Erneut gelesen: Walter Mehrings Exilerinnerungen

Walter Mehring: Wir müssen weiter
Walter Mehring: Wir müssen weiter

Das eigentliche Manuskript umfasste 800 Seiten. Doch Walter Mehring hat sein Spätwerk verloren. Irgendwo zwischen Zürich und München ist der Koffer verschwunden. Die „Topographie der Hölle – Reportagen der Unter-Weltstädte“ konnte nicht mehr erscheinen. Lediglich das erweiterte Inhaltsverzeichnis und einige Textfragmente haben überdauert. Aus diesen hat Christoph Buchwald, der Herausgeber der Werkausgabe, noch zu Lebzeiten mit Walter Mehring diesen Band „Wir müssen weiter – Fragmente aus dem Exil“ geformt.

Es besteht aus gut 100 Seiten Prosastücken und 50 Seiten oder 1001 Versen der „12 Briefe aus der Mitternacht“, einem Gedichtzyklus, der zwischen 1938 und 1941 entstanden ist. Die Prosa sind die Fragmente des eigentlich viel größeren Buches. Jede Zeile dieser Erinnerungen verdichtet die Erfahrungen des Exils zu einer Erfahrungs- und Gedankenwelt, bei der jedes wichtige Wort mehr als nur eine Bedeutung trägt. Dieses Komprimieren der Erfahrungen und Erinnerungen ist trotz der knappen Form oftmals aussagekräftiger als Dutzende Seiten anderer Autoren. Es gibt Passagen, in denen Mehring mit viel Glück und Dusel durch Grenzkontrollen kommt, Inhaftierungslagern entkommt und Verhaftungen zuvorkommt. Verrückt daran ist, dass diese Begebenheiten verbürgt sind.

Mehring erinnert da an Grimmelshausens Simplizissimus. Nur sind die Erlebnisse alles andere als lustig. Vor allem wenn man sich einmal vorstellt, wie wir heute mit Flüchtlingen, Asylbewerbern und Staatenlosen umgehen. Mehring lässt mich nicht los. Sowohl das Leben wie auch die Bücher sind unglaublich. Vor gut 25 Jahren habe ich den Band das erste Mal gelesen. Und danach noch einige Male. Ich werde es auch wieder tun. Da bin ich sicher. Das gilt nicht nur für die Prosa, sondern auch die „12 Briefe aus der Mitternacht“, die in der strengen Form zum eindringlichsten und besten zählen, was im Exil über die Situation in kleinen Hotels und den Tod der Freunde – in diesem Fall Ernst Toller, Erich Mühsam, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Joseph Roth, Ödon von Horvath, Ernst Weiß, Theodor Lessing, Walter Hasenclever, Carl Olden – geschrieben wurde.

Mehr über Walter Mehring gibt es im Walter Mehring Blog

Die Liebe: Trikont bannt die Stimmen Bayerns auf CD

Die Stimmen Bayerns: Die Liebe
Die Stimmen Bayerns: Die Liebe

Schöner lässt sich „Die Liebe“ in Bayern gar nicht illustrieren. Der etwas rundere Wirtshausstuhl links und der etwas größere rechts drücken ein Stück bayerisches Wesen aus. Zusammen sind sie ein Paar, nicht allzu romantisch, aber eindeutig als solches erkennbar.

Diese liebevolle Nüchternheit prägt auch etliche Texte, die vom Münchner Label Trikont auf der CD „Die Liebe“ zusammengestellt wurden. Schon der Einstieg mit Helmut Fischers Lied „Spatzl, schau wie I schau“ als Monaco Franze, seiner TV-Paraderolle, erzeugt ein erstes Erahnen von dieser bayerischen Liebe, die so gar nichts mit Schmalz und Gefühlsdueseligkeit zu tun hat.

Wenn Josef Bierbichler dann Wolf Wondratscheck rezitiert, wenn Martina Gedeck der praktischen Anne Pollinger von Ödon von Horvath ihre Stimme gibt oder wenn Gustl Bayrhammer Ludwig Thoma liest, dann schwingt bei aller Emotion auch immer dieser lakonische Unterton mit, der tatsächlich typisch bayrisch ist. Noch stärker schwingt er bei den Liedern auf dem Liebes-Sampler mit. Egal ob es sich dabei um so unterschiedliche Musik von Georg Ringsgwandl, LaBrassBanda, Willy Michl oder den Isarspatzn aus den 50er-Jahren handelt, bei ihnen allen ist der Grundton leicht melancholisch und sehr realistisch. Und dennoch voller Liebe und tiefem Gefühl.