Les Yeux D’la Tête erfreuen das Lido

Les Yeux D'la Tête im Lido
Les Yeux D’la Tête im Lido

Was genau mich im Lido erwarten würde, wussten ich nicht. Irgendeine Mischung aus Frankreich und Balkan glaubte ich. Und tatsächlich war da viel Frankreich zu hören, auch immer wieder Balkan, aber auch Andalusien und jiddisches Osteuropa. Alles verpackt in einen eigenen Sound, der die vielen Einflüsse nicht demonstrativ vor sich herträgt, sondern zu einer sehr schönen, innigen und abwechslungsreichen Musik verbindet. Eine Musik, die mich genauso wie das restliche Publikum angenehm treiben und tanzen und träumen ließ.

Die sechs Pariser beherrschen ihre Instrumente und sind wunderbar aufeinander eingespielt. Vor allem die beiden Sänger mit ihren Gitarren schaffen es sofort mit dem Publikum zu kommunizieren. Das versteht zum Großteil kein Französisch und so versuchen sie mit einem herzlichen Pariser Englisch zu erklären, was sie da spielen. Aber das ist überflüssig. Denn die Musik, die ihre besondere Note durch das Akkordeon und das Saxophon bekommt, spricht für sich. Ihre Ironie wird genauso verstanden wie ihr Ernst oder ihre Innigkeit.

Les Yeux D’la Tête ist eine schöne Entdeckung, die nun häufiger auch daheim erklingen wird. Es ist halt doch immer wieder richtig, in Konzerte zu gehen, auch wenn man nicht genau weiß, was einen erwarten wird. Hier kann man mal reinhören…

Das gilt auch für die Vorband. Yukazu kommt aus Kreuzberg und stimmt die eigenen Lieder ebenfalls auf Französisch an. Dazu spielt ein Kontrabass, eine Klarinette, Gitarre, Schlagzeug und ein Akkordeon. Ergänzt um die beiden Stimmen der Sängerinnen ergibt das eine Hommage an Frankreich, die Sehnsucht weckt.

Yukazu im Berliner Lido
Yukazu im Berliner Lido

Rotfront kennt keine Grenzen

Am Freitag erscheint die zweite CD des „Emigrantski Raggamuffin Kollektivs“ wie sich die Band auch noch nennt. Enge und Bevormundung sind genau die Assoziationen, die überhaupt nicht zu Rotfront passen. Denn die Band, die
Yuriy Gurzhy zusammen mit Simon Wahorn 2002 um sich geschart hat, sucht die Weite und den neuen Horizont, den sich Emigranten in jeder neuen Gesellschaft erschließen müssen. Außer den sowjetischen Wurzeln des Ukrainers Gurzhy erinnern allenfalls einige russische Songs an die Vergangenheit.

Thema des Albums und aller Live-Auftritte der fulminanten Musiker ist die Gegenwart. In den Songs beschreiben sie die internationale Welt, in der sie leben. Dass sich die Band in Berlin sammelte, ist deshalb auch kein Zufall. Dort gibt es diese Kultur, die sich aus ganz vielen Quellen speist und daraus etwas ganz Neues formt. Gurzhy ist der Internationalität schon lange auf der Spur. Für Trikont hat er den Sampler „Shtetl Superstars“ über aktuelle jüdische Musik quer über den Erdball zusammengestellt. Dabei suchte er das Verbindende in der Tradition.

Auf der neuen CD gibt es solche Elemente nur als persönliche Erinenrungen derer, die in Deutsch, Englisch, Russisch oder Ungarisch singen. Die Einheit wird durch das gemeinsame Musizieren so geformt, dass jeder Auftritt von Rotfront zwangsläufig zur Party wird. Schon nach den ersten Takten wippt jeder Saal. Auch deshalb ist Rotfront beim „Sziget-Festval“, einem der größten Europas, Headliner.

Musikalisch erinnert Rotfront an Seed oder Culcha Candela. Wo dort Karibik mitklingt, ist es hier Osteuropa. Ska, Raggae und HipHop werden mit Polka und Klezmer kombiniert. Heraus kommt Berliner Musik, die weltoffen, tolerant und befreiend feiert.

Rotfront: VisaFree (essay Recordings)

MOZ-Rezension…

Afritanga sprengt Weltmusik-Klischees

Afritanga
Afritanga

Wenn es das Münchner Label Trikont nicht gäbe, müsste es erfunden werden. Vor allem die immer wieder überraschenden Sampler aus fremden Kulturkreisen sind ein echter Verdienst.

Jetzt lässt sich der aktuelle Sound Kolumbiens entdecken. „Afritanga – The Sound of Afrocolumbia“ heißt die Platte, die sämtliche Klischees über südamerikanische Musik sprengt. Zwar gibt es Salsa auf der CD, doch der klingt hier aggressiv und fordernd.

Steen Thorsson, der die 15 Stücke zusammengestellt hat, konzentrierte sich auf die Gegenwart. Und lässt damit die Musik etwa vom „Karneval der Kulturen“ alt aussehen.

Afritanga „The Sound of Afrocolumbia“ (Trikont)

La Cherga ist mehr als Balkan Brass

La Cherga: Revolve
La Cherga: Revolve

Diese Frontfrau hat eine fantastische Stimme: Adisa Zvekic aus Bosnien singt bei La Cherga. Die Band, die kein Herkunftsland kennt, sondern nur Musiker aus Kroatien, Bosnien, Mazedonien und Jamaika, wird durch sie im positiven Sinne umgewälzt. Die Mischung aus Funk und Balkan Brass, aus Jazz und Elektro, aus Ska und Reggae erzeugt einen unverwechselbaren Sound.

Das ist ja eines der größten Komplimente, die einer Band gemacht werden können. Im großen Brei des Allerleis der Musik sticht La Cherga mit tanzbarer, schweißtreibender Unverwechselbarkeit hervor. Die Band bedient sich zwar verschiedener Traditionen, doch das Ergebnis ist auch dank Adisa Zvekic ein neuer Sound. Insofern sprengt die Band auch das, was sich einst Weltmusik nannte.

Der Bezug zur (musikalischen) Heimat ist zwar immer zu erkennen. Aber es geht La Cherga nicht darum, nostalgische Gefühle zu wecken. Vielmehr sind die Musiker auf der Suche nach einer unverwechselbaren Klang-Heimat, in der sie sich wohl fühlen. Da das beim Hörer auch klappt, sind sie auf dem richtigen Weg. MOZ-Rezension…

Punkverliebter Balkan-Rock von La BrassBanda aus Übersee

La BrassBanda: Übersee
La BrassBanda: Übersee

Das zweite Album ist immer das schwerste. LaBrassBanda hat diese Prüfung mit dem Album „Übersee“ bestanden. Die fünf Musiker haben im Süden der Republik Kultstatus. Ihre Mischung aus Ska, Funk, Mariachi und Reggae ist Energie pur.

Und das mit einer Instrumentierung, die es sonst nur im Balkan-Rock gibt: Die Trompete ersetzt die Gitarre, die Tuba dröhnt wie der Bass, die Posaune treibt zum Tanz – unterstützt von Schlagzeug und echtem Bass. „Übersee“ ist noch kraftvoller als das Debüt. Die Texte strotzen von herber Poesie. In Fülle und Dynamik entsteht ein Sound, der sich nur so umschreiben lässt: Blasmusik ist der neue Punk.

LaBrassBanda „Übersee“ (Trikont)

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Live sind die fünf aus Übersee auch auf CD dramatisch gut 

17 Hippies machen Musik mit Tradition

17 Hippies
17 Hippies

„El dorado“ heißt das neue Album der 17 Hippies aus Berlin. 20cent hat sich mit Sängerin Kiki Sauer (43) über die Musik der Hippies und das neue Album unterhalten.

Die 17 Hippies waren gerade in den USA auf Tour. Wie kommt die Band da an?

Super. Amis haben schon viel gesehen. Sie haben keine Scheu vor genreübergreifenden  Sachen. Das, was wir machen, kennen sie noch nicht – vor allem unsere Energie auf der Bühne.

Gibt es auch Widerstand, weil Deutsche versuchen, jüdische Traditionen zu beleben?

Das haben wir bisher nicht erlebt.

Und wie ist es in anderen Ländern, in Frankreich?

Frankreich hat viele Bands, die ähnliche Musik wie wir machen. Im Gegensatz zu uns  Deutschen leben die Franzosen eine Tradition, auf die sie stolz sind. Jedes Dorf hat eine Band, die bei Festen für Party sorgt.

Was ist in Deutschland anders?

Unsere Tradition ist gebrochen. Wir können keine deutsche Volksmusik spielen. Das will keiner hören. Jedes Land braucht eigentlich seine Volksmusik, um sich zu identifizieren.  Bei den Deutschen ist das abgeschnitten worden. Mittlerweile lässt das nach.

Woran liegt das?

Zum Beispiel an Berlin. Berlin ist der Hotspot in Europa. Egal, wo wir hinkommen, ob wir in Montreal oder in Chicago spielen, alle wollen, dass wir von Berlin erzählen, weil es so toll sein soll. Auch in Frankreich ist Berlin ganz wichtig.

In Deutschland gibt es auch andere Bands wie La BrassBanda aus Bayern, die traditionelle Musik mit Balkanbeats kombinieren.

Die Hälfte der Band kommt aus der Rockmusik. Wir wollten eigentlich was anderes machen. Doch dann haben wir uns akustische Instrumente zugelegt. Und versucht, etwas
anderes, etwas Neues zu machen.

Wie entsteht aus unterschiedlichen Einflüssen ein Album?

Wir sind halt wir. Ich stelle mir das immer vor wie einen großer Topf. Da wird immer was reingeschüttet. Und umgerührt. Eigentlich ist es egal, aus welcher Tradition die Idee kommt, wenn wir es spielen, klingt es nach Hippies.

Wo kommen die Ideen her?

Eine Band, die so viel tourt – auch weltweit, nimmt viele Einflüsse auf. Jetzt waren wir in Amerika, im Herbst in China, im Mai in Algerien. Dazu kommt immer Europa mit
Frankreich, Spanien und ganz neu auch England. Dabei sind wir lang zusammen. Das führt dazu, dass wir wie eins denken. Wenn einer ein Stück schreibt oder wir Stücke von außerhalb – aus Polen oder Russland – dazunehmen, müssen wir etwas damit anfangen können. Dann wird es gut.

Wenn ich Ihre Stimme höre, tauche ich in Melancholie ein.

Ja, das ist meine zweite Seite. Ich weiß auch nicht, woher das kommt. Ich empfinde das meist dann gar nicht so melancholisch, wie es rüberkommt.

Dieses Interview mit Kiki Sauer ist am 5. Februar 2009 in 20cent erschienen.

Figli Di Madre Ignota feiern im Fez Club

Diese Musik klingt wie eine Sammlung lustigster Urlaubserlebnisse. Gleich der erste Song „Spaghetti Balkan“ dreht so richtig auf. Bläsersätze wie im Balkan werden von der Mailänder „Band Figli Di Madre Ignota“ mit einem skurrilen Text kombiniert, in dem sich alles um die Bestellung eines Touristen im Ausland dreht – und das in mehreren Sprachen, oder besser Sprachfetzen.

„Fez Club“ nennt sich das Album dieser Combo. Ihr Name heißt auf Deutsch: Söhne einer unbekannten Mutter. Das ist natürlich Programm. Zumindest musikalisch weigern sich die Figli, an nur einer Mutter zu orientieren. Sie spielen mit Balkan-Beats, adaptieren Surf-Sound, rauben Klezmer-Einflüsse und mixen das alles mit Polkas und Swing-Elementen. Wer sich das nicht wirklich vorstellen kann, muss aber zumindest neugierig geworden sein. Denn die Musik ist kraftvoll, schwungvoll oder einfach nur atemberaubend.

„Fez Club“ ist das dritte Album der „Figli Di Madre Ignota“. Dass sie in Deutschland vom Label Eastblock Music vertrieben werden, ist folgerichtig. Denn sie schwimmen auf der Welle der Balkan-Beats. Aber sie würzen ihre Musik zu einem ganz eigenen Sound. Wunderbar!