Die Konstellation hat es in sich: Ein ehemaliger DDR-Staatskünstler schreibt eine musikalische Vision über den Protestanten Luther, das bei der Welturaufführung auch vor polnischen Katholiken intoniert wird. Da ist theologisch und weltanschaulich „Musike drin“. Auf jeden Fall stellt sich sofort die Frage, ob es künstlerisch gelingt, den Text so in Musik zu setzen, dass sich der Sinn der Worte vermittelt, selbst wenn man sie nicht verstehen kann.
„Luthers Träume“ heißt das Werk von Siegfried Matthus, das beim Eröffnungskonzert der Musikfesttage an der Oder vom Brandenburgischen Staatsorchester, der Singakademie Frankfurt und einer Reihe von Solisten aufgeführt wurde. Zum Auftakt des Luther-Jahres war das sicherlich eine gute Idee. Das Werk spielt mit musikalischen Zitaten, Luther-Zitaten und ausgefeilten traumhaften Dialogen mit Katharina von Bora, Thomas Müntzer, Philipp Melanchton, Ablassprediger Johann Tetzel, einem Reichsherold, Teufeln und Teufelinnen. Matthus versucht also, den gesamten Luther in 70 Minuten zu fassen. Da er die Dialoge in Träume packt, will er Luther in seinem Wesenskern packen. Denn in den eigenen Träumen gibt es bekanntlich keine Lügen.
Überzeugend sind die Passagen, in denen Luther mit dem Hebräischen und dem Griechischen um die richtige Übersetzung des Wortes Gottes ringt. Hier nimmt Matthus die Musikalität der fremden Sprachen auf und erzeugt eine erstaunliche Spannung. Aber das sind nur einige Minuten. Den weitaus größten Anteil nimmt der Kampf mit der Leiblichkeit in Beschlag. Ständig wird um Bier, Essen und Brüste gerungen. Da wird die theologische Leistung Luthers gnadenlos profanisiert und materialistisch interpretiert. Sicherlich hat Luther vor allem in seinen Tischgesprächen viel dazu gesagt. Aber in der Gewichtung und der Vehemenz bekommt das Werk einen Drall, der es entwertet.
Verstärkt wird das durch die unendliche Aneinanderreihung musikalischer Zitate. Beim Hören stellt sich manchmal die Frage, ob der Komponist auch eigene Ideen hat. Oder ob es ganz postmodern nur darum geht, mit Zitaten und Bezugsanordnungen Effekte zu erzielen. Immerhin bietet das den polnischen Zuhörern die Chance, wenigstens etwas zu verstehen.
Aber trotz all dieser Zweifel beim Hören, kann das Werk den Zuhörer auch immer wieder für sich einnehmen. Wobei das vor allem an der großartigen Leistung der Musiker liegt. Howard Griffiths setzt die musikalischen Akzente mit seinem Brandenburgischen Staatsorchester gekonnt und richtig. Robert Koller interpretiert den Luther diabolisch, zweifelnd, suchend und schließlich Gott findend sehr überzeugend. Michaela Kaune ist als Katharina von Bora genauso gut wie die Bastian Levacher, Philipp Mayer, Lawrence Halksworth und Gerald Beatty in ihren Rollen. Und die Teufelinnen Soo Yeon Lim, Ines Vinkelau, Marianne Schechtel und Noa Beinart mit ihren gleichfarbig grell-roten Mündern setzen nicht nur optisch einen markanten Akzent. Sie erzeugen immer musikalische Spannung. Genauso wie die Singakademie, die viele rezitative Passagen hat. Aber am Ende, wenn alle zusammen „Ein feste Burg ist unser Gott“ singen, ja sich steigernd schmettern, wenn das Orchester immer intensiver den Choral musikalisch verdichtet, sind auch die zweifelnden Zuhörer gefangen. Dann ist Luthers Glaube erlebbar. Der Ort der Aufführung verstärkt das noch. Schließlich ist die Konzerthalle in Frankfurt (Oder) eine aufgelassene Kirche.
Bei zwei Anmerkungen bin ich absolut deiner Meinung:Bei den Übersetzungen vom Hebräischen ins Deutsche hat das Stück seine stärksten Momente – einfach weil hier Herr Matthus am dichtesten dran ist an Luthers historischer Leistung. Das Ganze ist musikalisch schlicht – angemessen und kreativ – eben nicht aus der Komponierschublade. Leider ist dieser Teil des Stücks viel zu kurz . Das Ganze hat ein Ungleichgewicht zum restlichen Teil des Stücks, was irgendwann genervt hat. Hervorzuheben sind die jungen Sängerinnen und Sänger, vor allem die Mädels und da (aus meiner Sicht) eine talentierte Koloratursopranistin,die ihren Weg machen wird.