Beim Training von Pogon Lwow

Pogon Lwow – das ist ein Name, der einst ein Ruf wie Donnerhall im Fußball hatte. Aber damals gehörte Lemberg noch zu Polen, war noch nicht im Hitler-Stalin-Pakt der Sowjetunion zugeschlagen worden. Bis zum Untergang des polnischen Lwow war der Club fünf Mal polnischer Meister. Dann ging er mit der polnischen Bevölkerung im Krieg unter.

Seit einigen Jahren gibt es den Verein wieder. 70 Jahre nach dem Untergang wurde er wieder gegründet. In der dritten Liga spielt er inzwischen – in der dritten ukrainischen Liga. Der Verein will an die große Vergangenheit anknüpfen, will der wieder präsenten polnischen Minderheit eine Heimstatt sein. Und ist es auch. Aber ganz ohne Nationalitätenstreit. Der Torhüter kommt aus Mazedonien, etliche Spieler sind ukrainische Ukrainer, andere polnische Ukrainier. Auf dem Platz wird Ukrainisch gesprochen. Und selbst die Farben auf dem Platz sind gelb und blau. Nur die Trikots und ein Werbetransparent hinter dem Tor sind in den polnischen Farben rot und weiß.

Trainiert wird übrigens auf einem Platz, der einst einem deutschen Fußballclub in Lemberg gehörte. Bis 1939 Stalins Rote Armee die Stadt von Hitlers Wehrmacht übernahm und die erste große Aussiedlungswelle begann, die der Stadt ihren Charakter, ihre Vielsprachigkeit und einen Großteil ihrer Kultur nahm. Heute knüpft Pogon Lwow an die alte Kultur auf einem Fußballplatz an, der einer anderen Kultur einst zum Spielen diente. Dass dies wieder möglich ist, ist schon ein enormer Fortschritt. Dass Spielern, Trainern und Präsidenten dabei alles Nationalistische abgeht, ein noch größerer.

Schmiedeeiserne Balkone in Lemberg

Es sind die schmiedeeisernen Balkone, die mir in Lemberg als erstes auffallen. Egal aus welcher Epoche die Häuser sind, sie werden von Balkonen geziert. Sie verstecken sich nicht in den Hinterhöfen, sondern blicken stolz auf die Straße. Offensichtlich zeigte man sich hier früher gern, nahm vom Balkon aus am Leben in den Straßen teil. Wo sich in Deutschland die Bewohner der Häuser aus dem Barock, dem Klassizismus oder dem Jugendstil eher vom sicheren Erker einen Blick in die Öffentlichkeit trauten, trat der Lemberger nach außen.

Selbst an so manchem Plattenbau aus sozialistischen Tagen prangen Balkone. Sie sind dann meist aus billigerem Stahlrohr, teilweise auch aus Beton. Aber der dem Leben zugewandte Aufenthalt zwischen sicherer Wohnung und dem Leben draußen, den gibt es auch an diesen Häusern. Heute sehen sie an den Fassaden, die oft noch nicht saniert sind, schäbiger aus, als ihre schmiedeeisernen Vorbilder. Auch wenn diese dringend Anstrich, Entrostung oder vollkommene Restaurierung ebenfalls nötig hätten. Zwar sind die meisten Wohnungen in Privatbesitz, aber die Häuser nicht. Sie gehören der Stadt. Das ist Ergebnis der sowjetischen Politik. Die Wohnungen konnten die Bewohner billigst kaufen. Für die Außenhülle blieb aber die Kommune verantwortlich. Um die vielen schönen Fassaden zu sanieren, fehlt Lemberg aber das Geld. Und so beeindruckt die Pracht, die schon bessere Zeiten erlebte.

Um die vielen schönen Balkone sachgerecht erhalten zu können, wird allerdings Vorsorge getroffen. Jedes Jahr werden an der Kunstakademie in Lemberg mehr als ein halbes Dutzend Kunstschmiede ausgebildet. Sie können ihren Beitrag zur Erhaltung des außergewöhnlichen Erbes der Stadt leisten. Dass sie das tun, zeigen die vielen schon restaurierten Balkone, Gitter und Zäune. Aber die Arbeit wird ihnen in den nächsten 20 Jahren sicherlich noch nicht ausgehen.

Neue Grenzen in Medien-Europa

Diskussionen über Grenzen in Europa haben oft etwas veraltetes. In Zeiten einer multinationalen Währung, der Abschaffung von Grenzkontrollen im Schengen Raum und der stetigen Vereinheitlichung des Rechts verliert die Grenzfrage an Bedeutung. Auch wenn Staatsgrenzen oft gleichbedeutend mit Sprach- und Kulturgrenzen sind. Natürlich gibt es auch weiterhin Grenzen, die historische Räume trennen. Grenzen, die Schmugglern und anderen Kriminellen das Einkommen garantieren. Grenzen, die für jene, die sie überwinden wollen, sogar tödlich sein können. Ganz sicher ist die Außengrenze der Europäischen Union eine solche Grenze – und die des Schengen Raumes erst recht.

Aber wenn man über Grenzen und Journalismus diskutiert, dann drängen sich neue Fragen auf. Verlieren Grenzen nicht auch an Bedeutung, weil soziale Medien neue Formen der Gemeinschaft ermöglichen, die auch tatsächlich gebildet werden? Sind es nicht gerade die neuen Formen von Kommunikation, die viel eher eine Grenzüberschreitung im Alltag zulassen? Und zwar inhaltlich, sozial und vor allem so selbstverständlich. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Korrespondenten vor Ort und private Brief- und Telefonkontakte über Grenzen hinweg das Bild vom anderen Land bestimmten. Heute erfahren wir oft über Facebook-Kontaktt, Twitter und Youtube-Videos mehr voneinander als über die klassischen Medien, denen in Krisnezeiten wie jetzt in Syrien sogar der Zugang zum Land verwehrt werden kann. Die Grenze der sozial-medialen Kompetenz ist heute also oft schon wichtiger, um wissen zu können, was in einem anderen Land passiert. Wer sich weigert, sie zu überqueren, wird von der Welt ausgeschlossen.

Verstärkt wird das alles noch durch eine weitere Grenze: die der Finanzierung von Journalismus. Der Kampf der Verleger, aber auch der privaten TV-Anbieter gegen die Medienkrise sorgt dafür, dass die Zahl der kompetenten Korrespondenten selbst bei renomierten überregionalen Titeln schrumpft. Der Kostendruck sorgt oftmals zudem dafür, dass schlicht nicht mehr genug Platz im Blatt ist, um Hintergrund-Geschichten vom Journalisten-Experten vor Ort schrieben oder produzieren zu lassen. Für die von der Gesamtauflage her wichtigsten Medien überhaupt, die Regionalzeitungen, stimmt dies erst recht. Während also in den sozialen Medien die Fülle der Informationen stetig wächst, nimmt die in den Medien stets ab. Die Finanzierungsgrenze ist so für Texte, Bilder, Filme und Hörfunk-Beiträge von Auslandsjournalisten immer schwerer zu überwinden. Denn das Geschäftsmodell zur Finanzierung von Journalismus rechnet sich oft nicht mehr.

Bei unserer Podiumsdiskussion auf dem n-ost-Kongress in Lemberg haben wir diese Grenzverschiebungen etwas diskutiert. Wir, das waren Ronny Patz, Eric Maurice, Oleg Khomenok, Taras Voznyak und ich. Bezeichnend an der Runde war, dass niemand von uns sein Geld in privatwirtschaftlich finanzierten Medien verdient. Eric Maurice leitet Presseurop.eu. Die Webseite ist ein Versuch, eine grenzüberschreitende europäische Öffentlichkeit herzustellen, indem Texte aus Zeitungen vieler Länder in die Sprachen vieler anderer Länder übersetzt und so publiziert werden. Das ermöglicht tatsächlich eine Debatte über die unterschiedlichen Blickwinkel auf Europa. Obwohl die Pageimpressions ganz erklecklich sind, gibt es aber auch für diese Seite kein funktionierendes Geschäftsmodell. Das Projekt wird von der Europäischen Kommission finanziert, die so einen Beitrag zu einer europäischen Öffentlichkeit leistet oder auch nur leisten will.

Oleg Khomenok arbeitet für Scoop, eine Plattform, die investigativen Journalismus über Ländergrenzen hinweg ermöglicht. Hier arbeiten Journalisten unterschiedlicher Länder Osteuropas projektbezogen miteinander, um zu recherchieren, wie Firmen international verbunden sind, wie internationale Korruption funktioniert oder welche Macht Oligarchen haben. Für Khomenok, der inzwischen mit Einreiseverbote nach Russland und nach Belaruß belegt ist, bieten solche Formen von Kooperation einen der wenigen zukunftsversprechenden Wege für Journalismus, weil sie akzeptieren, dass es immer weniger Geld für guten Journalismus gibt. Das lässt sich seiner Sicht nach nur kompensieren, wenn mehrere Journalisten zusammen, über Grenzen hinweg, an Themen arbeiten und so die Kosten senken. Das Internet ist in seinen Augen auch keine böse Konkurrenz, sondern mit den Möglichkeiten des Datenjournalismus ein unglaublicher Beschleuniger bei komplexen Recherchen – und ein Kostensenker. Finanziert wird Scoop maßgeblich vom dänischen und schwedischen Außenministerium.

Taras Voznyak gibt die Vierteljahres-Zeitschrift Ji heraus. Sowohl die Print- als auch die Onlineversion des kulturwissenschaftlichen Magazins tragen ihre Kosten nicht. Die hintergründigen Texte – oftmals über Grenzen, Räume, Kulturen und ihre Verschränkungen – können nur erscheinen, weil sie unter anderem über die Heinrich-Böll-Stiftung finanziert werden. Und Ronny Patz befasst sich mit der Europäischen Union und den damit verbundenen Grenzfragen als Blogger, als Euroblogger. Eigener Antrieb ohne die Hoffnung, durch das Schreiben die Existenz sichern zu können, hat ihn angetrieben. Seinen Wunsch, einen Beitrag zu einer europäischen Öffentlichkeit zu leisten, die über die Grenzen hinweg Gehör findet, hat er über das Internet realisiert. Inzwischen arbeitet er bei Transperency International, schreibt nicht mehr so regelmäßig. Aber er vertraut auf die Kraft der Öffentlichkeit durch Twitter, Facebook und Co. Weil vor allem die mobilen Eliten stark vernetzt sind, weil sie international aufgestellt sind, schaffen sie es seiner Ansicht nach auf diesen Weg mehr zu einer europäischen Öffentlichkeit beizutragen als viele klassische Medien.

All das sind natürlich keine Antworten darauf, wie sich ein finanzierbares, grenzüberschreitendes Mediensystem, in dem Journalismus noch eine wichtige Rolle spielt, entwickeln lässt. Aber da die Finanzierung vor allem über öffentliche Quellen und über Stiftungen funktioniert, sollte bei der nächsten n-ost-Konferenz vielleicht über das Selbstverständnis der Journalisten und der sie beschäftigenden Institutionen diskutiert werden. Der Weg, Journalismus über Stiftungen zu finanzieren, ist zudem einer, der angesichts der desaströsen Entwicklungen im deutschen Regionalzeitungsmarkt eine echte Option auch hierzulande werden könnte.

Mehr dazu:
Politische Kommunikation (5) – Veränderte Rolle der Tageszeitungen

Löwen in Lemberg

Als Danilo die von ihm gegründete Stadt nach seinem Sohn Leo benannte, muss es schon den ersten Löwen in Leopolis, Lemberg, Lvov oder Lwow gegeben haben. In allen Formen, aus allen Epochen finden sich Löwen in Lemberg. Ob als Wappen, Glasbild, Zierstuck über dem Fenster, Leuchtreklame oder als staatliche Marmorskulptur. Sie zieren die Stadt mal unauffällig, mal repräsentativ, mal fast schon selbstzufrieden.