Thomas Brussig gibt Schiedsrichter Fertig eine Stimme

Thomas Brussig: Schiedsrichter Fertig - Eine Litanei
Thomas Brussig: Schiedsrichter Fertig – Eine Litanei

Es gibt Bücher über Torhüter. Es gibt Jugendbücher über Stürmer und Trainer. Aber den Schiedsrichter hat noch niemand ausführlich literarisch gewürdigt. Diese Aufgabe hat nun Thomas Brussig (43) übernommen. Und meisterhaft gelöst.

Schiedsrichter Fertig sind gut 90 Seiten fließende Gedanken darüber, wie sich Schiedsrichter fühlen, wie sie gesehen werden und wie ungerecht die Öffentlichkeit mit ihnen umgeht. Brussigs Schiedsrichter vergleicht sich mit einem Chirurgen, der wie der Referee nur dann gut ist, wenn von seinem Eingriff nichts zu spüren ist. Der Text ist stringent und logisch. Er ist unterhaltend und beklemmend. Kurz: Er ist das Beste, was seit Langem über Fußball geschrieben wurde.

Umberto Eco beschreibt die Häßlichkeit

Umberto Eco: Die Geschichte der Häßlichkeit
Umberto Eco: Die Geschichte der Häßlichkeit

Die Schönheit ist das Ideal aller Kunst. Alles Hässliche hat gegen den Wunsch nach dem vollendeten Körper, der Brust, die der Schwerkraft widerstrebt, dem klaren
Blick oder dem ebenen Gesicht, keine Chance. Allerdings gibt es ohne das Hässliche auch das Schöne nicht.

Umberto Eco (76) hat unendlich viele Bilder auf der Suche nach dem Hässlichen betrachtet. Er
durchstöberte Fotos, schaute Filme und kramte in seinem literarischen Gedächtnis, um herauszufinden,
was hässlich ist. Überraschendes Ergebnis: Es gibt mehr Hässlichkeit als Schönheit. Während sich ganz klar beschreiben lässt, was schön ist, gelingt dies
beim Gegenteil nicht so einfach.

Seinem neuen Buch Die Geschichte der Häßlichkeit ging vor drei Jahren eines über die Schönheit voraus. Doch das neue hat Eco sichtlich mehr Spaß gemacht. Hier kann er sich austoben und das Abseitige beschreiben. All seine hässlichen Figuren, die Im Namen der Rose oder in Baudolino seine Romane bevölkerten, bekommen hier Gesichter. Und zwar von den ganz großen Malern gemalt. So wird Ecos Suche für die Leser seiner Bücher auch zu einer Fundgrube seiner Stoffe.

Umberto Eco wäre nicht so erfolgreich als Wissenschaftler und vor allem als Autor, wenn er nicht so gut seine enorme Bildung mit dem Alltag seiner Leser in Beziehung setzen könnte. Er wühlt nicht nur in der Antike, in mittelalterlicher Kunst und dem Barock. Eco zieht zum Beispiel bei der Frage nach der Darstellung des Todes auch Material aus Filmen, Karikaturen und der modernen Kunst heran. So macht er seine Überlegungen auch für Normalbürger zugänglich.

Und er testet seine Thesen ganz nebenbei auf ihre Richtigkeit. Richtig faszinierend ist das Kapitel über „Das Häßliche, das Komische und das Obszöne“. Da lebt der Karneval auf, da zeigt Eco, wie die Karikatur – und damit der Comic – in die Welt kam. Und welchen Spaß
wir alle daran haben. Wie öde wäre es, würden wir uns nur mit Schönem beschäftigen. Mit E.T., Marylin Manson (38) und Punk beendet Eco dann die Reise durch die Geschichte des
Hässlichen.

P.R. Kantate ist janz dick im Jeschäft

Der Berliner Plattenreiter Kantate hat sich die deutsche Rockmusik der 80er-Jahre noch mal angehört. Und Rio Reisers „König von Deutschland“ in einen Kreuzberger verwandelt. Und aus „Karl dem Käfer“ einen Kiffer gemacht. Das Gute daran: Es sind richtig gute Songs entstanden.

P. R. Kantate hat das Covern als Kunst begriffen und sich Songs von Ideal, Trio, Grauzone angeeignet. Er hat sie neu abgemischt, mit neuen Texten oder Textteilen versehen und so zu Berliner Songs eines Jungen vom Kiez in Kreuzberg gemacht. Das Ganze ist mit Reggae-
Rhythmen unterlegt und zu einer extrem tanzbaren Musik gemixt.

Seine selbstironischen Einschübe unter dem Titel „Radio Ragga“ geben dem ganzen Halt und Struktur. Das Ganze ist also ein echter Knüller, verspielt und doch mit Witz und Schärfe.

Trikont feiert Weihnachtslieder mal ganz anders

Weihnachtsgedudel allerorten. Aus jeder Box im Kaufhaus, aus jedem Radio, selbst in den Fußgängerzonen trällern perwollweichgespülte Weihnachtsweisen aus den Lautsprechern. Wem das zu viel ist – und wem sollte das nicht zu viel sein? – für den hat das kleine, feine Label Trikont eine passende Ausgabe von Weihnachtsliedern.

Wish you heißt das Album, auf dem 19 Songs rund um das Thema Weihnachten, Geschenke und Gefühl versammelt sind. Da erklingen Country-, Mambo- und Jazzklänge.
Da ist wunderbarer Schlager aus den 40er-Jahren dabei. Und selbst „Last Christmas“ von George Michael (44) erklingt hier – aber in einer Country-Version von „The Twang“. Der einfache Kunstkniff, dem Song einen anderen Sound zu geben, sorgt dafür, dass selbst diese schlimmste aller Christmas-Schnulzen schön wird – und eine Erholung für die Ohren.
Renate Heilmeier hat die Sammlung zusammengestellt.

Wer will, kann auf die Texte hören und über Weihnachten sinnieren. Wem die säuselnden Engelschöre vergangen sind, der kann diese CD auch nach Weihnachten noch wunderbar
hören. Denn ohne die Texte funktioniert die Musik einfach als gute Musik. Ganz ohne Schmalz und Glockenklingeln.

Flann O’Brien freut sich über „Das harte Leben“

Mit diesem achten Band ist die Werkausgabe des irischen Autors Flann O’Brienn (1911 bis 1966) in der Übersetzung von Harry Rowohlt (62) vollbracht. Die knapp 150 Seiten von „Das harte Leben“, das 1961 erstmals erschienen ist, ist so etwas wie die komprimierte
Zusammenfassung dessen, was den Iren O’Brien noch heute so lesenswert macht.

Das Buch ist böse, es ist eine gelungene Satire auf heuchlerische katholische Priester, absurd wohltätige irische Müßiggänger und eine Hommage an die Nationalgetränke Whiskey und ganz dunkles Bier. Wer Humor, der so schwarz ist wie das Guiness,
mag, der ist bei Flann O’Brien gut aufgehoben. Der entdeckt mit „Das harte Leben“ einen der ganz großen irischen Dichter.

Flann O’Brien: Das harte Leben, Kein & Aber, 16,90 EURO.

Tilman Röhrig haucht Tillman Riemenschneider Leben ein

Historische Romane sind ganz oft oberflächlich und von unserer Sicht der Dinge geprägt. Tilman Röhrig (62) schafft es in Riemenschneider, sowohl die Zeit sehr gewissenhaft aufleben zu lassen, als auch einen schönen Roman zu schreiben. Tilman Riemenschneider
(1460 bis 1531) lebte als Holzschnitzer und Bildhauer in Würzburg, als die Reformation und die Bauernkriege das Land erschütterten.

Seine Werke sind noch heute beeindruckend. Röhrigs Roman schafft es, dass auch das Leben Riemenschneiders fesselt. Röhrig entwirft ein Panorama der Zeit, in der auch Luther, Bauernführer Joss Fritz und Ritter Götz von Berlichingen ihren Platz haben.
Das ist gut gemacht und eine feine Geschichtslektion.

Tilman Röhrig: Riemenschneider. Piper, 19,90 EURO.

Ben Schott sammelt die Welt des Jahres 2007

Ben Schott (33) hat vor einigen Jahren eine alte Art Buch zu neuer Blüte belebt: das Sammelsurium. Diese Sammlungen aller möglichen und unmöglichen Tabellen, Informationen und lexikalischen Stichwörter haben inzwischen viele Nachahmer gefunden. Aber Ben Schott bleibt der Maßstab. Das beweist auch „Schotts Sammelsurium 2008“.

Diese Bücher sind die idealen Geschenke. Denn sie bieten für jeden etwas. Wer beginnt, auf den 280 Seiten zu stöbern, der findet bestimmt viele Sachen, die ihn interessieren. Das beginnt mit einer munteren Chronik. Erster Punkt: Jahresauszeichnungen 2007. Von der Blume des Jahres (Bach-Nelkenwurz) bis hin zum Weißen Hotot (Kanninchen des Jahres) sind alle Brillenträger, Klavierspieler und Bio-Kartoffelsorten aufgeführt.

Angesichts dieses sichtbaren Wahns, alles und jeden alle Jahre auszuzeichnen, verwundert der kurze Überblick über diverse Liste 2007 nicht mehr wirklich. „Men’s Health“ beispielsweise wusste, dass Bananen, Beeren, Curry, Eier, Fisch, Kaffee, Nüsse, Rotwein, Schokolade und Wasser (in dieser Reihenfolge!) intelligent machen. Wenn man bedenkt, dass laut ZDF Loriot, Heinz Erhart, Otto Waalkes, Hape Kerkeling, Dieter Hallervorden, Rudi Carrell (!), Karl Valentin, Michael Mittermeier, Anke Engelke und Dieter Hildebrandt (auch in dieser Reihenfolge!) die komischsten Deutschen sind, dann wird einiges klar.

Denn wenn unter den zehn komischsten Deutschen nur neun Deutsche sind und tatsächlich nur drei davon auch wirklich witzig sind, dann liegt auf der Hand, dass ein Eisbär namens Knut ein ganzes Volk wuschig machen kann (siehe Tier des Jahres). „Schotts Sammelsurium 2008“ zwingt den Leser geradezu, solche Vergleiche zu ziehen. All die überflüssigen Fakten – und dazwischen wirklich bedeutende Themen – zeigen, mit welchem Müll wir uns beschäftigen.

Da steht auf einer Seite alles zum Klimawandel und auf der nächsten, dass Britney Spears die am schlechtesten angezogene Person des Jahres 2007 war. Oder dass der Marlboro-Mann der einflussreichste Mann ist, der nie gelebt hat. Angesichts der Antiraucher-Hysterie des Jahres 2007 könnte aber auch darin eine tiefere Wahrheit liegen. Schön, dass uns Ben Schott darüber grübeln lässt.

Ben Schott: Schotts Sammelsurium 2008. Berlin Verlag, 18 EURO.

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Serrats Texte zu Son bis Hip-Hop

Cuba la cant a Serrat
Cuba la cant a Serrat

Ein spezielles Experiment mit bekannten kubanischen Musikern ist auf der Doppel-CD  „Cuba le canta a Serrat“ gebannt. Alte und junge Kubaner, die musikalisch die Bandbreite zwischen Son und Hip-Hip haben, machten sich an das Werk von Joan Manuel Serrat (63).

Der kommt aus Barcelona und hat sich während der Diktatur Francos geweigert, spanisch zu singen. Serrat bestand auf seiner Muttersprache Katalanisch – und war dafür sogar bereit, ins Exil zu gehen. Ein Jahr lebte der originelle Dickkopf in Mexiko, dann starb der senile Faschist Franco und Serra wagte es wieder, heimzukehren.

Wenn jetzt kubanische Künstler einen solchen widerständigen Sänger, Texter und Komponisten intonieren, dann weckt das natürlich Gedanken an die Diktatur des senilen
Dauerkranken Fidel Castro. Insofern ist das Projekt nicht nur musikalisch, sondern auch
politiisch spannend. Ibrahim Ferrer († 77, Buena Vista Social Club) ist für die traditionelle Interpretation, David Calzado ein Beispiel für eine moderne. Alle 21 vereint der durchaus gelungene Versuch, den katalanischen Liedermacher zu kubanischer Musik zu machen. Das gelingt fast ausnahmslos. Und macht somit neugierig auf die eigenen Musikprojekte wie auf jene Serras.

Thomas Weiss zu seinem Buch „Tod eines Trüffelschweins“

Der Fall Grohe machte Schlagzeilen. Die Übernahme des Traditions-Unternehmens durch
eine „Heuschrecke“ und die anschließende Schließung vor zwei Jahren erregte weit über Herzberg hinaus die Gemüter. Der Berliner Autor Thomas Weiss hat sich den Fall als Vorlage für einen irritierenden Text gewählt. Weiss beschreibt darin, wie der Kampf gegen
Ungerechtigkeiten der Globalisierung in Terror münden könnte.

Wie sind Sie auf den Fall Grohe gekommen?

Ich habe im WDR eine Dokumentation darüber gesehen. Als ich das sah, dachte ich mir, dass ich das unbedingt machen will. Das hat mich dann schon gereizt.

Waren Sie mal in Herzberg?

Nein.

Sie sind da noch nicht hingefahren und haben sich das angeschaut?

Nein. Das Buch sollte nicht konkret den Fall Grohe darstellen. Natürlich ist es – daran angelehnt, aber ich wollte einen allgemeineren Text schreiben. Der konkrete Fall Grohe interessierte mich, um einen besonders krassen Fall einer Firmenübernahme durch Finanzinvestoren zu schildern. Darüber habe ich viel recherchiert.

Aber Grothe und Nierenberg im Buch sind doch Grohe und Herzberg?

Das drängt sich auf, sicherlich, trotzdem bilde ich den Fall Grohe nicht eins zu eins ab, sondern überziehe ihn mit einer fiktiven Handlung.

Dieses Thema mit der RAF zu kombinieren, ist schon ein waghalsiges Unterfangen.

Angetrieben hat mich die Bekanntschaft mit einem Mann, der zu dieser Zeit bei der GSG 9 war. Bei einem Gespräch kamen wir auch auf den Fall Grohe. Er fand das auch sehr negativ, zutiefst ungerecht. Da kam mir die Idee, dass man das Leben eines GSG-9ers mit der Globalisierung verknüpfen könnte. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Umstände der Befreiung von Mogadischu auch spannend sind. Mein Bekannter hat mir viel über den Heldenstatus der GSG-9-Mitglieder erzählt. Und davon, dass sich im Laufe der Zeit etliche
umgebracht haben. Das weiß kaum jemand. Und da dachte ich mir, diese Vermischung des
Denkens . . .

. . . des Gerechtigkeitsempfindens und der Sympathie zwischen den RAF-Terroristen und GSG-9-ern ist beim Lesen sehr verwirrend.

Genau darum ging es mir. Ich wollte keine wissenschaftliche Abhandlung über Firmen-Übernahmen schreiben. Die konkreten Auswirkungen an einem tatsächlichen Beispiel waren deshalb wichtig.

Aber das hat ja nichts mit Terrorismus zu tun.

Die Tat Heusers – der Hauptfigur – schon. Sie ist ja im Grunde eine terroristische Tat. Den Zusammenhang mit der RAF herzustellen, war dennoch schwierig. Das ist natürlich sehr gewagt. Aber das Vorgehen solch eines Finanzinvestors wie im Fall Grohe ist ja auch gewagt. Es ist doch das Allerletzte, wenn man aus persönlicher Profitgier Leute rausschmeißt und einen profitablen Betrieb schließt. Ich finde das unfassbar: Der Betrieb
produzierte mit Gewinn. Doch weil anderswo mehr Profit möglich war, werden einfach die Leute rausgeschmissen und der Betrieb geschlossen.

Auch das hat noch nichts mit Terror zu tun.

Wie gesagt, Heuser ist ja eigentlich der Terrorist. Ich konnte mir einfach vorstellen, dass in solch einer Situation – jemand sagt: Jetzt ist mir auch – alles egal! Für ein Buch ist das eine reizvolle Konstellation. Wenn auf der einen Seite ein Investor sagt, ihm ist alles egal  und auf der anderen ein Mitarbeiter das gleiche sagt.

Das kann als Rechtfertigung verstanden werden.

Mit dieser Verknüpfung rechtfertige ich keine terroristischen Anschläge. Aber bei der  Diskussion über die Begnadigung von Christian Klar ging es auch um Reue, um die Frage, wie steht ein Mensch zu seinen Taten. Eine ähnliche Frage stelle ich auch.

Vor 20 Jahren wäre ein Text wie Ihrer kaum denkbar gewesen.

Ich stelle nur einen Standpunkt dar, ich sympathisiere aber nicht mit der RAF. Das würde ich nie machen. Natürlich habe ich auch über sie recherchiert. Ihre Vorstellungen waren völlig absurd. Erstaunlicherweise gibt es Parallelen zwischen der GSG 9 und der RAF auch in der Sicht auf die Welt. Bei beiden ist sie eher schwarz-weiß. Das hat radikale Konsequenzen. Dieser Radikalität wollte ich mit meinem Buch entsprechen. Das Denken der GSG 9 und der RAF war knallhart, so wie das Buch. Diese Gemeinsamkeiten zwischen den total gegensätzlichen Polen sind vorhanden. Und genau die stelle ich dar.

Globalisierungskritik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und Sie schreiben einen Text, der sagt: Globalisierung ist so brutal und menschenverachtend, dass selbst die Ermordung von Menschen im Namen einer Gerechtigkeit nachvollziehbar ist.

Der Täter Heuser behauptet das. Ich kann mir lediglich vorstellen, dass der Täter Heuser das behauptet.

Sie spielen aber damit, dass der Leser in diesen Sog mit reingezogen wird.

In meinem Buch steht auch, dass die RAF furchtbare Morde mit schrecklicher Brutalität
verübte. Dennoch können diese Taten nicht aus reiner Mordlust erklärt werden. Es steckte eine politische Idee dahinter, die völlig fatal umgesetzt wurde. Betrachtet man den Vietnam-Krieg, wird nachvollziehbar, woraus die RAF entstanden ist. Dass sie dann mit ihren Bomben dieselben Mittel anwandte – übrigens genauso die Genickschussmentalität
der Nazis – zeigt auch, wie irrsinnig dieser Weg war.

Es geht also um die Schwelle, die Gewalt legitimiert?

Genau. Irgendwann gibt es dieses Maß, das übertroffen wird. Meine Figur Klaus Heuser, der ehemalige GSG-9-Beamte, begründet mit dem Namen „Kommando Georg Elser“, dass er tötet. Heuser sagt, dass es einen Moment gibt, in dem man töten darf. Georg Elser durfte
ja auch, aus unserer Sicht, 1939 versuchen, Hitler zu töten. Das ist natürlich ein Extremfall. Aber wenn man diese Hierarchie nach unten geht, dann kommt man ein ganzes Stück weit. Irgendwann gelangt man dann an den Punkt, an dem das Töten nicht mehr zu  rechtfertigen ist. Aber wo ist dieser Punkt? Das ist sehr schwer zu fassen.

Damit wird der mörderische Widerstand gegen die Globalisierung mit dem Widerstand gegen Hitler auf eine Stufe gestellt.

Die Problematik war und ist mir bewusst. Wenn man sich mehr mit dem Fall Grohe beschäftigt, entsteht ein Wutempfinden. Genau das stelle ich überspitzt dar und frage, was noch passieren könnte. Aber der Mord nützte ja nichts.Hinterher ist alles so, dass die Tat
sinnlos war. So wie die Morde der RAF sinnlos waren. Aber damit zu spielen, dass jemand sagt, er sei immer noch für Gerechtigkeit im radikalen Sinn, war für mich reizvoll. Dabei schwingt auch die Mogadischu-Geschichte mit. In diesem Fall sagt auch jeder: „Völlig klar, dass die GSG 9 die Maschine stürmen und die Terroristen erschießen musste.“ Für die Passagiere war die Entführung eine unglaubliche Quälerei. Das ist ganz furchtbar, was  diesen Leuten angetan wurde. Trotzdem hatten – auch die palästinensischen Entführer irgendwo politische Motive, die sich aus ihrer ganz persönlichen Geschichte ergaben.

Würden Sie selbst als Privatmensch politische Forderungen ableiten aus der Beschäftigung im Fall Grohe?

Ich finde, dass Praktiken wie im Fall Grohe nicht legal bleiben dürfen, vor allem, was die Überschuldung des übernommenen Unternehmens durch den eigenen Kaufpreis betrifft. Das kann man bestimmt irgendwie lösen, ohne dass dadurch Deutschland gleich wirtschaftlich untergeht.

Hätten Sie Lust, aus Ihrem Buch in Herzberg oder der Region zu lesen?

Ja, auf jeden Fall. Ich rechne eigentlich damit, dass das so kommt.

Thomas Weiss: „Tod eines Trüffelschweins“, Steidl Verlag, gebunden, 130 Seiten, 14 Euro.

Rock’n’Roll bringt Dynamik in die Nächte am Polarkreis

Das Buch ist Kult. Und der Film erst recht: „Populärmusik aus Vittula“ hat alles, was einen Klassiker ausmacht. Witz, Tragik, ein Blick fürs Wesentliche aus einem überraschenden
Blickwinkel. Matti und Niila sind richtig gute Freunde. Seit sie sich mit sieben Jahren kennengelernt haben, teilen sie so ziemlich alles miteinander. Bis auf die Schläge, die Niila
ständig von seinem Vater einstecken muss. Sie kann Matti nur still mitfühlen.

Die Jungs wachsen in Vittula auf. Das ist ein Ort im Norden Schwedens nahe an der finnischen Grenze. In den 60er-Jahren ist Vittula noch fast von der Außenwelt
abgeschnitten. Die erste Rock’n’Roll-Platte, die Mattis Schwester hört, löst ein Beben
aus. Reza Bagher hat nach dem wunderbaren Roman von Mikael Niemi einen einfühlsamen Film gedreht, den man immer wieder sehen will.

Die DVD ist dafür die beste Lösung. Nicht nur, weil sie auch noch ein langes Interview mit dem Regisseur enthält. Es ist vor allem die bestechende Qualität des Films und seiner für uns unverbrauchten Darsteller, die es verhindern, dass mehrmaliges Sehen zur sofortigen
Ermüdung führt. Die Geschichte einer Freundschaft, die am Rande der Welt zwei Jungen einen Sinn und vor allem Halt gibt, ist witzig, traurig, heiter und vor allem hoffnungsfroh. Ein Traum aus Landschaft, Seele und Rock’n’Roll.

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