Der Preis Goncourt ist den meisten Literatur-Freunden bekannt. Die wichtigste Auszeichnung für französische Literatur ist ein Gradmesser für Trends und Qualität. In Deutschland sind die Namensgeber dieses Preises dagegen kaum noch bekannt. Andere französische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts haben sie hierzulande verdrängt. Dass es sich dennoch lohnt, Romane der Brüder Edmond und Jules de Goncourt zu lesen, beweist die Andere Bibliothek mit „Manette Salomon“. Der Roman ist ein zwiespältiges Buch. Auf der einen Seite ist es ein perfekt beobachtetes Buch über die Malerei und die Kunst. Auf der anderen ist es in Teilen antisemitisch. Manette Salomon, die Titelheldin ist eine junge Jüdin, die als Model für Aktgemälde ihr Geld verdient. Zunächst arbeitet sie für mehrere Künstler, dann nur noch für einen. Anfangs ist sie nur Model, später wird sie auch die Mätresse des Malers und schließlich die Ehefrau. Nun ist es nicht so, als würde die Schilderung von Manette ständig in antisemitischen Stereotypen geschehen. Den größten Teil des Buches ist Manette nur eine junge Frau. Erst im Laufe des Romans tauchen für den Leser unangenehme Schilderungen jüdischen Lebens auf, die von Vorurteilen geprägt sind. Dennoch wird der Roman nie zur einem Machwerk, das den Antisemitismus als Triebfeder der Autoren offenbaren würde.
Denn das Hauptanliegen dieses Künstlerromas ist es, das Leben, die Höhen und Tiefen von Künstlern in Szene zu setzen. Während der eine erfolgreich wird und im Laufe seines Lebens dennoch seine Schaffenskraft einbüßt, ist dessen Freund ein unsteter Geist, der sich durchs Leben schlägt, sein Talent aber nicht nutzt, um Meisterwerke zu schaffen. Ihm ist es wichtiger zu leben, sich treien zu lassen und sein Talent zu nutzen, um immer wieder Auftragsarbeiten zu machen. Der künstlerische Antrieb fehlt ihm. Wie die Brüder Goncourt diese beiden Freunde von der Ausbildung in einer Malerwerkstatt bis zum Ende begleiten, ist beachtlich. Immerhin haben sie das Buch ja zu zweit geschrieben. Sie leuchten alle Facetten der Kunstproduktion aus, lassen sich auf die Schilderung des Malvorgangs Schicht um Schicht der Farben und Lasuren ein. Sie schildern in einer fast schon extremen Genauigkeit die Fülle der Mal- und Zeichenarten. Dabei wird es den Lesern nie langweilig. Denn die genauen Beobachtungen spiegeln sich auch im Fortschreiten des Romans.
Leider wird die Titelheldin immer unsympathischer. Die Brüder Goncourt schreibe ihr den Verlust der Schaffenskraft des Künstlers. Und da sie eine Jüdin ist, die ihren Glauben lebt und auch noch Verwandte ins Haus holt, entsteht immer stärker der Eindruck, als würde die Weiblichkeit und das Judentum den französischen Künstler aussaugen und lähmen. Das heut ezu lesen, ist abscheulich. Aber natürlich ist das auch an die Entstehungszeit gebunden. Antisemitismus war im 19. Jahrhundert weit verbreitet. Sonst hätte es ja auch nicht zur Dreyfus-Affäre kommen können. Insofern muss, wer den großartigen Künstlerroman lesen will, auch den Antisemitimus der Zeit mit lesen. Angesichts der aktuellen Antisemitismus-Debatte macht das ganzh nebenbei deutlich, dass es sich dabei bei weitem nicht nur um ein Phänomen von Zuwanderern handelt, sondern um eines, das aus der Mitte der europäischen Gesellschaften stammt.
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