Eigentlich ist Glühwein ja eine Unmöglichkeit. In der Regel wird da schlechter Wein mit Zucker und Gewürzen so gemischt, dass er wenigstens heiß noch trinkbar ist. Deshalb ist Glühwein auf Weihnachtsmärkten meist auch der erste Schritt zum Kopfschmerz.
In Bamberg habe ich als Student dann erstmals weißen Glühwein getrunken. Vom Feinkost Müller gemischt und zubereitet war er mit dem deutlich geringeren Zuckergehalt und der schönen Note von Zitrone ein echter Genuss. Und Schädelweh hat er auch nicht gemacht. Selbst wenn der erste Glühwein schon nach der frühen Mittagsvorlesung und der letzte beim Schließen des Weihnachtsmarktes am Maxplatz getrunken wurde.
Inzwischen gibt es auch an jedem zweiten Glühweinstand in Berlin solche weißen Getränke. Das was beim Feinkost Müller noch Qualität war, ist da auch nicht mehr sicher. Auch dieser da im Bild links ist nun nicht der Genuss schlechthin. Aber an kalten Wochenenden im Winter da ist es gut so eine Flasche im Keller zu haben. Dann schmeckt der erste Schluck nach Heimat. Und nach diesen Studientagen in Bamberg. Und damit wohl auch nach Jugend. Hm. Aber das trübt den Genuss auch nicht.
Amsterdam riecht nicht wie andere Städte. Wer zu Fuß die Altstadt erkundet, wird von Abgasen recht wenig belästigt. Dafür ziehen hin und wieder die süßlichen Schwaden von Marihuana über die Gehsteige. Und der Duft von Gewürzen, der an die koloniale Vergangenheit der Niederlande erinnert.
Dieser Winter ist auch in Amsterdam knackig kalt. Die Grachten sind gefroren. Vor dem Rijksmuseum tummeln sich die Schlittschuhfahrer. Dort lockt der Geruch von Glühwein und „warmer Chocoladenmelk“. Eine friedliche Atmosphäre liegt über der Stadt. Die Kälte dämpft den Lärm auf den wenigen größeren Straßen der Altstadt. Aber immer wieder ist das Lachen von Kindern zu hören, die sich die Grachten auf Kufen aneignen. Und von Erwachsenen, die gerade am Wochenende der außergewöhnlichen Freizeitbeschäftigung nachgehen. Fast wirkt diese Schlittschuhleidenschaft wie die auf den Bildern von Hendrick Avercamp (1585–1634) oder Pieter Brueghel (1564–1637). Sie hielten schon im 16. und 17. Jahrhundert auf ihren Landschaftsbildern die Holländer fest, wie sie über gefrorene Flüsse schlittern.
Hendrick Avercamp widmet das Rijksmuseum momentan eine Sonderausstellung. Er gilt als der bedeutendste Maler von Winterlandschaften im „Goldenen Zeitalter“, Hollands wirtschaftlicher und kultureller Blütezeit im 17. Jahrhundert. Schöner kann der Besuch dieser Ausstellung gar nicht sein, als in diesen Tagen. Wer die Holländer auf dem Weg zur Schau auf den Schlittschuhen sieht und sie mit den ebenso heiteren Gesichtern auf den Avercampschen Bildern vergleicht, entdeckt die gleiche Freude, den Spaß am Schneeballwerfen, die Paare, die im Gleichschritt zu einer liebevollen Einheit geworden sind und sogar die Hunde, die sich auf dem ungewohnten Untergrund schwer tun.
Wer sich in der Ausstellung etwas Zeit nimmt und den Details der Bilder widmet, der belohnt sich bei seinem anschließenden Rundgang durch Amsterdam mit einem geschärften Blick für die vielen Besonderheiten am Rande. Etwa für die Verzierungen und Simse an den alten Häusern. Oder für die Geländer aus Schmiedeeisen, die nicht nur Kellerfenster und den Tritt auf vereisten Treppen sichern, sondern auch viele Hausboote, die in den gefrorenen Grachten liegen, schmücken.
Unweigerlich irritiert bei einem solchen Spaziergang durch Amsterdam immer wieder der Haschischduft die ihn ungewohnte Nase. Der legale Verkauf von Cannabisprodukten aller Art sorgt dafür, dass vor und in den unzähligen Coffeeshops gekifft wird. Es sind hauptsächlich Touristen, die sich dort eindecken. Und natürlich auch sofort rauchen.
Das Rijksmuseum widmet sich in seiner Ausstellung „The Masterpieces“ auch der Zeit, in der Amsterdam einmal so etwas wie eine Hauptstadt der Welt war. Im „Goldenen Zeitalter“ war die Stadt das Zentrum des europäischen Gewürzhandels. Nach der Übernahme der portugiesischen Kolonien in Indonesien kontrollierte die Niederländische Ostindische Kompanie den Handel mit Muskat und mit Nelken.
Das Schiffsmodell der „Prinz Willem“ aus dem Jahr 1651 ist mit seiner Länge von mehr als einem Meter nicht nur imposant. Es dokumentiert auch die Flotte, mit der dieser Reichtum in die Stadt kam. Er ließ dann die Kunst aufblühen, die mit Rembrandt oder Vanmeer ebenfalls in der Ausstellung präsent ist. Die stolze Architektur der hohen und schmalen Häuser an den Grachten aus dieser Zeit dominiert noch heute das Stadtbild.
Das Rijksmuseum zeigt in der kompakten Ausstellung das Zusammenwirken von wirtschaftlicher und militärischer Expansion und der Förderung der Künste ebenso wie das erstarkende Selbstbewusstsein der Handelsnation, an das noch heute vieles erinnert: die Giebel der Häuser, die dezente, aber edle Ausstattung der Kirchen oder so imposante Gebäude wie der Hauptbahnhof und das Rijksmuseum selbst.
Exotische Lokale sind in Amsterdam nicht erst in den vergangenen 30 Jahren entstanden. Indonesische Küche gibt es dort schon so lang, dass sie selbst an jeder „Frituur“, den holländischen Imbissbuden, zu bekommen ist. Zwar mussten die Niederlande sich Ende der 40er-Jahre des vorigen Jahrhunderts nach einem brutalen Krieg aus Indonesien zurückziehen. Aber das koloniale Erbe ist nicht zuletzt im bunten Gemisch der Menschen weiterhin sichtbar.
Auch das Rijksmuseum ist Ausdruck der kolonialen Größe. Nicht umsonst nennt es sich nach einem Reich, das längst vergangen ist. Nicht nur wegen der Rembrandtschen Nachtwache lohnt sich also der Besuch. Wobei auch sie vom Stolz der reichen Bürger zeugt, die ihr Geld mit dem Handel verdienten.
Die Ausstellung versäumt es übrigens nicht, den ersten Börsencrash der Welt darzustellen. 1637 platzte die Spekulationsblase auf Tulpenzwiebeln. Der Duft und die Schönheit der Blumen hatten den Preis für eine Zwiebel höher getrieben als den für ein Haus an der Amsterdamer Keizersgracht. Das konnte nicht gut gehen. Aber auch davon hat sich die Stadt zügig erholt.