Ein Eigentor für die SPD

Der Verlust des Landkreises Spree-Neiße an den CDU-Kandidaten Harald Altekrüger ist das Ergebnis einer dilettantischen Personalpolitik und einer fast schon starrköpfigen Braunkohle-Politik der Lausitzer SPD.

Beides bedingt sich. Dafür steht der abgewählte Dieter Friese. Seine Dominanz nahm der schwachen SPD im Landkreis die Luft zum Atmen. Sein ausgeprägtes Ego erschwerte die Verständigung mit der inmitten des Landkreises liegenden und SPD-geführten Stadt Cottbus. Seine Braunkohle-Gläubigkeit verhinderte, dass sich die SPD für kritische Geister öffnen konnte. All das sorgte für Unmut unter den Genossen.

Aber wie die SPD Friese jetzt behandelte, kann damit nicht entschuldigt werden. Wer ihn als Direktkandidaten aufstellt und erlebt, dass er das beste Ergebnis holt, darf ihn nicht absägen. Das mag zwar parteitaktisch motiviert sein. Doch dieser Opportunismus kostet Vertrauen. Und die SPD nun schon den mittlerweile dritten Landrat in der Lausitz.

Grüne juckt Vattenfall-Drohung nicht

Die Grünen im Bundestag begrüßen die Ankündigung von Vattenfall-Vorstandschef Klaus Rauscher, sämtliche Investitionen ruhen zu lassen. Für den Klimaschutz wäre dies das Beste, sagte der energiepolitische Sprecher Hans-Josef Fell (54).

Rauscher hatte mit dem Investitionsstopp gedroht, falls die Entscheidung der Bundesnetzagentur Bestand habe. Diese hatte verfügt, dass Vattenfall die Preise für die Durchleitung von fremdem Strom senken muss (20cent berichtete).

lm Gespräch mit 20cent nimmt Hans-Josef Fell Rauscher beim Wort – und findet nichts schlechtes an der Aussage, die den Braunkohle-Standort Lausitz gefährdet. Fell: „Es wäre eine gute Nachricht für den Klimaschutz, wenn Vattenfall tatsächlich die Drohung wahr machte, keine neuen Kohlekraftwerke zu bauen.“

Derzeit investiert Vattenfall in den Bau eines sogenannten kohlendioxidfreien Kraftwerks in Schwarze Pumpe (KM). Fell bezweifelt, dass dies ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz ist: „Die bisherigen Braunkohlepläne Vattenfalls sind angesichts der neuesten Erkenntnisse der Klimaforscher nicht mehr verantwortbar.“ Angesichts der 200 Milliarden Euro, die die Branche der Erneuerbaren Energien bis 2020 investierten wollte, sei es kein Problem, den Wegfall alter Kohle- und Atomkraftwerke zu kompensieren. Damit widerspricht Fell der Auffassung der Brandenburgischen Landesregierung, dass die Braunkohle ein unverzichtbarer Bestandteil der Energieversorgung in Deutschland bleibe müsse.

Sogar die Kohle stimmt – Ein Fußball-Traum wird wahr: Energie Cottbus steht im Halbfinale des DFB-Pokals

Wenn Graf Arnim an den Stehplätzen vorbeischnauft, dann zieht über das Stadion der Freundschaft in Cottbus wieder ein Hauch von Kohlenfeuer. Für einen Moment wenden sich die Fans auf den oberen Rängen vom Spiel ihrer Mannschaft ab, um der alten Dampflok der Cottbuser Parkeisenbahn nachzublicken. Der leicht beißende Geruch, einst so typisch für die Lausitzer Luft, verflüchtigt sich schnell wieder.

In der Vergangenheit lebten die Stadt und die Region von der Braunkohle

Doch der größte Teil der Kumpel in den riesigen Tagebauen und der Arbeiter in den Kraftwerken hat seine Arbeit verloren. Unter den treuen Anhängern von Energie Cottbus sind viele ehemalige Bergarbeiter. Der Klub des DDR-Energiekombinats Cottbus ist für sie eine Konstante, die Wende und Zusammenbruch der ostdeutschen Energiewirtschaft überstanden hat.

Trotz mancher Rückschläge geht es mit dem Klub aufwärts. Von den Jahren, als die Mannschaft meist um den Aufstieg in die DDR-Oberliga oder um den Klassenerhalt kämpfte, spricht kaum noch jemand.

Am 15. April empfängt der Spitzenreiter der Regionalliga Nordost den Karlsruher SC zum Halbfinale des DFB-Pokals. Aller guten Dinge sind drei, hoffen nicht nur die eingefleischten Energie-Fans: Nach dem MSV Duisburg und dem FC St. Pauli soll der KSC als dritter westdeutscher Bundesligist das Stadion der Freundschaft als Verlierer verlassen. Dem Finale im Berliner Olympiastadion stünde dann nichts mehr im Wege.

„Ich will zum Endspiel nach Berlin fahren“, wünscht sich auch Waldemar Kleinschmidt, der Cottbuser Oberbürgermeister. Um das Finale im 120 Kilometer entfernten Berlin zu einem Heimspiel zu machen, denkt er bereits über Sonderzüge nach: „Ich glaube schon, daß da 6000 oder 10 000 Cottbuser nach Berlin fahren würden.“

Die alte Dampflok Graf Arnim jedenfalls schafft diese Distanz nicht mehr. Sie verbindet das Stadion der Freundschaft mit dem Bundesgartenschau-Gelände und dem Branitzer Park des Fürsten Pückler.

Der letzte große deutsche Landschaftspark mit seinen beiden künstlichen Pyramiden ist nach wie vor der größte Besuchermagnet. Die Bundesgartenschau lockte weit über zwei Millionen Besucher an die Spree. Doch am meisten für die Bekanntheit der Stadt hat in jüngster Zeit Energie Cottbus mit seiner Serie von fünfzig Pflichtspielen ohne Niederlage getan.

Am Dienstag werden über 20 000 Zuschauer im Stadion der Freundschaft dem Team des letzten DDR-Nationaltrainers Eduard Geyer die Daumen drücken. Da das Spiel live im Fernsehen übertragen wird, werden die Straßen im Süden Brandenburgs leer gefegt sein. Das Angebot der Hauptstadt, bereits das Halbfinale ins wesentlich größere Olympiastadion zu verlegen, lehnten Geyer und das Präsidium einhellig ab: Das sei den Fans nicht zuzumuten. Obwohl Energie auf diese Weise bis zu dreimal so viele Eintrittskarten an die Fußballfreunde Berlins und Brandenburgs hätte verkaufen können. Die Cottbuser verschmähten die Einnahmen.

Was mit den Fernsehübertragungsrechten für die Pokalspiele gegen die Bundesligisten in die Kassen schwemmte, war bereits mehr als der berühmte warme Regen. Finanzielle Sorgen hat der Klub nicht mehr. Es war sogar eine knappe Million Mark übrig, und so konnte, mit Hilfe der Sponsoren und der Stadt, Mitte März endlich die lange ersehnte Flutlichtanlage installiert werden. Wirtschaftlich sind die Lausitzer fit für den Aufstieg in die zweite Bundesliga.

So fit, daß sogar Bundesligaspieler wie Jens Melzig (ehemals Leverkusen) und Thomas Hoßmang (ehemals Dresden) Cottbuser Offerten annahmen, in die Lausitz zurückzukehren. In dieser Situation könne man die Fans nicht nach Berlin jagen, nur um noch mehr Geld zu verdienen, heißt es in der Vereinsspitze.

Trainer Geyer bremst die Erwartungen, soweit es ihm möglich ist.

Für ihn ist der Pokal eine schöne Möglichkeit, um zu zeigen, daß nicht überall im Osten der Fußball in der Krise steckt. Vor allem aber will er den Aufstieg in die zweite Bundesliga schaffen: „Wenn ich die Wahl zwischen Pokal und zweiter Liga hätte, würde ich mich ganz klar für letzteres entscheiden.“ Zwölf Punkte trennen die Verfolger Erzgebirge Aue und Rotweiß Erfurt von den Lausitzern.

Und dennoch treibt Geyer der geplante Aufstieg um. Denn anders als der Meister der Regionalliga Süd steigen die Sieger aus der Nordost- und Nordliga nicht direkt auf. Selbst wenn Energie Cottbus am Ende mit einem Vorsprung von zwanzig Punkten die Konkurrenz aus dem Osten dominieren sollte, bliebe die Relegation. „Das ist ja dieser Schwindel“, bringt Fleischermeister Hartmut Jende, einer der vielen kleinen Sponsoren des Klubs, den Unmut auf den Punkt, „Nord und Nordost müssen Ausscheidungsspiele machen, und die im Süden steigen einfach so auf.“

In Cottbus hofft man beim Pokalschlager auf den Sieg der heimischen Mannschaft, was sonst: David gegen Goliath. Außerdem ist immer wieder die Rede davon, wie schön es wäre, wenn die Ostdeutschen mit ihren relativ bescheidenen Mitteln den wohlhabenderen Badenern einen Strich durch die Rechnung machen würden. Fleischer Jende kennt die Gefühlslage der Cottbuser aus seinem Laden genau: „Die Mentalität hier ist nicht sonderlich optimistisch. Ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen reicht, um das zu erklären. Es gibt nur Reiche und Arme, aber kaum noch einen Mittelstand. Die Stadt hat ich weiß nicht wie viele Millionen Schulden. Aber Hauptsache, mit Energie läuft es. Damit haben wir eine ganz eigene Wucht.“

Und wie es läuft bei Energie: Vom Präsidenten über den Trainer bis zu den Anhängern ist seit einigen Jahren alles in heimischer Hand. An das kurze Zwischenspiel eines westdeutschen Präsidenten und eines ebenfalls aus dem Westen stammenden Trainers erinnert sich niemand so gern. „Ich glaube, die hatten nicht ernsthaft vor, lange in Cottbus zu bleiben“, bemerkt Kleinschmidt. „Ich habe immer gesagt, wer Leistung bringt und für länger hierbleiben will, ist herzlich willkommen.“ Doch Präsident Ulrich Wagner aus Leonberg schaffte es damals fast nie, auch nur die Heimspiele zu sehen.

Eduard Geyer erinnert sich noch gut: „Als ich hierherkam, waren die Stimmen sehr zurückhaltend. Doch jetzt werde ich häufig angesprochen: Na los, das schafft ihr. Ihr steigt in die zweite Bundesliga auf.“

Das Cottbuser Team ist für seine Kampfstärke bekannt. Mit dem Willen, sich durchzubeißen, schafften es Geyers Schützlinge bei den Pokalspielen, bis zum Ende der Verlängerung durchzuhalten.

Im Elfmeterschießen hatten sie dann die besseren Nerven. Das Publikum honoriert diesen Willen. „Ich denke, daß sich viele mit der Leistung der Mannschaft identifizieren“, sagt Geyer. „Wir wissen, daß diese Gegend ein Kohlerevier war. Die Menschen mußten alle schwer arbeiten. Da erwarten sie auch von der Mannschaft, daß sie arbeitet, daß sie kämpft.“

Wenn der Karlsruher SC im Cottbuser Stadion der Freundschaft einmarschiert, wird erstmals die Flutlichtanlage bei einem großen Spiel eingeschaltet, ein kleines Symbol dafür, daß es an der Spree aufwärts geht. Das Fernsehen kann live aus Cottbus senden, und Geyers Spieler werden ihr Bestes geben: „Wenn wir am Schluß durch Elfmeterschießen ins Finale kämen, das wäre sensationell. Da spielt das Ergebnis keine Rolle.“

Dieser Text ist am 11. April 1997 in der ZEIT erschienen