Claudia Weber erinnert faszinierend an den Hitler-Stalin-Pakt

Es ist genau 80 Jahre her, dass sich Adolf Hitler und Jose Stalin auf einen Pakt verständigten. Am 23. August 1939 verbündeten sich die beiden brutalen Diktaturen, um Polen von der Landkarte zu tilgen. Offiziell handelte es sich um einen Nichtangriffs-Pakt. Aber im geheimen Zusatzprotokoll wurde viel mehr geregelt. Claudia Weber, Historikerin an der Viadrina in Frankfurt (Oder), hat jetzt ein Buch veröffentlicht, in dem sie aufzeigt, dass der Hitler-Stalin-Pakt die Voraussetzung zum Einmarsch der Wehrmacht in Polen war – und für eine fast zweijährige gute Zusammenarbeit zwischen Roter Armee und Wehrmacht.

Claudia Weber kann sich bei ihrem Buch auf die Forschung in Polen stützen. Bei unserem dirketen Nachbarn ist der Hitler-Stalin-Pakt in seiner ganzen Bedeutung viel präsenter als bei uns. Angesichts der Verbrechen des Deutschen Reiches und des Angriffs auf Polen als Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde hierzulande über die Mitverantwortung Stalins und der Sowjetunion am Ausbruch des Krieges nur verhalten diskutiert. Für Polen aber ist „Der Pakt“ – so heißt das Buch – viel gegenwärtiger, weil er eine erneute Teilung des Landes zur Folge hatte. Hitlers Außenminister Ribbentrop und Stalin einigten sich auf eine Grenzziehung, die die Auslöschung Polens zur Folge hatte. Zwischen 1939 und 1945 existierte das Land nicht mehr. Erst nach dem Krieg konnte es wieder entstehen – aber deutlich nach Westen verschoben. Die Ostgrenze Polens bildete dabei die Linie, auf die sich am 23. August 1939 geeinigt worden war. Stalin sicherte sich die Territorien, die ihm Hitler zugebilligt hatte.

Aber Claudia Weber konzentriert sich nicht nur auf die Vorgeschichte des Vertrages und seine nachhaltge Wirkung bis in die Gegenwart. Sie nimmt vor allem auch die Phase in den Blick, in der sich seit Ende September 1939 bis zum 22. Juni 1941 Sowjets und Deutsche gegenüberstanden. In dieser Phase arbeiteten beide Staaten zusammen. Die Rote Armee half der Wehrmacht anfangs den Widerstand der Reste der polnischen Armee zu zerstören. Dann arbeiteten sie zusammen, um bei einem großangelegten Bevölkerungsaustausch Deutsche von östlich der Weichsel ins Reich oder ins sogenannte Generalgouvernement zu holen. Ukrainer und Weißrussen wurden nach Osten geschafft. Und sie arbeitet anhand vieler bisher kaum beachteter Quellen auf, wie die beiden Schreckenssysteme gemeinsam gegen Kriegsflüchtlinge und Juden vorgegangen sind. So ließen es die Deutschen unter anderem zu, dass der sowjetische Geheimdienst NKWD auch im von Deutschen besetzten Teil Polens agieren konnte.

In den fast zwei Jahren der Zusammenarbeit hatten Hitler und Stalin Europa unter sich aufgeteilt. Der Nichtangriffspakt erlaubte es Hitler, Frankreich, die Niederlande, Belgien und Luxemburg zu unterwerfen. Das konnte er sich nur erlauben, weil er sich sicher war, dass im Osten keine zweite Front eröffnet wird. Stalin wiederum gewann Zeit, um seine Rote Armee weiter aufzubauen, die er selbst massiv geschwächt hatte, als er in der Phase der „Großen Säuberung“ auch unter den Offizieren morden ließ. Claudia Weber beschreibt und analysiert die Fakten ruhig und besonnen. Sie kommt nie in die Versuchung, die Verbrechen des Dritten Reiches zu relativieren. Aber sie macht sehr wohl deutlich, dass ohne die Zusammenarbeit mit Stalin weder die deutschen Erfolge in den ersten Kriegsjahren noch die Nachkriegsordnung in dieser Form möglich geworden wären.

All das ist sehr verdienstvoll. Es lässt sich gut lesen, weil Webers Sprache klar ist. Darüber hinaus gibt es in dem Buch immer wieder Momente, in denen einem beim Lesen der Atem stockt. Etwa als sie verdeutlicht, welch katastrophale Auswirkungen der Pakt für die überzeugten Kommunisten im deutschen Untergrund und im Exil hatte. Sie hatten ihr Leben riskiert, um den Faschismus, den Nationalssozialismus zu bekämpfen. Aber als es Stalin aus rein machttaktischen Gründen opportun erschien, erklärte er im Pakt, dass er sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten Deutschlands mischen wolle.