Hertha Pauli beschreibt Mehrings Flucht aus Wien

Als Wien noch die Weltstadt war, in der das Haus Habsburg und der Walzerkönig regierten, spielte auch das Wiener Kaffeehaus eine ganz andere Rolle. Hier traf sich die große Welt, hier wurden Ideen geboren, Entscheidungen gefällt und Hoffnungen begraben. Im Kaffeehaus spiegelte sich wie auf einem kleinen Welttheater der Wandel der Zeiten. Die Figuren an den Stammtischen, Politiker, Dichter oder Schachmeister, traten entsprechend auf und ab. Die beiden berühmtesten Cafés aus der guten alten Zeit lagen nahe der Hofburg: das Café Herrenhof und das Café Central. Im Herrenhof traf sich Kronprinz Rudolf einst inkognito mit liberalen Journalisten, und im Central spielte vor dem Ersten Weltkrieg ein Herr Bronstein täglich seine Schachpartie, bis er in einem versiegelten deutschen Militärwaggon als Leo Trotzki in die Weltgeschichte einfuhr. Vor dem Zweiten Weltkrieg frühstückte ein neues Regierungsmitglied gern im Herrenhof. Jeder gute Ober kennt die Lesegewohnheiten seiner Stammgäste, und so legte er Dr. Seyß-Inquart stets geflissentlich die Zeitungen aus Deutschland auf den Tisch. War doch der Herr Minister 5sterreichs offizieller Verbindungsmann mit dem Dritten Reich.

Ein längerer Textauszug steht im Walter-Mehring-Blog… 

In memoriam Georg Kreisler

Georg Kreisler: Ich hab ka Lust

Heute konnte er seinem Vers nicht mehr treu sein:

„Doch sollte sich einmal in meinem Leben
der Tod trotz alledem zu mir begeben
und sagen: Lieber Freund sei nicht beklommen.
Die Stunde schlägt, du musst jetzt mit mir kommen.
Dann sag ich: Es wird mir eine Freud sein.
Doch sagen Sie: Muss das ausgerechnet heut sein.
Und ruft er dann: Was zögerst Du? Du musst!
Dann sag ich : Nein! Ich hab kei Lust!“

Vielen Dank Georg Kreisler.

Florian Klenk entdeckt das Ende der Welt mitten in Europa

Florian Klenks Buch mit Reportagen
Florian Klenks Buch mit Reportagen

Das Ende der Welt entdeckt Florian Klenk nicht irgendwo in Feuerland oder der Südsee. Der Journalist aus Österreich findet es in seinem Heimatland – und den angrenzenden Ländern der ehemaligen österreichischen Kronlande. Klenk ist stellvertretender Chefredakteur des Wiener „Falter“. Für ihn hat er die Reportagen geschrieben, die in dem Band „Früher war hier das Ende der Welt“ erschienen sind.

Dabei meint dieses „Ende“ in den wenigsten Fällen einen geographischen Ort. Vielmehr schreibt Klenk über diejenigen, die sozial am Ende der Wahrnehmung leben. Etwa die Wiener Huren, die von der Stadtverwaltung und dem Innenministerium immer weiter aus dem Sichtfeld der Stadt gedrängt werden. Das führt natürlich nicht dazu, dass weniger Freier zu ihnen kommen. Aber das Abdrängen macht die Frauen von Zuhältern abhängig, es kriminalisiert sie und es kann dazu führen, dass die schutzlosen Frauen viel leichter Opfer von Gewalt werden. Damit sind sie am Ende der Welt, mitten in Wien angekommen.

Anders ist es bei Klenks Besuch eines ukrainischen Flüchtlingslagers, in dem Menschen aus Pakistan, der Türkei und andern Ländern stranden, die den Sprung in den EU-Schengenraum nicht schaffen. Dort leben sie zwischen der Slowakei, Ungarn und der Ukraine und harren in schlimmsten Zuständen aus, weil sich niemand für die zuständig fühlt. Und weil sie hoffen, dass sie ihrem Elend mit einem – illegalen – Sprung über die Grenze doch noch entkommen können. Hier, wo früher schon keine K.u.K-Herrlichkeit, sondern Elend war.

Florian Klenk rückt mit seinen Reportagen Menschen in den Blick, an die wir in der regel nicht denken. Und auch nicht denken wollen, weil wir uns dieses Elend weder vorstellen wollen noch können. Das macht er sehr anschaulich, vor allem auch deshalb, weil es sich selbst nie in den Blick rückt. Klenk überlässt es dem Leser, ein Bild zu entwerfen und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.

Severin Groebner gibt dem Leben seinen Sinn

Severin Groebner ist auf dem Wiener Zentralfriedhof. Da spielt er seine ganze Familie. Von der Tante, die noch immer Hitler hinterher trauert bis zum Neffen, der außer Game-Boy kaum ein Wort richtig sprechen kann. Den ganzen Irrsinn einer Familie und damit der Gesellschaft versammelt er um das Grab des Großvaters.

Der Wiener Groebner setzt dabei – wie die Wiener Josef Hader und Alfred Dorfer – auf ein komplettes Theaterstück, indem er allein alle Figuren spielt. Diese phänomenale Mischform von Theater und Kabarett scheint sich in Österreich gerade durchzusetzen. Groebner trifft seine Figuren hervorragend. Sein Witz ist herrlich böse. Und die Songs sind eine Klasse für sich.

Severin Groebner: SO GIBT MAN DEM LEBEN SEINEN SINN – DOPPEL-CD. WORTART, 18,99 EURO.