Jeden Tag kommen Schiffeweise Touristen aus Cuxhaven, Büsum und den anderen Häfen, die mit Deutschlands einziger Hochseeinsel verbunden sind. Helgoland liegt da mitten im Meer, als sei es eigens dafür geschaffen, um Schiffsladungen von Menschen für einige Stunden aufzunehmen und dann wieder auszuspucken. Sie kommen alle, um die Reize zu sehen, die alle sehen. Und natürlich, um Schnaps zu kaufen. Und Zigaretten. Und Parfüms, Schokolade und Mentos in ganz großen Rollen.
Jedes Motiv auf dieser Insel ist xig-fach fotografiert worden. Jeder Winkel tausendfach ausgeleuchtet. Jeder Stein, jeder Grashalm, jeder weißer Vogelschiß in so viele Augen eingedrungen, dass sich das erzeugen neuer Bilder eigentlich erübrigt. Und dennoch macht es Spaß, noch einmal zu schauen und eigene Bilder zu machen.
Mit Reiseführern ist es ja meist so, dass man sie gerne hat, aber dann doch nicht so intensiv liest. Wer hat schon einen Baedecker oder Lonley Planet komplett gelesen? Wahrscheinlich niemand. Meist sind sie auch gar nicht darauf ausgelegt, weil sie viel zu viele Informationen enthalten, die es aktueller online gibt. Martin Pollacks „Galizien“ hat mit dieser Kategorie Reiseführer fast gar nichts zu tun. Er ist vielmehr ein Führer in die Vergangenheit eines untergegangenen Raumes.
Wenn jemandem wirklich kein sinnvolles Argument mehr einfällt, dann kommt bestimmt der Spruch vom „Gutmenschen“. Erstaunlich viele, eigentlich intelligent wirkende, Menschen gefallen sich in der Attitüde, sich über andere lustig zu machen, die mehr Gerechtigkeit, weniger Umweltzerstörung oder eine Gesellschaft ohne Rassismus wollen zu diffamieren. Und das, wo es doch gar nicht so schlecht ist, wenn der Mensch gut statt böse ist.
T.C. Boyle hat in seinem neuen Roman Tierschützer und staatliche Naturparkwächter in den Blick genommen. Auf den ersten Blick sind beide Lager Gutmenschen. Die einen versuchen einige Inseln vor Santa Barbara in Kalifornien in einen Zustand zurückzuversetzen, in dem es keine Ratten an Land gab. Die kamen bei der Havarie eines Schiffes mit Treibholz an deren Küste. Und von da verbreiteten sie sich und erwuchsen zu einer Gefahr für die dortigen Vögel. Da es sich dabei Arten handelt, die es nur auf Anacapa gibt, entschließen sich Alma und ihre Kollegen vom Park-Service, die Ratten auszurotten. Das wiederum bringt Tierschützer auf die Palme. Sie lehnen den Massenmord an den Ratten ab. Denn jede Kreatur hat ein Recht zu leben.
Aus dieser Konstellation baut T.C. Boyle eine wunderbare, teils komische, auf jeden Fall aber lehrreich unterhaltsame Geschichte. Weder die einen, noch die anderen sind wirklich gut. Alle leben sie in ihrem eigenen Kosmos und sind unfähig, die andere Seite wirklich ernst zu nehmen. Beide Seiten steigern sich in unterschiedlich begründete Rigorismen. Und wie das entsteht, wie sich das aufbaut, das ist großartig. Da sind die Protagonisten dann nichts als einfach Menschen, die sich in ihrer Kleinbürgerlichkeit einbunkern und dabei ganz vergessen, dass das Leben mehr ist, als moralische Rechthaberei.
Boyles Figuren sind wie immer klar und gut gezeichnet. Die Geschichte ist schlüssig und zwingend konstruiert. Und so wird aus „Wenn das Schlachten vorbei ist“ ein spannender Öko-Thriller mit allen notwendigen Zutaten. Aber Schiffskatastrophen, Tod, Sex und Liebe sind nicht Hauptzweck, sondern fein gewürzte Zutaten für ein großes Buch.