Eindrücke von einem Abend beim Musiksommer Chorin 2012

Howard Griffiths fordert das Publimkum beim Choriner Musiksommer 2012 zum richtigen Mitklatschen auf.

Es war schon very british. Das Konzert des Brandenburgischen Staatsorchesters beim Choriner Musiksommer war voller musikalische Hochkomik – und voll von Präzision, Kraft und Virtuosität. Die Mischung aus Händels „Feuerwerkmusik“, Woods „Fantasia on British Sea Songs“, Elgars „Pomp and Circumstance“ und weiteren hoch amüsanten Stücken von Arnold, Walton, Heberle und Vivaldi hauchten der Backsteinruine des Klosters Chorin eine enorme Fülle Leben ein.

Vor 25 Jahren wäre es kaum denkbar gewesen, dass ein englischer Dirigent ein ostdeutsches Orchester leitet und das Publikum mit ironisch gebrochener Begeisterung über englische Monarchie, britische Traditionen und insularem Humor an diesem Ort so in Wallung versetzt, dass nur noch lauthalses Lachen fehlt, um alle Formen der akustischen Begeisterung auszureizen. Schon allein für diese Erinnerung an die Freiheit, die ja auch gerade auf den britischen Inseln über Jahrhunderte kultiviert wurde, hat den Besuch gelohnt.

Aber natürlich auch der Genuss an der Musik, das Staunen über die Virtuosität von Maurice Steger, der so erstaunlich schnell und intensiv seine Blockflöten blies, dass das Gehör mit dem Erfassen Tonkaskaden kaum folgen konnte. Und auch Steger hat trotz aller Konzentration auf seine Fingerläufe den Humor nicht vergessen. Im Gegenteil: Steger und Griffith ergänzten sich mit ihrer Lust am kultivierten Witz wunderbar. So sehr, dass die Grundstimmung des Abends, diese lustvolle und kraftvolle Aufforderung auf die kindliche Freude am schönen Klang, am Spaß und am Lachen, nachhallt. Und sicher noch sehr lange nachhallen wird.

La Brassbanda sind live dramatisch gut – jetzt auch auf CD

La Brassbanda: Live
La Brassbanda: Live

Die Platte klingt wie das Konzert. Und zwar ziemlich genauso, wie das Konzert im Berliner Astra im Herbst vergangenen Jahres. Aber die neue La Brassbanda CD ist ein Mitschnitt des Konzerts in der Münchner Olympiahalle. Das zeigt zum einen, wie professionell die fünf vom Chiemsee sind. Und es zeigt zum anderen, wie großartig der Klang der Band live und auf CD ist.

Das Konzert im Herbst war ein besonderes. Leicht erhöht verfolgte ich es zum größten Teil sitzend, weil meine Begleitung verletzt war. Am der Seitenwand gibt es eine kleine Rampe für Rollstuhlfahrer. Auf ihr saßen wir und von dort hatten wir einen freien Blick auf die Bühne und auf die tanzende, bebende Menge. Das war großartig. Genau wie die Musik. La Brassbanda ist auf den beiden Studio-CDs schon irre. Aber live drehen sie noch schneller, noch lauter, noch wuchtiger auf.

Von „bayerischem Techno“ sprechen sie selbst. Damit meinen sie die ungeheuer schnellen Beats, die sie nicht mit Computern, sondern mit der Tuba erzeugen (auch wenn Elektronik im Hintergrund eine Rolle spielt). Jeder Ton von Trompete, Posaune und Tuba steckt so voller Leben, voller Freude, dass sich jede Zelle in Hirn und Körper angesprochen, angestoßen, angeregt fühlt. Alles bewegt sich. Alles muss sich bewegen.

Deshalb war es schwer, im Astra so viel zu sitzen – auch wenn es ansonsten mehr als richtig war. Schließlich sollte es ein gemeinsamer La BrassBanda-Abend sein. Da wäre es falsch gewesen, wenn sie sitzen muss und er tanzen darf. Und umso schöner ist es jetzt, die Live-CD jetzt einlegen zu können. Vielleicht auch mal mit der schon lange genesenen Begleitung von damals.

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Branford Marsalis in der Schloßkirche Neuhardenberg

Er hat ganz schöne O-Beine, die noch dazu im Verhältnis zu seinem Oberkörper viel zu lang sind. Die Hose von Branford Maraslis betont sie noch dazu. Auch, weil sie das Hohlkreuz hervorhebt. Insofern ist die Entschuldigung zu Beginn des Konzerts nachvolliehbar. Denn eigentlich habe er anderes tragen wollen, meinte er in Neuhardenberg. Aber die Fluggesellschaft habe seinen Koffer nicht nach Berlin gebracht.

In dem Moment, in dem Marasalis den ersten Ton aus einem seiner beiden Saxophone zaubert, ist spielen Klamotten keine Rolle mehr. Der einzige optische Reiz, der weiter wirkt, ist die Farbgebung des Lichtes, mit dem der Altarraum der Schinkelkirche in Neuhardenberg ausgeleuchtet wird. Ansonsten ist nur noch Musik.

Marsalis und sein Quartett spielen Jazz-Standards. Der größte Jubel bricht aus, als sie zehn Minuten über Kurt Weills „Mackie Messer“ improvisieren. Dieser Gruß an das deutsche Publikum kommt an. Trotz aller Distanziertheit von Branford Marsalis als Person erzeugt die Musik eine wunderbare Wucht. Sie treibt. Sie fordert. Sie verführt. Zum Denken, zum Lauschen, zum Treiben-Lassen.

Wasser von oben, Wasser auf der Bühne – Die Waldbühne feiert Dido und Aeneas von Sasha Waltz

Dido und Aeneas auf der Waldbühne !
Dido und Aeneas auf der Waldbühne !

Es regnet und alle warten auf Sashas Waltz‘ Dido und Aeneas. Doch was passiert? Nicht die Oper beginnt, sondern ein Geburtstag soll begangen werden. Aber im Regen will niemand fünf Jahre Radialsystem feiern. Dafür ist das Publikum nicht gekommen. Auch nicht um mitzusingen oder gemeinsam in einem Vorprogramm, von dem keiner wusste, dass es dieses gibt, zu klatschen. Heute ist ein besonderer Opernabend geplant – und keine Animation wie im Club Med.

Um 19.00 Uhr ist die Waldbühne voll. Auf den Tickets steht, dass es jetzt los gehen soll. Was niemand weiß: Der Vorhang für Sasha Waltz‘ Inszenierung der Purcell-Oper Dido und Aeneas soll erst um 20.30 Uhr fallen. Weil es dann dunkel ist. Aber Tausende nahmen es auf sich, im strömenden Regen anzureisen und zu verharren. Wäre bekannt gewesen, dass erst eineinhalb Stunden später Tänzer, Sänger und Musiker die Bühne in eine ganz eigene Welt aus Liebe und Leid, Bewegung und lebende Bilder verwandeln, wären die meisten später gekommen. Denn der Regen hörte auf.

Als der Vorhang fällt und auf der Bühne ein riesiges Aquarium für Unterwassertanz erscheint, ist nur noch auf den Sitzen der Zuschauer und im Bassin der Tänzer Wasser. Schon diese ersten, für Schwimmer so vertrauten Bewegungen, sind zur Musik ein ganz besonderes Erlebnis. Sasha Waltz setzt vom Wasser bis zum Feuer alle Elemente in Szene. Jedes Bild, das die Tänzer und Sänger formen, ist von den großen Bildern der Barockmalerei inspiriert. Jede Geste, jeder Gang ist vom Wesen des Barocktheaters beeinflusst und jeder Ton der Musiker von einem festen Glauben an die Kraft der Musik.

Die Dichte der Bilder und die Musik sind überwältigend. Man kann sich so gefangen nehmen lassen, dass man in dem Geschehen vollständig aufgeht. Dabei kann die Handlung verschwimmen, so wie die Bewegungen im Bassin. Aber wer die Handlung schon kennt, der wird in eine Welt entführt, die man gar nicht mehr verlassen will. Egal wie feucht die Hosen vom Regen noch sind, man will nur, dass dieses Schau- und Hörspiel einfach weitergeht, weil es so umfassend schön ist.

Von der kraftvollen Erotik dicklicher Männer

Keiner der gut 25 Männer auf der Bühne hat einen Astralleib. Im Gegenteil: Fast alle tragen einen ganz schönen Bauch vor sich her. Und dennoch juchzen die Frauen und die Männer im Berliner Huxley’s vor lauter Extase, wenn sie nur einen leichten Hüftschwung vollführen. Und sie kreischen fast hysterisch, wenn sie alle in Bewegung und Schwung kommen.

Die Balkan Brass Battle von Boban & Marko Markovic Orchestra und Fanfare Ciocarlia strotzt vor so viel Energie, dass alle schwitzen, alle beben, alle auf ein noch schnelleres Tempo warten, nur um auch damit noch nicht voll befriedigt zu sein, weil sie erst mit dem letzten, dem höchsten Ton endlich kurz zur Ruhe, zum Durchatmen kommen können. Aber nur kurz. Denn es ist zu schön, um eine echte Pause ertragen zu können. Es muss weiter gehen. Der Klang und die Kraft und die Körper treiben immer neuen Höhepunkten entgegen. Beide Bands – Fanfare Ciocarlia aus Rumänien und Boban & Marko Markovic Orchestra aus Serbien – sind unglaublich. Sie beherrschen ihre Instrumente und das Zusammenspiel perfekt. Und sie verstehen es, das Publikum zu treiben, so wie sie es lieben, sich dem Rausch aus Rhythmus hinzugeben.

Wer von den beiden besser ist, lässt sich nicht sagen. Die Serben sind etwas traditioneller, die Rumänen spielen sogar „Born to be wild“ als Balkan-Brass-Nummer ohne jede Gitarre. Und das so ekstatisch, dass die Originalversion von Steppenwolf wie ein halbgarer musikalischer Einfall einer Schülerband wirkt. Und immer wieder diese Männer, diese Bewegungen, diese Anmache von der Bühne. Unglaublich! Einfach großartig!

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Berlin feiert die 17 Hippies

17 Hippis im Kesselhaus
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30 Instrumente sind es bestimmt, die das Dutzend Hippies, die sich 17 Hippies nennen, auf der Bühne zum Einsatz bringen. Von der leisen Blockflöte bis zur lauten Posaune, von der zarten Violine bis zur kreischenden Säge, von der zarten Ukulele bis zum wummernden Bass, die Palette der Instrumente ist genaus vielfältig wie die Bandbreite des Stilmixes.

Niemand in dem ausverkauften Konzert der „Phantom Songs-Tour“ kann angesichts der Vitatlität auf der Bühne ruhig bleiben. Alle feiern mit, wippen mit, klatschen mit uns singen mit. Wobei das mit dem Singen etwas schwer fällt. Die aktuelle Platte ist ja erst seit einigen Wochen im Handel. Selbst die besten Fans können die Texte nicht. Aber sie lassen sich alles auf das Neue ein. Das fällt bei den Hippies natürlich recht leicht, weil die neuen Songs ganz in der Tradition der älteren stehen. Das Publikum weiß, was es erwartet. Und die 17 Hippies enttäuschen es nicht.

Erstaunlich viele Songs feiern die reine Musikalität. Sie verzichten auf Gesang. Sie treiben in türkischen, jüdischen, französischen oder amerikanischen Rhythmen die Palette der Instrumente über die Bühne durchs Ohr der Zuhörer dirket in deren Beine. Das ist Unterhaltung, wie sie besser kaum sein kann. Wer die CDs der Hippies schon mag, wird von der Kraft der Live-Darbietung regelrecht weggefegt. Das Bühnenerlebnis ist eine unglaubliche Steigerung der Konserven.

Das liegt auch am perfekt abgemischten Sound. Nicht zu laut und doch laut genug ist kein einziges Instrument übersteuert. Jeder Sänger bekommt den Raum für seine Stimme, um in en kraftvollen Bläsersätzen oder dynamischen Streicherteppichen nicht unterzugehen. Kurz: Ein perfektes Konzert! Wobei perfekt hier nicht aseptischen meint, sondern das emotionale und musikalische Gegenteil.

Minimalistische Klänge von Philip Glass und dem Kronos Quartet veredeln Dracula

Sie haben sich versteckt. Obwohl die Fledermaus-Kolonie in der Spandauer Zitadelle zu den größten Berlins zählt, ließen sich die fliegenden Nager nicht blicken. Nur eine Fledermaus tauchte zu den Klängen von Philip Glass und dem Kronos-Quartet am Donnerstagabend auf: Dracula. Als die Dämmerung das Tageslicht fast verschluckt hat, beginnt ein außergewöhnliches Konzert. Philip Glass hat zum Spielfilm „Dracula“ von 1931 vor über zehn Jahren eine Filmmusik geschrieben. Der Rechteinhaber hatte den Film mit Bela Lugosi als Graf Dracula restaurieren lassen. Da der Streifen keine Musik hatte, wurde einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten beauftragt, der nicht nur Opern und Kammermusik, sondern auch viel Filmmusik komponiert hat.

Eingespielt wurde die Musik schon damals mit dem Kronos-Quartet aus San Francisco, dem wohl einflussreichsten Streichquartett für Neue Musik. Glass und Kronos vereint die stete Überschreitung vermeintlicher Grenzen. Beide arbeiten sowohl klassisch als auch populär.

Dieses Verständnis von einer grenzenlosen Musik, die sich an der Entdeckung von Ungehörtem orientiert und gleichermaßen Kopf und Bauch des Zuhörers fordert, ist beim Berliner Auftritt allgegenwärtig. Und das, obwohl die Musik nur Teil des Abends ist. Der alte Tonfilm läuft auch noch.

Philip Glass hat mit seinen minimalistischen Tonfiguren, die in immer neu variierten Schleifen mit unterschiedlicher Beschleunigung und tragenden Instrumenten dem Film einen großen Dienst erwiesen. Immer da, wo die Handlung nicht stimmig ist, erzeugt die Musik mit ihren Loops für thematische Klammern. Und da, wo Filmtricks aus dem Jahr 1931 – etwa bei ins Zimmer fliegenden Riesen-Fledermäusen – heute nur noch für mitleidiges Gelächter sorgen, intoniert die Musik den dramatischen Ernst.

Diese Symbiose aus neuer Musik und altem Film lockt 1300 Zuhörer in die Zitadelle. Das internationale Publikum ist begeistert. Standing Ovations bejubeln den seltenen Auftritt. Der Applaus dankt für ein Erlebnis, das Glass in einem Interview so zusammenfasste: „Wenn wir über meine Musik reden, reden wir über eine Welt, die nicht diejenige ist, in der wir leben.“ Das gilt für die Musik und für Dracula. Und wohl auch für die Fledermäuse, die ihre Heimat an diesem Abend nicht wiedererkannten.

Philip Glass spielt zu „Dracula“ auch am Sonnabend in Dresden.

MOZ-Rezension…