbar. Wenn sich Schätzing in einen Hai hineinversetzt, ist das zwar anschaulich, aber es wirkt doch seltsam. Beim Lesen funktioniert das besser. Das stark gekürzte Hörbuch-Feature muss im Vergleich zum Buch außerdem auf zu viel
Inhalt verzichten.

Frank Schätzing: Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Antonio Forcellino nähert sich Michelangelo wie einem Geliebten

Antonio Forcellino: Michelangelo
Antonio Forcellino: Michelangelo

Das Leben dieses Genies ist unglaublich spannend. Nicht nur, dass Michelangelo fast 90 Jahre alt wurde – und bis zum letzten Tag mit Hammer und Meisel an Skulpturen arbeitete. Auch sein Leben an der Wende vom Mittelalter zur frühen Neuzeit ist fesselnd.

Der Schöpfer revolutionärer Bilder und Skulpturen war in den Kampf um die Herrschaft seiner Heimatstadt Florenz verwickelt. Da übernahm er Verantwortung für die Republik, floh aber kurz vor deren Niederschlagung. Als Vater, Onkel und Freund war er kaum auszuhalten. Aber seine Kunstwerke sind schöpferische und körperliche Kraftakte, die ihn unsterblich machten. Antonio Forcellinos Biografie nähert sich diesem Mann fast wie einem Geliebten.

Antonio Forcellino: Michelangelo – Eine Biografie; Siedler: 24,95 Euro

Pass Thru Fire – Alle Texte von Lou Reed

Lou Reed: Pass Thru Fire
Lou Reed: Pass Thru Fire

Lou Reed ist nicht nur einer der genialsten Rockmusiker. In den letzten Jahren veröffentlichte er auch immer wieder Foto-Bände. Seine Lust am grafischen ,Gestalten ist auch Pass Thru Fire anzumerken. Schon während seiner Zeit bei Velvet Underground kam der Texter und Komponist mit Grafik in Berührung. Und zwar der von Andy Warhol. Seine Sammlung aller Songtexte aus 40 Jahren Rockmusik ist davon geprägt.

Denn Lou Reed druckt die nicht nur ab. Er spielt grafisch mit den Buchstaben, der Schrift und der Reproduktion, sodass nicht nur ihr Lesen fesselt, sondern das Betrachten zu einer Komposition fürs Auge wird. Die Übersetzungen von Manfred Allié runden die englischen Originale gekonnt ab.

Lou Reed: Pass Thru Fire – Alle Songs; S. Fischer, 27,90 Euro

Grüne juckt Vattenfall-Drohung nicht

Die Grünen im Bundestag begrüßen die Ankündigung von Vattenfall-Vorstandschef Klaus Rauscher, sämtliche Investitionen ruhen zu lassen. Für den Klimaschutz wäre dies das Beste, sagte der energiepolitische Sprecher Hans-Josef Fell (54).

Rauscher hatte mit dem Investitionsstopp gedroht, falls die Entscheidung der Bundesnetzagentur Bestand habe. Diese hatte verfügt, dass Vattenfall die Preise für die Durchleitung von fremdem Strom senken muss (20cent berichtete).

lm Gespräch mit 20cent nimmt Hans-Josef Fell Rauscher beim Wort – und findet nichts schlechtes an der Aussage, die den Braunkohle-Standort Lausitz gefährdet. Fell: „Es wäre eine gute Nachricht für den Klimaschutz, wenn Vattenfall tatsächlich die Drohung wahr machte, keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen.“

Derzeit investiert Vattenfall in den Bau eines sogenannten kohlendioxidfreien Kraftwerks in Schwarze Pumpe (KM). Fell bezweifelt, dass dies ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz ist: „Die bisherigen Braunkohlepläne Vattenfalls sind angesichts der neuesten Erkenntnisse der Klimaforscher nicht mehr verantwortbar.“ Angesichts der 200 Milliarden Euro, die die Branche der Erneuerbaren Energien bis 2020 investierten wollte, sei es kein Problem, den Wegfall alter Kohle- und Atomkraftwerke zu kompensieren. Damit widerspricht Fell der Auffassung der Brandenburgischen Landesregierung, dass die Braunkohle ein unverzichtbarer Bestandteil der Energieversorgung in Deutschland bleibe müsse.

Panikreaktion des Iran

Der Iran droht dem Westen mit der Blockade sämtlicher Erdöl-Lieferungen aus dem Persischen Golf. Sollten die USA Atomanlagen des Iran angreifen. sind die Mullahs bereit die Energieversorgung der Welt massiv zu beeinträchtigen. Das Signal ist heftig. Und demnach gehört es zum Szenario des allgemeinen Säbelrasselns im Streit um das Atomprogramm des Iran: Wenn ihr es uns nicht erlaubt Energie aus Uran zu gewinnen, dann streichen wir Euch die wichtige Energieressource Erdöl…

Die Spirale der Eskalation wird nur dann gebrochen, wenn mit dem Iran ernsthaft verhandelt wird. Denn bei aller Gefahr, die von einem nuklearen Iran ausgeht, ist eines klar: Die friedliche Nutzung der Atomkraft ist allen Staaten gestattet. Wer verhindern will, dass der Iran darauf verzichtet, muss Angebote machen und nicht drohen.

Wenn der Iran in Kauf nimmt, auf 80 Prozent seiner Einnahmen zu verzichten, dann fühlt er sich offensichtlich sehr in die Enge getrieben.

Mögliche Lieben – Heiße Sommernächte in Rio

Mögliche Lieben - Amores Possiveis
Mögliche Lieben – Amores Possiveis

Was wäre, wenn Julia damals vor 15 Jahren gekommen wäre? Wenn sie Carlos nicht vor dem Kino versetzt hätte?

Die alte Frage, wie sich das Leben hätte entwickeln können, spielt die Brasilianerin Sandra Werneck in ihrem zweiten Kinofilm ganz überraschend durch. Sie lässt drei unterschiedliche Carlos‘ Julia wiederbegegnen.

Da ist der reiche Rechtsanwalt, der in einer Midlifcrisis steckt. Dann der Sunny- und Playboy, der noch immer bei Muttern wohnt und der trotz allem Vögeln quer durch
Rio noch immer auf die große Liebe hofft und wartet. Und dann ist da noch der schwule Carlos, der in einer festen Beziehung lebt, aber dennoch die Liebe zu seiner Ex Julia wieder entdeckt.

Jeder Carlos trifft auf eine andere Julia. Alle drei Geschichten spielen durch, ob es sich dabei um Mögliche Lieben handelt. Da die Geschichten nicht linear erzählt werden, sondern sich ständig abwechseln, entsteht ein Film, der nicht nur die Frage Was wäre wenn beantwortet, sondern ganz nebenbei einen verwirrenden, erotischen Blick auf Rio wirft. Zwar ist dem Film das geringe Budget anzumerken, doch die witzigen Dialoge, die
überzeugenden Stories und die tollen Darsteller machen das mehr als wett.

Die ungeheure Kraft von Leningrad

Leningrad: Hleb
Leningrad: Hleb

Live muss diese Band unglaublich gut sein. Diese Kraft, diese Wucht, die von Leningrad auf das aktuelle Album Hleb gepresst wurde, ist schon der Hammer. Live bläst die 16-Mann-Combo das Publikum ganz sicher um.

Wer bei russischer Musik an Don Kosaken denkt, ist völlig falsch gewickelt. Leningrad ist eine echte Independent-Band. Hier klingt nichts nach weich gespültem Gitarren-Sound wie bei den Britpoppern von Kaiser Chiefs oder Franz Ferdinand. Die anarchische Kraft der Musik ist der Treibstoff der russischen Band aus St. Petersburg. Losgelöst von Plattenlabels und offizieller Unterstützung ersang sich Sänger Shnur echten Kultstatus in Russland.

Das hängt ganz sicher mit der ungeheuren Mischung aus Ska, Punk, R’n’B und tatsächlich auch Folklore-Elementen zusammen. Und mit der Fülle an Instrumenten. Fünf Musiker widmen sich dem Schlagwerk. Fünf weitere bilden den Bläsersatz. Und dann singt über der klassischen Rockinstrumentierung dieser Shnur oder grölt oder rotzt seine Botschaften.
Leningrad ist ein Lichtblick für Freunde kraftvoller Musik, die die x-fache Neuauflage der immer gleichen Riffs nicht mehr ertragen können.

Logisch, dass die große Koalition streitet

Im Land wird die Stimmung immer besser, die Konjunktur zieht an und die Verbraucher geben ihre gesparten Euros aus. Und was macht die Koalition? Sie fängt an, die zu prügeln!

Was wie ein Widerspruch klingt, ist jedoch logisch. Denn nach den ersten Monaten Freude am Regieren fällt den Partnern auf, dass sie eigentlich politische Gegner sind. Die Forderung der SPD, dass die CDU-Ministerpräsidenten mit den ständigen Querschlägen aufhören sollen, ist berechtigt. Doch das wird die Union nicht interessieren. Denn Koch, Rüttgers oder Stoiber können den Wählern signalisieren: Würden wir ohne SPD regieren, dann wäre alles anders, alles besser.

Dagegen gibt es für die SPD nur ein Mittel: Bei der Föderalismusreform kann die Bundestagsfraktion ihre Zustimmung etwa beim Thema Bildung verweigern. Das würde die CDU-Minsterpräsidenten schmerzen. Und so die Disziplin fördern.

Trikont geht auf Zeitreise mit kreativen Outlaws

Heute ist es kaum noch vorstellbar, wie radikal sich die Musik in den 1960er-Jahren veränderte. Die Explosion der Kreativität in den USA hat das Münchner Label Trikont
auf einem faszinierenden Sampler eingefangen.

„Creative Outlaws – US Underground 1962-1970“ ist der Titel der CD. Auf ihr versammelt sind Jimi Hendrix und der von seinem Freund Frank Zappa produzierte Captain Beefheart. MC5, die ersten echten Punks überhaupt, sind ebenso zu hören wie die großartige Grace Slick. Ihr Song ist ein echtes Fundstück. Denn sie ist nicht mit Jefferson Airplane, sondern mit einem Vorläufer-Projekt zu hören.

Alle 22 Songs der bekannten und auch der weniger bekannten Interpreten lassen den Sound der Revolte, des Abstreifens ermüdender Traditionen und den Wunsch nach der selbständigen Erkundung des Lebens erklingen. Wer sich in das Album einhört, begibt sich an die Wurzeln einer inzwischen 40 Jahre alten Rock-Tradition, die junge Bands mit neuen Songs oft richtig alt aussehen läßt. Die Musik des Samplers ist noch echt. Sie ist noch nicht zur gut abgemixten Pose verkommen, mit der zurzeit vor allem langweilige Brit-Popper
als neue Entdeckung angepriesen werden.