Zum 65. Geburtstag streunt Karl-Markus Gauß durch sein Zimmer

Karl-Markus Gauß: Abenteuerliche Reise durch mein ZimmerKarl-Markus Gauß wird heute 65 Jahre alt. Kurz zuvor ist sein neues Buch erschienen. In einem Alter, in dem die meisten Menschen zum Rentner werden, blickt auch er zurück. Aber er macht das nicht in einer autobiografischen Erzählung, in der aus Ereignissen die passende vergangene Zukunft konstruiert wird. Gauß schaut sich vielmehr in seiner Wohnung um und destilliert aus Gegenständen eine Vergangenheit, die ihn selbst und seine Familie vor allem in einen europäischen Kontext stellt. Was sich jetzt vielleicht etwas konstruiert und anstrengend liest, ist aber ein fröhlicher Genuss. Denn Gauß entführt den Leser Seite um Seite in (Gedanken-) Welten, die anregend und vor allem den eigenen Blick erweiternd sind.

Marta Kijowska beantwortet die Frage: Was ist mit den Polen los?

Die Frage haben sich in den vergangenen drei Jahren viele Freunde Polens gestellt: „Was ist mit den Polen los?“ Marta Kijowska stellt sie sich auch und versucht sie für sich und uns zu beantworten. Gut 100 Jahre nach der staatlichen Neugründung 1918 macht sich die Autorin, Übersetzerin und Journalistin auf einen aufschlussreichen Weg durch die jüngere Geistes- und Kulturgeschichte des wichtigsten östlichen Nachbarn Deutschlands. Dabei spielt die PiS, die aktuell regierende nationalkonservative bis nationalistische Partei zwar ein wichtige, aber nicht dominierende Rolle in Kijowskas „Porträt einer widersprüchlichen Nation“ – so der Untertitel.

Michael Ebmeyer sortiert Schwarz-Rot-Gold bei der WM

Michael Ebmeyer: Das Spiel mit Schwarz-Rot-GoldHeute wehen sie wieder überall: die Fahnen in schwarz-rot-gold. Selbst 1990, als Deutschland das letzte mal Weltmeister wurde, gab es das in dieser Form nicht. Trotz „Wir sind ein Volk“ und deutscher Einheit war die deutsche Fahne damals noch nicht selbstverständlich. Der Autor Michael Ebmeyer hat dieses Phänomen in einem Essay beleuchtet. Und wirklich Erhellendes dazu geschrieben.

Für Ebmeyer waren deutsche Fahnen in den 80er-Jahren genauso fremd wie mir. Wer sich damit zeigte, stellte ein seltsam zurückgewandtes Weltbild zur Schau. Noch heute wirkt auf ihn die schwarz-rot-gold-selige Beflaggung nicht unbedingt sympathisch. Aber Ebmeyer verharrt nicht in solchem Denken. In seinem schlauen Büchlein sucht er, was der gerade heute wieder zu erlebende Umgang mit dem Staats-Symbol wohl bedeutet. Natürlich findet er rechte Dumpfbacken. Aber er erinnert auch daran, wann und wo sich die schwarz-rot-goldene Ausgelassenheit beim Fußball eingestellt hat. Das war erstmals bei der WM 2002 in Berlin. Und dann 2006 natürlich in Berlin und dem ganzen Land. Es waren vor allem Migranten, die sich mit der deutschen Fahne als Teil eines Landes präsentierten, das schon viel weiter war, als es viel politisch Verantwortlichen noch wahrhaben wollten.

Es waren diejenigen in der bunten Republik, die in der multikulturellen Nationalelf eine Möglichkeit zur Identifikation mit ihrer eigenen Heimat, mit Deutschland entdeckten. Und die dies genauso auslebten, wie mit ihren türkischen oder anderen Bezügen. Nämlich durch das Zeigen der Flagge. Ebmeyer schafft es, dies alles in einen Kontext zu stellen, der tatsächlich den Fußball und seine Identifikationskraft in den Mittelpunkt stellt. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, Adorno in Frage zu stellen und Luhmann als theoretisches Rüstzeug zur Argumentation heranzuziehen. Und ist in diesem schmalen Bändchen ein intelligenter Essay zu lesen, der Spaß macht. Und nachdenklich. Und Hoffnung darauf, dass dieses schwarz-rot-gold vor allem eins nicht mehr ist: rückwärts gewandt und spießig. Sondern links, weltoffen und multikulti.

Michael Ebmeyer: Das Spiel mit schwarz-rot-gold. Kein & Aber, 7,90 Euro.