Günter de Bruyn ist inzwischen 92 Jahre alt. Noch immer schreibt und veröffentlicht der große Schriftsteller aus Görsdorf bei Beeskow alle ein bis zwei Jahre ein Buch. In den vergangenen Jahrzehnten hat er vor allem Bücher über die preußische Geschichte, Literatur und Schlösser geschrieben. Doch das jüngste ist wieder ein Roman. „Der neunzigste Geburtstag“ ist ein Buch über das Zusammenwachsen Deutschlands, das Altern und über die Auswirkungen der Flüchtlingskrise 2015.
Dieses Alterswerk von Günter de Bruyn ist das erste Buch seit langem, das in der Gegenwart spielt. Und zwar in seiner Heimat. Zwar haben die Orte andere Namen, aber die Kreisstadt des Romans st unschwer als Beeskow zu erkennen, die Landschaft und das Dorf sind eindeutig im Osten Brandenburgs. Hier im fiktiven Wittenhagen lebt Hedwig Leydenfrost mit ihrem Bruder Leonhardt. Beide sind das Dorf zurückgekehrt, in dem sie ihre Kindheit verbrachten – sie aus dem Westen, er aus Ostberlin. Jetzt steht der neunzigste Geburtstag Hedwigs an, die in der Bundesrepublik die Grünen mit gegründet hat und ihr Leben lang politisch aktiv war. Ihr drei Jahre jüngere Bruder dagegen war Bibliothekar in Ost-Berlin, hielt Distanz zur SED und war entsetzt, als sein Sohn der Partei betrat. Leonhardt hat durchaus autobiografische Züge de Bruyns.
Die Geschichte spielt im 2015. Die Aufnahme der vielen Flüchtlinge, die sich von Budapest zu Fuß auf den Weg nach Österreich und weiter nach Deutschland machten, löst auch im kleinen Dorf in Ostbrandenburg Veränderungen und Aktionen aus. Da ist ein LPG-Chef, der früher bei der Stasi war und sofort die Chance sieht mit einer Flüchtlingsunterkunft viel Geld zu verdienen. Da sind vor allem Zugezogene, die eine Willkommensinitiative gründen und skeptische Alteingesessene. Und es keimt die Idee, den 90. Geburtstag Hedwigs dafür zu nutzen, um Geld für die Flüchtlinge zu sammeln.
Das ist alles so völlig plausibel. Und doch ist dieser politische Teil des Romans die Schwachstelle. Den bei der Schilderung dieser Szenerie wird das Buch hölzern. Da ist der den Flüchtlingen gegenüber skeptische – ostdeutsche – Bruder und die im Westen politisch sozialisierte Schwester, die ihnen sehr aufgeschlossen gegenüber steht. Außerdem stellt de Bruyn die Flüchtlingshelfer alle ziemlich naiv dar. Das fällt umso mehr auf, als alles, was Günter de Bruyn über das Dorf, die Menschen und Karrieren in der DDR und nach dem Fall der Mauer schreibt, großartig geschildert und entwickelt ist. Das Zwischenmenschliche, das Dorf, die Architektur und die Landschaft sind fein und treffend beobachtet – bis hin zu den Sorgen des Alterns.