16 Schülerinnen und Schüler eines Potsdamer Elitegymnasiums erzählen uns zwischen 1989 und 1991, was sie erlebt haben, was sie träumen, auf wen sie neidisch sind und in wen sie sich verlieben. Es sind nie mehr als vier Seiten, auf denen uns die vielen Ich-Erzähler einen Einblick in ihre Gefühls- und Lebenslage gewähren. Anfangs spielen die Zwänge der SED noch eine Rolle. Dann zerfallen diese und unterschiedliche Schulleiter kommen und gehen. Aber trotz aller Veränderung durch den Fall der Mauer interessieren sich die pubertierenden Gymnasiasten vor allem für sich.
Julia Schoch, 1974 im brandenburgischen Bad Saarow geboren, hat in ihrem neuen Roman aber nicht nur den Blick auf die spezielle Situation von Schülern im Wendejahr 1989 geworfen. Sie lässt dieselben 16 Personen auch knapp 30 Jahre später wieder zu Wort kommen. Wieder schildern sie jeder für sich völlig subjektiv ihre Lebenssituation. Sie analysieren, was aus ihrem Leben geworden ist. Durch sie erfahren die Leser von ihren zerplatzten Träumen, ihren gescheiterten Beziehungen, ihrem Erwachsen-Werden und der teilweisen Verspießerung. Unterschiedliche Lebenswege die teils gescheitert sind, teils unerwartet erfolgreich sind, aber auch in Depression und Selbstmord enden. Auch diese Ich-Erzählungen sind für sich alle in einem anderen Tonfall. Individuelle Tonlagen lassen sich herauslesen.
Die Gegenüberstellung von jungen und erwachsenen Stimmen derselben Personen ist ein gewagtes Unterfangen. Schließlich ist bei diesen beiden Zeitebenen und der Fülle der Personen die Gefahr groß, dass der Leser den Überblick verliert. Deshalb dauert es auch eine Weile, bis sich größere Zusammenhänge und Beziehungsgeflechte erschließen. Aber Julia Schoch schafft es die Fülle der Erzählstränge zu bündeln und so einen vielstimmigen Chor zu orchestrieren, der eine gesellschaftliche Analyse der Generation intoniert, die im vereinigten Deutschland erwachsen wurde. Dabei fallen keine larmoyanten Töne, die das Scheitern der eigenen Träume der Bundesrepublik überhelfen. Lediglich kluge, knappe Beobachtungen zum Beispiel zu den architektonischen Veränderungen Potsdams sind zu lesen. Die Konzentration auf das Private lässt das Politische umso stärker hervortreten. Die Summe der Einzelstimmen sorgt für einen vielschichtigen Chor, der einen eigenen, analytischen und faszinierenden Sound zum Klingen bringt. Ein außergewöhnliches Buch in einer außergewöhnlichen erzählerischen Form.