Heimat (6): Danke Biermösl Blosn!

35 Jahre haben die Biermösl Blosn gelebt, dass Tradition und aufgeklärtes Denken eins sein können. 35 Jahre haben sie all das Lebens- und Liebenswerte an Bayern verkörpert. Und immer haben Hans, Michael und Christoph Well gezeigt, dass die größten Feinde der Heimat diejenigen sind, die sich Loden- Janker anziehen, ein CSU-Parteibuch haben und so tun, als sei ihre persönliche Geld- und Ansehensvermehrung gelebte Tradition. Seit ich politisch denken kann, gab es die Biermösl Blosn.

Die drei Brüder waren immer der Beweis, dass Bayern mehr ist als die CSU. An ihnen konnte man sehen, dass es ein anderes Bayern gibt. Eines, das modern und bodenständig zugleich ist, eines, das Freiheit lebt und Vielfalt schätzt, eines, dem Beton und Asphalt keine adäquaten Mittel zur Landschaftsgestaltung sind. Und eines, das veränderbar ist, weil in ihm Menschen leben, denen der Sachzwang nicht die einzig denkbare Variante des politischen Lebens ist. Die also das Wort von der „alternativlosen Politik“ schon ad absurdum führten, als es noch nicht so in Mode war wie derzeit. Die Brüder sind dabei immer auf dem Boden geblieben.

Sie haben sich nicht als Helden der Gegenöffentlichkeit stilisiert. Im Gegenteil. Ihr Ziel war es immer, möglichst viele Menschen mit ihrer Mischung aus gelebter Tradition und Anarchie zu erreichen. Nach einem Abend zur Erinnerung an den 100. Geburtstag von Oskar Maria Graf konnte ich mit ihnen ein Bierchen in der Wirtschaft hinter den Kammerspielen trinken. So offen, lustig und herzlich waren sie, dass sofort die Idee entstand, sie nach Hammelburg zu holen. Das taten sie dann auch – auf Initiative des Fußballvereins von Untererthal. Und auch danach waren die Bierchen beim Siggi in der Wirtschaft sehr belebend für alljene, die sich mit der CSU-Dominanz nicht abfinden wollten.

Jetzt ist diese Dominanz gebrochen. Die CSU hat keine absloute Mehrheit mehr, den Alleinvertretungsanspruch nimmt ihr nicht einmal die eigene Basis ab. Insofern ist der Mutmacher Biermösl Blosn nicht mehr nötig. Vielleicht ist es sogar so, dass die Auflösung nach 35 Jahren das angemessene Zeichen für die Entwicklung ist. Dennoch werde ich immer wieder mit großer Nostalgie die Lieder hören. Und mich daran freuen, dass da jemand so aktiv das Wort Heimat so positiv besetzt hat.

Mehr Heimat:
(1) Mein Sprungturm
(2) Stänglich vom Schwab
(3) Leberkäsweck
(4) Bilder aus Hammelburg
(5) Schlesisch Blau in Kreuzberg
(6) Danke Biermösl Blosn!
(7) Weinlaub und Weintrauben
(8) Laufwege in Buchenwäldern
(9) Fränkische Wirtschaft
(10) Bamberger Bratwörscht am Maibachufer
(11) Weißer Glühwein
(12) Berlin
(13) Geburtstage bei Freunden aus dem Heimatort
(14) Gemüse aus dem eigenen Garten
(15) Glockenläuten in der Kleinstadt
(16) Italienische Klänge
(17) Erstaunliches Wiedersehen nach 20 Jahren
(18) Federweißen aus Hammelburg
(19) Wo die Polizei einem vertraut
(20) Erinnerungen in Aschaffenburg
(21) Nürnberg gegen Union Berlin
(22) Der DDR-Polizeiruf 110 „Draußen am See“

Achim Reichel als vom Kitsch befreiter Folk-Archäologe

Ende der 80er, Anfang der 90er-Jahren wagten es die ersten Bands, traditionelle deutsche Lieder neu erklingen zu lassen. Das war vor allem in Bayern der Fall, wo sich auf den Kleinkunstbühnen die Biermösl Blosn, Georg Ringsgwandl und andere dagegen sträubten,
dass der Akustikmüll der Volksmusik-Stars tatsächlich als Volksmusik verkauft wird, obwohl er damit nichts zu tun hat.

Achim Reichel (62), in den 60ern mit seinen Rattels der erste deutsche Rockstar von internationalem Rang, hat jetzt eine CD mit Volxliedern gemacht. Die subversive Kraft dieser Lieder wird hörbar. Das, was deutsche Irland-Urlauber so lieben, wenn im Pub zu Traditionals gesungen und getanzt wird, kann man sich beim Hören der Reichel-CD auch in Deutschland vorstellen. Er befreit selbst Lieder wie „Röslein auf der Heiden“ von jedem Kitsch. Er arbeitet mit Rhythmus und Melodie, um einen richtig guten Folk-Song daraus zu
machen. Das klingt dann fast wie Johnny Cash (1931 bis 2003) auf seinen letzten Alben – nur eben auf deutsch. Damit leistet er musikalische Archäologen-Arbeit, die für den Hörer ein Gewinn ist. Sein Booklet mit allen Noten lädt zum Nachahmen beim Kneipenbesuch
ein.