Roland Schimmelpfennig hat sich als Dramatiker einen enormen Ruf erworben. Das ist seinem ersten Roman anzumerken. Dramatischer und knapper lässt sich ein Tableau von Personen kaum denken, das noch dazu so konsequent der Idee des Buches folgt. Alles, was Romane ausmacht, findet man in „An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ nicht. Weder lange innere Monologe, intensive Landschaftbeschreibungen oder sich weit verästelnde Erzählstränge bietet Schimmelpfennig seinen Lesern an. Stattdessen: Kürze, Prägnanz, durchsichtige Konstruktion eines Beziehungsgeflechts.
Und dennoch lässt einen der Roman nicht kalt. Er berührt gerade wegen seiner Knappheit. Sie lässt dem Leser Raum, in seiner Phantasie all die Leerstellen der Beschreibung des Personals zu füllen. Da ist das junge polnische Paar, das in Berlin vor lauter Arbeit das gemeinsame Leben vergisst. Da ist ein jugendliches Pärchen aus Ostbrandenburg, das vor der schlagenden Mutter und den immer betrunkenen Eltern flüchtet. Da ist genau die Mutter, die einst als Künstlerin aus Berlin nach Brandenburg kam und nach der Trennung die Kunst abhanden kam. Da ist deren Ex, der sich in Berlin als Künstler etablierte, aber das Wesentliche im Leben vergessen hat.
Sie alle – und noch einige mehr – haben sich selbst verloren, sind seelisch abgemagert, so wie der Wolf, der über die Oder nach Brandenburg kam, körperlich. Alle sind einsame Wölfe, die sich auf den Weg machen, um etwas von sich selbst zu finden. Und alle sind irgendwie miteinander verbunden. So wie der Wolf alle miteinander verbindet. Die Jugendlichen stoßen bei ihrer Flucht Richtung Berlin auf seine Spuren. Der Pole steht ihm im Stau auf der A 12 zwischen Frankfurt (Oder) und Fürstenwalde gegenüber und fotografiert ihn. So wie es den Wolf über die Felder und Wälder bei Seelow, Beeskow und Blumberg nach Berlin an den S-Bahn-Ring in Prenzlauer Berg zieht, so nähern sich auch die Personen diesem einstigen Szeneviertel an.
Sie 250 Seiten sind mit großen Buchstaben und viel Weißraum gefüllt. Optisch sind sie fast so etwas wie die Entsprechung zur kalten Winterlandschaft, in der sich die Personen des Romans ihrer eigenen Verlorenheit bewusst werden. Schimmelpfennig hat einen Roman über die soziale Verkrüppelung Deutschlands geschrieben. Und das mit sehr eingängigen Sätzen. Ein faszinierendes Buch.