Walter Mehring in neuer Biografie und seiner Autobiografie

1933. Es ist die Nacht vor dem Reichstagsbrand. Walter Mehring will einen Vortrag halten. Der Veranstaltungsort ist von SA umstellt. Doch Mehring gelingt die Flucht – nach Paris. Fünf Jahre später. März 1938. Die Nacht vor dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Wieder entwischt Walter Mehring den Nazis im allerletzten Moment. Zuvor wurde schon sein Hotelzimmer mit der Bibliothek des Vaters durchsucht. Frankreich 1940. Walter Mehring wird in Marseille verhaftet und in ein französisches Internierungslager gesteckt. Auch von dort gelingt ihm die Flucht – diesmal bis in die USA.

Georg-Michael Schulz: Walter Mehring
Georg-Michael Schulz: Walter Mehring

Die Nazis hassten den 1896 geborenen Berliner Schriftsteller, Dramatiker und Journalisten, der auch für alle wichtigen Kabarettisten seiner Zeit die Texte verfasste. Seit 1919 schrieb er mit ungewohnter Klarheit, Schärfe und Prägnanz gegen Nationalismus und Antisemitismus an. Sein Freund Kurt Tucholsky war von seinen Versen hingerissen. Erwin Piscator inszenierte seine Stücke. Mehring war in den damals neuen Medien Radio und Film präsent. Für ihn war kompromissloses, engagiertes Schreiben und individuelles Denken existenziell.

Jahre später sagte er: „Denn mein Beruf ist der, soweit ich ihn ausfüllen konnte, eines Schriftstellers. Es kann jemand der Arzt ist, sich nicht weigern in eine Pest hineinzugehen. Es gibt für ihn keine Ausreden in dem Moment, in dem er beschlossen hat, ein Arzt zu sein. Für den Schriftsteller gilt genau dasselbe.“

Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek - Autobiografie einer Kultur
Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek – Autobiografie einer Kultur

Die Geliebte ist in diesem Fall der Leser, der mit „der verlorenen Bibliothek“ nicht nur Mehrings schillerndes Leben kennenlernt:   Sondern auch den Geist der Zeit. Einer Zeit, die Mehring aus der Erinnerung der Bücher seines Vaters wieder aufleben lässt – Und damit dazu beiträgt, dass die Kultur einer Epoche doch nicht vernichtet wurde.

Walter Mehring 1955: „Es wäre so als ob man seiner Geliebten etwas von seiner Vergangenheit erzählen wollte, aber sich auch lebendig machen wollte. Und das habe ich versucht.“

Die Geliebte ist in diesem Fall der Leser, der mit „der verlorenen Bibliothek“ nicht nur Mehrings schillerndes Leben kennenlernt:   Sondern auch den Geist der Zeit. Einer Zeit, die Mehring aus der Erinnerung der Bücher seines Vaters wieder aufleben lässt – Und damit dazu beiträgt, dass die Kultur einer Epoche doch nicht vernichtet wurde.

Walter Mehring 1955: „Ich habe dazu nur mein Gedächtnis benutzt. Und auf der Public Library, auf der öffentlichen Bibliothek von New York, die ja sehr groß ist, die Zitate noch einmal nachgeschlagen, damit sie auch im Wortlaut stimmen.“

(gesendet im Inforadio)

Die Rezension im Inforadio befindet sich im Audio bei Minute 10.00.

Georg-Michael Schulz: Walter Mehring; Werhan Verlag: 19,80 Euro

Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek – Autobiografie einer Kultur; Elsterverlag: 34,00 Euro

 

Georg-Michael Schulz schreibt die erste Biografie über Walter Mehring

Georg-Michael Schulz: Walter Mehring
Georg-Michael Schulz: Walter Mehring

Georg-Michael Schulz hat eine viel zu lang klaffende  Lücke geschlossen: Vor wenigen Tagen ist die erste Biografie Walter Mehrings (1896 – 1981) erschienen; mit dem schlichten Titel „Walter Mehring“. 22 Jahre nach dem Tod des Dichters, Kabarettisten, Journalisten – oder wie er selbst ganz einfach sagte „Schriftstellers“ wird damit ein wichtiger Beitrag zur Erschließung des Werkes und des Lebens des Berliners und Exilanten geschaffen.

Das allein wäre schon verdienstvoll. Dank der präzisen und knappen Form, in der Schulz Leben und Werk zusammenfasst, ermöglicht er aber vor allem all jenen, die Mehring neu für sich entdecken einen perfekten Einstieg. Denn er hat all das weit verstreute Material, das es über Mehring in Nachworten, Rezensionen, Interviews, Briefen, Erinnerungen und vielen anderen Arten gibt, erstmals richtig gebündelt. Dabei schafft er es, sich nicht zu verzetteln, sondern einem stringenten Erzählweg zu folgen.

Der besteht vor allem aus der Analyse aller Werke Mehrings in chronologischer Reihenfolge. Dabei betrachtet er auch die Bücher und Texte, die bislang etwas stiefmütterlich behandelt wurden. Das gilt vor allem für die Prosa Mehrings, da die Dramen in den vergangenen Jahren – auch von Georg-Michael Schulz – verstärkt interpretiert wurden. Von der Lyrik ganz zu schweigen, die schon immer am stärksten rezensiert und wissenschaftlich analysiert worden war.

Neben der Fülle an Verweisen und Informationen besticht vor allem die offensichtliche Sympathie Schulz‘ für Mehring. Dessen ausgefeilte Sprachakrobatik, dessen nahezu unerschöpfliche Fülle an formaler Varianz und dessen unglaubliche Bildung nötigen Schulz nicht nur Respekt ab – bei begeistern ihn offenbar. Für die Biografie ist das gut, denn der Leser wird so trotz der vielen Fakten immer wieder mitgerissen, um das ganze Buch zu lesen und nicht nur die Passage, für die er sich gerade interessiert. Dabei wird Schulz aber nicht zu einem bedingungslosen Mehring-Jünger. Er wahrt die nötige Distanz, um das Werk und das Leben Mehrings fundiert einordnen zu können. Dazu gehört auch, dass er Mehring in seiner Zeit und und in seiner Zerrissenheit, vor allem im Alter gerecht wird. Ein 70 Jahre alter Mann könne nicht mehr wir ein 30-Jähriger schreiben, meint Schulz einmal – und nimmt Mehring damit ikn jedem Lebensalter sehr ernst.

Das einzige, was dem Buch fehlt, ist eine Einordnung des Ehemanns Walter Mehring. Über die Ehe mit Marie-Paule, geborene Tessier, schreibt Schulz wenig. Dabei wird nicht klar, ob es über diese ziemlich unbekannte Phase wirklich keine Quellen gibt, oder ob es dazu im Nachlass von Marie-Paule Mehring, doch noch einiges zu finden wäre. Aber dies ist wirklich nur ein Nebenaspekt, der den Verdienst der ersten Mehring-Biografie keinesfalls schmälern soll.

P.S. Im Vorwort nimmt Georg-Michael Schulz auch Bezug auf den Blog walter-mehring.info. Da er von mir ist, hat mich das natürlich sehr gefreut.

Georg-Michael Schulz: Walter Mehring; Werhan Verlag: 19,80 Euro.