Neben all den Gittern, der Kargheit der Zellen und der allgegenwärtigen Überwachung springt in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem ehemaligen Stasi-Knast, noch etwas ins Auge: Die blasse Spießigkeit der Tapeten, die billige Musterung der PVC-Böden, die triste Nachahmung von Holz auf den Sprela-Platten der Tische. Neben dem Grau in den Zellen ist die Blässe der Räume für die Bewacher die zweite dominierende Farbumgebung. Nichts Schrilles. Nichts wirklich Buntes. Nichts Frohes. Nur Tristesse. Und eben verstockte, bieder-verklemmte Freudlosigkeit. Ein Interieur, das Häftlingen und Stasi-Verhörern und -Bewachern nicht einen kraftvollen, fröhlichen Reiz für die Augen bietet. Nur furchtbare Spießigkeit.
Schlagwort: Spießer
Von der Freude des Kärcherns
Eigentlich ist die Arbeit ja monoton, laut und noch dazu langwierig. Mehrere Stunden stumpfsinniges Reinigen ist nicht unbedingt das, was einen frohgemut aufstehen lässt. Eher ist das Gegenteil der Fall.
Und doch macht das Kärchern schon nach wenigen Minuten Spaß. Ständig die Finger am Abzug spritzt das Wasser mit ungeheurer Wucht auf die dreckigen Fliesen. Ruckzuck sind sie wieder weiß. Zwar dröhnt der Elektromotor, zwar vibrieren nicht nur die Arme, sondern mit fortschreitender Zeit der ganze Körper – und doch macht sich Freude breit. Wo noch ein Fleck ist, wird neu gezielt – und mit den spritzenden Wassermassen hinweggeblasen. Selbst Ecken werden anvisiert, die gar nicht geplant waren.
So geht das Stunde um Stunde. Und mit der fortschreitenden Zeit, in der Fliesenquadrat um Fliesenquadrat wieder strahlend weiß wird, macht sich ein schrecklicher Gedanke breit: Mein Gott, ist das nicht das Hobby der Spießer. All derer, die auch Laubsauger und Rasentrimmer lieben? Und ich reihe mich da ein? Auch ich bin jetzt einer von denen, die mit maschineller Kraft für Sauberkeit und Ordnung sorgen? Und das nur, weil dieses Gefühl von Kraft und Macht und Finger am Abzug sich irgendwie cool anfühlt?
Da hilft nur eins: Die Gedanken weg kärchern!
Mehr vom Spießer:
Scherben an der Badewiese
Bin ich spießig?
Am Morgen danach sieht es fast immer so aus. Wobei sich das „danach“ nicht auf eigene Feiern bezieht, sondern auf Abende, die zu viele Menschen an den Badewiesen in Eichwalde oder Schmöckwitz gefeiert haben. Neulich haben Kinder in Eichwalde 70 Bierflaschen eingesammelt und das Pfand ergattert. 70 Flaschen am nächsten Morgen!
Diese Flaschen waren wenigstens ganz. Aber allzu oft sind sie auch nur noch Scherben. Da kommen dann all die Badefreunde am nächsten Tag und müssen genau darauf achten, dass sie in keine Scherbe treten. Oder die Kinder aus der Eichwalder Waldkita, die einmal in der Woche einen Strandtag haben. An all sie denkt von den Feiernden niemand. Ist es jetzt spießig, sich darüber zu ärgern? So wie es vielleicht spießig ist, dass in Kreuzberg nicht mehr jeder lärmende und besoffene Tourist von allen Anwohnern herzlich begrüßt wird? Ich weiß es nicht, glaube aber nicht, dass das spießig ist. Ich denke eher, es ist Wut über den mangelnden Respekt, den die Dreck-Hinterlasser und Lärm-Verursacher ihrer Umwelt gegenüber haben.
Umwelt meint damit beides: Natur und Menschen, die daneben wohnen oder am nächsten Tag auf dem gleichen Stück Strand liegen wollen. Mit etwas Respekt und weniger Ignoranz dem Anderen gegenüber ginge so vieles so viel einfacher. Und alle wären zufriedener. Aber vielleicht ist diese Hoffnung romantisch? Oder diese Sehnsucht doch spießig?
Christian Rickens schreibt gegen neokonservative Plappermäuler
Dieses Buch ist ein Segen. ChristianRickens argumentiert geistvoll gegen die Armada der neokonservativen Plappermäuler dieser Republik an. Ob Eva Herrmann (48, Das Eva-Prinzip), Matthias Matussek (56, Wir Deutschen) oder Björn Lomborg (42, Apocalypse No), sie alle werden inhaltlich sachlich, aber im Ton auch etwas böse widerlegt.
Rickens schafft es, der schwülstigen Sehnsucht nach Gebärfreudigkeit im Namen der Nation, Patriotismus ohne historische Verwurzelung und Freude am deutschen, aber reaktionären Papst Klarheit und Aufklärung entgegenzusetzen. Rickens Buch ist ein Muss für alle, die sich als mündige Bürger verstehen.
Christian Rickens: DIE NEUEN SPIESSER – VON DER FATALEN SEHNSUCHT NACH EINER ÜBERHOLTEN GESELLSCHAFT. ULLSTEIN. 14 EURO