Serhij Zhadan aus Charkiw ist eine der bekanntesten Stimmen der Ukraine. Seine Bücher sind in etliche Sprachen übersetzt und mit seiner Band zeigt er, wie kraftvoll Poesie sein kann. Im Herbst wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. Er übersetzt Rilke ins Ukrainische, lehrt an der Uni, sammelt seit Kriegsbeginn 2014 spenden für Soldaten und organisiert Hilfstransporte. An der Viadrina in Frankfurt (Oder) war er zu einer Lesung und einem Konzert zu Gast – auch weil seine Übersetzerin Claudia Dathe hier lehrt. Und um Geld für seine Charkiwer Uni zu sammeln, die wiederum Partneruni der Viadrina ist. In diesem Zusammenhang konnte ich mit ihm für rbb24 Inforadio ein Interview führen.
Herr Zhadan, Deutschland und die Ukraine haben eine schwierige gemeinsame Geschichte. Das Thema Ukraine hat hier lange kaum jemanden interessiert. Wie nehmen Sie die Deutschen in diesem Krieg, der gegen die Ukraine geführt wird, aktuell wahr?
Michael Kurzwelly hat eine Vision: Der Aktionskünstler aus Frankfurt (Oder) denkt das deutsch-polnische Grenzgebiet ohne Grenze. Für ihn gibt es die Nachbarstädte Frankfurt (Oder) und Slubice nicht mehr. Für ihn gibt es nur Slubfurt -eine Stadt, die rechts u n d links der Oder liegt.
Was auf den ersten Blick etwas verrückt wirkt, ist zu einem dauerhaften Kunstprojekt geworden. Die Idee dahinter: eine Grenze ist absurder als die Stadt Slubfurt – Realität ist das, was man lebt.
In Frankfurt (Oder) ist Michael Kurzwelly nicht nur bekannt. Der Künstler ist auch immer wieder Teil des Stadtbildes. Dann steht er mit seinen dunklen Locken auf einer Mauer oder inmitten einer Gruppe lachender und staunender Menschen. Er hält eine Fahne hoch und spricht bei seiner Stadtführung über Slubfurt oder Nowa Amerika.
Slubfurt ist seine Idee: Eine Stadt, die Slubice und Frankfurt (Oder) ersetzt hat. Und Nowa Amerika ist die logische Weiterentwicklung dieser Vision von der Überwindung der deutsch-polnischen Grenze. Jetzt aber für den gesamten Raum östlich und westlich von Oder und Neiße.
Michael Kurzwelly: „Als ich mit meinen persönlichen Erfahrungen hierherkam – ursprünglich aus Bonn kommende, dann 1999 nach Poznan, wo ich acht Jahre lebte, bevor ich hierher kam – habe ich mich von Anfang an dazwischen gefühlt. Weder in den einem Raum ganz beheimatet, noch in dem anderen. Ich habe mir dann gedacht: wenn ich mich hier zuhause fühlen soll, dann kann mein Raum nicht Frankfurt sein, der kann nicht Slubice sein, der muss Slubfurt sein.“
Slubfurt also ist die zentrale Idee, der Ausgangspunkt für die Vision von Michael Kurzwelly. Der Aktionskünstler lebt diese Idee nicht nur zweisprachig. Er lebt auch von ihr. Etliche Projekte rund um Slubfurt und Nowa Amerika schafften es, gefördert zu werden. Reiseangebote und Stadtführung ernähren ihn genauso wie sein Lehrauftrag bei den Kulturwissenschaftlern der Viadrina. Inzwischen ist aus der verrückten Idee der grenzfreien Raumeroberung eine Vision geworden, die von der Politik auch geehrt wird.
Kurzwelly: „Ich freue mich darüber. Das ist auch ein Stück weit Bestätigung. Ich glaube, jeder Mensch braucht etwas Bestätigung. Von der Stadt Slubice bin ich ja sogar zum Ambassador, zum Botschafter, ernannt worden.“
1963 wurde Kurzwelly in Darmstadt geboren. Aufgewachsen ist er in Bonn, wo er auch Kunst studierte. Nach Jahren in Posen lebt er nun schon mehr als ein Jahrzehnt in Slubfurt – oder Frankfurt (Oder). Hier will er auch bleiben:
Kurzwelly: „Erstens Mal ist Slubfurt und Nowa Amerika so eine Art Lebensaufgabe geworden. Ich könnte mir nicht vorstellen, hier wegzuziehen.“