Im Herbst wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Das große Thema dieser Wahlen ist die Spaltung der Gesellschaft. Wer für die regierende rechtskonservativ bis teilweise rechtsradikale PiS ist, tut sich schwer mit Liberalen zu sprechen. und umgekehrt. Aber warum ist das so? Warum können sich Liberale und Anhänger der PiS nicht ausstehen? Das hat die Berlinerin Emilia Smechowski ein Jahr lang untersucht und darüber ein Buch geschrieben, „Rückkehr nach Polen“ heißt es.
Wie in einem Selbstversuch ist „Rückkehr nach Polen“ von Emilia Smechowski eine Rückkehr für ein Jahr. Die Berlinerin zog 2018 bis 2019 in den Vorort von Danzig, in dem sie 1983 geboren wurde. 1988 haben ihre Eltern diese Heimat verlassen und nach Westberlin gezogen. Polnisch war in der Familie seit dem Umzug ziemlich tabu. Stattdessen wurde Deutsch gesprochen und Deutsch gelebt. Wie sie jetzt mit ihrer Tochter zwischen der Herkunft und der deutschen Identität changiert, ist für sie und für die Leser voller Überraschungen.
Smechowski erlebt die Unterschiede im normalen Leben zwischen Berlin und Danzig, zwischen Deutschland und Polen. Erstaunlich ist zum Beispiel die Haltung, die Polen einer alleinerziehenden Mutter wie ihr gegenüber haben. Was in Deutschland selbst in der tiefsten Provinz nichts außergewöhnliches mehr ist, ist selbst in der Großstadt Danzig eine bemerkensnwerte Seltenheit. Hier wird Emilia Smechowski schräg angeschaut und in der Kita von den anderen Eltern sogar bemitleidet. Smechowski beschreibt sehr eingehend, wie die Tradition das Leben vor allem nach außen nach wie vor prägt. Und sie schafft es, dem Leser dadurch klar zu machen, weshalb die konservative PiS unter anderem so erfolgreich sein kann.
Da Smechowski Journalistin ist, wechseln sich die Alltagsbeobachtungen mit richtigen Reportagen ab, etwa über Lech Walesa oder Bauern in Ostpolen, ein großes Fest muslimischer Tataren oder einen der vielen liberalen Oberbürgermeister.Das Walesa-Porträt ist inzwischen auch im Spiegel erschienen. Hier zeigt sich wie in den anderen Reportgane auch, dass sich Smechowski nicht nur auf ihr Gegenüber einlässt, sondern dass sie sich auch extrem gut vorbereitet hat. Das ermöglicht ihr ein sehr genaues Beobachten.
Sie nimmt Walesea nicht nur als historisch große Persönlichkeit wahr, sondern auch als einsamen Mann. Und sie schafft es aus diesen Beobachtungen ein stimmiges Bild darüber zu zeichnen, weshalb der Blick auf die Geschichte der Solidarnosc und des Runden Tisches heute Polen spaltet. Der moralische Rigorismus von Walesa ehemligen Gefährten und jetzigen PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński ist ein weiterer Grund, weshalb die Gesellschaft so gespalten ist. Denn es gibt ja selbstverständlich auch viele Polen, die stolz auf die Art und Weise des friedlichen Übergangs vom Kommunismus ins freie und unabhängige Polen sind.
Aber immer kehrt Emilia Smechowski auch zur eigenen Familie, dem eigenen Freundeskreis in Polen zurück. Sie lässt die Leser miterleben, wie schwer es ist, Geschichte, Politik oder Justiz nicht anzusprechen, um einen schönen Abend nicht durch unüberwindbaren Streit zu sprengen. Diese Momente, in denen die Spaltung Polens so nah erlebbar werden, sind wirklich stark. Wer das Buch liest, versteht unsere Nachbarn danach garantiert viel besser.